K. Gubler: Strafjustiz im Spätmittelalter

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Titel
Strafjustiz im Spätmittelalter im Südwesten des Reichs. Schaffhausen und Konstanz im Vergleich


Autor(en)
Gubler, Kaspar
Erschienen
Zürich 2015: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
584 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Silvio Raciti

Mit der 2009 abgeschlossenen Zürcher Dissertation Kaspar Gublers liegt seit Längerem wieder eine städtische, kriminalitätshistorische Fallstudie vor, die das gesamte Spektrum devianten Verhaltens in den Blick nimmt. Die Arbeit, die 2015 bei Chronos publiziert wurde, erfüllt ein Desiderat der deutschsprachigen Kriminalitätsgeschichte, indem sie die Erforschung der Sanktionspraxis und des Strafvollzugs in den Vordergrund stellt. Im Fokus des Interesses stehen Geldstrafen, die anhand der kleinen, relativ unbedeutenden Reichsstadt Schaffhausen im ausgehenden 15. Jahrhundert untersucht werden. Ergänzt wird die Untersuchung durch einen Vergleich mit dem benachbarten Konstanz zur Mitte des 15. Jahrhunderts, auf der Grundlage von Peter Schusters Pionierstudie1 und zusätzlichen Recherchen des Autors. Die dichte Quellenüberlieferung im Bereich der Niedergerichtsbarkeit beider Städte ermöglicht eine komparative Perspektive. Die Auswertung von 2778 Delikten im Zeitraum von 1467 bis 1504 mit den bewährten Methoden der historischen Kriminalitätsforschung liefert das Fundament für die Überlegungen zur Sanktionspraxis. Deren Ergründung wirft die Frage nach der Normdurchsetzung auf und zielt auf ein vertieftes Verständnis der städtischen Herrschaftspraxis sowie deren Wandel an der Schwelle zur Frühen Neuzeit.

Während sich die beiden Städte in den allgemeinen Rahmenbedingungen – Demographie, Wirtschaft und Verfassung – stark unterschieden, wiesen sie im Bereich der Strafjustiz einige Gemeinsamkeiten auf. Insbesondere die normativen Grundlagen wurzelten in einer gemeinsamen rechtlichen Tradition (Richtebrief). Personal und Institutionen zur Wahrung des städtischen Friedens erwiesen sich in beiden Städten als funktional und effizient. Der Schaffhauser Rat sah sich kaum zu Normwiederholungen genötigt und die Sicherheitskräfte verhielten sich diszipliniert. Die Erscheinungsformen von Devianz sowie das Sozialprofile der Delinquenten differierten nur marginal. Sowohl in Schaffhausen als auch in Konstanz überwogen Gewaltdelikte die Eigentumsvergehen, und alle gesellschaftlichen Schichten waren ihrem Bevölkerungsanteil entsprechend vor Gericht präsent.

Die ausgesprochenen Sanktionen entsprechen den Erkenntnissen bisheriger Forschung. Punitive, ausgrenzende Strafen waren in beiden Städten dem Hochgericht überlassen und richteten sich vor allem gegen Auswärtige. Im niedergerichtlichen Bereich, wo restitutive Strafen überwogen, stellt Gubler sowohl bei der Strafzumessung als auch beim Vollzug signifikante Unterschiede fest. Die Schaffhauser Urteile richteten sich nach den normativ festgehaltenen Bussbeträgen. Die Konstanzer Gerichte vermieden es, im Urteil einen Bezug zu Normen herzustellen, und verhängten nominal und real wesentlich höhere Bussen oder gar Stadtverbannungen. Schuster betrachtet die Urteile in Konstanz als Resultat eines Aushandlungsprozesses zwischen Richtern und Angeklagten. In Schaffhausen hingegen wurden, nachdem der Verurteilte das Urteil anerkannt hatte, in einem einseitig obrigkeitlichen Gnadenakt die Strafen reduziert. Die Beträge wurden in der Folge konsequent und in relativ kurzen Zeitspannen eingetrieben. In Konstanz dagegen bestand das obrigkeitliche Entgegenkommen in der Umwandlung von Stadtverweisen in Bussen und in der Gewährung langer Zahlungsfristen, die den Gebüssten ein Abstottern der hohen Geldstrafen ermöglichten. Letztlich führten beide Strategien zum Ziel: Die grosse Mehrheit der Bussen wurde erfolgreich eingetrieben, auch wenn einflussreiche Bürger sie schuldeten.

Gubler versteht das Urteil und dessen Milderung im Vollzug als ein Zu- und Absprechen von Ehranteilen. Dieser Ehrenhandel brachte den Verurteilten in ein moralisches Schuldverhältnis gegenüber der richtenden Instanz und diente gleichzeitig der Inszenierung der Ratsherrschaft. Der Autor folgt hier Überlegungen der rechtlichen Volkskunde in der Tradition Karl-Sigismund Kramers und sieht Ehre, eingebettet in das religiöse Weltbild, als Schlüssel zum Verständnis der Strafzumessung und des Sanktionsvollzugs. Als wichtiger Indikator hierfür betrachtet Gubler die eidliche Anerkennung des Urteils durch den Verurteilten, welche die Verbindung von Recht und Ehre verdeutlicht. Die relative Milde der Schaffhauser Gerichte versteht er als Ausdruck eines Konsenses in Rechts- und Ehrauffassungen zwischen Rat und Bürgern. Dieser war in Konstanz weniger ausgeprägt, weshalb die Delinquenten mittels hoher Bussen in ein langfristiges, ökonomisches Schuldverhältnis gedrängt wurden. Jeder gewährte Zahlungsaufschub erneuerte die moralische Schuld des Debitors. Insgesamt konstatiert Gubler für beide Städte eine strenge Strafjustiz und eine durchsetzungsfähige Ratsherrschaft. Erst für die beginnende Frühe Neuzeit erkennt er in Schaffhausen Anzeichen einer sich abzeichnenden Durchsetzungsschwäche, als Folge der verstärkten Ausbildung des Rats als Obrigkeit.

Gublers Studie ist ein wertvoller Beitrag zum Verständnis der Strafjustiz in der spätmittelalterlichen Stadt, nicht zuletzt dank des innovativen Ansatzes, eine Kleinstadt kriminalitätshistorisch in vergleichender Perspektive zu untersuchen. Die damit einhergehende darstellerische Herausforderung meistert er mit stringenter Gliederung und guter Leserführung durch den umfangreichen Text. Durch die Kombination gerichtlicher Quellen mit Stadtrechnungen und Steuerbüchern kann Gubler den Vollzug der Urteile nachverfolgen und Einblicke in Rechts- und Alltagsleben gewähren. Die Quellengrundlage führt aber dazu, dass Herrschaft vorwiegend aus obrigkeitlicher Perspektive beleuchtet wird. Hierfür liefert die Studie wertvolle Anregungen in methodischer wie inhaltlicher Sicht, hingegen bleibt ihr Nutzen für ein umfassendes Verständnis von Herrschaft beschränkt.

1 Peter Schuster, Eine Stadt vor Gericht. Recht und Alltag im spaÅNtmittelalterlichen Konstanz, Paderborn 2000.

Zitierweise:
Silvio Raciti: Rezension zu: Kaspar Gubler, Strafjustiz im Spätmittelalter im Südwesten des Reichs. Schaffhausen und Konstanz im Vergleich, Zürich: Chronos Verlag, 2015. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 2, 2017, S. 270-272.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 2, 2017, S. 270-272.

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