S. Marti u.a. (Hrsg.): Söldner, Bilderstürmer, Totentänzer

Cover
Titel
Söldner, Bilderstürmer, Totentänzer. Mit Niklaus Manuel durch die Zeit der Reformation


Herausgeber
Marti, Susan; Bernisches Historisches Museum
Erschienen
Zürich 2016: Neue Zürcher Zeitung - Buchverlag
Anzahl Seiten
155 S.
Preis
€ 39,00
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Claudia Moritzi, Museum Altes Zeughaus Solothurn

Der Berner Niklaus Manuel (1484–1530) lebte in einer Zeit der Umbrüche – und Umbrüche prägten auch seine Biografie: Einst selbst Söldner wurde er zum Kritiker des Soldwesens; aus dem Erschaffer von Altarbildern wurde ein Unterstützer der Reformation und Bilderstürmer; aus dem bildenden Künstler wurde ein Künstler des Worts. Dem Leben und Werk Manuels widmete das Bernische Historische Museum kürzlich die Ausstellung „Söldner, Bilderstürmer, Totentänzer. Mit Niklaus Manuel durch die Zeit der Reformation“.1 Die Vielschichtigkeit Manuels und seiner Zeit aufzuzeigen, war nicht nur Ziel der Ausstellung, sondern auch der gleichnamigen reich bebilderten Begleitpublikation. „Wie in einem Kaleidoskop widerspiegeln sich in seinem Leben und Werk die Vielfalt und die Widersprüche einer Epoche des Umbruchs“, erklärt Susan Marti, die Herausgeberin, im Vorwort der Publikation (S. 15). Ein Kaleidoskop ist auch das Buch: Fachleute unterschiedlicher Disziplinen beleuchten in sechs Essays verschiedene Facetten der Zeit und des Oeuvres Manuels. Gefolgt werden diese von einem thematisch geordneten Bildteil, dessen acht Schwerpunkte jeweils mit einem kurzen Input eingeführt werden.

Einen Überblick über Bern in Niklaus Manuels Zeit gibt der Berner Historiker André Holenstein. Er steckt den historischen Rahmen ab und streicht hervor, dass sich in Manuels Biografie entscheidende Momente der bernischen Geschichte des 15. und frühen 16. Jahrhunderts spiegeln. So ist etwa die räumliche und soziale Mobilität, die sich anhand der aus dem Piemont stammenden Familie Manuels aufzeigen lässt, kennzeichnend für Städte des Spätmittelalters. Diese betrieben eine „relativ grosszügige Aufnahmepolitik“ (S. 24) und rekrutierten Knowhow und Arbeitskräfte für die wachsenden Ansprüche der reichen Ratsfamilien. Geradezu beispielhaft ist auch der Einfluss der Reformation und die damit einhergehende Bildkritik auf bildende Künstler an Manuels Biografie ablesbar. Manuel wandte sich nach 1522 dem Medium des Worts zu und beteiligte sich als Ratsherr sogar am reformatorischen Bildersturm. Und auch die politische Geschichte Berns spiegelt sich in Manuels Leben: Er zog mit den Bernern in die Schlacht, kämpfte für Frankreich als Söldner und machte in den 1520er-Jahren eine politische Karriere.

Der darauffolgende Aufsatz von Valentin Gröbner tanzt nur auf den ersten Blick aus der Reihe: Er befasst sich nicht direkt mit Niklaus Manuel und seinem Werk, sondern mit dem Soldwesen und vor allem mit Söldnerbildern – sowohl gemalten und gezeichneten als auch sprachlichen. Gröbner bezeichnet Söldner als „Kippfiguren“, die als „heroische Verkörperungen nationaler Stärke und politischen Erfolgs“ erscheinen und gleichzeitig für „unkontrollierbare Gewalt, Korruption und Käuflichkeit“ (S. 32) stehen. Gröbners spannende Beobachtungen über die Ambivalenz und Wandelbarkeit von Bildern, über deren Abhängigkeit von Kontext und Gesellschaft und über ihre Langlebigkeit haben aber selbstverständlich einen Bezug zu Manuel, der selber Söldner war und das Reislaufen in seiner Kunst thematisierte.

Über die Beschreibung von Werken erklären die Kunsthistoriker Petra Barton Sigrist und Michael Egli, beide Autoren des im März erschienen Catalogue raisonné zu Niklaus Manuel2, in ihrem sehr dichten Aufsatz Stil, Themen und wichtige Züge des künstlerischen Schaffens Manuels. Sie stellen Bezüge seines Oeuvres zu anderen Künstlern her und streichen hervor, dass die Schaffenszeit von Niklaus Manuel nicht nur eine Zeit mit zahlreichen historischen Veränderungen, sondern auch des künstlerischen Wandels im Übergang von der Spätgotik zur Renaissance war. Sie wollen diesen Übergang nicht als Bruch, sondern als Prozess verstanden wissen. „Die Auseinandersetzung mit der Funktion und dem Status des Bildes widerspiegeln Veränderungen in Kunst und Gesellschaft an einer Zeitwende, die Manuels Lebensweg prägten“, so ihr Fazit (S. 51).

