A. Frei u.a. (Hrsg.): Das Personal der Postmoderne

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Titel
Das Personal der Postmoderne. Inventur einer Epoche


Herausgeber
Frei, Alban; Mangold, Hannes
Erschienen
ErschienenBielefeld 2015: Transcript – Verlag für Kommunikation, Kultur und soziale Praxis
Anzahl Seiten
250 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Willi Loepfe

Anders als die unzähligen Sammelbände, die auf Konferenzen oder Vorlesungsreihen zurückgehen und heterogene Beiträge zwischen zwei Buchdeckeln zusammenführen, offenbar ohne sich um deren Kohärenz zu bemühen, verfolgt der anzuzeigende Band eine klare und gute Idee. Die Herausgeber, die beide Doktoranden an der Professur für Technikgeschichte an der ETH Zürich sind, wollen gemeinsam mit den Beiträgerinnen und Beiträgern die kulturelle Formation der Postmoderne über ihr Personal skizzieren. Das heisst, sie untersuchen in begrifflicher Anlehnung an das antike Theater «spezifische und charakteristische Masken, die auf der postmodernen Bühne auf- und zuweilen wieder abtraten» und zwar vor allem solche, die «nicht nur von der Postmoderne geprägt wurden, sondern diese auch selbst prägten.» (S. 9) Daher wird der Begriff der Postmoderne eingangs nicht klar definiert, sondern er soll vielmehr durch die genauen Schilderungen der sie proklamierenden und konstituierenden Figuren elaboriert werden. Dass dies nur in Ansätzen gelingt, auch weil ein die Personalstruktur zusammenfassendes Fazit fehlt und vor allem nicht klar wird, ob es sich bei der Postmoderne um eine abgeschlossene oder eine noch andauernde Epoche handelt, ist kein wesentlicher Einwand gegen den Band, dessen Beiträge mehrheitlich durch Ideenreichtum und gute Lesbarkeit bestechen.

Die siebzehn Personenskizzen gruppieren sich um verschiedene Handlungsfelder: die aufsteigende Computerisierung (Programmierer, User, Cyborg, Blogger, wobei letzterem nur ein Brief von Michael Hagner gewidmet ist, der erläutert, warum er keinen Beitrag über den Blogger verfassen konnte); Gewalt und Sicherheit (Stadtguerilla, Fachoffizier, Globalisierungskritiker_in, Security Contractor); Wirtschaft (Bildungsökonom, Coach, Steuerexperte, Raider); Wissenschaft und Kultur (Sampler, Postkolonialistin, Wissenschaftshistoriker, Kuratorin, Wissenschaftsmanagerin). Bei den meisten dieser Personen ist der Bezug auf ein postmodernes Verständnis von Subjektivität, Wissen und kultureller Produktion deutlich belegt. Karin Harrasser zeigt, wie die Cyborg Grenzen von Mensch und Technik überschritt und damit Vorstellungen personaler Identität ins Wanken brachte. Ähnlich argumentiert Florian Kappeler für den fiktiven Zapatisten Subcommandante Insurgente Marcos, während der Beitrag von Max Stadler zeigt, wie in der Figur des Users klassische soziale Distinktionskriterien eingeebnet wurden. Auf der Ebene der kulturellen Produktion steht der von Benedikt Sartorius vorgestellte Sampler für den spielerischen Umgang mit Sinnzusammenhängen, ihre Re- und Neukonfiguration, der zugleich Fragen künstlerischen und intellektuellen Eigentums aufwarf. Genauso indiziert der Aufstieg der Kuratorin für Gioia Dal Molin die Verschiebung der Macht über die Präsentation und von Kunstwerken von den Künstlerinnen und Künstlern zu den Ausstellungsmachern, wodurch sich seit den 1960er das künstlerische Feld verändert habe. Ganz ähnlich interpretiert Alban Frei die Wissenschaftsmanagerin, die Güter, an deren Produktion sie selbst nicht beteiligt ist, nach ökonomischen Kriterien verwaltet, als spezifisch postmodern. Eindeutig im Bereich der Postmoderne anzusiedeln ist auch der von Florian Schmitz leider vor allem auf der Basis seiner filmischen Repräsentationen porträtierte Security Contractor, der in der Diskussion über die sogenannten neuen Kriege immer wieder als Indiz für ein angeblich erodierendes staatliches Gewaltmonopol herhalten musste. Ähnlich charakteristisch ist auch der Steuerexperte, kenntnisreich und differenziert vorgestellt von Gisela Hürlimann, der in einer zunehmend globalisierten Wirtschaft Wissen darüber bereitstellt, wie Steuern vermieden oder wie optimale Steuererträge erzielt werden können.

