J. Rehmann: Max Weber: Modernisierung als passive Revolution

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Titel
Max Weber: Modernisierung als passive Revolution. Kontextstudien zu Politik, Philosophie und Religion im Übergang zum Fordismus


Autor(en)
Rehmann, Jan
Erschienen
Hamburg 2013: Argument-Verlag
Anzahl Seiten
273 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Richard Albrecht, Privatgelehrter

Die erste Auflage dieses Buchs erschien 1998. Ein prominenter Kritiker hielt es für wichtig, weil es zeigt, wie «die Leistungen» des bis heute international bekanntesten deutschen Soziologen (1864–1920) «zu beerben» sind (W.F. Haug). Die nun vorliegende zweite Auflage ist durch ein neues Vorwort erweitert (7–20). Der argumentative Kern der Weber-Kritik von Jan Rehmann blieb auch in seiner Kritik der Leitthese zur protestantischen Ethik und dem Geist des Kapitalismus unverändert (vgl. kritisch zur Weber-These Heinz Steinert, Max Webers unwiderlegbare Fehlkonstruktionen. Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, Frankfurt a. M. 2010, 332 S.; Christian Fleck, Editorial; in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 3/2012: Themenheft Max Webers Protestantismus-These. Kritik und Antikritik).

Sieht man ab vom sozialpsychologischen Nebenstrang, dessen zeitgeschichtlich- psychoanalytische Dimension zu Beginn des «kurzen» 20. Jahrhunderts Rehmann auch anspricht, geht es um Webers Leitkonzept von «Modernisierung» des erst vor dem «ersten großen Schlachtfest des Todes» (Thomas Mann) (recht spät) industrialisierten und nach dessen Ende (zu spät) demokratisierten Deutschland: «passive Revolution» von oben. In vier Teilen: I. Modellamerikanismus, II. Fordistisches Modernisierungsprojekt, III. Wissenschaftslehre und IV. protestantischkapitalistischer Geist, zusammen 29 Kapitel nebst Anhang (Anmerkungen, Abkürzungen, Literaturverzeichnis, Personenund Sachregister) schildert Rehmann ausführlich Webers doppelte «Subjektkonstitution » und ihr Grunddilemma: scharfsinniger Beobachter «einer historisch konstituierten » und zugleich «ideologischer Konstrukteur einer erst zu konstituierenden bürgerlichen Subjektivität» in Gestalt von «in die Zukunft gerichteter [...] politischer Erziehung.» (8–9)

Rehmann wertet Webers Bedeutung so: «Weber tritt als politisch-ethischer Reformator auf, der den Kapitalismus in Deutschland nach einem puritanisch-amerikanistischen Muster modernisieren will [...] Sichtbar wird ein hegemoniales Projekt, das die ethischen Anforderungen der anstehenden fordistischen Modernisierung von Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft mit einer Umwälzung verknüpft, die [...] den Massencharakter einer Volksbewegung angenommen hat.» (294)

Bereits der Soziologe Sven Papcke wies auf Widersprüchliches und Irrationales beim homo politicus Weber hin (Sven G. Papcke, Gesellschaftsdiagnosen. Klassische Texte der deutschen Soziologie im 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M., Campus, 1991, 208 S.): klugen Hinweisen zur politischen Moderne entsprechen dumme Politsprüche zur «plebiszitären Führerdemokratie » (besonders in der Ludendorff-Unterredung 1919; vgl. Richard Albrecht, Max Weber erklärt Demokratie (1919): www.ein-buch-lesen.de/2013/04/max-webererklart- demokratie-1919-eine.html – dort auch der Wortlaut mit Quelle/n). Diesen Widerspruch beschreibt auch Rehmann: Ihm gilt Webers über die sogenannte «Arbeiteraristokratie » als Schlüsselschicht und ihre meist sozialintegrative Orientierung mögliches «soziales Projekt einer Einbindung der Arbeiterklasse über ihre ‹voluntaristischen› Organisationen immer noch [als] etwas grundlegend anderes als die faschistische Vernichtung der organisierten Arbeiterbewegung als ganzer. Allerdings sind auch hier die Gegensätze nicht ein für allemal festgelegt, denn beim Scheitern einer solchen Einbindung, wie es sich einem Großteil des Bürgertums am Ende der Weimarer Republik darstellte, konnten sich die Positionen durchaus zu faschistischen Lösungen des Integrationsproblems verschieben.» (140)

Wie es Rehmann hier gelingt, eine Seite der Ambivalenz Weber’scher Politvorstellungen anschaulich herauszuarbeiten – so fehlt diese konkrete Arbeit gelegentlich im Fachsoziologischen; etwa bei Webers verkürzender Setzung des «Streben nach Einkommen » als «unvermeidlich letzte Triebfeder allen wirtschaftlichen Handelns». Das zeigt Webers eindimensionales Denken. Ähnlich ist auch Webers zweckrationale «Engführung» in den soziologischen Grundbegriffen und besonders in seiner Herrschaftssoziologie instrumentale Verkürzung: Der deutsch-skandinavische Soziologe Theodor Geiger (1891– 1952) wies am Beispiel des Begriffs «Fluktuation» nach, dass bei jeder Begriffsbildung Sichtweisen und Perspektiven einschlägig sind und in der sozialwissenschaftlichen «Anstrengung des Begriffs » kritisch bewusst gemacht werden können und müssen. Und auch Webers dickes Lob der Bürokratie (kritisch Herbert Reinke, Bürokratie im politischen System Deutschlands. Studien zur partiellen Ausdifferenzierung der Verwaltung aus dem ‹ganzen Haus›, Phil. Diss. Univ. zu Köln 1979, Darmstadt, copy shop, 1981, 219 S.) im Allgemeinen und aller Staatsbürokratie «speziell monokratischer Verwaltung durch geschulte Einzelbeamte» als optimales Instrument zur Versachlichung der Welt erweist sich bei genauem Hinschauen als Mythos (vgl. Richard Albrecht, Lebendige Menschen als tote Registraturnummern. Eine Bürokratie-Kritik im Anschluß an Franz Kafka; in: Die Brücke, 84 [1995], 79–83).

Was nun das wissenschaftlich Besondere von Weber und was konkret zu «beerben» ist, muss ich als «Sozialwissenschaftsjournalist » (Lars Clausen) nicht wissen. Angesichts der realempirischen Entwicklung von Soziologie und Sozialwissenschaft plädiere ich für einen besonderen Geist als «sociological imagination» (C. Wright Mills) und/als «new frontiers spirit» unter Einvernahme der im 1904 erstveröffentlichten 66-Seiten-Aufsatz zur «Objektivität» sozialwissenschaftlicher Erkenntnis vertretenen Einsicht in die Legitimität des Gedankenexperiments als kulturwissenschaftliche Methode …

Zitierweise:
Richard Albrecht: Rezension zu: Jan Rehmann, Max Weber: Modernisierung als passive Revolution. Kontextstudien zu Politik, Philosophie und Religion im Übergang zum Fordismus, Hamburg, Argument, 1998; ²2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 107, 2013, S. 452-454.

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