Fußball bewegt. Kontakt und Kultur im globalen Spiel

Fußball bewegt. Kontakt und Kultur im globalen Spiel

Organisatoren
Lars Amenda / Malte Steinbrink, Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS), Universität Osnabrück
Ort
Osnabrück
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.05.2010 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Duncan Cooper, Universität Osnabrück

Die Hauptziele der aus fünf Vorträgen sowie einer anschließenden Diskussion bestehenden Tagung lagen nach den einführenden Worten von MALTE STEINBRINK (Osnabrück) einerseits darin, das Verhältnis zwischen „wir“ und „die“ im Volkssport Fußball zu diskutieren sowie das Spannungsverhältnis zwischen Vergemeinschaftung und Ausgrenzung zu eruieren. Die Tagung sollte anderseits der Frage nachgehen, wie sich das Integrationspotential, das dem Fußball zugesprochen werde, in der Praxis am Besten realisieren ließe.

Als erstes ging Malte Steinbrink der Rolle des Fußballs bei der Entscheidung junger Südafrikaner zur Abwanderung in die Stadt auf den Grund. In seiner Präsentation schilderte er, wie nach dem Ende der Apartheid das staatlich kontrollierte „Migrant Labour System“ durch translokale Netzwerke ersetzt worden sei. Diese Netzwerke seien durch den ständigen Austausch zwischen dem Heimatort und dem Wohnort der Migranten entstanden. Sie hätten aufgrund der regelmäßigen Überweisungen eines Großteils der Arbeitsmigranten an ihre im Heimatdorf verbliebenen Familienangehörigen zentrale Funktionen der Existenzsicherung vieler Familien übernommen. Diese Migrationsbewegungen hätten jedoch nicht dazu geführt, dass die im internationalen Vergleich überdurchschnittlich großen Unterschiede zwischen Reich und Arm im Land zurückgegangen seien. Da die Einwohner der ehemaligen „weißen“ Stadtviertel immer noch viel höhere Einkommen hätten als diejenigen, die in den mehrheitlich von Schwarzen bewohnten Stadtviertel lebten, ließen sich die großen Unterschiede als ein Erbe der Apartheid sowie des damit verbundenen „Migrant Labour Systems“ verstehen. Im zweiten Teil seines Vortrages beschrieb der Referent die Bedeutung des Fußballs für die Etablierung sowie Aufrechterhaltung von Translokalisierungsprozessen. Steinbrink zeigte, wie in den Jahren nach der Abwanderung der ersten jungen Männer aus dem Dorf Nomhala in der Provinz East Cape in das arme Stadtviertel von Kapstadt „Site 5“, ein translokales Netzwerk entstanden sei, das mit Fußball eng verflochten war. Dies geschah auf zwei Weisen: Zum einen hätten Migranten bei Besuchen in ihrem Heimatdorf andere, ihnen vom gemeinsamen Fußballspiel bekannte Jugendliche zur Abwanderung nach Kapstadt bewegen können. Zum anderen hätten sich die Neuankömmlinge schnell an die von den ersten Migranten gegründete Fußballmannschaft in Kapstadt, deren Mitglieder ihnen bei der Suche nach einem Arbeitsplatz halfen, angeschlossen. Dadurch sei eine translokale Identität entstanden, die im Wesentlichen auf der integrativen Wirkung des Fußballs basiere. Steinbrink verdeutlichte anhand von Interviews mit beteiligten Migranten die Rolle des Fußballs für die Konstruktion und Aufrechterhaltung einer kollektiven Identität, die die geographische Distanz zwischen den beiden Orten überbrücke.

