D. Burkard u.a. (Hrsg.): Der Jansenismus – eine ‚katholische Häresie‘?

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Titel
Der Jansenismus – eine ‚katholische Häresie‘?.


Herausgeber
Burkard, Dominik; Thanner, Tanja
Reihe
Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 159
Erschienen
Münster 2014: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
464 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Alois Steiner

Der vorliegende Band enthält die Vorträge eines Symposiums, das vom 12. bis 14. Mai 2011 unter dem Titel «Der Jansenismus – eine ‹katholische Häresie der frühen

Neuzeit?›» in Würzburg stattfand. Es ging darum, dem vielschichtigen Phänomen «Jansenismus» Rechnung zu tragen und letztlich um die theologische Ausgangsfrage nach der Determination oder Prädestination des Menschen und damit nach der Freiheit seines Willens. Dadurch rückt die Bedeutung des Kirchenvaters Augustinus in den Blick. Wir sind mitten in den Auseinandersetzungen der Spätantike.

In 18 Referaten wurde dieses äusserst komplexe, nicht immer leicht verständliche Problem angepackt. In der Publikation sind Aufsätze in deutscher, französischer, italienischer und englischer Sprache enthalten.

Pelagius (350/360–418/431), ein aus Britannien stammender Laienchrist, wünschte, dass jeder Christ ein Mönch sei. An dieser Stelle berührte die pelagianische Bewegung das Denken des Augustinus zutiefst. Es erschien ihm, dass die neuen, von Pelagius aufgestellten Behauptungen, sie könnten eine Kirche «ohne Flecken oder Runzeln» zustande bringen, lediglich die Versicherung der Donatisten fortsetzten, nur sie gehörten zu solch einer Kirche. Augustinus war nicht gewillt, die Sippschaften «vollkommener» Christen zu dulden, die unter pelagianischem Einfluss in Sizilien und anderswo aus dem Boden schossen. Aus diesem Grund war der Sieg des Augustinus über Pelagius ein Sieg des durchschnittlichen, gut katholischen Laien des späteren Kaiserreiches über ein strenges, reformierendes Ideal.

In den Confessiones kommt öfters der Satz vor, der die augustinische Gnadenlehre gleichsam auf den Punkt bringt: «Da quod iubes et iube quod vis». Es gehört zur Tragik dieser zur Weltliteratur zählenden und nach dem Neuen Testament von Christen im Mittelalter vielleicht meistgelesenen Schrift, dass gerade der zitierte Satz jenen Gnadenstreit auslöste, der eigentlich bis zur Gegenwart nicht zur Ruhe kam. Als Pelagius die Confessiones las, nahm er an diesem Satz Anstoss.

Die Bedeutung der Gnade, wie der Rö-merbrief dies artikulierte, geriet allmählich in den Hintergrund, wie es sich in der Kirchengeschichte wiederholen sollte. Die Theologen Aurelius Augustinus (354–430) im 5. Jhdt., Martin Luther im 16. Jhdt., Cornelius Jansenius (1585–1638) im 17. Jhdt. und Karl Barth (1886–1968) im 20. Jhdt. griffen dieses Problem immer wieder auf. Luther fühlte sich mit Augustinus im Einklang. Sein Einfluss war hier nicht segensreich. Die Rede ist hier von Augustins Vorstellung von der absoluten Vorherbestimmung aller Menschen zum Heil bei Gott durch Gott selbst. Rom hat immer nur die positive Notwendigkeit der Gnade in der Theologie Augustins honoriert, aber mit keinem Wort sich zu seiner Prädestinationslehre geäussert. Luther schreibt deshalb in seiner Streitschrift De servo arbitrio 1525 gegen Desiderius Erasmus (1466/67–1536) die ungeheuerlichen Sätze: «Das ist die höchste Stufe des Glaubens, zu glauben, jener sei gütig, der so wenige selig macht, so viele verdammt, zu glauben, er sei gerecht, der durch seinen Willen uns so, dass es nicht anders sein kann, verdammenswert macht, dass es scheint [...], er ergötze sich an den Qualen der Unglücklichen und als sei er mehr des Hasses und der Liebe wert». (Martin Luthers Werk, Weimarer Ausgabe 18,633,15).

Katholiken sprechen von einem «schauererregenden» Gottesbild, und Lutherforscher vom «breiten Schatten», den Luthers Lehre von der göttlichen Vorherbestimmung auf seine Lehre von Gottes Gnade wirft. Erst Karl Barth hat die Menschen von dieser verheerenden augustinischen Tradition lutherischer Prägung erlöst.

Auch der französische Reformator Calvin war stark von Augustinus beeinflusst, besonders von antipelagianischen und antisemipelagianischen Schriften. Gesamthaft gesehen war Augustinus für Calvin «der beste und zuverlässigste Zeuge der guten alten Zeit», auch wenn er dem frühchristlichen Kirchenvater nicht vollständig zustimmte.

Ein Aufsatz von Karlheinz Ruhstorfer beschäftigt sich mit der «grössten dogmatischen Kontroverse» (gemäss Hubert Jedin) innerhalb der katholischen Theologie um 1600. Es geht um die Frage des Verhältnisses von Gnade und Freiheit bei der Rechtfertigung des Menschen und um die verschiedenen Deutungen der Gnadenlehre des Thomas von Aquin. Luther verwirft die Freiheit des Menschen im Blick auf die Rechtfertigung des Menschen. Das Konzil von Trient hält an der Willensfreiheit des Menschen fest. Und der Jesuit Molina macht deutlich, dass Gott keinem Menschen die Gnade ganz verweigert.

Im 17. Jhdt. reagierte das Papsttum scharf und rasch auf gewisse Meinungen des Jansenismus in Frankreich. Antoine Arnauld, das intellektuelle Haupt der französischen Jansenisten, propagierte in seiner Vorrede zu seinem Buch über die Kommunion die Meinung, beide Apostel Petrus und Paulus seien «die zwei Häupter der Kirche, die zusammen nur eins ausmachen». Dieser Text wurde im Januar 1645 vom Pariser Nuntius Niccolò Guido del Bagno nach Rom geschickt. Bereits im April 1645 verurteilte die Inquisition diese Aussage. Rom befürchtete nämlich eine Infragestellung des Primats mit allen Turbulenzen. Wer statt des Apostelfürsten von einer Doppelspitze in der Urkirche ausging, der konnte weitreichende Schlussfolgerungen ziehen, nämlich die kollektive Führung der Kirche durch die Kardinäle. Diverse Reformatoren zu Beginn des 16. Jahrhunderts stützten sich auf den Apostel Paulus als eigentlichen Begründer der rechtmässigen christlichen Lehre.

Im 17. Jahrhundert entwickelte sich ein Gegensatz zwischen Jansenismus und römischer Kirche. Die jansenistische Betonung der de facto unwiderstehlichen Gnade und die daraus abzuleitende Auslöschung oder zumindest Reduzierung der menschlichen Willensfreiheit widersprach dem kurialen Selbstverständnis, das im Sinne von Trient auf eine aktive Kooperation des liberum arbitrium mit der gratia hinwies. Die Rezension konnte nur auf einige Aspekte dieser komplizierten Thematik hinweisen.

Zitierweise:
Alois Steiner: Rezension zu: Dominik Burkard/Tanja Thanner (Hg.), Der Jansenismus – eine «katholische Häresie»? (=Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 159), Münster, Aschendorff Verlag, 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 108, 2014, S. 573-575.

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