C. Kösters u.a. (Hrsg.): Die katholische Kirche im Dritten Reich

Titel
Die katholische Kirche im Dritten Reich. Eine Einführung


Herausgeber
Kösters, Christoph; Ruff, Mark Edward
Erschienen
Freiburg im Breisgau 2011: Herder Verlag
Anzahl Seiten
220 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Alois Steiner

Für die gegenwärtige Generation liegt das Ende des Dritten Reiches 1945 bald sieben Jahrzehnte zurück. Die letzten Zeitzeugen, die diese schreckliche Zeit der Nazidiktatur mitgemacht haben, schwinden dahin. Das Wissen um die nationalsozialistische Epoche verlässt zunehmend den Bereich der Zeitgeschichte und wird Bestandteil allgemeiner Geschichte.

Auf dem Büchermarkt trifft der Leser zu diesem Thema auf ganz unterschiedliche Urteile: die einen vertreten die Auffassung, die katholische Kirche habe der weltanschaulichen Herausforderung des Nationalsozialismus in beachtlicher Weise widerstanden. Andere beklagen die Unterlassungen der katholischen Kirche, die nur Widerstand geleistet habe, wenn ihre eigenen Interessen auf dem Spiel gestanden hätten, ansonsten aber dem NS-Regime sogar Sympathien entgegengebracht habe. Seit neuestem wird sogar die Auffassung vertreten, selbst die katholische Kirche habe wesentlich zur Existenz und zum Erhalt des Nationalsozialismus beigetragen.

Festzuhalten ist, dass die Kirche von Anfang an bis in die ersten Wochen der Machtergreifung 1933 das Nazitum unmissverständlich ablehnte. Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 war nicht eine von Sympathie getragene Zustimmung des Papstes zum Hitler-Regime. Das «Ja» des Zentrums zum Ermächtigungsgesetz war nicht der Preis, den der Vatikan für den Abschluss des Reichskonkordats bezahlte. Auch die seit kurzem zugänglichen vatikanischen Akten belegen das nicht. Das Reichskonkordat war nicht Anpassung, sondern eine «vertragsrechtliche Nichtanpassung der katholischen Kirche an das Dritte Reich» (Rudolf Morsey).

In elf Kapiteln fassen jüngere und ältere Forscher (wie Christoph Kösters, Heinz Hürten, Rudolf Morsey, Dietmar Süss, Michael Kissener, Wilhlem Damberg, Thomas Brechenmacher, Mark Edward Ruff und Karl- Joseph Hummel) den neusten Wissensstand zu einzelnen Aspekten der Katholizismus- Forschung zusammen.

Nach dem Ersten Weltkrieg hatte Deutschland 2/3 Protestanten und 1/3 Katholiken. Die Protestanten waren über fast alle politischen Lager verteilt. Ihre Amtsträger sympathisierten fast vollständig mit der Deutschnationalen Volkspartei. Die Katholiken waren enger mit der Kirche verbunden und unterstützten mehrheitlich die Zentrumspartei. Das Zentrum übernahm in der Weimarer-Republik Regierungsverantwortung mit den Sozialdemokraten. Die Ablehnung der Nazi- Ideologie war klar, nur eine ganz kleine Anzahl von Priestern schwenkte zum Nationalsozialismus über. Hitlers kulturpolitische Garantieerklärungen und seine kirchenfreundlichen Avancen erschienen bei der Machtergreifung als Zeichen der Entspannung. Als dann am 20. Juli 1933 das Reichskonkordat im Vatikan unterzeichnet wurde, stiess das im deutschen Katholizismus überwiegend auf Zustimmung. Aus heutiger Sicht weitgehend unverständlich bleibt die Selbstauflösung des Zentrums. Hier fiel der entscheidende Schlag gegen die Katholiken und die Demokratie.

