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C.A. Loosli: Judenhetze

Ludi, Regula <regula.ludihist.unibe.ch>
 
Autor(en):
Titel:Judenhetze
Reihe:Werke Band 6: Judentum und Antisemitismus
Ort:Zürich
Verlag:Rotpunktverlag
Jahr:
ISBN:978-3-85869-335-8
Umfang/Preis:540 S.

Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Regula Ludi, Minda de Gunzburg Center for European Studies, Unabhängige Expertenkommission Schweiz - Zweiter Weltkrieg
E-Mail: <regula.ludihist.unibe.ch>

«Den Juden schlägt man, aber die Freiheit und die Menschlichkeit meint man!» (S. 265) So schliesst ein Beitrag von C.A. Loosli, der 1930 im Israelitischen Wochenblatt erschien und in der neuen, von Fredi Lerch und Erwin Marti sorgfältig kommentierten Werkausgabe nachgelesen werden kann. Loosli, der sich selbst als «der lebenslängliche Verdingknabe des schweizerischen nationalen und geistigen Lebens» (S. 431) bezeichnete, schöpfte aus der eigenen Erfahrung von Randständigkeit und Stigmatisierung eine besondere Sensibilität für die Verwundbarkeit von exponierten Minderheiten. Zwischen 1927, als das Buch mit dem sarkastischen Titel «Die schlimmen Juden» erschien, und dem berühmten «Berner Prozess» von 1933/35 widmete Loosli einen beachtlichen Teil seines Schaffens der Abwehr von Antisemitismus. Unermüdlich schrieb er gegen die Wahnvorstellungen einer jüdischen Weltverschwörung an, mit viel Scharfsinn, Entschlossenheit und nicht immer gefeit vor der Versuchung zur belehrenden Geschwätzigkeit.

Lange bevor die Nationalsozialisten den Judenhass zur Staatsideologie erhoben, erkannte Loosli die Bedrohung, welche vom modernen Antisemitismus ausging. Er warnte davor, Hetzschriften wie die «Protokolle der Weisen von Zion» lediglich als verworrene Hirngespinste abzutun, und wies nachdrücklich auf das «völkermörderische» Potenzial ihrer Lügengebilde hin (S. 177). Man dürfe diese umso weniger auf die leichte Schulter nehmen, als finanzstarke Kreise und angesehene Persönlichkeiten – so der amerikanische Automobilhersteller Henry Ford – hinter deren Verbreitung steckten und den irrwitzigen Verschwörungstheorien so bis weit in bürgerliche Kreise hinein Glaubwürdigkeit verliehen, mahnte er.

Beim Kampf gegen die Judenhetze ging es für Loosli um den Schutz elementarer Werte der Zivilisation, oder um seine Worte zu gebrauchen: die Gesittung und Menschenwürde. Wo er in den Antisemiten die Barbaren der Neuzeit sah, schrieb er den Juden gleichsam die Rolle von Seismographen für die Geltung von Recht und Gerechtigkeit zu. Er bezeichnete sie als «die äussersten Vorposten der allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte » und folgerte daraus, «dass ein Angriff auf die Juden stets das untrüglichste Vorzeichen sich vorbereitender Angriffe auf die inneren und äussern Selbstbestimmungsrechte der Völker» sei (S. 83). Mit dieser Formulierung bezog sich Loosli auch auf die international brisanten Debatten um den Minderheitenschutz und die brennende Frage, wie der kollektive Status der Juden zu definieren sei.

Doch in dieser Frage schwankte Loosli, wie im Übrigen viele seiner auch jüdischen Zeitgenossen, zwischen der Definition von Juden als Schweizer Staatsbürger jüdischen Glaubens und ihrer Anerkennung als Minderheit mit einer eigenen nationalen Identität. Selbst wenn er an der staatsbürgerlichen Zugehörigkeit der Schweizer Juden nie den geringsten Zweifel aufkommen liess, blieb er trotzdem in vielerlei Hinsicht dem vorherrschenden Diskurs verhaftet, einem Diskurs, der im Juden den Anderen schlechthin sah. Davon zeugen Formulierungen, in welchen Loosli das «Verhältnis der schweizerischen Volksmehrheit zur jüdischen Minderheit» anspricht (S. 250) und so die Unvereinbarkeit von jüdischer und schweizerischer Identität zumindest als denkbare Möglichkeit nicht ausschliesst.

Für unser Empfinden ist auch Looslis Sprachgebrauch zuweilen eine Quelle des Unbehagens. Unbefangen, wenn nicht gar unbedarft, benutzte Loosli Begriffe, die wir heute eindeutig der Sprache des Dritten Reiches zuordnen würden. Das war für diese Zeit zwar nicht unbedingt aussergewöhnlich. Für die 1920er-Jahre lassen sich Texte finden, in welchen auch jüdische Autoren bedenkenlos den Ausdruck «arisch» verwenden, während Schweizer Behörden vereinzelt bis in die 1950er-Jahre hinein die Terminologie der nationalsozialistischen Rassenideologie nachplapperten. Trotzdem ist es befremdlich, in Looslis Schriften, die sich explizit gegen den Rassenantisemitismus richten, die Ausdrücke «völkisch» und «arisch», «Volkskörper» und «eidgenössische Gaue» zu lesen. Der Germanist Jonas Fränkel, ein enger Vertrauter, mahnte Loosli 1934 denn auch eindringlich, von seinem übereifrigen Sprachpurismus abzusehen, da heutzutage nur noch Nationalsozialisten ein solches Deutsch wie er schreiben würden (S. 13). Ein Rat des Freundes, den Loosli offensichtlich beherzigte, wie seine späteren Texte zeigen.

