C. Dejung: Aktivdienst und Geschlechterordnung

Titel
Aktivdienst und Geschlechterordnung. Eine Kultur- und Alltagsgeschichte des Militärdienstes in der Schweiz 1939-1945


Autor(en)
Dejung, Christof
Erschienen
Zürich 2006: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
448 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Walter Troxler

Hinter dem oberflächlichen Bild der Aktivdienstzeit, das eine einige und abwehrbereite Schweiz zeigt, öffnet sich eine Vielfalt von Meinungen und Ansichten von Zivilisten, Soldaten und auch von Offizieren. Dieses Bild wurde durch die Geistige Landesverteidigung wesentlich mitgeprägt und auch weit verbreitet: Der Soldat leistet mit der Waffe in der Hand seinen Dienst am Vaterland, während die Frauen zu Hause zum Rechten schauen und allenfalls gar dem Betrieb vorstehen und ihn am Leben erhalten. In seiner Studie verwendet der Autor Interviews von Betroffenen, Erinnerungsschriften, militärtheoretische Literatur, Propagandatexte sowie weitere Archivquellen.

Ein erstes Kapitel befasst sich mit der Phase der Mobilmachung, die vor allem durch die Vereidigung geprägt wurde. Das Leben als Soldat stand im Zwiespalt zwischen Erfüllen der Pflicht, die oft als stumpfsinnig erfahren wurde, und den Sorgen um das Leben der Angehörigen zu Hause. Um dem Dienstkoller vorzubeugen, wurden neben kameradschaftlichen auch gesellschaftliche Anlässe organisiert. Die Bedeutung der Frau, die sich nun um Haus und Hof oder ums Geschäft kümmerte, war enorm gewachsen. Besondere Rollen übernahmen jene Frauen, die Soldatenstuben führten oder sich später gar zum Frauen-Hilfs-Dienst meldeten, womit sie die bisher gültige Geschlechtergrenze überschritten.

Im zweiten Teil wird dem Bild der Armee als Schule der Nation und der Männlichkeit nachgegangen, wobei aufgezeigt wird, dass auch in der Armee die soziale Struktur erhalten blieb. Offiziere hatten klare Vorteile, linksgerichtete Soldaten wurden zur Zielscheibe der Kritik; da sie sich weder im hierarchisch geordneten Militär noch in der Klassengesellschaft anpassten.

Der dritte Teil ist mit «Die Erziehung zum Gehorsam» überschrieben. Leider wird sofort auf den Drill eingegangen, der wenig mit der Bedeutung des militärischen Gehorsams zu tun hat. Daher erstaunt es nicht, dass nach der Kameradschaft, die auch ihre positiven wie negativen Seiten hat, ausgedehnt auf die Grenzen des Gehorsams, innere Emigration, Meutereien und soldatische Subkultur eingegangen wird. Abgeschlossen wird dieser Teil mit der Darstellung der Ausbildungskonzepte, in welchen politische Implikationen erkannt werden, was doch eher weit hergeholt erscheint. In Erziehung und Gehorsam sind primär Wertvorstellungen erkennbar, die mit dem Bild der Gesellschaft zu tun haben und weniger mit Politik.

Der vierte Teil widmet sich der Religion, den Mythen und der nationalen Gemeinschaft. Da Soldatsein auch die Gefahr des Todes einschliesst, ist es nahe liegend, dass Religion eine grosse Rolle spielte. Die Schweizer Armee war christlich geprägt, was zu einer gewissen Ausgrenzung der Juden geführt hatte; dies wiederum war im Umfeld der Flüchtlingsfrage nicht unproblematisch. Dass im Zusammenhang mit Religion und Mythen auch die gesellschaftlichen Verhältnisse als gottgewollte Ordnung subsumiert werden, erscheint eher problematisch. Der Rück zug ins Reduit brachte eine neue Situation für die Schweizerinnen und Schweizer und wurde auch völlig verschieden aufgenommen. Durch die nur noch schwache Verteidigung des Mittellandes stellte sich die Frage der nationalen Gemeinschaft in akuter Form.

Im abschliessenden Kapitel wird auf die Erinnerungen und die Geschichtsbilder nach 1945 eingegangen. Unverkennbar ist, dass die Frage der nachrichtenlosen Vermögen das gesamte Bild der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges stark verändert hat. Aber nicht allein die Schweiz ist gefordert, ihre Vergangenheit kritisch aufzuarbeiten, was unweigerlich zu einer anderen Gewichtung von gewissen Ereignissen führt. Insgesamt eine interessante Studie, die sich jedoch sehr stark darauf fixiert, das bestehende Geschichtsbild korrigieren zu müssen. Die Darstellung des militärischen Alltages ist zu sehr auf die Stufe der Soldaten sowie tendenziell auf negative Erlebnisse konzentriert.

Zitierweise:
Walter Troxler: Rezension zu: Christof Dejung: Aktivdienst und Geschlechterordnung. Eine Kultur- und Alltagsgeschichte des Militärdienstes in der Schweiz 1939–1945. Zürich, Chronos, 2006. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 57 Nr. 2, 2007, S. 213-214.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 57 Nr. 2, 2007, S. 213-214.

Weitere Informationen
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit