B. Forclaz u.a. (Hrsg.): Religion et piété au défi de la guerre

Cover
Titel
Religion et piété au défi de la guerre de Trente Ans.


Herausgeber
Forclaz, Bertrand; Philippe, Martin
Reihe
Collection Histoire
Erschienen
Rennes 2015: Presses Universitaires de Rennes (PUR)
Anzahl Seiten
345 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Josef Inauen, Universität Freiburg i.Ue.

Im Gegensatz zum frankophonen gibt es im deutschen und angelsächsischen Raum eine breite Literatur zum Dreissigjährigen Krieg, insbesondere zu dessen religiös-konfessionellen Aspekten. Es war daher ein grosses Verdienst von Bertrand Forclaz und Philippe Martin, dieses Thema im Kreis von deutschen, schweizerischen, italienischen, französischen, belgischen und niederländischen Historikern zu diskutieren und deren Referate herauszugeben. Im September 2013 und im Januar 2014 fanden an den Universitäten Lyon und Neuenburg internationale Kolloquien zum Thema «Krieg und Religion im Dreissigjährigen Krieg» statt. Ein grosser Teil der dabei gehaltenen Vorträge und einige ergänzende Beiträge finden sich im vorliegenden Band.

Drei Fragen standen während der Kolloquien und stehen im Tagungsband im Zentrum: Wie veränderte der Krieg die Beziehungen zwischen den politischen und militärischen Autoritäten und den religiösen Menschen? Wie verhielt sich der Klerus unter dem Eindruck der Schrecken des Krieges? Und wie wandten sich die Gläubigen im Angesicht von Gewalt und Zerstörung dem Himmel zu? Bertrand Forclaz und Philippe Martin führen mit einer substantiellen Einleitung in die Thematik von Religion und Frömmigkeit im Zeitalter des Dreissig jährigen Krieges ein. Sie weisen darauf hin, dass die regional orientierte Forschung, verbunden mit der Untersuchung individueller Schicksale, eine erstaunlich grosse Vielfalt an religiösen Einstellungen aufzuzeigen vermag. Wenn man nur starre religiös-konfessionelle Positionen erwartete, so staunt man, dass der Krieg im Gegenteil vielen die Möglichkeit gab, ihren Glauben ganz individuell zu leben und zu bezeugen. Allerdings: Das Religiöse und Konfessionelle hatte damals eine heute kaum mehr vorstellbare Bedeutung, vor allem in der ersten Phase des Dreissigjährigen Krieges, während gegen Ende Staatlichkeit und Staatsinteresse wichtiger wurden als Konfession und Religion.

Die Beiträge sind drei Themen zugeordnet: Politik und Konfession; die Geistlichkeit in Aktion; Frömmigkeit und Verehrung.

Der erste Teil enthält folgende Beiträge: Nina Fehrlen-Weiss und Anton Schindling stellen die Errichtung der Mariensäulen in München, Wien und Prag im Dreissigjährigen Krieg beziehungsweise kurz danach dar. Der Marienkult spielte in der Abgrenzung zu den Protestanten eine wichtige Rolle. Nicolas Simon schreibt über Krieg und Religion als wichtigen Einflussfaktor auf die politischen Entscheide in den Spanischen Niederlanden. Axelle Chassagnette setzt sich mit dem konfessionellen Inhalt der deutschen Flugblätter auseinander – der Dreissigjährige Krieg kann ja durchaus als «Krieg der Flugblätter» bezeichnet werden. Auch Willem Frijhoff verweist auf neue Informationsmittel in den Niederlanden, nämlich auf die eigentliche Geburt der Presse. Julien Léonard schreibt über die Reformierten in Metz. Da dort die Hälfte der Bevölkerung protestantisch war, hatte Metz besondere Erfahrung in konfessioneller Koexistenz. Verena Villiger und Jean Steinauer stellen die Brüder König aus Fribourg als Söldner auf den Kriegsschauplätzen des Dreissigjährigen Krieges und als Produkte der Gegenreformation vor.