Im Übrigen hat das Engagement gegen den Antisemitismus Loosli auch von jüdischer Seite nicht nur Lob eingetragen. Seine unklar formulierten Assimilationserwartungen vermittelten vielen den Eindruck, dass die endgültige Überwindung des Antisemitismus das restlose Aufgehen der Juden im «Wirtsvolk», deren vollständige Verschmelzung mit der Mehrheitsbevölkerung, erheische. Es überrascht kaum, dass die implizierte Preisgabe der eigenen Identität vor allem bei den Zionisten auf wenig Gegenliebe stiess. Deren scharfe Kritik bewog Loosli, seine Position zu revidieren. Statt Assimilation wollte er nur noch von «Adaption» sprechen, die er in Analogie zur Anpassungsleistung der in Volksabstimmungen unterliegenden Minderheit konzipierte (S. 252). Persönlich scheint Loosli die zionistische Kritik aber schlecht verwunden zu haben. Er liess sich in seiner privaten Korrespondenz auch aus anderem Anlass wiederholt zu harten Worten über die Politik der Schweizer Juden hinreissen. Im Herbst 1935 taxierte er deren vorsichtig abwägende Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus als «Nassehosenpolitik» (S. 386) und warf einige Monate später dem schweizerischen «Assimilationsjudentum» «Gesinnungsfeigheit» (S. 389f.) vor.

Teils rührte diese Bissigkeit von Looslis Enttäuschung über die jüdische Weigerung, den Erfolg im «Berner Prozess» publizistisch auszuschlachten. Dieses Gerichtsverfahren, dem ein umfangreicher Teil des vorliegenden Bandes gewidmet ist, hatte unter anderem zu prüfen, ob die «Protokolle der Weisen von Zion» eine Fälschung und damit üble Propaganda oder, rechtlich betrachtet, Schundliteratur seien. Das Gerichtsurteil vom Mai 1935 bejahte diese Frage zur weltweiten Erleichterung der Juden. Loosli, vom Gerichtspräsidenten zum überparteilichen Gutachter ernannt, hatte grossen Aufwand betrieben, um den Fälschungsnachweis zu erbringen. Nach dem Urteil erhoffte er sich vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) finanzielle Unterstützung für die Publikation des Gutachtens. Doch die jüdische Gemeinschaft räumte humanitären Aufgaben den Vorrang ein. Schon damals befand sich der SIG, von den Behörden für die Finanzierung der jüdischen Flüchtlinge in die Pflicht genommen, in der Klemme. Dieses Dilemma blieb selbst dem wachsamen Beobachter Loosli weitgehend verborgen, obwohl es die politische Erpressbarkeit einer exponierten Minderheit besonders eklatant zum Ausdruck brachte.

Mancher befremdliche Eindruck wird auch erst verständlich, wenn Looslis Schriften vor dem Hintergrund ihres Entstehungskontextes gelesen werden. Looslis Kampf gegen den Antisemitismus galt weniger dem Schutz von partikulären Anliegen der Minderheit als den übergeordneten Werten von Rechtsstaat, Menschenwürde und Demokratie. Diese Werte freilich sah Loosli in Gefahr, wenn sie für die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft keine Geltung mehr besassen. Sein Engagement ist so als Beitrag zu einem linken Verständnis der geistigen Landesverteidigung zu verstehen. Er setzte der Bedrohung durch den Nationalsozialismus ein Idealbild der Schweiz entgegen, das die Moderne bejahte und einen republikanischen Staatsbegriff zur Norm erhob, für den die Demokratie ihre Legitimität nur in der Achtung der allgemeinen Menschenrechte fand. Manche von Looslis Beobachtungen haben so bis auf den heutigen Tag nicht an Aktualität eingebüsst. Etwa die Feststellung, dass die beharrliche Betonung der Religionszugehörigkeit von jüdischen Straffälligen, und nur von diesen, durch die Presse antisemitische Stereotype erhärte und zu einer kollektiven Schuldzuschreibung an alle Juden führe (S. 112f.). Zweifellos gehörte C.A. Loosli zu den wenigen, die frühzeitig das Gift des modernen Antisemitismus erkannten und in den bedrohten Juden das Sinnbild einer gefährdeten Demokratie, im Antisemitismus entsprechend die radikale Negation und Zerstörung der Zivilisation sahen.

Zitierweise Regula Ludi: Rezension zu: Carl Albert Loosli: Judenhetze, Werke Band 6: Judentum und Antisemitismus. Hrsg. von Fredi Lerch und Erwin Marti, Zürich, Rotpunktverlag, 2008. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 72, Nr. 1, Bern 2010, S. 107-110. <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/infoclio/id=16534>