A. Rohr: Philipp Albert Stapfer

Titel
Philipp Albert Stapfer. Minister der Helvetischen Republik und Gesandter der Schweiz in Paris 1798–1803


Autor(en)
Rohr, Adolf
Reihe
Beiträge zur Aargauer Geschichte, Bd. 13
Erschienen
Baden 2005: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
463 S.
Preis
€ 44,80
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Yvonne Leimgruber, Historisches Institut der Universität Bern

Adolf Rohr zeichnet im zweiten Teil seiner Stapfer-Biografie das Bild eines pflichtbewussten, von der Sorge um die Schweiz getragenen Staatsmannes, der sich bis zuletzt für das schier Unmögliche einsetzte: eine autonome Neuordnung und Identitätsfindung der Helvetischen Republik, orientiert an den aufklärerischen Idealen einer gebildeten sozialen Elite.

Im ersten Band der Biografi e untersuchte Rohr Stapfers Werdegang als Geistlicher und Professor am Berner Politischen Institut sowie seine Entwicklung zu einem überzeugten Anhänger der kantischen Philosophie. Der zweite Teil setzt mit dem Umbruch von 1798 ein, als Stapfer seine Lehrtätigkeit aufgab und in den Dienst der Helvetischen Republik trat. Als Schlusspunkt steht das Ende seiner Gesandtschaft 1803 und sein Rückzug aus der Politik im Alter von 38 Jahren.

Der Autor wählt bei der Beschreibung dieser fünfjährigen Tätigkeit eine chronologische Gliederung, die er gemäss Stapfers Funktionen in zwei Hauptabschnitte unterteilt. Im Anhang sind zentrale (bildungs-)politische Texte Stapfers aufgeführt. Eine biografische Zeittafel sowie ein Personen- und Ortsregister ergänzen diese Zusatzinformationen. Fundament von Rohrs Ausführungen sind die umfassenden – und zu weiten Teilen auf Französisch verfassten – Selbstzeugnisse Stapfers zu seiner politischen Tätigkeit. Wegen der spärlichen Quellen geht er nur am Rande auf Stapfers Privatsphäre ein.

Mit knapp 32 Jahren wurde Stapfer im Juni 1798 zum «Minister der Wissenschaften und Künste, der öffentlichen Gebäude, Brücken und Strassen» ernannt. In Organisationsplänen für sein Ministerium hielt er die Grundlinien seiner Kultur und Bildungspolitik programmatisch fest. Als umfassendes Erziehungswerk verstanden, strebte er unter Einbezug verschiedener Institutionen eine Nationalkultur und die Förderung eines schweizerischen Nationalbewusstseins (esprit public) an. Sie waren als Grundlage einer nationalen Unabhängigkeit gedacht.

Im Zentrum dieser Anstrengungen stand der Aufbau einer öffentlichen staatlichen Volksschule. Hierfür war er auf die Mitarbeit der Geistlichkeit, als traditioneller Trägerin des Bildungswesens, angewiesen und geriet deswegen in ein Dilemma: Die helvetische Verfassung schrieb einen religionslosen Staat fest, schloss die Geistlichen von den politischen Rechten aus und entzog ihnen mit der Aufhebung des Zehnten ihre Existenzgrundlage. Stapfer suchte ihr Misstrauen gegenüber dem neuen Staat zu überwinden und warb teilweise erfolgreich für ihre Mitarbeit. Von seinen zukunftsweisenden Schulplänen konnte Stapfer lediglich die Einsetzung kantonaler Erziehungsräte realisieren, eine langfristig wirksame Massnahme zur Hebung des Bildungsniveaus.

Unter Einbezug der Presse und von kulturellen Institutionen sowie künstlerischen Beiträgen wollte Stapfer eine Nationalkultur aufbauen. Eine von Pestalozzi redigierte Regierungszeitung musste aber mangels Nachfrage bald eingestellt werden. Andere Projekte wie eine Archivstelle, eine Nationalbibliothek und eine Kunstakademie kamen nicht über die Planungsphase hinaus. Hingegen entwickelten sich aus alten Traditionen heraus Nationalfeste, die für die Festkultur des 19. Jahrhunderts wegweisend wurden.

Stapfers Vermittlungsbemühungen zwischen säkularer Staatlichkeit und Geistlichkeit waren aufgrund der Umstände nur bedingt erfolgreich. Seine intellektuelle Auseinandersetzung mit moralphilosophischen Fragen wurde als Gefahr für die Religion begriffen. So bezichtigten ihn Berner kirchliche Kreise um seinen früheren Freund und Lehrer, Dekan Johann Samuel Ith, der Zerstörung des Christentums. Tief verletzt, innerlich zerrieben und gesundheitlich stark angeschlagen reiste er im Sommer 1800 mit seiner Familie für einen Erholungsurlaub nach Paris.

