A. von Schweinitz: Tagebücher einer Reise von Dessau in die Schweiz

Titel
Fürst und Föderalist. Tagebücher einer Reise von Dessau in die Schweiz 1783 und der Bund der Eidgenossen als Modell im Alten Reich.


Herausgeber
von Schweinitz, Anna Franziska
Erschienen
Zürich 2004: Neue Zürcher Zeitung - Buchverlag
Anzahl Seiten
488 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christine Lustenberger

Im Jahr 1783 reiste die Fürstenfamilie von Anhalt-Dessau in die Schweiz und weilte mehrere Monate in Zürich. Diese Schweizreise mit politischer Dimension macht die vorliegende wissenschaftliche Edition anhand von vier verschiedenen Quellen erschliessbar: Im Mittelpunkt steht die Reisebeschreibung von Franz von Waldersee – Sohn von Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau. Der damals 19-jährige Waldersee verfasste den Reisebericht in Form eines Tagebuchs in französischer Sprache. Seine Schilderungen sind ergänzt durch zwei weitere Tagebücher, sowie ein Itinerar, das von Fürst Franz angelegt wurde.

Im Vorwort gibt Conrad Ulrich einen anekdotenreichen Vorgeschmack auf die Sicht des fremden Gastes auf die Stadt Zürich und deren Persönlichkeiten, über die sich Waldersee passagenweise sehr freimütig äussert. Bereits wird die Wichtigkeit der gesellschaftlichen Kontakte deutlich, denen Waldersee einen zentralen Platz in den täglichen Berichten einräumt. Die fremde Perspektive auf die Zürcher Gesellschaft erweitert Schweinitz in der wissenschaftlichen Einführung zur Edition und stellt einen grösseren politischen Zusammenhang her, indem sie das Tagebuch Waldersees als Quelle für die Reformprojekte von Fürst Franz bespricht, der einen Fürstenbund anstrebte, nach dem Modell des stark ausgeprägten Föderalismus in der Eidgenossenschaft. Die Reise durch Deutschland in die Schweiz sollte vorderhand das persönliche Gespräch des Fürsten mit Machthabern des mittel- und süddeutschen Raums ermöglichen, die Fürst Franz für seine Idee des Fürstenbundes als dritte Kraft neben Preussen und Österreich zu gewinnen hoffte. Die Weiterreise zu Freunden und Bekannten nach Zürich sollte vom eigentlichen Reisezweck ablenken. Waldersees Tagebuch belegt die Schweiz als «Quelle der Inspiration» (S. 26) für das Projekt des Deutschen Fürstenbundes. So gehörte zum Reiseprogramm ein Ausflug mit Lavater als Reiseführer an den Vierwaldstättersee, wo die Gäste die für die eidgenössische Identität bedeutungsvollen Stätten im Hinblick auf das Interesse an der Föderalismusidee besichtigten.

Die Edition publiziert erstmals komplett Franz Waldersees Tagebuch in deutscher Übersetzung und mit der französischen Originalfassung im Anhang. Begleitet wird es vom Tagebuch der Fürstin Louise, das sich in gekürzter Fassung erhalten hat und bisher nur auszugsweise veröffentlicht wurde, sowie von den bisher unpublizierten Tagebucheintragungen der jungen Zürcherin Bäbe Schulthess, die sich mit der Fürstenfamilie anfreundete. Schweinitz entschied sich, die Quellen zeitlich parallel anzuordnen, was eine interessante Art der Lektüre zulässt. Das zeitliche Nebeneinander macht die unterschiedliche Perzeption der Verfasser und Verfasse - rinnen von gemeinsam Erlebtem sichtbar und bietet neben der Fremdperspektive auf die Eidgenossen die Wahrnehmung einer Einheimischen von den Dessauer Besuchern. Die vierte Quelle – das Itinerar von Fürst Franz – belegt, dass sich der Reiseweg des Fürsten öfters von demjenigen der Familie trennte und die Reiseziele entsprechend dem politischen Vorhaben gewählt wurden. Die Informationen darüber, wen er wann und wo getroffen hat, ermöglichen Rückschlüsse auf den Gang der politischen Verhandlungen. Der Edition ist eine Karte beigegeben, die die Reiserouten von Fürst Franz und Franz von Waldersee veranschaulicht. Ausserdem ist die Publikation mit umfangreichem Bildmaterial ausgestattet, das ansprechend ausgewählt und arrangiert, die thematisierten Personen und die aufgesuchten Örtlichkeiten abbildet. Den Abschluss machen ein ausführliches und sorgfältig re - cherchiertes Orts- und Personenverzeichnis – Letzteres stellt eine wertvolle Navigationshilfe im dicht gewebten Beziehungsnetz der Fürstenfamilie dar. Eine Besonderheit des Tagebuchs Franz von Waldersees liegt darin, dass es von einem Mitglied der politisch-sozialen Elite verfasst wurde, denn meist waren die begleitenden (bürgerlichen) Hofmeister für die Schreibarbeit auf Reisen zu - ständig. Das Tagebuch ist durch die Editorin zwar in den Kontext der politischen Absichten von Fürst Franz gerückt, vermittelt aber in viel direkterer Weise einen privaten Einblick in den Tagesablauf der Reisegruppe, wobei insbesondere der Kreis um Lavater und also das Leben dieses Zürcher Gesellschaftskreises um 1780 beleuchtet wird – politische Inhalte sind höchstens zwischen den Zeilen vorhanden

Zitierweise:
Christine Lustenberger: Rezension zu: Fürst und Föderalist. Tagebücher einer Reise von Dessau in die Schweiz 1783 und der Bund der Eidgenossen als Modell im Alten Reich. Hg. und kommentiert von Anna Franziska von Schweinitz unter Mitarbeit von Conrad Ulrich. Zürich, Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2004. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr.2, 2005, S. 229-230.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr.2, 2005, S. 229-230.

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