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Neuere Geschichte

B. Bietenhard: Freie Gymnasium Bern

Hofmann, Michèle <->
 
Titel:Das Jubiläumsbuch. fgb. 150 Jahre Freies Gymnasium Bern
Herausgeber:Bietenhard, Benedikt; Grädel, Christoph
Ort:Bern
Verlag:Freies Gymnasium Bern
Jahr:
ISBN:-
Umfang/Preis:248 S.

Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Michèle Hofmann
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2009 feierte das Freie Gymnasium Bern (FGB) sein 150-jähriges Bestehen. Zu diesem Anlass publizierte die Schule eine Jubiläumsschrift. Der reich bebilderte Band ist in zwei Teile gegliedert. Der zweite Abschnitt befasst sich ausschliesslich mit den vergangenen 50 Jahren. Hier finden sich unter anderem Auflistungen der Maturjahrgänge und -reisen 1960 –2009, der Konzerte und Theateraufführungen seit 1960 und Erinnerungen ehemaliger Rektoren und Direktionspräsidenten. Weiter zurück in die Geschichte des Freien Gymnasiums blickt der erste Teil des Buches, der die Zeit seit der Gründung im Jahre 1859 beleuchtet. Hier werden sämtliche Lehrkräfte, Schulleitungen, Mitarbeiter und der Schulvorstand 1859 –2009 aufgelistet, ferner werden die Geschichten zweier Familien erzählt, die seit Generationen das FGB besuchen. In diesem ersten Teil findet sich – zumindest aus Sicht der Historikerin – auch das Herzstück des Buches, das Kapitel «Freies Gymnasium Bern 1859 –2009» von Benedikt Bietenhard, Lehrer für Geschichte am FGB.

Bietenhard zeichnet die 150-jährige Schulgeschichte chronologisch nach. Am Anfang steht Theodor von Lerber, der 1859 in der Stadt Bern eine kleine evangelische Privatschule für Knaben von 5 bis 10 Jahren gründet. Das Institut wächst rasch, muss deshalb mehrmals neue Räumlichkeiten beziehen und wird 1866 um ein Progymnasium, 1869 um ein Gymnasium erweitert. Ende der 1880er-Jahre beginnende Auseinandersetzungen zwischen Lerber und seinen Mitarbeitern betreffend Neugestaltung des Gymnasialunterrichts (alte Sprachen versus Naturwissenschaften, moderne Sprachen) führen 1892 zum Rücktritt Lerbers. Kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert halten die Frauen Einzug an der Knabenschule. 1901 werden die ersten Schülerinnen zugelassen und fast gleichzeitig wird die erste weibliche Lehrkraft eingestellt. 1902 erhält das FGB die ETH Anerkennung und 1909 die Hausmatur, beides wichtige Etappen auf dem Weg zur Gleichstellung mit den staatlichen Gymnasien. Geldmangel war seit den Anfängen ein ständiger Begleiter des Schulalltags. Nach dem Ersten Weltkrieg wachsen die finanziellen Lasten dann in einem noch nie erreichten Mass, unter anderem bedingt durch eine nötig gewordene Erhöhung der Lehrerlöhne. Zur Finanz- kommt eine Vertrauens- und Disziplinarkrise hinzu, die 1925 zum Rücktritt des Direktors und fast zur Schulschliessung führt. Ab 1964 erhält die Schule kantonale Subventionen und wird damit auch in finanzieller Hinsicht den staatlichen Gymnasien gleichgestellt. Die 68er-Bewegung löst einen «kleinen Sturm im Wasserglas Freies Gymnasium» (S. 60) aus, bleibt aber ohne nennenswerte Konsequenzen. Die 1970 er- und 1980 er-Jahre bringen Veränderungen hinsichtlich Unterrichtsinhalte mit sich, unter anderem wird Informatik als neues Fach eingeführt. 1988 tritt der langjährige Rektor Erwin Sager zurück, als sein Nachfolger wird Urs Zürcher gewählt. In Zürchers fast 20-jährige Amtszeit fallen einige Neuerungen, darunter die Einführung von Sprachkursen und Austauschprogrammen. Im Jubiläumsjahr wird das FGB von David Lingg geleitet.

Schulhistorische Forschung besteht überwiegend aus Arbeiten, die die Geschichte einzelner Bildungsinstitutionen fokussieren. Ein Grossteil dieser Schriften gehört zur Gattung der Fest- und Jubiläumsliteratur. Diese grosse Tradition übersieht Bietenhard, wenn er einleitend den Sonderstatus hervorhebt, den das Freie Gymnasium mit der aktuellen und vorgängigen Festschrift einnehme. Seine Chronik folgt insofern den klassischen Jubiläumsschriften, als dass sie den grossen Männern verpflichtet ist. Die Amtszeiten der Rektoren und Direktoren geben die Zäsuren vor, entlang derer die Kapitel eingeteilt sind und die Geschichte erzählt wird. Insbesondere dem Gründer wird grosses Gewicht und viel Platz eingeräumt. Die fast schon mythische Stilisierung Lerbers basiert auf den älteren Jubiläumsschriften sowie der Lerber-Biographie Rudolf von Tavels, auf welche Bietenhard sich stützt.