Mit dem zweiten Staatsstreich vom August 1800 gewannen seine gemässigtrepublikanischen Gesinnungsfreunde die Oberhand und übertrugen ihm diplomatische Aufgaben. Seine Kommunikationsbegabung, Gesprächsbereitschaft und gesellschaftliche Gewandtheit waren für diese schwierige Interessenvertretung von Vorteil. Zudem erschloss sich ihm über die Familie seiner Frau Marie-Madeleine-Pierrette Vincens, die aus einer vermögenden Pariser Hugenottenfamilie von Bankiers und Kaufleuten stammte, der Zugang zu politisch einflussreichen Kreisen um Napoleon.

Stapfers Vorgänger in Paris strebten eine Lockerung der 1798 aufgezwungenen Offensiv- und Defensivallianz, eine Zusicherung der schweizerischen Neutralität sowie die Aufsetzung eines von Frankreich lange hinausgezögerten Handelsvertrages an. Einen schwachen, von einer rücksichtslosen Vormacht kontrollierten Vasallenstaat zu vertreten, fiel auch Stapfer nicht leicht. Seine offiziellen Lageberichte wie auch seine private Korrespondenz lassen erkennen, dass er eine heikle Gratwanderung zwischen Autonomie und Unterwerfung beschritt. In zähen Verhandlungen setzte sich Stapfer für ein Verbleiben des Wallis in der Schweiz ein, ebenso für den Fortbestand der neu gegründeten Kantone Aargau und Thurgau und für eine zentralistische Organisation der Helvetischen Republik.

Der 1801 von der französischen Führung in Malmaison aufgesetzte helvetische Verfassungsentwurf war gleichsam ein Vorspiel für die zwei Jahre später von Napoleon aufoktroyierte Mediationsverfassung. Eindringlich warnte Stapfer seine politischen Freunde vor inneren Streitigkeiten; doch politische Auseinandersetzungen zwischen Unitariern und Föderalisten verunmöglichten ein geschlossenes Auftreten gegenüber der französischen Macht. Mit dem französischen Truppenabzug im Sommer 1802 wurde die innenpolitische Lage der Schweiz immer desolater. Stapfer musste schliesslich die demütigende Aufgabe übernehmen, die französische Regierung um Vermittlung zu bitten. Eine Consulta setzte die Richtlinien der Mediationsverfassung fest, die zur Enttäuschung Stapfers einen föderativen Staatsaufbau vorsah.

Nach seiner Rückkehr in die Schweiz übernahm er das Präsidium der Liquidationsgeschäfte zur Regelung der helvetischen Staatsschuld, gab diese Aufgabe aber schon im Juni 1803 wieder ab. Da ihm in seinem Heimatkanton Aargau keine politischen Perspektiven offen standen, entschied er sich zur Rückkehr nach Frankreich. Als Privatgelehrter verkehrte er mit der französischen Bildungselite, widmete sich der Erziehung seiner beiden Söhne und setzte sich für evangelische Hilfswerke ein.

Adolf Rohr dokumentiert diesen Ausschnitt aus Stapfers Biografi e anhand einer breiten Quellenbasis und führt die Leserin gleich von Beginn weg direkt in die zeitgenössischen Auseinandersetzungen hinein. Insbesondere die von Stapfer rapportierte dialogische Wiedergabe seiner Unterredungen mit Talleyrand und Napoleon lassen erahnen, wie geschickt Stapfer agierte. Gerade diese Beispiele aber verweisen auf das Problem einer nur ansatzweise getätigten Quellenkritik: Wegen der starken Gewichtung der Selbstzeugnisse ist der Blick auf die Politik weitgehend parteiisch. So hätte ein Einbezug der Positionen politischer Gegner wie etwa Ochs oder Laharpe die Standpunkte Stapfers wohl etwas relativiert. Die selbstkritische Rückschau Stapfers ist damit gleichsam ein Korrektiv zu einer vielleicht übermässig positiven Darstellung seiner Person und seiner Positionen.

Die minutiöse Darstellung der politischen Ereignisse ist eine wahre Fundgrube für Forschende, die einen quellennahen Einblick in Detailfragen der Zeit suchen. Die Publikation ist weniger eine Biografi e als eine politische Ereignisgeschichte. Rohr schildert darin mit grosser Sachkenntnis die auf Stapfer fokussierte Entwicklung der Helvetik und lässt in Nebensätzen Analysen und Interpretationen einfliessen, ohne sie weiter auszuführen. Für eine bessere Einordnung der Selbstzeugnisse wäre beispielsweise eine Erörterung von Stapfers Demokratieverständnis oder eine vertiefte Auseinandersetzung mit unitarischen und föderativen Positionen hilfreich gewesen.

Zitierweise:
Yvonne Leimgruber: Rezension zu: Rohr, Adolf: Philipp Albert Stapfer. Minister der Helvetischen Republik und Gesandter der Schweiz in Paris 1798–1803, Baden, hier+jetzt, 2005 (Beiträge zur Aargauer Geschichte, Bd. 13), 463 S., ill. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 68, Nr. 3, Bern 2006, S. 174ff.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 68, Nr. 3, Bern 2006, S. 174ff.

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