Bei anderen Figuren ist der Bezug zur Postmoderne hingegen weniger klar. Brigitta Bernets instruktiver Beitrag über den Coach wirft etwa die Frage auf, inwiefern die Übertragung von Trainingsprogrammen in alle Bereiche der Persönlichkeitsoptimierung nicht gerade von einer noch immer verbreiteten Vorstellung des sich selbst transparenten und daher auch durch sich selbst zu optimierenden Subjekts ausgeht. Die Stadtguerilla, der sich Hannes Mangold widmet, kämpfte zwar den «kleinen Krieg» aber doch im Zeichen der Aufklärung und Emanzipation und im sicheren Bewusstsein, im Besitz der moralischen und intellektuellen Wahrheit zu sein. Desgleichen erscheint der Bildungsökonom, den Michael Geiss vor allem an Friedrich Edding exemplifiziert, eher als Gesellschaftsplaner im Geiste der klassischen Moderne denn als Figur der Postmoderne. Auch David Gugerli lässt den Programmierer zunächst als Kontrollfanatiker erscheinen, der sich kaum von früheren Technikern unterschieden habe, um dann aber doch herauszuarbeiten, wie er immer wieder rekonfiguriert wurde.

Da die Herausgeber selbst auf die Selektivität und Ergänzungsbedürftigkeit ihres Personaltableaus verweisen, ist es wohlfeil ihnen vorzuwerfen, dass die eine oder andere Figur besser geeignet gewesen wäre, die kulturelle Figuration der Postmoderne zu erhellen. Nichtsdestoweniger drängt sich bei der Lektüre von Simone De Angelis stark autobiographisch und in der ersten Person Singular gehaltenem Beitrag über den «Wissenschaftshistoriker» die Frage auf, ob die Figur des Kulturwissenschaftlers nicht besser geeignet gewesen wäre, die Destabilisierung der Geisteswissenschaften seit den 1980er Jahren zu verdeutlichen. Statt Fermin Suters Literaturbericht über die postkoloniale Theoretikerin wäre ebenfalls ein allgemeinerer Text über die Figur des postmodernen Theoretikers, der seit den 1970er Jahren einen ganz eigenen (anti-)akademischen Habitus entwickelte, gewinnbringender gewesen. Andere zentrale Figuren fehlen ganz, so zum Beispiel der Reproduktionsmediziner, der die Erzeugung menschlichen Lebens technisch immer verfügbarer machte, der von Stephen Shapin geschilderte Entrepreneurial Scientist, dessen akademische Forschung zur Gründung kommerziell erfolgreicher Firmen führen soll, der Unternehmer der New Economy oder der Zeitarbeiter, die beide auf verschiedene Weisen den Wechselfällen einer globalisierten Ökonomie unterworfen sind, oder die Medienakteure und Reality TV Stars, die das mediale Ensemble signifikant erweiterten. Alles in allem ist es aber weniger ein Fehler des Bandes, das Personal der Postmoderne nicht erschöpfend behandelt, sondern vielmehr sein grosses Verdienst, das Nachdenken und die Diskussion über eben dieses und die grundsätzliche Möglichkeit einer personalen Epochenkonfiguration angestossen zu haben.

Zitierweise:
Rüdiger Graf: Rezension zu: Alban Frei, Hannes Mangold (Hg.), Das Personal der Postmoderne. Inventur einer Epoche, Bielefeld: transcript, 2015. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 2, 2017, S. 290-292.