J. Solchany: Wilhelm Röpke, l’autre Hayek

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Titel
Wilhelm Röpke, l’autre Hayek. Aux origines du néoliberalisme


Autor(en)
Solchany, Jean
Erschienen
Paris 2015: Publications de la Sorbonne
Anzahl Seiten
572 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Andrea Franc

In den letzten Jahren sind auf internationaler akademischer Ebene vermehrt Bücher und Artikel erschienen, die sich mit der 1947 in der Schweiz gegründeten neoliberalen Mont Pèlerin Society und ihren Akteuren befassen. Zu den Urhebern der Gesellschaft gehörte der Gründer des Instituts für internationale Beziehungen in Genf, William Rappard, sowie mehrere Professoren des Instituts. Somit besteht unterdessen eine beachtliche internationale Literaturlandschaft zur neoliberalen Bewegung der Nachkriegszeit, welche die Schweizer Geschichte betrifft, teilweise auf Archivarbeit in der Schweiz beruht und in der Schweizer Geschichte rezipiert werden sollte. Insbesondere zu nennen sind hier Angus Burgins preisgekröntes Buch The great persuasion (Harvard University Press, 2012) sowie Quinn Slobodians Artikel The world economy and the color line (German Historical Institute Bulletin, Supplement 10, 2014, S. 61–87). Burgin hat extensiv mit dem Nachlass William Rappards im Bundesarchiv gearbeitet, Slobodian zu Wilhelm Röpkes Pro-Apartheid Vortrag in Zürich und die Kritik daran in der Neuen Zürcher Zeitung. Hier soll nun aber auf Jean Solchanys grandiose Studie über Wilhelm Röpke hingewiesen werden, die sehr viel mehr ist als eine Biografie. Seit Jahren hat sich der französische Historiker der Universität Lyon mit dem deutschen Ökonomen und Sozialphilosophen Wilhelm Röpke (1899–1966) befasst, der von 1937 bis zu seinem Tod am Institut für internationale Beziehungen in Genf lehrte, ab den 1940er Jahren praktisch zum Redaktorenstab der Neuen Zürcher Zeitung gehörte und sämtliche Bücher seines Spätwerks beim kleinen Schweizer Verlag Eugen Rentsch publizierte. Eigentlich Spezialist für die Deutsche Geschichte der Nachkriegszeit, hat sich Solchany über seine Beschäftigung mit Röpke minutiös in die Schweizer Geschichte eingelesen. Er hat eine Studie der Schweiz der Kriegs- und Nachkriegszeit verfasst, die mit Leichtigkeit den aktuellen Stand der deutsch- und französischsprachigen Arbeiten der Schweizer Geschichte zur Grundlage nimmt. Dank vermutlich erstmals gesichteten extensiven Materials aus dem Nachlass Wilhelm Röpkes in Köln hat Solchany die Geschichte der Geistigen Landesverteidigung in der Schweiz bedeutend erweitert. Röpke, zu Beginn der 1920er Jahre der jüngste Ökonomieprofessor Deutschlands, war nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten nach Istanbul emigriert und von dort von William Rappard nach Genf geholt worden. Während etwa sein Kollege Ludwig von Mises 1940 weiter in die USA zog, blieb Röpke in der Schweiz und sollte in der Folge zu einer bedeutenden und wohlbekannten Figur der Geistigen Landesverteidigung werden, wie etwa ein Porträt in der Schweizer Illustrierten von 1942 aufzeigt. Ebenfalls über die Figur Röpkes, jedoch weit über dessen Person und ihre faktische Begrenzung auf die Schweiz während des Krieges hinaus, hat der Autor eine intellektuelle Geschichte des frühen Neokonservatismus geschrieben. Er hat damit die klassische ökonomiegeschichtliche Exegese von Röpkes Werk als Teil der ordoliberalen Freiburger Schule der Nationalökonomie bedeutend erweitert und Röpkes Spätwerk nicht nur auf Walter Sombart und seine Thesen der «Vermassung», sondern auch auf Jacob Burckhardt zurückgeführt. Dessen Thesen erhielten gegen Ende der 1930er Jahre erneut Aufmerksamkeit. Während Burckhardts Weltgeschichtliche Betrachtungen von 1905 in den USA 1943 in englischer Übersetzung erschienen, publizierte Röpke in der Schweiz mit seiner neueren Version des Burckhardt’schen Kulturpessimismus Gesellschaftskrisis der Gegenwart 1942 einen Bestseller und ein Hauptwerk der Geistigen Landesverteidigung. Über Röpkes Hinübergleiten vom Neo- oder Ordoliberalismus zum Neokonservatismus erfolgt denn auch die Einschätzung seiner Bedeutung für die Schweizer Geschichte. Dem aktuellen Stand der Schweizer Geschichte über die diskursive Rolle der Landwirtschaft für den nationalen Zusammenhalt weit voraus, zeichnet Solchany differenziert das fragile Kräfteverhältnis zwischen den Vertretern der organisierten Schweizer Landwirtschaft sowie der sich herausbildenden Bewegung intellektuell-neokonservativer Akademiker wie Wilhelm Röpke nach. Letztere betonten den kulturellen und soziologischen Wert der bäuerlichen Kultur. Der Schweizerische Bauernverband befand sich während des Zweiten Weltkriegs auf dem Höhepunkt seines Einflusses und beschäftigte sich hauptsächlich mit Produktionssteigerung und Landesversorgung. Für den Bauernführer Ernst Laur, mit dem Röpke in einem zwar freundschaftlichen, aber nicht übereinstimmenden Kontakt stand, war Röpke Geschenk und Gefahr zugleich. Unermüdlich schrieb der deutsche Ökonom zwar gegen Verstädterung und «Vermassung» an und stellte den bäuerlichen Familienbetrieb als Kern einer gesunden und nachhaltigen Gesellschaft aufs Podest. Aber doch war Röpke ein bekannter Vertreter des Freihandels und Gegner jeglicher planwirtschaftlicher Massnahmen. Im Hinblick auf die Nachkriegszeit hat Röpke den Schweizer Bauern mit seiner anti-modernistischen Eloge auf den bäuerlichen Familienbetrieb und die Schweiz als Land der bäuerlichen Familienbetriebe sicher einen Dienst erwiesen. Damit hat Röpke nicht nur einen Beitrag zur Geistigen Landesverteidigung während des Krieges geleistet, sondern auch den intellektuellen Weg geebnet für den ausserordentlichen Schweizerischen Agrarprotektionismus der Nachkriegszeit, der in der Folge des eidgenössischen Landwirtschaftsgesetzes von 1952 aufgebaut und vom ideologisch gefärbten Idealbild des Schweizer Bauern alimentiert werden sollte. Gerade anhand Röpkes Affinität zur Landwirtschaft zeigte sich sein Neokonservatismus, der schliesslich zu seinem Austritt aus der von ihm mitgegründeten Mont Pèlerin Society 1962 führen sollte. Gut hat Solchany seine monumentale Arbeit in seiner Muttersprache Französisch niedergeschrieben, in wunderschöner wissenschaftlicher Prosa.

Zitierweise:
Andrea Franc: Rezension zu: Jean Solchany, Wilhelm Röpke, l’autre Hayek. Aux origines du néoliberalisme, Paris: Publications de la Sorbonne, 2015. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 2, 2017, S. 258-260.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 2, 2017, S. 258-260.

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