Cover
Titel
Ready to Eat. Die Schweiz entdeckt amerikanische Esskultur


Autor(en)
von Wyl, Eva Maria
Erschienen
Baden 2015: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
293 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Ulrike Thoms, History of Medicine., Geschichte, Ethik und Theorie der Medizin, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Mit der Amerikanisierung steht ein Thema im Mittelpunkt des hier zu besprechenden Buches, das in der Öffentlichkeit seit den 1930er Jahren vielfach diskutiert wurde und als Phänomen auch die Geschichtswissenschaften fasziniert hat. Eva Maria von Wyl versucht in ihrem auf ihre Dissertation an der Universität Zürich zurückgehenden Buch, eine Antwort auf die Frage zu finden, «warum die Amerikaner bis heute so erfolgreich sind bei der Verbreitung ihrer Ideen, Werte und ihrer Lebensweise» und warum wir bei aller Skepsis gegenüber den amerikanischen Ernährungsgewohnheiten «so hungrig sind auf alles, was von ‹drüben› kommt» (S. 9). Sie untersucht, wie die amerikanischen Ernährungsgewohnheiten die schweizerische Ernährung zwischen 1948 und 1973 verändert haben. Dazu betrachtet sie zunächst die Entwicklung der «modernen Ernährung» und die Frage, was amerikanische Ernährungsgewohnheiten kennzeichnet, wendet sich dann konkret den Einflüssen der amerikanischen Ernährungsgewohnheiten auf die schweizerische Ernährung zu. Hierfür diskutiert sie zunächst die Push- und Pull-Faktoren der Amerikanisierung, differenziert dann zwischen fünf Einflusssphären der amerikanischen Ernährung, um dann fünf Fallgeschichten zu rekonstruieren (Zweifel Pomy-Chips, Cornflakes der Hafermühle Lützelflüh, Nestea Eistee, Werbeagentur Thompson und Vivi-Kola). Schliesslich geht sie in einem dritten Kapitel auf Widerstände gegen die Amerikanisierung ein, die an den Beispielen der Kampagnen gegen Coca-Cola beziehungsweise für einheimische Obstsäfte diskutiert werden. Ihre Bilanz lautet, dass weniger von einer durchgreifenden Amerikanisierung der schweizerischen Ernährung und von einer Eins-zu-eins-Übernahme amerikanischer Ernährungsweisen zu sprechen ist, als von einer Verschweizerung, das heisst von einer Adaptation und Angleichung amerikanischer Ernährungsgewohnheiten, die in den Kontext des jahrhundertelangen, wechselseitigen Transfers zwischen Europa und Amerika eingeordnet werden.

Das Thema der Amerikanisierung hat die Ernährungsgeschichte in den letzten Jahren immer wieder beschäftigt. Dabei war der Trend zur Amerikanisierung allerdings eher eine generelle Vorannahme, die kaum einmal im Detail untersucht wurde. Insofern ist diese Studie verdienstvoll. Überraschend ist freilich, dass die Zahl der Schweizer Beispiele für eine Amerikanisierung der Ernährung relativ klein ist. Die Autorin erklärt dies mit dem Konservatismus der Schweizer. Anzunehmen ist allerdings, dass Einflüsse aus dem italienischen Raum schon wegen der räumlichen Nähe eine stärkere Prägekraft entwickelten, wobei die Italiener in Fragen der Ernährung eher traditionell orientiert sind, was unter anderem zu Widerstand gegen den Bau von McDonald’s-Filialen in italienischen Städten geführt hat. Über dergleichen Einflüsse wie über die Schweizer Ausgangslage erfährt der interessierte Leser freilich wenig: Während die Entwicklung der Ernährungsgewohnheiten
in den USA in einem Kapitel ausgiebig erörtert wird, sieht die Autorin von einer detaillierten Untersuchung und Darstellung der Schweizer Kost und ihrer Entwicklung vielmehr explizit ab. Damit werden Push- und Pull- Faktoren doch nicht gleichmässig gewürdigt, wie eingangs gefordert, sondern Amerika als Modell und Impulsgeber vorgestellt. Somit geht es letztlich dann doch um Übernahmen der amerikanischen Essgewohnheiten.

Die Studie stützt sich ab auf die Periodisierung verschiedener Entwicklungsphasen der Ernährung aus Detlef Briesens Publikation Gesunde Ernährung, die eine Dominanz der USA annimmt. Die Übernahme dieses Phasenmodells ist aus verschiedenen Gründen problematisch: Erstens periodisiert Briesens Entwicklungsmodell nicht die Entwicklung von Konsumgewohnheiten, sondern von ernährungswissenschaftlichen Konzepten. Zudem hat Briesen dieses Modell aber weniger selbst entwickelt, sondern von Harvey Levenstein übernommen, wie die Autorin selbst anmerkt, indem es «an zahlreichen Stellen inhaltlich sowie bei der Darstellung der Argumente exakt der Struktur und den Quellen des englischen Originals» folgt (Anm. 59, S. 239). Zwar wird dies als «grosses Manko» bezeichnet (ebda). Doch anstatt dann konsequent auf das Original zurückzugreifen, orientiert sich die Autorin weiterhin an Briesen, angeblich weil er den neuesten Forschungsstand einbeziehe. Diese Art und Weise der Übernahme hätte sicherlich Anlass für einige kritische Rückfragen und vielleicht auch für den Blick in weitere Arbeiten zur Ernährungsgeschichte der USA geben können, an denen angesichts der Anerkennung der Food Studies als ernsthafte akademische Disziplin in den USA wahrlich kein Mangel ist. Vielleicht hätte eine breitere Rezeption ernährungshistorischer Literatur auch weitere Anregungen für Fallbeispiele gegeben. Die neuere Literatur zur Entwicklung der Tiefkühlkost als einer in den USA früh entwickelten und rezipierten, tiefgreifenden Innovation im Bereich der Ernährung fehlt jedenfalls weitgehend.

Positiv zu werten ist allerdings, dass sich die Untersuchung nicht auf den eigentlichen Verzehr beschränkt, sondern die Lebensmittelkette von Herstellung, Zubereitung, Verkauf und Verzehr systematisch abschreitet, sich also den Strukturen des Ernährungsmarktes zuwendet und dabei auch aufzeigen kann, dass manche Neuheiten weniger im Produkt selbst zu suchen sind, als vielmehr in den Methoden seiner Vermarktung. Spannend zu lesen ist insbesondere, wie sich schweizerische Nahrungsproduzenten mit amerikanischen Produkten und Produktionstechniken auseinandersetzten und wiederholt ausgedehnte Reisen in die USA unternahmen, um diese zu studieren, und wie sie in Reaktion auf ihre Wahrnehmungen in den USA genuin Schweizer Produkte entwickelten und vermarkteten. Doch gerade weil die Schweizer Ernährungsgewohnheiten sich nach dem Urteil der Autorin als relativ resistent erwiesen, hätte vor allem der Nicht-Schweizer Leser gerne mehr über diese Gewohnheiten und ihren Wandel erfahren, um die Befunde einzuordnen. Trotzdem handelt es sich um eine lesenswerte und aufschlussreiche Studie und es wäre höchst wünschenswert, die Fragestellung für die 1980er und 1990er Jahre fortzuführen.

Zitierweise:
Ulrike Thoms: Rezension zu: Eva Maria von Wyl, Ready to Eat. Die Schweiz entdeckt amerikanische Esskultur, Baden: Hier und Jetzt, 2015. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 2, 2017, S. 267-268.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 2, 2017, S. 267-268.

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