P. Hoppe u.a.: Universum Kleinstadt

Cover
Titel
Universum Kleinstadt. Die Stadt Zug und ihre Untertanen im Spiegel der Protokolle von Stadtrat und Gemeinde (1471-1798)


Autor(en)
Hoppe, Peter; Schläppi, Daniel; Büsser, Nathalie; Meier, Thomas
Reihe
Beiträge zur Zuger Geschichte 18
Erschienen
Zürich 2018: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 38,00
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Konrad Wanner, Luzern

Den Anlass für die Entstehung des Bandes bot der offizielle Abschluss des langjährigen, in jeder Hinsicht vorbildlichen Projekts zur Aufarbeitung der Zuger Rats- und Gemeindeprotokolle aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Es handelt sich dabei um ein Quellenkorpus mit mehr als 80.000 Einträgen, zu denen bisher kein Findmittel existierte. Die Einträge sind nun vollständig durch Regesten erfasst worden; diese stehen in elektronischer Form im Staatsarchiv Zug zur Verfügung und werden zur Zeit online gestellt.1

Im Vorspann der vorliegenden Publikation skizziert Altstaatsarchivar Peter Hoppe – der Leiter des Unternehmens und neben dem Bearbeiter, Viktor Ruckstuhl, der Hauptmitwirkende – das Erschließungsprojekt und den Ablauf der Arbeiten. Auch bietet er eine Übersicht über die komplizierte innere Struktur des Standes Zug in der Frühneuzeit. In dem kleinsten Vollmitglied der alten Eidgenossenschaft teilte sich die Kleinstadt Zug mit drei ländlichen Gemeinden die Macht und herrschte allein über einige andere, untertänige Gemeinden. Wie in den Länderorten wurden regelmäßig Landsgemeinden abgehalten, welche als das höchste Entscheidungsorgan des Standes galten. Daneben fanden in der Stadt und in den an der Herrschaft beteiligten Landkommunen Gemeindeversammlungen statt. Diese verloren bis zum Ende des Ancien Régimes kaum an Bedeutung.

Im Hauptteil des Bandes werten die Autorin und die drei Autoren die Protokolle inhaltlich aus. Im Sinne einer ambitionierten, um Lebensnähe bemühten Mikrohistorie fassen sie dabei vor allem den kleinstädtischen und ländlichen Alltag ins Auge, der sich mit vielen seiner Probleme und Ungereimtheiten recht deutlich in den Protokollen abzeichnet – deutlicher vielleicht noch als in den Ratsprotokollen größerer Städte und Territorien, deren Räte sich möglicherweise etwas weniger selten als diejenigen in Zug dazu durchrangen, Klagen und Anzeigen nicht selbst zu behandeln, sondern an untergeordnete Instanzen zu verweisen.

Peter Hoppe widmet sich zunächst dem Thema Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Er weist auf die Entfaltung der Verwaltungsschriftlichkeit hin und betont die Rolle der Rats- und Gemeindeprotokolle in diesem Prozess. Vor allem aber fragt er nach den Mitteln, mit denen die Obrigkeit der Bevölkerung Informationen zukommen ließ. Nicht selten wurden plakatartige Aushänge verwendet. Bei dem im 17. und 18. Jahrhundert noch verbreiteten Analphabetismus müssen jedoch Vorlesen und Weitersagen, Ausrufe in Kirchen sowie im übrigen öffentlichen Raum, Glockenzeichen, Signale von Blasinstrumenten und dergleichen ebenfalls bedeutende Rolle gespielt haben.

In einem zweiten Beitrag schildert Hoppe die Strukturierung des kleinstädtischen Alltags durch wiederkehrende Termine. Dazu zählten in dem katholischen Gemeinwesen neben den zahlreichen kirchlichen Feiertagen, auf die Hoppe detailliert eingeht, die Landsgemeinden und örtlichen Gemeindeversammlungen, die Markttage, Tage, an denen Bestandteile des Bürgernutzens ausgeteilt wurden, und viele andere.

