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Geschichte allgemein

A. Gerber: Katholische Filmarbeit in der Schweiz 1908–1972

 

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Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 61 Nr. 3, 2011, S. 376-377
Autor(en):
Titel:Eine gediegene Aufklärung und Führung in dieser Materie. Katholische Filmarbeit in der Schweiz 1908–1972
Reihe:Religion – Politik – Gesellschaft in der Schweiz 53
Ort:Freiburg
Verlag:Academic Press
Jahr:
ISBN:978-3-7278-1668-0
Umfang/Preis:285 S.

Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Stephan Durrer, Zürich
E-Mail: <stephan.durrergmx.ch>

Rund 10 000 Kinofilme wurden zwischen 1941 und 1972 von der schweizerischen katholischen Filmzeitschrift Der Filmberater rezensiert und nach einem pädagogisch-moralischen Bewertungssystem klassifiziert, das die Leserschaft darüber orientierte, welche Filme empfehlenswert seien, gegenüber welchen man Bedenken anzubringen habe und welche Filme grundsätzlich abzulehnen seien. Mit seinen Filmbesprechungen erreichte der Filmberater während der drei Jahrzehnte seines Erscheinens ein zahlreiches Publikum und stellte eines der wichtigsten Foren der Filmkritik in der Schweiz dar. Der Geschichte des Filmberaters sowie der katholischen «Filmarbeit» insgesamt, dessen Herzstück und publizistisches Aushängeschild der Filmberater war, widmet sich Adrian Gerber in seiner aus einer Lizentiatsarbeit der Universität Zürich hervorgegangenen Untersuchung.

Die Studie stellt in erster Linie eine akribische Analyse der Organisation der katholischen «Filmarbeit» dar: Die Institutionen, mit denen in der Schweiz versucht wurde, den durch Papst Pius XI. in der Enzyklika Vigilanti Cura (1936) erhobenen Forderungen nach einem katholischen Engagement in Filmfragen nachzukommen, werden eingehend dargestellt und ihre vielfältigen Tätigkeiten sorgfältig dokumentiert. Die – zum Teil auch konfliktive – Interaktion der entsprechenden Stellen und ihre Aktivitäten zur «Verbesserung» des Filmangebots, die nicht nur publizistischer Natur waren, sondern etwa auch politische Lobbyarbeit, die Förderung von katholischen «Filmkreisen» oder gar Versuche einer eigenen «Nachwuchsförderung» beinhalteten, erläutert Gerber in einer Analyse der «klassischen katholischen Filmarbeit» (S. 93) auf ihrem Höhepunkt in den 1960er Jahren. Einen zweiten Schwerpunkt legt der Verfasser auf die Rekonstruktion der Geschichte der katholischen Filmpublizistik, deren Anfänge er in den Jahren um 1910 bzw. der überkonfessionellen Kinoreformbewegung ausmacht. Da der Autor die – wie er selber einräumt: beträchtliche –Filmpublizistik katholischer Zeitungen aus der Untersuchung ausschliesst, trägt seine Studie in diesem Teil über weite Strecken die Züge einer Analyse des Filmberaters, des erklärten Flaggschiffs der katholischen Filmpublizistik.

Ab 1966 begannen die Abonnentenzahlen des Filmberaters zu sinken – ein Symptom für die umfassende Krise, in welche die katholische «Filmarbeit» gegen Ende der 1960er Jahre geriet. Diese korrespondiert mit dem allgemeinen Niedergang, den das Kino auch in der Schweiz erfuhr, ist aber gemäss Autor vor allem auch im Zusammenhang mit der Auflösung des traditionellen katholischen Milieus sowie den grundlegenden gesellschaftlichen Änderungen im Zuge von «1968» zu sehen. Denn diese liessen paternalistische Versuche der Kontrolle und des Verbots – und als solche sind die Taxierungen des Filmberaters zu verstehen – zunehmend als unhaltbar erscheinen. Einen Ausweg aus der Krise bot schliesslich eine fundamentale Neukonzeption der katholischen «Filmarbeit», die nicht zuletzt das Ende des traditionellen Filmberaters bedeutete. Die Zeitschrift wurde mit ihrem Pendant, dem protestantischen Zoom (ehemals Film und Radio), zusammengelegt und erschien ab 1973 als Zoom-Filmberater in revidierter Form mit neuer Ausrichtung.

Mit seiner Studie, die ihre Ergebnisse konsequent auf die Katholizismusforschung Urs Altermatts bezieht, löst der Verfasser sein deklariertes Ziel, ein «tragfähiges Fundament» (S. 17) für weitere, stärker kulturgeschichtlich ausgerichtete Untersuchungen zu liefern, in jeder Hinsicht ein. Der organisationsgeschichtliche Zugriff garantiert für eine hohe Strukturiertheit und erschöpfende systematische Dokumentation – umgekehrt bringt er aber mit sich, dass den Personen, den potentiellen Helden dieser Geschichte der grosse Auftritt verwehrt bleibt. Die Redaktoren des Filmberaters (Charles Reinert, Stefan Bamberger, Franz Ulrich, Ambros Eichenberger), die über beträchtliche Handlungsspielräume verfügten und der katholischen «Filmarbeit» ihren Stempel aufdrückten, bleiben hier gewissermassen Nebenfiguren, deren Motive, nicht zuletzt ihre Faszination und grosse Begeisterung für den Film, unterbelichtet bleiben.

Zitierweise Stephan Durrer: Rezension zu: Adrian Gerber: «Eine gediegene Aufklärung und Führung in dieser Materie». Katholische Filmarbeit in der Schweiz 1908–1972. Freiburg, Academic Press Fribourg, 2010. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 61 Nr. 3, 2011, S. 376-377 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/infoclio/id=20731>
 
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