H. Kockelmann u.a.: Von Meroe bis Indien

Cover
Titel
Von Meroe bis Indien. Fremdvölkerlisten und nubische Gabenträger in den griechisch-römischen Tempeln


Autor(en)
Kockelmann, Holger; Alexa, Rickert
Reihe
Studien zur spätägyptischen Religion 12
Erschienen
Wiesbaden 2015: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
388 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Stefan Bojowald, Abteilung für Ägyptologie, Institut für Archäologie und Kulturanthropologie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

In dem hier zu besprechenden Buch werden zwei Untersuchungen zu ägyptischen Personifikationen des Auslands in den Soubassements der griechisch-römischen Tempel kombiniert. Der Beitrag von Kockelmann setzt sich mit den Fremdvölkerlisten in Kom Ombo (KO 1, KO 2)/Esna (Es 1–3)/Komir (Km) + zwei Spolien in Xois (X) auseinander. Der Schwerpunkt des Beitrages von Rickert ist auf die beiden Prozessionen nubischer Lokalitäten im Isistempel von Philae gelegt worden.

Die Kernaussagen des ersten Beitrages lassen sich folgendermaßen wiedergeben. Die Fremdvölkerlisten in den griechisch-römischen Tempeln sind auf der äußeren Seitenwand der Pronaoi angebracht, deren nach vorne offener Raum so geschützt werden sollte (7). Der Aufbau der Listen setzt die pharaonischen Traditionen größtenteils fort (9). Im Spektrum der Ausländertypen können Asiaten, Libyer und Afrikaner unterschieden werden (10–11). Das Namen- Corpus wird in römischer Zeit auf neue geographische Regionen ausgeweitet (17). Die Datierung der Fragmente aus Xois hat als unsicher zu gelten (21). Die nur durch die Kopie von Champollion bekannte Version Es1 dürfte in ptolemäischer oder römischer Zeit entstanden sein (21). Die Fassungen Es2 und Es3 sind wohl in trajanischer Zeit angefertigt worden (23). Die Liste Km ist wohl unter Antoninus Pius hergestellt worden (23). Die Liste KO 1/2 dürfte aus der späten Ptolemäerzeit stammen (24). Der Umfang der griechisch-römischen Fremdvölkerlisten ist gegenüber den pharaonischen Beispielen reduziert (36). Im Gegensatz zu früher tauchen jetzt kaum noch Städtenamen auf (36). Die libyschen und afrikanischen Namen sind seltener geworden (36). Die Listen haben laut Verf. keinen historisch-dokumentarischen, sondern religiös-prophylaktischen Charakter gehabt (77). In der vorherigen Perserzeit waren sie wohl redaktionell überarbeitet worden (86). In der Mehrheit der Listen kommen noch die klassischen Neunbogenvölker vor (88ff). Die Schreibungen der Fremdvölker orientieren sich meist am herkömmlichen Schema, wobei die Graphien von Karkemisch und Susa späten Einfluss verraten (92/93). Die alten Ordnungsprinzipien sind in den griechisch-römischen Listen fast völlig aufgegeben (99). In KO 1/2 und Es 3 treten zusätzlich pejorative Feindbezeichnungen ohne geographischen Hintergrund hinzu (101ff). Die Beispiele in Es 3 stimmen größtenteils mit den «Namen des Apophis» aus pBremner Rhind überein (103). Die griechisch-römischen Triumphalszenen gehen auf pharaonische Vorläufer zurück, wobei die Inschriften zahlreicher werden (108). Die vormals königliche Erobererrolle wird auf göttliche Protagonisten übertragen (108). Die angebliche Eigenschaft der Fremdvölkerlisten als bloße «Fußnoten» (110) darf wohl eher bezweifelt werden. Die Zerstörungen im Gesichts- und Halsbereich der Fremdvölkerpersonifikationen deuten für den Autor auf ein antikes Vernichtungsritual hin (117/118). Der Befund wird mit der Praxis bei den Ächtungsfiguren des Alten und Mittleren Reiches in Verbindung gebracht (128).

Im zweiten Beitrag sind die folgenden Inhalte festzuhalten. Die Prozessionen sind an den Wänden von Erscheinungssaal (= Raum I) und westlichem Durchgang im ersten Pylon zu finden (146). Die Defilees bestehen aus personifizierten Ortschaften, die Mineralien und andere kostbare Produkte darbringen. Das Alter des ersten Beispiels reicht in die Zeit von Ptolemäus II. zurück, während das zweite Beispiel der Zeit von Ptolemäus VI. angehört (146). In Raum I haben sich elf Toponyme erhalten, während im Durchgang vierzehn Toponyme vorhanden sind (147). Die Ortschaften sind wohl unter militärischen, ökonomischen und religiösen Aspekten ausgewählt (158). Die Auflistung ist von Norden nach Süden durchgeführt worden (159). Die Darstellungen werden als realhistorische Bezugnahme auf die ägyptische Expansionspolitik unter Ptolemaios II. und VI. interpretiert (262–264). Die Listen spiegeln die verbesserte geographische Kenntnis Nubiens und Neubelebung der merkantilen Kontakte wieder (264–266). Die Abbildung von nubischen Gabenbringern lässt sich spätestens seit dem Neuen Reich nachweisen (267). Die Prozessionen in Philae werden mit den seit Sesostris I. attestierten Fremdvölkerlisten in Bezug gesetzt (268). Die engste ikonographische und inhaltliche Parallele aus dem Neuen Reich wird in der Liste der Minenregionen im Luxor – Tempel gesehen (270). Die Listen hängen wohl mittelbar oder unmittelbar voneinander ab, was sich u. a. an Gemeinsamkeiten bei der Schreibung der Mineralienbezeichnungen und Zusammenstellung der Ortsnamen zeigt (284). Die Toponyme kehren z. T. bei antiken Schrift-stellern (Plinius, Claudius Pto-lemaeus) wieder (277–280). Die Texte im Pylon spielen mythologisch auf die Heimholung der gefährlichen Göttin an (282).