Der zweite Teil wird eröffnet von Cédric Andriot, der den Heiligen Pierre Fourier vorstellt. Als Pfarrer in Mattaincourt zeichnete sich dieser neben seinem priesterlichen Wirken vor allem durch seine karitativen und sozialen Unternehmungen aus. Von ihm sind gut tausend Briefe erhalten, die ein detailliertes Bild des Krieges wiedergeben: Hunger, Tod, Pest, Resignation, aber bisweilen auch Hoffnung. Philippe Desmette schildert den Dreissigjährigen Krieg in den Niederlanden anhand der Korrespondenz des interimistischen Nuntius Richard Pauli- Stravius. Fabienne Henryot stellt die karitative Tätigkeit von Vinzenz von Paul, dem eigentlichen Begründer der neuzeitlichen Caritas, im durch den Krieg stark in Mitleidenschaft gezogenen Grenz- und Kriegsgebiet Lothringen vor. Über – einfache – Priester in Böhmen, welche unter der Soutane ein bedeutendes Talent als Kriegsherren verbargen, berichtet Nicolas Richard. Auch in Prag begnügte sich zur Zeit der Belagerung 1648 ein nicht zu unterschätzender Teil des Klerus nicht mit der moralischen Unterstützung der Verteidiger, sondern beteiligte sich selber an den Kämpfen, wie es Olivier Chaline beschreibt. Natürlich war auch die seelsorgerliche Betreuung der Soldaten eine wichtige Aufgabe des Klerus, Silvia Mostaccio schreibt darüber; und «foi et discipline» war eine Forderung in den Katechismen für die spanischen Soldaten (Beitrag von Vincenzo Lavenia).

Der dritte Teil beginnt mit einem Beitrag von Alain Lottin, der die Ereignisse rund um die wundersame Aufhebung der Belagerung von Cambrai 1649 schildert, die auf die Unterstützung Marias zurückgeführt wurde. Jean-François Ryon beschreibt eine ähnliche Situation in Salins-les-Bains, wo man 1639 beschloss, eine Kapelle zu Ehren Marias zu bauen, sollte die Stadt von den Belagerern befreit werden. Um die Gott zugeschriebene Rolle geht es auch in der Schilderung der Belagerung von Dole 1636 durch Jean Boyvin, welche Corinne Marchal vorstellt, und in der von Pfarrer Jean Delhotel verfassten Darstellung der Belagerung von Avioth in Lothringen, die von Philippe Martin erforscht wird. Mit der lutheranischen Frömmigkeit beschäftigt sich Laurent Jalabert in seinem Beitrag zum einflussreichen Johann Michael Moscherosch, bekannt durch seine Sammlung satirischer Erzählungen unter dem Titel Wunderliche und Wahrhafftige Gesichte Philanders von Sittewald. Visionen und Wundererzählungen finden sich auch im Beitrag von Claire Gantet beschrieben, vor allem jene von Jan Amos Komensky (Comenius). Mit einer Darstellung des Heiligen Fidelis von Sigmaringen, der bekanntlich 1622 in den Bündnerwirren den Tod fand, ergänzt Matthias Ilg diesen Teil.

Kaspar von Greyerz und Yves Krumenacker schliessen den Band mit einer sehr guten, vielsagenden und differenzierenden Zusammenfassung ab.

Der Tagungsband bietet einen wertvollen Überblick über die heute nur noch schwer zu verstehenden engen Beziehungen zwischen Religion, Frömmigkeit und Konfession und zwischen diesen und der Politik. Alle Beiträge bilden ohne Zweifel eine wertvolle Grundlage für künftige vertiefende Untersuchungen und für eine sehr erwünschte Gesamtdarstellung für alle, welche sich wissenschaftlich fundiert mit dieser Zeit befassen wollen.

Für das Verständnis der Zusammenhänge wäre es wohl für jemanden, der sich nicht intensiv mit dieser Zeit befasst hat, hilfreich gewesen, wenn in einleitenden und/oder übergreifenden Kapiteln die grossen Linien der Ereignisse dieser Zeit dargestellt worden wären. Auch hätte es den Leser natürlich sehr interessiert, zu erfahren und nachvollziehen zu können, wie einfache Menschen den religiös-konfessionellen Konflikt und die Gräuel des Krieges erlebten. Doch ist die Quellenlage dazu dürftig, auch wenn einzelne Schriften wie zum Beispiel diejenigen Moscheroschs viel dazu beitragen, auch diese Dimension der Geschichte zu erschliessen.

Zitierweise:
Josef Inauen: Rezension zu: Bertrand Forclaz, Philippe Martin, Religion et piété au défi de la guerre de Trente Ans, Rennes: Presses universitaires de Rennes, 2015. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 2, 2017, S. 276-278.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 2, 2017, S. 276-278.

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