Auf drei Ebenen kämpfte der Nationalsozialismus gegen die Kirche: Auf der politischen Ebene ging es um das Verhältnis von Rom und Berlin, und damit um die schwierige Beziehung zwischen Staat, Partei und Kirche. Auf der regionalen Ebene rangen Kirche und NSDAP um Schule und Erziehung: es ging um die katholischen Verbände und um die Presse. Auf der symbolischen und kultischen Ebene lieferten sich beide Seiten einen Kampf um das Kruzifix im Schulzimmer, aber auch um die «Seele» der Volksgenossen. Das NS-Regime konnte keine kultische Konkurrenz von christlich-religiösen Zeremonien dulden. Das erklärt den Kampf gegen die konfessionelle Seelsorge und die katholische Schule, gegen das christliche Gemeindeleben und öffentliche religiöse Bekenntnisse wie Wallfahrten und Prozessionen. Die päpstliche Enzyklika «Mit brennender Sorge» vom 21. März 1937 markierte die offene Kampfansage gegen die ständigen Unterdrückungsmassnahmen.

Nach Kriegsende und besonders ab ca. 1960 stellten sich viele Christen die Frage, warum die Kirche 1933 so rasch scheinbar kapitulierte. Ernst Wolfgang Böckenförde brachte 1961 den Stein des Nachdenkens ins Rollen. Er erkannte die Schwäche des Katholizismus in einem neutralen, im 19. Jahrhundert wurzelnden Staatsverständnis, das lediglich danach fragte, ob die naturrechtlichen Teilgüter (Elternrechte, katholische Schule, Ehe und Familie) gewahrt würden, und das Allgemeingut vernachlässigte. Es gab keine allgemeine Ablehnung des verbrecherischen Angriffskrieges. Gewiss gab es Beispiele christlichen Widerstandes. Zu erwähnen sind etwa der vormalige württembergische Staatspräsident Eugen Bolz, der gegen Ende des Krieges hingerichtet wurde, ferner die Mitglieder der «weissen Rose», der Münchner Publizist Fritz Michael Gerlich, Alfred Delp SJ, der Bauer Franz Jägerstätter und viele andere.

Daneben muss ein Versagen der Kirche und der einzelnen Katholiken gegenüber den Verbrechen an den jüdischen Mitbürgern festgestellt werden. Ein aktiver Widerstand gegen das Regime in den Dreissigerjahren war wohl kaum möglich, da die grosse Mehrheit des deutschen Volkes die innen- und aussenpolitischen Erfolge Hitlers bejubelte und kaum bereit war, Kritik zu tolerieren. Anders als 1914 vermieden es die Bischöfe, den 1939 vom Zaun gerissenen Krieg als gerecht zu legitimieren. Sie hoben vielfach die Hoffnung auf einen gerechten Frieden hervor und ermahnten die Soldaten, ihren Wehrdienst christlich gehorsam zu leisten. Es gelang den Bischöfen nur mühsam, 1941/42 die fruchtlose Eingaben- und Verhandlungspolitik ihres 82jährigen Konferenzvorsitzenden Bertram zu überwinden. Der Münsteraner Bischof von Galen und der Berliner Bischof von Preysing setzten sich in aufsehenerregenden Hirtenbriefen für die universale Gültigkeit der unverfügbaren göttlichen Rechte ein.

Das Dritte Reich propagierte die nationalsozialistische Volksgemeinschaft und versuchte, neue Einheits- und Massenorganisationen zu schaffen wie Deutsche Arbeitsfront, Hitler Jugend und Naziwohlfahrt. Die deutsche Volksgemeinschaft sollte keine konfessionelle Spaltung mehr kennen. Teilweise gab es energischen Protest der Katholiken (Oldenburg, Westfalen) und Widerstand gegen die so genannte Euthanasie kranker und behinderter Kinder unter dem Einfluss des Bischofs von Galen. Je länger der Krieg dauerte, umso fragwürdiger wurden theologische Lehrmeinungen über das Verhältnis von Staat und Kirche. Immer mehr gewann die Meinung Oberhand: «Wenn ein Befehl eindeutig gegen Gottes Gesetze verstiess, so war der Gehorsam aufzukündigen.»