Florence Lépine widmet sich den von Manuel geschaffenen Altarbildern aus der Perspektive der Konservatorin und Restauratorin. Durch die Konservierung und Restaurierung von Gemälden Manuels im Kunstmuseum Bern konnten neue Erkenntnisse zu Techniken, Materialien und Werkstattpraktiken gewonnen werden. Grundsätzlich ähneln diese denjenigen seiner deutschen Zeitgenossen stark. Und – es überrascht nicht – auch die technologischen Untersuchungen der Altarbilder zeigen Manuels Schwellenfunktion in technischer Hinsicht: „Während in manchen Bereichen noch eine typisch spätgotische Arbeitsweise zu beobachten ist, zeigen andere Vorgehensweisen neue Züge, die stärker von der Individualität des Malers geprägt sind“ (S. 54). Niklaus Manuel ist gemäss Lépine in Bezug auf die Individualität, die sich auch im freieren Umgang mit traditionellen Maltechniken spiegelt, ein Hauptbeispiel für die damalige schweizerische Malerei.

„FrauenBilder“ und „MännerBlicke“ (S. 63) stehen im Zentrum des Beitrags der Kunsthistorikerin Maike Christadler. Sie geht den Frauen- und Rollenbildern des frühen 16. Jahrhunderts nach und analysiert Manuels künstlerisches Schaffen in diesem historischen Kontext. Die Frauenfiguren von Manuel fallen auf, weil sie weibliche Schönheit, gefährliche sexuelle Begierde und religiöse Verblendung, Verführung und Tod in sich tragen, so Christadlers These. Sie wecken Begehren und Angst, sind Verlockung und Gefahr zugleich. Gezeichnet wurden die oftmals kleinformatigen Frauenbilder vermutlich für einen kleinen Kreis von Betrachtern, und es scheint, dass Manuel diese mit seinen Frauenbildern geradezu in Versuchung führen wollte. Christadler gelingt es, die Vielschichtigkeit der Frauenbilder Manuels aufzuzeigen, die für unsere Augen durch die „künstl(er)i(s)che“ (S. 69) Neutralisierung von weiblichen Körpern nahezu unsichtbar geworden ist.

Die Verlagerung des Schaffens Manuels von der bildenden Kunst auf das Wort nach 1522 wird von der Germanistin Heidy Greco-Kaufmann anhand seiner Fastnachtsspiele aufgenommen. Zu diesem Wechsel führten sowohl das Ausbleiben von Aufträgen von kirchlicher Seite als auch die reformatorische Haltung Manuels sowie die Verbreitung der Drucktechnik. Ganz neu war indes das Medium des Wortes nicht für Manuel: Viele seiner Zeichnungen sind mit Spruchbändern versehen und die Begleitverse zu seinen berühmten Totentanz-Bildern stammen vermutlich aus eigener Hand. Auch wenn noch einiges in Bezug auf die Fastnachtsspiele unklar bleibt – z.B. welche Textteile der gedruckten Fastnachtsspiele Manuel selber geschrieben hat und welche Passagen die Herausgeber angepasst haben oder in welcher Form die Stücke aufgeführt wurden –, so positionierte sich Manuel mit diesen als Dichter und Kämpfer für die Reformation. Denn die Kirchenkritik war Hauptthema der stark auf visuelle Reize ausgelegten Spiele.

Der an die Essays anschliessende Bildteil umfasst acht Themenbereiche: Sie handeln von der Karriere Manuels, den Solddiensten, der Kunst im Dienst der Kirche, der Werkstatt Manuels, der Todesangst und dem Totentanz, der Sorge um das Seelenheil, der Sprachgewalt Manuels und dem reformatorischen Umbruch. Jeder Bereich wird durch einen kurzen Input eingeführt und von Abbildungen begleitet. Dabei handelt es sich nicht nur um Abbildungen von Werken von Niklaus Manuel und anderer Künstler, sondern auch von Objekten wie Schriftstücken, Kleidern, Münzen oder liturgischen Geräten.

Ausstellung und Buch sind entstanden aus einer Zusammenarbeit des Bernischen Historischen Museums mit dem Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaften (SIK-ISEA), das dieses Jahr nach mehr als zehnjähriger wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit der Burgerbibliothek Bern auch den Werkkatalog „Niklaus Manuel“ herausgegeben hat. Die interdisziplinäre Ausrichtung ist denn auch die Stärke des Buches. Auch wenn die von Fachleuten verfassten Texte für Laien nicht immer leichte Lektüre sind, so bieten sie – ganz der Biografie und des Schaffens Manuels entsprechend – eine spannende und äusserst reizvolle Vielfalt und ein breites Spektrum an Themen.

Anmerkungen
1 Ausstellung im Bernischen Historischen Museum vom 13. Oktober 2016 bis 17. April 2017.
2 Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft / Burgerbibliothek Bern (Hrsg.): Niklaus Manuel. Catalogue raisonné, Basel 2017.

Redaktion
Veröffentlicht am
04.08.2017
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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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