Ehemalige Schüler, Schülerinnen und Lehrkräfte sowie dem Freien Gymnasium verbundene Personen finden in Bietenhards Chronik mit den beigefügten Fotografien und Auflistungen viel Wissenswertes über die Schulentwicklung. Für eine breitere, an Schulgeschichte interessierte Leserschaft fehlt hingegen weitgehend die Einordnung der Geschehnisse in einen grösseren (bildungs-)historischen Kontext.

Als Erklärung für innerschulische Veränderungen wird immer wieder der Zeitgeist ins Feld geführt. Prozesse, die im 19. und 20. Jahrhundert den «säkularen Zeitgeist» (S. 21) ausmachen und die Geschichte der konfessionell begründeten Privatschule im Besonderen und diejenige des schweizerischen Schulsystems im Allgemeinen mitbestimmen, kommen hingegen nicht zur Sprache. Die laizistische Schule, die Gewicht auf empirische Fächer und Distanz zur Religion legt, steht seit der Französischen Republik und ihrer Kopie in der Helvetischen Republik im Zentrum der Demokratisierungsbemühungen. Schule soll allen Bürgern gleichermassen entsprechend ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen das Wissen vermitteln, das sie brauchen, um an der Öffentlichkeit teilzuhaben, von der aus Staat und Gesellschaft kontrolliert werden. Schule wird ausgerichtet auf eine sich wandelnde Öffentlichkeit, auf das öffentliche Wissen. Ein grösserer Gegensatz zum Konzept kirchlicher Schulen ist kaum denkbar. Diese wurden gedacht von einer unveränderlich absoluten, unwandelbaren Grösse, Gott und Offenbarung, aus. 1) Aus der ablehnenden Haltung gegenüber der liberalen Schule und der liberalen Gesellschaft entstehen im 19. Jahrhundert die evangelischen Schulen. Vor dem Hintergrund dieser Prozesse liessen sich die Gründung des FGB und das Ringen um Gleichstellung mit den staatlichen Gymnasien breiter kontextualisieren. Damit würde der «Zeitgeist» fassbarer und die Schulentwicklung nicht primär aus den Handlungen der grossen Männer erklärt.

Auf einen weiteren Kontext, der keine Erwähnung findet, ist im Zusammenhang mit der Entwicklung des Fächerkanons hinzuweisen: den Siegeszug der Naturwissenschaften. Eine Reihe grosser naturwissenschaftlicher Durchbrüche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts finden rasch Eingang in den gymnasialen Unterricht. Eine gewichtige Rolle in diesem Prozess spielt die ETH. Sie schliesst mit den Gymnasien Verträge über den prüfungsfreien Übertritt ab und kontrolliert im Gegenzug, dass der naturwissen schaftliche Unterricht ausreichend Berücksichtigung findet. Die ETH-Anerkennung, welche das FGB 1902 erhält, wird zwar erwähnt. Doch auch hier liesse sich die innerschulische Entwicklung in einen grösseren Zusammenhang stellen und würde dadurch anschaulicher. Das Jubiläumsbuch ist leicht verständlich geschrieben und durch seine zahlreichen Abbildungen ansprechend. Insbesondere für Ehemalige stellt es ein Nachschlagewerk dar, welches zum Stöbern in der 150-jährigen Schulgeschichte einlädt.

1) Osterwalder, Fritz: Humanistische Bildung – fachwissenschaftliche Bildung. In: Badertscher, Hans; Grunder, Hans-Ulrich (Hrsg.): Geschichte der Erziehung und Schule in der Schweiz im 19. und 20. Jahrhundert. Leitlinien. Bern 1997, 237– 277; Ders.: Vom «Gegengewicht» zum «geeigneten Ort» – Berner Staat und evangelische Privatschulen. In: Vom Evangelischen Seminar zum Campus Muristalden. Zürich 2004, 155 –165.

Zitierweise Michèle Hofmann: Rezension zu: Bietenhard, Benedikt; Grädel, Christoph (Hrsg.): Das Jubiläumsbuch. fgb. 150 Jahre Freies Gymnasium Bern, Bern, Freies Gymnasium Bern, 2009. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 72, Nr. 1, Bern 2010, S. 99-102. <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/infoclio/id=16505>