Als die Nazis 1933 eine erste Welle antisemitischer Gewalt provozierten, erreichten Papst und Kurie Hilfsappelle aus aller Welt. Besonders beeindruckend war der Brief der Ordensfrau Edith Stein an Pius XI.: «Wir fürchten das Schlimmste für das Ansehen der Kirche, wenn das Schweigen noch länger anhält [...] Wir sind auch der Überzeugung, dass dieses Schweigen nicht imstande sein wird, auf die Dauer den Frieden mit der gegenwärtigen deutsche Regierung zu erkaufen …». Edith Stein hat mit unglaublicher Schärfe die Kernfrage der «Kirche-Juden-Problematik » im 20. Jahrhundert vorausgesehen. Pius XII. wies an Weihnachten 1942 in seiner Radioansprache auf die «Hunderttausenden von Personen hin, die wahrlich ohne eigene Schuld, manchmal allein um ihrer Nationalität und ihres Stammes willen für den Tod oder für ein fortschreitendes Dahinsiechen bestimmt seien». Dieses verklausulierte Sprechen des Papstes wurde im Reichssicherheitsamt in Berlin genau verstanden. Mehr wagte Pius XII. nicht zugunsten der Verfolgten zu unternehmen, denn der offene Protest der katholischen und protestantischen Bischöfe in den Niederlanden gegen die Deportation der Juden zeigte, wie kontraproduktiv der laute Protest sein konnte. (Schicksal von Edith Stein!) Statt des offenen Protestes bevorzugte Pius XII. den Weg der «stillen Hilfe».

Als die alliierten Truppen in Deutschland einrückten, waren sie fest entschlossen, durch ihre künftigen Militärregierungen die mehr als «nur nominellen Parteigenossen» aus ihren Stellungen im öffentlichen Leben zu entfernen. Die Amerikaner stiessen allerdings bald auf den Widerstand der katholischen Bischöfe, die sich gegen Massenentlassungen und pauschale Verurteilungen aller NSDAPAngehörigen wandten. Die kirchlichen Proteste trugen nicht wenig zum Scheitern der alliierten Säuberungen bei, die 1948 im Schatten des Kalten Krieges ein ziemlich abruptes Ende fanden. Die katholische Kirche galt bei den Alliierten und in der deutschen Bevölkerung ab 1945 als einzige moralische Institution, die die existentielle Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten bestanden hatte und dabei grundsätzlich intakt geblieben war. Die Bischöfe haben sich am 23. August 1945 im «Fuldaer Schuldbekenntnis» selbstkritisch geäussert: «Viele Deutsche – auch aus unseren Reihen – haben sich von den falschen Lehren des Nationalsozialismus betören lassen.» In den 1950er Jahren spielte die öffentliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des Dritten Reiches nur eine untergeordnete Rolle. In diesem Jahrzehnt wurde die gesamte deutsche Bevölkerung auf die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland hin orientiert.

Um 1960 in einer Auf- und Umbruchssituation der katholischen Kirche und unmittelbar vor der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils 1962 begann eine zweite Runde der Schulddebatte. Auf katholischer Seite nahmen daran mit gewichtigen Beiträgen der Jurist Ernst Wolfgang Böckenförde und der Schriftsteller Carl Amery teil; dazu muss auch der protestantische Theaterautor Rolf Hochhuth gerechnet werden, der mit seinem «Stellvertreter» von den Schwächen des deutschen Katholizismus ablenkte und die Gestalt Pius’ XII. ins Scheinwerferlicht stellte.

Der «Bensberger Kreis», ein Forum kritischer Katholiken, trat in Opposition zur katholischen Amtskirche und warf ihr vor, «sie sei nicht klar und eindeutig an die Seite der Synagoge getreten». Der im Reichskonkordat von 1933 vereinbarte Verzicht auf politische Betätigung habe die katholischen Vereine und Verbände gefesselt. Die Katholiken hätten deshalb mit dem Zwiespalt leben müssen, dass die Kirche diejenigen, die politisch Widerstand hätten leisten wollen, darin nicht unterstützte, sondern sie zur Loyalität mit dem Regime anhielt.

Diese wertvolle kleine Publikation mit elf Beiträgen fasst den heutigen Stand der Forschung über die katholische Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus in gut verständlicher Sprache zusammen. Am Schluss jedes Kapitels wird auf die weiterführende Literatur verwiesen. Ein interessanter Bildteil mit vielfach unbekannten Aufnahmen illustriert diese unheilvolle Epoche. So ist ein differenziertes Bild entstanden: Wahres Heldentum mit schlimmem Versagen, versehen mit sehr vielen Zwischentönen.

Zitierweise:
Alois Steiner: Rezension zu: Christoph Kösters/Mark Edward Ruff (Hg.), Die katholische Kirche im Dritten Reich. Eine Einführung, Freiburg i. Br., Herder, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 106, 2012, S. 736-738.

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