Die folgenden Anmerkungen sind als Beitrag zur weiteren Diskussion zu verstehen:

Teil I:
32: zur Kurzschreibung «nhAr» «Na-harina» vgl. R. A. Caminos, A Tale of Woe, From a Hieratic papyrus in the A. S. Pushkin Museum of Fine Arts in Moscow, Oxford 1977, 67.

41: zu «aAm» «Asiat» vgl. Th. Schneider, Ausländer in Ägypten während des Mittleren Reiches und der Hyksoszeit, Teil 2, Die ausländische Bevölkerung (ÄAT 42/2), Wiesbaden 2003, 5ff.

72: zu «piit» «libyscher Stammesname» vgl. E. Graefe, in: Enchoria, V (1975), 13–17.

74: Das mutmaßlich afrikanische Toponym «dgA» hängt vielleicht mit «dgr/l» «Dongola» (?) zusammen, zu diesem Wort vgl. H.-W. Fischer-Elfert, Lesefunde im literarischen Steinbruch von Deir el-Medineh (KÄT 12), Wiesbaden 1997, 2/4.

82: zu «gAgymal» «Gaugamela» vgl. W. J. Tait, Papyri from Tebtunis in Egyptian and in Greek (P. Tebt. Tait), Text from Excavations, Third Memoir, London 1977, 11.

102: zu «xbti» «exécré» (vom Namen) vgl. J.-Cl. Goyon, BIFAO, 75 (1975), 356.
106: zu «Stw» «Schildkröte» als Name des Apophis vgl. R. Jasnow/K.-Th. Zauzich, The ancient Egyptian Book of Thot, A Demotic discourse on knowledge and pendant to the classical Hermetica, Volume 1: Text, Wiesbaden 2005, 255.

106/107: zu «yab» «suffer» vgl. auch H. S. Smith/S. Davies, in: JEA 98 (2012), 153.

Teil II:
188: zur etymologischen Verwandtschaft zwischen «hbni» und «Ebenholz» vgl. Fr. A. K. Breyer, Morgenländische Wörter im Deutschen: Die ägyptischen Lehnwörter, in: W. Raunig/St. Wenig, Afrikas Horn, Akten der Ersten Internatio-nalen Littmann-Konferenz 2. bis 5. Mai 2002 in München (Meroitica 22), Wiesbaden 2005, 394.

189: zu «bnw.t» «Mühlstein» vgl. J. Janssen, Three Mysterious Ostraca, in: M. Collier/St. Snape (Ed.), Ramesside Studies in Honour of K. A. Kitchen, Bolton 2011, 252.

192: zur «nf» – Pflanze vgl. H. Goedicke, Comments on the «Famine Stela» (VAS 5), San Antonio 1994, 144; E. A. E. Reymond, A medical book from Crocodilopolis, P. Vindob. D. 6257, From the Contents of the Libraries of the Suchos Temples in the Fayyum, Part I, Wien 1976, 90/110/152.

219: zu «iwn» «Farbe des Türkises» vgl. auch D. Meeks, Mythes et légendes du Delta, dʽaprès le Papyus Brooklyn 47. 218.84 (MIFAO 125), Le Caire 2006, 15.

223: zur Austauschbarkeit von «didi» und «titi» vgl. D. Klotz, Adoration of the Ram, Five Hymns to Amun-Re from Hibis Temple (YES 6), New Haven 2006, 121.

229: zur Mineralbezeichnung «inf» vgl. Fr. Daumas, Les textes géographiques du trésor D du temple de Dendara, in: E. Lipinski, State and Temple Econymy in the ancient Near East II, Proceedings of the International Conference organized by the Katholieke Universiteit Leuven from the 10th to the 14th of April 1978 (OLA 6), Leuven 1979, 695.

242: zu «gAw.t» «Abgabe Nubiens» vgl. E. Edel, Beiträge zu den Inschriften des Mittleren Reiches in den Gräbern der Qubbet el Hawa (MÄS 25), Berlin 1971, 11.
256: «bnr.t» fehlt in Übersetzung!

Zitierweise:
Stefan Bojowald: Rezension zu: Holger Kockelmann/Alexa Rickert, Von Meroe bis Indien, Fremdvölkerlisten und nubische Gabenträger in den griechisch-römischen Tempeln (= Soubassementstudien V, Studien zur spätägyptischen Religion 12), Wiesbaden, Harrassowitz-Verlag, 2015. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 109, 2015, S. 385-387.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in
Weitere Informationen
Klassifikation
Epoche(n)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit