G. Ehrstine: Theater, culture, and community in reformation Bern

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Titel
Theater, culture, and community in reformation Bern, 1523–1555.


Autor(en)
Ehrstine, Glenn
Reihe
Studies in medieval and reformation thought, vol. 85
Erschienen
Leiden 2002: Brill Academic Publishers
Anzahl Seiten
346 S.
Preis
€ 111,65
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Andreas Würgler, Historisches Institut, Universität Bern

Publikum vermittelt. Dies zeigt am Berner Beispiel der amerikanische Literaturwissenschaftler Glenn Ehrstine mit seiner Untersuchung der verschiedenen Medien – gedruckte Bilder und Schriften, Psalmen, Lieder und Theaterspiele – und deren sich wandelnder Nutzung. Er verarbeitet die reiche, aber verstreute kunsthistorische, historische, literatur-, theater- und musikwissenschaftliche Literatur zu einer beeindruckenden interdisziplinären Synthese. Die englische Sprache und der renommierte niederländische Verlag werden ihr weltweite Aufmerksamkeit sichern.

Im Zentrum steht einerseits die Textanalyse der kürzlich neu edierten Theaterstücke Niklaus Manuels und Hans von Rütes. Andererseits rekonstruiert Ehrstine die Aufführungspraxis, die er mit 42 vorbildlich kommentierten und interpretierten schwarzweissen Abbildungen und den Theaterliedern im Anhang dokumentiert. Vier Register erschliessen das spannend und verständlich geschriebene Werk.

War die Theaterbühne in den 1520er-Jahren für Manuels Fastnachtsspiele noch der Ort der subversiven Reformationspropaganda gegen die anfänglich altgläubige Haltung der Ratsmehrheit, so geriet die Bühne nach der Einführung der Reformation 1528 unter obrigkeitliche Kontrolle. Dabei liess der Rat zwar die Stücke von Theologen vorab zensieren, gewährte aber auch finanzielle Unterstützung für die Aufführungen oder stellte aus der Burgunderbeute und aus den säkularisierten Klöstern Requisiten zur Verfügung. Im nachreformatorischen Theater brachte von Rüte biblische Stoffe zur Aufführung. Inhaltlich propagierte er, selbst Mitglied des Grossen Rates und Gerichtsschreiber, die gemässigt zwinglianische Linie des Rates. Einheit im Glauben geriet zur patriotischen Tugend.

Aus theatergeschichtlicher Perspektive wurden Traditionen des Fastnachtsspiels, der katholischen Liturgie und des humanistischen Theaters neu kombiniert. Ehrstine betont insbesondere die visuellen und musikalischen Elemente. Das mag erstaunen angesichts der Bilder- und Musikfeindlichkeit der zwinglianischen Theologie und der Berner reformatorischen Praxis – erinnert sei an den Bildersturm im Münster 1528. Mit überzeugenden Argumenten zeigt der Autor jedoch, dass sich Komposition und Inszenierung der Theaterstücke stark an visuelle Vorbilder hielten. So kann Niklaus Manuels Fastnachtsspiel «Von Papst und Christi Gegensatz» (1523) als Theatralisierung der Illustration eines reformatorischen Propagandaflugblattes von Lukas Cranach dem Älteren verstanden werden und von Rütes Osterspiel (1552) als szenische Umsetzung zeitgenössischer Illustrationen der Offenbarung des Johannes. In alter Theatertradition organisierten Manuel und vor allem von Rüte den Bühnenraum so antithetisch wie ihre Stücke: die Guten standen den Schlechten gegenüber – je nach politisch aktuellem Kontext waren es Christen gegen Heiden, Reformierte gegen Katholiken, Zwinglianer gegen Lutheraner, Calvinisten oder Täufer. Neu war die konsequente räumliche Trennung himmlischer und irdischer Figuren. In allen Stücken traten Protagonisten auf, die das Geschehen im Sinne des Autors kommentierten und dem Publikum dadurch erklärten, wie es das Dargebotene zu verstehen habe.

Nach der Reformation durfte im Münster bis 1558 überhaupt nicht, von 1558
bis 1574 nur von den Knaben gesungen und musiziert werden. Die Stücke von Rütes hingegen integrierten spätestens seit 1538 nicht nur Lieder und Psalmen lokaler Komponisten wie Cosmas Alder und Johannes Wannenmacher, sondern boten Schauspielern, Chor und Publikum auch die einzige Gelegenheit zum öffentlichen Gemeindegesang. Dies unterstrich den partizipativen Charakter des Theaters. An den Aufführungen waren zahlreiche Bürger und Zünfte als Laienschauspieler, Bühnenbauer, Kostümschneider usw. beteiligt, was die oft zwei Tage dauernden Aufführungen zu identitätsstiftenden Gemeinschaftserlebnissen werden liess.

Waren der Einsatz von Musik (sogar derselben Melodien), die Inszenierungstechniken und das partizipative Theater überkonfessionell gemeinsam, so nahmen die direkt auf die örtlichen Konstellationen bezogenen Inhalte der Lied- und Sprechtexte die reformierte Position ein. Zudem sollte das biblische Theater gemäss reformatorischer Überzeugung durch die sinnliche Präsentation vorbildlicher biblischer Geschichten nicht etwa zur Verehrung von Bildern (Götzen) und Personen (Heiligen) führen, sondern vielmehr zur Reflexion über Gut und Böse sowie zur Nachahmung des richtigen Glaubens anregen. Wie nah Gott durch die audiovisuell vermittelte Heilsbotschaft den Zeitgenossen schien, hielt der in Bern wirkende Drucker Mathias Apiarius 1555 im Vorwort zu von Rütes «Goliath» fest: «Dann warlich redt yetz Gott mitt vns / vff mancherley wyß / vnd helt vns syn heiligs wort für nit allein mit predigen / sonder auch mit trucken / mit schrifften / mit Psalmen vnd geistlichen liedern / vnd durch zierliche spil / mit welchen die fürnemern geschichten auß H. Schrifft gezogen [und] den lütten vor die ougen gestellet werden, dz wir wol sagen mügen die wyßheit Gottes rüff vnd schryge vff der gassen.»

Zitierweise:
Andreas Würgler: Rezension zu: Ehrstine, Glenn: Theater, culture, and community in reformation Bern, 1523–1555, Leiden, Brill, 2002 (Studies in medieval and reformation thought, vol. 85), 346 S., ill. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 64, Nr. 4, Bern 2002, S. 202f.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 64, Nr. 4, Bern 2002, S. 202f.

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