Von Daniel Schläppi, der sich auch im Rahmen eines in Bern angesiedelten SNF-Projektes2 mit den Zuger Rats- und Gemeindeprotokollen beschäftigt, stammen vier Beiträge. Sein Hauptinteresse gilt der Wechselwirkung zwischen der Einflussnahme der Obrigkeit auf das tägliche Wirtschaften der privaten Haushalte und dem Anspruch dieser Haushalte – zumindest der Haushalte der vollberechtigten Bürger – auf Leistungen des Gemeinwesens, seien es Anteile an dessen Geld- und Naturaleinkünften, sei es die kostenlose Lieferung von Brennholz sowie Baumaterial, Zugang zu den Allmenden und Ähnliches. Schläppi betont die Selbstverständlichkeit, Nüchternheit und Rechenhaftigkeit, mit der diese Reziprozität gelebt wurde und ordnet ihr auch die Praxis zu, dass Amtsleute nach ihrer Wahl jedem der wählenden Gemeindemitglieder eine Entschädigung entrichteten, deren Höhe vor der Wahl ausgehandelt worden war.

Streben nach Verteilungsgerechtigkeit kam nicht nur bei Auseinandersetzungen zwischen den Mitgliedern des städtischen Rats zur Geltung, sondern bestimmte – nach Schläppis Auffassung – auch deren Verhalten gegenüber der übrigen Bevölkerung. Bei Rechtsstreitigkeiten nahmen sie Rücksicht auf die knappen Lebensverhältnisse vieler Bürger und Hintersassen. Wie diese setzten sie auf kostensparende Vermittlungen, Schlichtungen und Vergleiche. Mussten Strafen verhängt werden, vermieden sie allzu große Härten. Man bemühte sich um den Schutz der mit auskömmlichen Mitteln versehenen Privathaushalte, gegebenenfalls um die Wiederherstellung von deren Subsistenzfähigkeit sowie um den Ausgleich zwischen allen beteiligten Haushalten. Dabei verfolgt der Rat kaum je eine von langfristigen Zielen und Strategien inspirierte Politik, sondern reagierte auf aktuelle Problemlagen und Anliegen, die an ihn herangetragen wurden. Selbst beim Ausbau des – durchaus sehenswerten – Zuger Rathauses ließ man sich weniger von einer Vision herrschaftlicher Repräsentation leiten als vielmehr von Kostenbewusstsein, Pragmatismus und dem Wunsch nach einem wohnlichen Ambiente.

Nathalie Büsser thematisiert das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen den Zuger Stadtbürgern und dem Teil der Landbevölkerung, der in den untertänigen Gemeinden lebte. Es basierte „grundsätzlich auf Kooperation, Ausgleich und wechselseitiger Akzeptanz“ (S. 91), was freilich nicht verhinderte, dass der Umgangston manchmal recht ruppig war und es sogar zu Tumulten kommen konnte. Die Rechte der Stadt in diesen kleinen Vogteien waren alles andere als homogen. Wenn überhaupt von einem Staatsbildungsprozess gesprochen werden kann, versteht Nathalie Büsser ihn als „Ergebnis kommunikativer Prozesse, die sich aus den vielfältigen Anfragen und Forderungen seitens der staatlichen Repräsentanten, wie auch der lokalen Gesellschaft speisen“ (S. 92f.).

Thomas Meier beschreibt den seit dem Ende des 15. Jahrhundert entwickelten rechtlichen Status der Hintersassen und den Umgang mit den Bevölkerungsgruppen, denen nicht nur das Bürgerrecht, sondern auch der Hintersassenstatus verwehrt wurde. Dieser Umgang war zwar von zahlreichen Inkonsequenzen geprägt, grundsätzlich aber auf Abwehr, Ausgrenzung, Einschränkung und Vertreibung ausgerichtet. Wie Meier zu Recht betont, muss angenommen werden, dass man damit „die Zahl der Heimatlosen und fremden Bettler eher vergrößerte als verkleinerte und damit paradoxerweise zum chronischen sozialen Problem beitrug, das man [...] bekämpfen wollte“ (S. 264).

Bedauerlich ist, dass der Band kein Register enthält. Abgesehen davon erweist sich das gut lesbare Werk als eine erfreuliche Bereicherung und als ein anregender Beitrag zur Geschichte des Alltags und der politischen Kultur in der Schweiz des 17. und 18. Jahrhunderts.

Anmerkungen:
1 Zugriff über das online-Archiv des Staatsarchivs Zug <https://staatsarchiv.zg.ch/webclients/zgstaatsarchiv/#/> oder über das schweizerische Archivportal <https://www.archives-online.org/Search>.
2 Gemeinbesitz, kollektive Ressourcen und die politische Kultur in der alten Eidgenossenschaft (17. und 18. Jahrhundert). Vgl. <http://www.hist.unibe.ch/forschung/forschungsprojekte/kollektive_ressourcen/index_ger.html>.

Redaktion
Veröffentlicht am
28.05.2019
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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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