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Neuere Geschichte

P. Probst: Leben auf dem Münsterturm

Keller, Katrin <katrin.kellerag.ch>
 
Autor(en):
Titel:Leben auf dem Münsterturm – der Turmwart Peter Probst erzählt. Mit Bildern von Hansueli Trachsel
Ort:Baden
Verlag:hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Jahr:
ISBN:978-3-03919-116-1
Umfang/Preis:167 S.

Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Katrin Keller, Zurlaubenforschung, Aargauer Kantonsbibliothek
E-Mail: <katrin.kellerag.ch>

Als vorläufig Zweitletzter seines Berufsstandes hält Peter Probst die 500-jährige Geschichte der Hochwächter und Turmwarte auf dem Berner Münsterturm fest. Denn seit 2007 ist die höchstgelegene bernische Stadtwohnung zum ersten Mal, seit es sie gibt, unbewohnt – was sich vorher auf und um den Turm herum zugetragen hat, schildert uns der Autor auf kurzweilige und persönliche Art und Weise.

Probst entführt den Leser zuerst ins Spätmittelalter, in die Entstehungszeit der grossen Stadtkirche. Vorerst in einem Provisorium auf dem in die Höhe wachsenden Turm untergebracht, befanden sich von 1519 an ununterbrochen bis ins 21. Jahrhundert Hochwächter auf dem Münster. Ihnen oblag die zuverlässige Nacht- und Feuerwache, ausserdem die Radaumeldung und das Läuten des Sonn- und Feiertagsgeläutes sowie der Burgerglocke. Letztere kam zum Einsatz, weil der Stundenschlag des Zytglogge-Turms in der Unterstadt nicht zu hören war. Bis zur Gründung der bernischen Berufsfeuerwehr 1908 waren jeweils mehrere Personen mit diesen Aufgaben betraut. Die neue Organisation der Brandwache hatte zur Folge, dass die letzten Wächter entlassen wurden und der damalige Münsterturmwart Otto Kormann und seine Familie als einzige Turmbewohner zurückblieben. Da die Wächter bis anhin auch als Glöckner eingesetzt worden waren, musste sich der Turmwart von nun an selber um die Anstellung von Teilzeitglöcknern aus der Altstadt kümmern. In der Ära Kormann, speziell in den Jahren, als die verwitwete Elisabeth Kormann als Turmwartin amtete, setzen die persönlichen Erinnerungen des Autors ein. Während seiner Schulzeit durfte Peter Probst die bei den Jugendlichen begehrte Aufgabe als Treppenwischerbub im Dienst von Frau Kormann wahrnehmen – eine Beschäftigung, die bei Probst eine dauerhafte Faszination für das Münster und insbesondere für das Amt des Turmwarts ausgelöst hat. 1985 erfüllte sich der Berufswunsch des Schülers dann tatsächlich.

Die auf den historischen Rückblick folgenden Kapitel widmen sich verschiedenen Turmpersönlichkeiten – der bereits erwähnten stadtbekannten Frau Kormann, den Wärtern und Glöcknern, treuen Besuchern und namenlosen Touristen. Ein spezielles Kapitel dreht sich um die ältesten Turmbesteiger, denen, sofern sie das siebzigste Altersjahr überschritten und alle 254 Treppenstufen erklommen hatten, die Ehre zukam, von Probst im «Greisenbuch» verewigt zu werden. Rekordhalter waren eine Frau und ein Mann von 91 Jahren. Neben den Menschen auf dem Münster werden auch die sieben heute noch im Einsatz stehenden Glocken detailliert beschrieben. Über die Grosse Glocke erfährt man, dass sie vor der Elektrifizierung nur von acht starken Männern zum Läuten gebracht werden konnte, weshalb man sich auf ihren Einsatz an hohen Feiertagen beschränkte.

Aus eigener Erfahrung oder aus der Überlieferung weiss der Autor von manch interessanter oder kurioser Begebenheit rund um das Münster zu berichten – etwa, dass noch vor wenigen Jahrzehnten im Winter das Wasser in die Turmwohnung hinaufgetragen werden musste, weil die Leitungen wegen Frostgefahr abgestellt wurden. Oder dass die Turmwartskinder von der Schule in der Matte bis nach Hause 440 Stufen zu überwinden hatten, dies notabene täglich und wahrscheinlich mehr als nur einmal! Nicht fehlen dürften auch die Berichte über den spektakulären, luftigen Einzug eines Klaviers in die Münsterwohnung oder über die waghalsige Entfernung einer auf der Turmspitze platzierten Vietcongfahne durch Turmwart Wymann und einen Polizisten. Im letzten Kapitel greift Probst einige seiner für die Kolumne «Berner Alltag» in der Tageszeitung «Der Bund» verfassten Turmgeschichten wieder auf und weitet damit den Blick auf die Altstadt und die ganze Stadt Bern.

Peter Probst liefert ein leicht lesbares und kurzweiliges Münsterbuch mit gut recherchierten historischen Details und vielen persönlichen Eindrücken aus der eigenen Wirkungszeit. Es gelingt ihm dabei, eine erfrischende, amüsante, zuweilen aber auch nachdenkliche Sicht aus der Turmperspektive zu vermitteln, und er verdeutlicht mit der Rückschau auf die Geschichte der Turmwarte, dass diese mehr sind – oder waren – als blosse Billetverkäufer und Hauswarte. Die Bilder des Berner Fotografen Hansueli Trachsel umrahmen das Werk auf passende Weise.

Zitierweise Katrin Keller: Rezension zu: Probst, Peter: Leben auf dem Münsterturm – der Turmwart Peter Probst erzählt. Mit Bildern von Hansueli Trachsel, Baden, hier + jetzt, 2009. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 72, Nr. 1, Bern 2010, S. 110-112. <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/infoclio/id=16537>