V. Reinhardt: Im Schatten von Sankt Peter

Cover
Titel
Im Schatten von Sankt Peter. Die Geschichte des barocken Rom


Autor(en)
Reinhardt, Volker
Erschienen
Darmstadt 2011: Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Anzahl Seiten
270 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Hillard von Thiessen, Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit, Universität Rostock

Dieses Buch ist zweierlei: einerseits eine ebenso unterhaltsame wie lehrreiche Darstellung der soziopolitischen Geschichte Roms im 17. Jahrhundert, andererseits eine Leistungsschau der jüngeren Forschung zur Geschichte des frühneuzeitlichen Kirchenstaats, und zwar vor allem der deutschsprachigen. Der Autor schöpft zum einen aus seinen eigenen Forschungen zu Finanzgeschichte, Nepotismus, Adel und Statuskonkurrenz sowie der Lebensmittelversorgung der Ewigen Stadt, zum anderen greift er auf viele neue Forschungen zurück, die in einer instruktiven Auswahlbibliographie am Ende des Buches aufgeführt werden. Das Kapitel zu Konklaven bezieht sich beispielsweise stark auf die 2010 erschienene wegweisende Studie von Günther Wassilowsky. Natürlich verwertet der Verfasser auch die Werke von Wolfgang Reinhard und seiner Schule, greift auf die Ergebnisse des «Requiem»-Projekts zu frühneuzeitlichen Kardinalsgrabmälern zurück, baut die jüngere Inquisitionsforschung ein und kann sich schließlich auch auf Arbeiten aus dem Kreis seiner eigenen Mitarbeiter beziehen. Auch die jüngere italienische Forschung zur Geschichte des Kirchenstaats rezipiert der Verfasser. Das bedeutet auch: der Band schöpft aus unterschiedlichen Disziplinen, namentlich der Geschichte, der Theologie und der Kunstgeschichte.

Volker Reinhardt hat ein Buch geschrieben, das auf hohem fachlichem Niveau einen breiteren Leserkreis anspricht. Es geht ihm darum, eine gut lesbare Synthese aus der aktuellen Literatur zu erstellen. Dieses Unterfangen, das sei bereits an dieser Stelle festgehalten, ist vollauf gelungen. Der Verfasser betrachtet das 17. Jahrhundert als den Zeitraum, in dem das Erscheinungsbild der Stadt neu geprägt wurde und in dem sich Mentalitäten bzw., wie der Autor es formuliert, eine Lebensordnung herausbildete, die bis in die Gegenwart wirkt. Das Buch möchte folglich Denk- und Handlungsmuster, die für die italienische Gesellschaft und ihr Verhältnis zum Staat typisch sind und vom Leser nördlich der Alpen mitunter als befremdlich wahrgenommen werden, am Beispiel des barocken Rom historisch erklären. Der Autor sieht zwischen dem 17. Jahrhundert und der Gegenwart starke Kontinuitätslinien. Das gilt vor allem für die normativen Widersprüche, die sich in der römischen Gesellschaft im 17. Jahrhundert zuspitzten. Indem die Päpste die Stadt Rom «zum Spiegel ihres Amts und ihres Ranges» gestalteten, machten sie sie zur «Pionierstadt in Sachen Medien und Propaganda» (9). Dieser inszenierte Glanz jedoch war geborgt: Rom und der Kirchenstaat lebten permanent über ihre Verhältnisse. Und dies gilt nicht nur für die großen architektonischen Projekte der Pontifices und den Statuskonsum des Adels, sondern auch für die städtische Sozialpolitik, deren Kernanliegen der Erhalt stabiler Brotpreise war. Die Stadt am Tiber war eine Bühne extremer Gegensätze zwischen Schein und Sein. Dabei hat der Verfasser offenkundig einige Freude daran, dem Leser zunächst eine ihm eher fremde Welt zu schildern, um dann die römische Selbsttäuschung in Bezug zur Gegenwart – und zwar keineswegs nur der Italiens – zu stellen. In Rom, so eine Grundaussage des Buches, lassen sich Normenkonflikte und normative Widersprüche besonders gut studieren, weil sie dort sichtbarer als andernorts sind – es handelt sich gleichwohl um Konflikte, welche die soziopolitische Kultur Europas insgesamt und damit durchaus auch die Lebenswelt des deutschsprachigen Lesers betreffen.

