K. Flasch: Warum ich kein Christ bin

Cover
Titel
Warum ich kein Christ bin. Bericht und Argumentation


Autor(en)
Flasch, Kurt
Erschienen
München 2013: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Marc Bayard

Was hat es zu bedeuten, wenn ein einflussreicher Philosophiehistoriker für mittelalterliche Philosophie gegen Ende seiner Forschertätigkeit ein Buch mit dem Titel «Warum ich kein Christ bin» schreibt? Zeit seines Lebens hat Kurt Flasch sich mit Philosophie und Theologie von christlichen Denkern auseinander gesetzt und kommt nun zum Schluss: «Ich bin kein Christ mehr.» (9) Dabei sollte es aber kein «Fach- und Sachbuch für Spezialisten» sein, sondern ein «persönliches Buch», «Bericht und Rechenschaft über meine Erfahrung mit der christlichen Lehre». (253) Doch handelt es sich auch nicht einfach um ein Tagebuch oder eine Autobiographie, denn es geht Flasch um die christliche Lehre an sich, um Argumente für oder gegen sie. «Ich sage also, alle Argumente, die ich für den christlichen Glauben gehört und geprüft habe, konnten mich nicht überzeugen; sie sind mir unter der Hand zerkrümelt.» (254) Dies lässt das Buch nicht so leicht in ein Genre einordnen, was es aber gleichzeitig erfrischend und einzigartig macht: die persönliche Innenseite eines Forschers in einer wissenschaftlichen Diskussion. So aufrichtig dies gemeint ist, gibt es allerdings dabei die Gefahr, dass die persönliche Innenseite selbst in die wissenschaftliche Diskussion eingreift, und zwar nicht in einer neutralen und abstrakten Weise, wie es für eine von allen nachvollziehbaren Argumentation nötig wäre. In der Tat wird man bei der Lektüre von Flaschs Buch das Gefühl nicht los, das Anti-Christliche sei nicht das Resultat seiner Bemühungen, sondern sein Ausgangspunkt, unter der die christliche Lehre nur absurd werden kann.

Die Adabsurdum-Führung der christlichen Lehre läuft dabei in gewohnten Bahnen. Die wichtigen Elemente, wie Gott, Schöpfung, Erlösung, Ethik, Seele, Himmel und Hölle durchlaufen die verschiedenen Etappen der historisch-kritischen Entmythologisierung. Zunächst haben sie entweder in der Bibel keine Grundlage oder sind in ihrer biblischen Fassung selbst widersprüchlich. Weiter erhalten sie in der Antike im Zuge der Institutionalisierung des Christentums eine wesentliche Veränderung durch die griechische Philosophie. Danach erfahren sie im Laufe des Mittelalters mit zunehmender Emanzipation der Philosophie von der Theologie eine weitere Dogmatisierung, in Umfang wie in Geltung. Schliesslich werden sie ab der Neuzeit am Mass der immer stärker werdenden Natur- und Geschichtswissenschaften gemessen entweder irrationalistisch oder können ihre Rationalität nur noch dogmatisch erhalten.

Interessanter als die einzelnen Argumente dieser Adabsurdum-Führung ist aber die persönliche Konsequenz, die Flasch daraus zieht. An neun Stellen findet man die explizite Schlussfolgerung: Flasch ist kein Christ mehr, 1. wegen der Trennung von Glauben und Wissen und der Unabweisbarkeit der historisch-kritischen Methode (48); 2. weil er nicht mehr «zur alten, lange gemeinchristlichen Metaphysik oder zur ‹natürlichen Theologie› zurückkehren» kann (82); 3. weil er von der Auferstehung Christi «als Ereignis in der Aussenwelt» nichts wissen kann (132); 4. weil er nicht an den Gott der biblischen Schöpfungserzählungen glauben kann, da diese «Entwicklungsstadien des menschlichen Denkens» sind, die hinter ihm liegen (190); 5. weil er sich «zwar fehlerhaft [...] aber nicht erlösungsbedürftig» findet (198); 6. weil er bei der Lektüre von gewissen göttlichen Geboten in Levitikus «das Schmunzeln nicht unterdrücken kann» (261). Flasch fasst zusammen: Es ist ein «Christentum der Unvernunft». Es ist für ihn schlicht unvernünftig, wenn Christen im Zeitalter der historisch-kritischen Methode behaupten, die Bibel sei von Gottes Geist diktiert oder dass es sich dabei tatsächlich um historisch glaubwürdige Berichte handle. Ganz unverstehbar sind die Lehre der Trinität, der zwei Naturen in Christus, der Erbsünde oder der Transsubstantiation. (257ff) Deshalb befreit sich Flasch selbst von dem Zwiespalt von Glaube und Vernunft: «Daher vereinfache ich mein Leben und mache von diesen Hypothesen keinen Gebrauch.» Er muss keine «widrige Beweislage» gesund beten. Dabei fehlt ihm nichts: «Aber mein Leben ist nicht sinnlos.» (255f). Es geht ihm aber nicht darum, die ganze jüdisch-christliche Tradition über Bord zu werfen. Im Gegenteil, gerade weil er als Ungläubiger sie als ein «Bildersaal produktiver religiöser Erfindungen» sieht, kann er frei ihre Entwicklungsstadien untersuchen und sie mit all ihren Unstimmigkeiten annehmen. «Ohne den objektivistischen Wahrheitsbegriff der Dogmatiker blühen die Metaphern auf.» Ohne Christ sein zu müssen, kann Flasch ein «poetisches Wahrheitskonzept» voraussetzen, unter dem sich der ganze poetische Reichtum der christlichen Tradition öffnet. (262)

