C. Simon: Reisen, Sammeln und Forschen

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Titel
Reisen, Sammeln und Forschen. Die Basler Naturhistoriker Paul und Fritz Sarasin


Autor(en)
Simon, Christian
Reihe
Studien zur Geschichte der Wissenschaften in Basel 10
Erschienen
Basel 2015: Schwabe Verlag
Anzahl Seiten
332 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Flavio Häner

Forschungsreisende, Sammler, Naturforscher, Völkerkundler, Umweltschützer, Millionäre, Kolonisten, Grossvettern, Liebespaar; bereits diese zahlreichen Attribute, die den Baslern Paul (1857–1929) und Fritz Sarasin (1859–1942) zugesprochen werden können, versprechen interessante Biographien. Dies hatte Christian Simon erkannt und sich ausführlich mit den Lebenswegen, dem sozialen Umfeld und den wissenschaftlichen Leistungen von Fritz und Paul Sarasin befasst. Ziel des Wissenschaftshistorikers Simon war es, mit einem Rückgriff auf Bourdieus Konzept der trajectoires die «Forscher in ihr Umfeld einzuordnen, um zu verstehen, was ihr Platz im wissenschaftlichen Feld ihrer Zeit war». Und dieses Feld war zur Zeit der Sarasins nicht nur hochkomplex, sondern grundlegenden Wandlungen unterworfen. Das macht Simon bereits in einer kurzen Einführung deutlich, in der er die zeitgenössische Situation der Naturgeschichte anhand von Ludwig Rütimeyer (1825–1895), Professor für Zoologie und vergleichende Anatomie an der Universität Basel und späterer Mentor der Sarasins, darstellt. Durch die ausführlichen Beschäftigung mit dem Pfarrersohn Rütimeyer, der mit Charles Darwin in Briefkontakt stand und sich wie dieser mit der Frage nach der Entstehung und Entwicklung von Arten beschäftigte, umreisst Simon das soziale und kulturelle Spannungsfeld, in dem sich die beiden Sarasins bewegten.

Durch die Auswertung eines immensen Korpus an Archivalien folgt Simon ab dem zweiten Teil Schritt für Schritt den Lebenswegen den beiden Söhne wohlhabender und einflussreicher Basler Familien. Dabei gibt er aufgrund von Briefauszügen einen lebendigen Einblick in die von Spannungen geladenen Verhältnisse der Sarasins zu ihrem gesellschaftlichen Umfeld und in ihre Haltungen zu Fragen der Religion, der richtigen Lebensführung und nach dem Sinn der Naturforschung. Von Basel aus führt der Weg weiter nach Würzburg, wo der Naturforscher und Zoologe Karl Semper mit seinen Ansichten zur Evolutionstheorie prägenden Einfluss auf das Wissenschaftsbild der Sarasins nahm. Dabei verweist Simon stets auf die damals geführten Debatten in den noch jungen wissenschaftlichen Disziplinen, allen voran der Entwicklungslehre, der Embryologie, der Anthropologie und der Zoologie.

Einen zentralen Raum bei der Verortung der Sarasins im wissenschaftlichen Feld nehmen ihre grossen Forschungsreisen ein. Von 1883 bis 1886 begaben sie sich nach Ceylon. 1893 bis 1896 trugen sie mit ihrer zweiten Reise nach Celebs massgeblich zur Erforschung der dortigen Fauna und Geographie bei. Dabei spielte jeweils die Erforschung der «fremden Völker» eine zentrale Rolle. Hier thematisiert Simon auch das nicht unproblematische Verhältnis der beiden Basler zur lokalen Bevölkerung und den niederländischen Kolonialherren und zeigt, wie sich die wohlhabenden Basler als Forscher von der imperialen und kolonialen ‹Welle› mittragen liessen.

Von ihren Reisen brachten die Sarasins Unmengen von Objekten nach Basel, wo diese in die Bestände der naturhistorischen und völkerkundlichen Abteilungen des Basler Museums Eingang fanden. Die Institution befand sich im Untersuchungszeitraum, ähnlich wie die Vettern Sarasin, in einem komplexen Spannungsverhältnis zwischen den Wissenschaften und dem politisch und sozial eng verflochtenen Basler Bürgertum. Hier zeigt Simon auch die museologischen Arbeiten der Sarasins und wie sie durch ihre eigenen Sammlungsaktivitäten die Etablierung neuer Fachbereiche im Museum, namentlich die Volks- und Völkerkunde, ermöglichten und mit welchen Strategien sie das Basler Bürgertum für deren Inhalte zu sensibilisieren suchten.

Vom Museum aus führt der Weg zur thematisch letzten Station des Buches, nämlich zu den Aktivitäten der Sarasins im Bereich des Naturschutzes und ihrem Beitrag zur Gründung des ersten Schweizerischen Nationalparks.

Bei der Vielfalt der Geschichten, die Simon mit den Biographien der Sarasins verbindet – von der Geschichte der Darwin-Rezeption in der Schweiz über die Kolonialgeschichte, die Geschichte der Naturwissenschaften, der «Rassenkunde», der Anthropologie und der Ethnologie, die Museums-, Universitäts- und Stadtgeschichte bis zur Geschichte des Umweltschutzes – ist die Lektüre des Buches entsprechend anspruchsvoll. Weil Simon diese Themenbereiche anhand der Lebenswege der beiden Protagonisten abzuhandeln versteht, ergibt sich ein roter Faden, den man ansonsten bei der Fülle an Themen leicht verlieren könnte. Darin, dass Simon eben nicht beabsichtigt, eine Geschichte der Wissenschaften zwischen 1859 und 1940 zu schreiben, sondern die Entwicklungen in den Wissenschaften an die akribisch und sorgfältig recherchierten Biographien von Paul und Fritz Sarasin knüpft, liegt auch die Stärke des Werkes. Es zeigt, dass wissenschaftliche Forschung und Erkenntnisse letztlich von Menschen gemacht werden und dass diese Menschen – wie Fritz und Paul Sarasin – sich durch Forschung ihrer Stellung in der Welt bewusst werden und diese Stellung gleichzeitig ihren Mitmenschen bewusst zu machen suchen. Die Geschichte der Vettern Sarasin, wie sie Simon vorlegt, ist damit ein wesentlicher Beitrag zur Geschichte der modernen Wissenschaften, da sie zeigt, dass sich diese Geschichte nicht anhand einzelner spezifischer Fachdisziplinen erfassen und erklären lässt, sondern dass moderne Wissenschaftsgeschichte immer auch Verflechtungsgeschichte, Sozialgeschichte, Kulturgeschichte und Globalgeschichte ist. Die Tatsache, dass im selben Jahr unter dem Titel «Tropenliebe» gleich eine weitere historische Studie zum Leben und Wirken von Paul und Fritz Sarasin, verfasst von Bernhard C. Schär, erschienen ist, macht deutlich, dass die Beschäftigung mit diesen beiden Paradiesvögeln der Schweizer Wissenschaftsgeschichte durchaus eine lohnenswerte ist.

Zitierweise:
Flavio Häner: Rezension zu: Christian Simon, Reisen, Sammeln und Forschen. Die Basler Naturhistoriker Paul und Fritz Sarasin, Basel: Schwabe, 2015. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 1, 2017, S. 113-114.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 1, 2017, S. 113-114.

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