X. Stalder: Kein Pardon auf Montmajour

Cover
Titel
Kein Pardon auf Montmajour. Curriculum eines mittelalterlichen Miniaturenmalers


Autor(en)
Stalder, Xavier
Erschienen
Neckenmarkt 2015: Novum Verlag
Anzahl Seiten
142 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Mariano Delgado, Seminar für Kirchengeschichte, Universität Freiburg

Dieses Buch, an der Grenze zwischen Geschichte und historischem Roman, handelt von Hanno, einem fiktiven Miniaturmaler, dessen Curriculum mit der Lehre im Franziskanerkloster zu Parma beginnt. Im Lauf eines Jahres ist er zu einem perfekten Scriptor geworden, dem die Chronik des Salimbene de Adam (1221–1288) zum Kopieren und Illustrieren anvertraut wurde, denn er soll noch in die Miniaturkunst eingeführt werden. Seine Kopie soll nämlich im Tausch gegen eine Kopie der Märtyrergeschichte der Thebäischen Legion von St. Maurice nach Lyon gehen. Der Inhalt der Chronik (sie behandelt die Zeit von 1167 bis 1287) wird nun zum roten Faden des Buches, das den Leser vor allem in das 13. Jahrhundert eintauchen lässt, eine entscheidende Zeit unserer Kultur – mit den Kreuzzügen gegen Muslime und Heterodoxen, mit der Inquisition, mit der Verrechtlichung des Papsttums, mit dem Machtkampf zwischen Innozenz III. bzw. Innozenz IV. und Friedrich II., aber auch mit der Gründung der Universitäten und dem Höhenflug der Scholastik, mit dem Zusammenleben von Juden, Christen und Muslimen in Spanien, Apulien und Sizilien, mit den Pilgerfahrten nach Compostela und der Mendikantenmission an der Seidenstrasse bei den Tataren und Mongolen. So gerät das Buch von Xavier Stalder zu einem unterhaltsamen und zugleich lehrsamen Kaleidoskop des 13. Jahrhunderts.

Wir erfahren u.a., wie der siebzehnjährige Friedrich, der «Puer Apuliae», im März 1212 von Messina aus aufbrach, um sich dem römisch-deutschen Reich als König und Aspirant auf den Kaiserthron vorzustellen; oder wie er später als Kaiser in Castel del Monte mit jüdischen, arabischen und christlichen Philosophen darüber disputierte, ob der Mensch eine Seele habe und diese wirklich unsterblich sei. Dabei habe der Kaiser die Kontroverse mit Averroes’-These eröffnet, dass es keine individuelle Seele gebe, und mit dem Satz abgeschlossen, nachdem die christlichen Vertreter das Gegenteil vertraten: «Non puto me esse convictum» (Ich kann nicht sagen, dass ich überzeugt wäre). Weil Hanno mit einem Gefährten nach Lyon für den Umtausch der Chronik unterwegs ist, erfahren wir im Buch auch die Inschrift auf der Grabplatte Bonaventuras: «Homo humilis est capax Dei» (nur der demütige Mensch ist gottfähig), aber auch von der Einberufung des Ersten Konzils von Lyon 1245 durch Innozenz IV., um Friedrich II. als römischer Kaiser deutscher Nation abzusetzen. Dazwischen wartet das Buch mit köstlichen Sätzen dieser Art auf: «Ja, das 13. Jahrhundert mit den berühmten fürstlichen Damen, die sowohl am Spinnrad wie in der Politik ihre Fäden zu ziehen verstanden! Eleonore von Kastilien, Tochter der Eleonore von Aquitanien, und eben ihre Tochter Blanca, die Ludwig IX, von Frankreich geheiratet hat. Die wohltätige Elisabeth von Thüringen, die heiliggesprochen wurde…».

Besonders interessant sind die eher fiktionalen Anteile, so z.B. wie eine gewisse Gemma von Urslingen als Gesandte des Karl I. von Anjou, der die Stauferherrschaft beendet hatte, nach Lucera in Apulien kommt und mit den dortigen muslimischen Gelehrten, darunter mit Kadi Ali Hassan und Ibn Hazm, in der Koranschule über die Trinität und über andere theologi-schen Themen disputiert, bis sie merkt, dass sie den islamischen Gelehrtenkreis nicht für das Christentum interessieren kann, sondern eher für die Philosophie und die Astronomie. Zwei sinnige Kapitel sind auch der Übersetzerschule von Toledo und dem dortigen Wissenstransfer unter König Alfons X., von Kastilien gewidmet, da Hanno nach Toledo geschickt wird, um die «Tabulae Alfonsinae», das astronomische Standardwerk der Zeit zu kopieren. Nach Toledo ist auch Gemma gekommen, um die Geschichte der Maria Magdalena aus der «Legenda Aurea» in die Sprache der Provence zu übersetzen: «In den folgenden Wochen sieht man die beiden sich einträchtig an einem Doppelpult in der Turmstube gegenübersitzen». So endet Stalders historischer Roman mit einer Burleske in der Form einer provenzalischen Volkslegende: mit der Hochzeit von Gemma und Hanno, die zum neuen Herrscherpaar der Grafschaft Provence wurden, wo sie bestimmt auch weiterhin in Macht und Würde geblieben wären, «wenn nicht Rudolf von Habsburg, der neue Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, die reichsentfremdete Provence zurückgefordert hätte».

Gemma und Hanno seien nämlich das fürstliche Paar, das ein Elefant im Kapitel-Relief des Kreuzgangs von St-Trophime auf seinem Rücken trägt. Der Elefant sei ein Hochzeitsgeschenk des arabischen Gelehrten Kadi Ali Hassan von Lucera an seine christliche Mitdisputantin Gemma gewesen. Entdeckt habe diese Interpretation der Historiker und Mythenforscher Frédéric Languissel, der in Arles nach Spuren seines Vorfahrens und Erzbischofs Bernard de Languissel suchte. Dieser habe sich nach einer Compostela Wallfahrt über die ihm zugedachte «Geschichte der Maria Magdalena» offensichtlich geärgert, weil er den Vergleich mit der Bekehrung der grossen Sünderin beleidigend fand. Auf den Aufstieg zur Abtei von Montmajour nordöstlich von Arles, um den grossen Pardon zu erlangen, hat er dann verzichtet. Und so kommt das Buch zu seinem Titel und die Geschichte zu ihrem Ende.
Stalders Buch ist ungewohnt: es bettet historische Ereignisse des 13. Jahrhunderts in fiktionale Elemente ein und enthält auch burleske Pointen. Vor allem aber ist es Ausdruck der Liebe des Autors zu einer Zeit, in der sich in der europäischen Geschichte (in Spanien, sowie in den süditalienischen Territorien der Staufer) Orient und Okzident trafen und sich gegenseitig befruchteten.

Zitierweise:
Mariano Delgado: Rezension zu: Xavier Stalder, Kein Pardon auf Mont-majour. Curriculum eines mittelalterlichen Miniaturmalers, Neckenmarkt, Novum Verlag, 2015. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 109, 2015, S. 498-500.

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