Hier zeigt sich der eigentliche Grundgedanke des ganzen Buches. Das Problem, das Flasch mit den Christen, v.a. mit den offiziellen Vertretern, hat, und weswegen er das Buch schreiben musste, ist «ihr universalistisches, realistisches und objektivistisches Wahrheitsdenken». Es ist dieser Wahrheitsanspruch, der die christliche Lehre als unvernünftig erweist, letztlich ein leerer Anspruch, den man leicht als Mittel zur Sicherung der kirchlichen Autorität entlarven kann. (108) Mit ihrem Wahrheitsanspruch müssen Christen ihren Glauben irgendwie beweisen, was für Flasch aber niemandem je gelungen ist. Alle Versuche, ihn vor der aufgeklärten Vernunft zu rechtfertigen, sind Theologien «untauglicher Argumente, fauler Ausreden und Vertröstungen», die entweder den Wahrheitsanspruch beschneiden oder ihn in die Absurdität treiben. (254) Am Ende gibt es nur eine Alternative: Der Glaube ist realistisch oder er ist nicht. Die Auferstehung Christi muss historisch feststellbar und eine beweisbare Tatsache sein, sonst hat ihre Wirklichkeit keine Evidenz. (130)
Entgegen allen irrationalen und fideistischen Tendenzen fordert Flasch als Nichtchrist mit aller Deutlichkeit einen Realismus des christlichen Glaubens. Weil er aber einen zu engen Begriff des Realismus’ im Sinne der Aufklärung hat – der allerdings nicht so recht zu seinem relativen oder poetischen Wahrheitsbegriff passen will – muss das Unternehmen scheitern. Flasch wirft das Christentum zurück auf die Stufe des I. Vatikanischen Konzils, um es untergehen zu lassen. Weite Teile der Theologie des 20. Jh. kommen dabei nicht in den Blick, Ansätze, die den Begriff des Realismus weiter fassen, die eine Religionsphilosophie entwickeln, die über die kantische Einzäunung hinaus geht, und die von einer Evidenz sprechen, welche der historischen und analytischen Gewissheit noch vorgeordnet ist. Flasch verweigert sich hier jeder Diskussion. Über die Begegnung mit einem Bultmannianer Anfang der 50er Jahre schreibt er: «Es war das letzte Mal, dass ich einen Theologen um Rat in Glaubenssachen fragte.» (37) So kommt auch die dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung des II. Vatikanischen Konzils nur vor, um die exegetische Inkompetenz der Konzilsväter vorzuführen. (260f) Das Eigentliche, was die theologische Antwort auf Flaschs Problem wäre, bleibt unerwähnt, dass nämlich die christliche Offenbarung nicht bloss in historischen Tatsachenberichten oder in dogmatischen Lehrverkündigungen zu finden ist, sondern allererst in der Person Jesu Christi, so dass auch der christliche Glaube ein personaler, ganzheitlicher Akt ist. Der Realismus des Glaubens wäre demnach als personaler viel weiter zu fassen als der Realismus der Dinge und Tatsachen. Flasch muss diese Ansicht ja nicht unterstützen, aber er sollte sie zumindest referieren. Er präsentiert sich als geduldigen Forscher (80), der exakt über das historische Christentum berichten will. (18) Nun, er wählt seine Quellen einseitig aus und ist nicht bereit, seine eigenen Methoden zu hinterfragen.

Ein Beispiel dieser Arbeitsweise ist die Zusammenstellung der verschiedenen Möglichkeiten einen Christen zu bestimmen: 1. ein metaphysischer Optimist; 2. jemand, mit einer Jenseitshoffnung; 3. der an die Bibel glaubt; 4. der seine Orthodoxie philosophisch und historisch beweist; 5. der mit Herz und Gefühl den Sprung des Glaubens wagt. (19ff) Schon bei dieser Aufstellung zu Beginn des Buches wird dem Leser klar, wieso Flasch kein Christ sein kann. Doch es wird ebenso klar, dass er keine guten Gründe dafür angeben wird, da er das Wesen eines Christen, bzw. das Selbstverständnis vieler Christen, sehr wahrscheinlich nicht getroffen hat. Es fehlen nämlich in seiner Aufstellung mindestens: 6. jemand, der getauft ist; 7. der Jesus Christus mit dem Ganzen seiner Person liebt. Dass Flasch letzteres nicht erwähnt, ist für einen so profunden Kenner der mittelalterlichen Theologie erstaunlich und unverzeihlich.

Aber eben, vielleicht verhält es sich ja umgekehrt, als es Flasch Glauben machen will. Vielleicht hat nicht die philosophisch-historische Forschung ihn zum Anti-Christlichen geführt, sondern das Anti-Christliche prägt sein Forschen. Vielleicht zeigt Flasch in seinem Buch sein wahres Gesicht, das man in seinen Fachbüchern über das mittelalterliche Denken nur als eine undeutliche antitheologische Haltung ahnt, von der man nie weiss, wie weit sie die historischkritische Forschungen Flaschs bestimmt.

Zitierweise:
Marc Bayard: Rezension zu: Kurt Flasch, Warum ich kein Christ bin. Bericht und Argumentation, München, C. H. Beck, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 108, 2014, S. 586-588.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in
Weitere Informationen