Das Buch bietet keine chronologische Erzählung, sondern ist thematisch gegliedert. Der Autor steigt in die Welt des barocken Rom ein, indem er die Normenkonflikte und Spannungen in den Konklaven schildert. Anschließend fragt er danach, wie der Papst im Kirchenstaat und in seiner Hauptstadt geherrscht hat, schildert das Verhältnis der verschiedenen sozialen Gruppen der Stadt zu ihrem Landesherrn und erläutert die Folgen der personalen Diskontinuität von Herrschaft in der wohl konsequentesten Wahlmonarchie Europas. Eindringlich wird daraufhin die Bedeutung sozialer Normen am Tiber beschrieben, sei es im päpstlichen Nepotismus, in Ehrkonflikten, ja selbst bei Heiligsprechungen: «Kanonisationen waren eine Sache der Lebenden und ihrer Interessen» (88). Ausführlich beschrieben wird die römische Grabmalskultur und damit der Versuch von Päpsten, kurialen Geistlichen und Adligen, publikumswirksame Selbstverewigung zu betreiben. Dass dabei theologische Normen, und mochten sie auch noch so explizit ausformuliert sein, nicht gegen diese soziale Praxis ankamen, ist ein weiterer der für die Ewige Stadt typischen Normwidersprüche, die sich wie ein roter Faden durch das Buch ziehen. Einen gewissen Höhepunkt des Werkes stellt das Kapitel über die Versorgung der Stadt mit den elementaren Grundnahrungsmitteln Brot und Wasser dar, und es ist sehr einleuchtend, dass diesem Abschnitt das Kapitel über Proteste und Rebellionen folgt, die zu verhindern ja Ziel der Brotpreispolitik war.

Im letzten Drittel des Buchs wandelt sich die Erzählperspektive. Reinhardt schildert in diesem Teil Brüche in der Lebensordnung und Konflikte, die vor allem in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts immer weniger überspielt werden konnten. Geschildert werden die zunehmend grund sätzlicher argumentierende Nepotismuskritik der Reformfaktion der zelanti, das Wirken der römischen Inquisition und der mitunter ruinöse Konkurrenzkampf zwischen Nepotendynastien und altem Adel. Der Maßstab, was als Selbstdarstellung des eigenen Standes angemessen war und die Vorstellung, wo die Grenze zur sündhaften Verschwendung lag, wandelten sich nicht zuletzt im Angesicht der Wirtschaftskrisen in der Jahrhundertmitte. Auf lange Sicht wurde damit den Reformpontifikaten des letzten Jahrhundertviertels der Weg gebahnt, die den Nepotismus gewissermaßen deckelten, die Staatsschulden reduzierten und die Kunstpolitik moralisierten. Doch in der Welt des 18. Jahrhunderts, so der Ausblick am Schluss des Buches, wurden Kirchenstaat und Kurie zunehmend zum Gegensystem, zu einem anachronistischen Überbleibsel, in dem die meisten Reformanstrengungen versandeten. Damit, so das Fazit des Verfassers, blieben die «barocke » Mentalität und Sozialordnung in Rom auf lange Sicht erhalten.

Das römische Panorama, das Reinhardt vor dem Leser entfaltet, zeigt, wie publikumsfreundlich kulturgeschichtliche Forschung sein kann, wenn sie sich des angestrengt szientistischen Jargons enthält. Reinhardt hat ein Buch geschrieben, dem man viele Leser wünscht und das auch dem kulturell interessierten Romreisenden dienlich sein dürfte. Mitunter erscheinen allerdings die Aktualitätsbezüge des Verfassers sehr angestrengt. Das betrifft zum Beispiel den Vergleich der frühneuzeitlichen Vermittler päpstlicher Patronage mit Event-Managern des 21. Jahrhunderts – hier werden doch eher falsche Assoziationen geweckt. Den Wert des Buches schmälert dieser kleine Einwand nicht – man wünscht sich mehr Bücher dieser Art, die vom Forschungsstand her up to date sind und den Nutzen historischer Forschung, gerade auch der Kulturgeschichte, in die Gesellschaft tragen.

Zitierweise:
Hillard von Thiessen: Rezension zu: Volker Reinhardt, Im Schatten von St. Peter. Die Geschichte des barocken Rom, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 107, 2013, S. 425-427.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in
Weitere Informationen