Als nächstes ging der Philosoph LARS LEETEN (Hildesheim) auf die Bedeutung des Fußballs für die Integration von Migranten ein. Er fragte zunächst danach, wie der Begriff „Identität“ zu verstehen sei. Die Identität einer Person hänge stark mit der sozialen Rolle, die dem Individuum innerhalb einer Gemeinschaft zugeschrieben werde, zusammen. Solche sozialen Rollen würden erst dann explizit erwähnt werden, wenn die Individualität einer Person festgestellt werden solle. Die Ich-Identität bestimme sich daher aus der Zugehörigkeit zu Gruppen, die sich selbst als Wir-Gemeinschaft verstehen. Da die Zugehörigkeit zu einer solchen immer Integration voraussetze, könnten nur diejenigen Personen dazu gehören, die durch die Aneignung bestehender Normen als gleichberechtigte Mitglieder einer Wir-Gemeinschaft anerkannt würden. Fußball könne identitätsstiftend sein, weil er ein voraussetzungsarmes Medium der Gemeinschaftsbildung darstelle. Weil keine besonderen Kenntnisse benötigt würden, um mitspielen zu können, ließen sich Interessierte schnell in eine Mannschaft und folglich in Gemeinschaft integrieren. Infolge dessen könnten Mitglieder einer Fußballmannschaft schnell eine gemeinsame Mannschaftsidentität sowie eine eigene, auf ihre Rolle innerhalb der Mannschaft bezogene Identität gewinnen. Während die Spielidentität innerhalb einer Mannschaft zentral sei, komme anderen Faktoren, etwa Religionszugehörigkeit, Familie, Politik usw. eine eher untergeordnete Rolle zu.

Im folgenden Vortrag schilderte HENRY WAHLIG (Hannover) die Geschichte der Juden im deutschen Fußball. Zunächst beschrieb er die Geschichte der Juden in deutschen Turnvereinen vor dem Ersten Weltkrieg. Turnen bot Juden, die seit 1871 rechtlich gleichgestellt waren, einen guten Rahmen für Integration und gesellschaftliche Anerkennung. Viele Juden fühlten sich dazu aufgerufen, das Vorurteil, „Schwächlinge“ zu sein, zu widerlegen. Der hohe Anteil von Juden in Turnvereinen ging allerdings in den Jahren vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs aufgrund der zunehmend völkisch-radikalen Orientierung der Turnvereine zurück. Da der zu dieser Zeit schnell an Popularität gewinnende Fußball noch nicht ideologisch geprägt war, traten zahlreiche Juden Fußballvereinen bei. Einige waren selbst an Vereinsgründungen beteiligt, etwa Walther Bensemann, der die Vorgängervereine von Bayern München und Eintracht Frankfurt und die Sportzeitschrift „Kicker“ gründete. Zwei Juden, Gottfried Fuchs und Julius Hirsch, gelang in der Zeit unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg sogar der Sprung in die deutsche Nationalelf. Fuchs hält bis heute den Rekord von zehn Treffern in einem deutschen Nationalmannschaftsspiel. Während der Weimarer Republik schienen auf den ersten Blick die meisten jüdischen Mitglieder deutscher Sportvereine gut integriert zu sein, jedoch verschlechterte sich ihre Stellung zunehmend im Laufe der Zeit. In den ersten Monaten der NS-Herrschaft wurden Juden aus den meisten Vereinen ausgeschlossen, ohne dass es eines zentralen Befehls bedurft hätte. Aufgrund ihres Ausschlusses aus den Sportvereinen gingen etliche Juden dazu über, ihre eigenen Vereine zu gründen, die schnell den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens der jüdischen Gemeinde bildeten. Jüdische Vereine besaßen ihre eigenen Plätze und spielten in gesonderten Ligen, wobei sie sich zunehmend Überwachung und Drangsalierungen seitens der Gestapo ausgesetzt sahen. Ab 1938 wurden jüdische Sportler direkte Opfer der NS-Verfolgung und erlitten anschließend das gleiche Schicksal aller Juden in Deutschland. Ab 1938 tilgten viele Vereine die Erinnerungen an ihre ehemaligen jüdischen Mitglieder, und jüdische Spieler und Vereine wurden aus der Geschichte deutschen Fußballs einfach ausradiert. Nach 1945 blieb die Geschichte von Juden im deutschen Fußball lange Zeit weiterhin unbekannt. Erst unter Theo Zwanziger begann sich der DFB seiner historischen Verantwortung zu stellen, indem etwa seit 2005 der Julius-Hirsch-Preis im Andenken an den im Holocaust ermordeten jüdischen Nationalspieler jährlich verliehen wird.

GERD DEMBOWSKI (Berlin) und DIETHELM BLECKING (Freiburg) befassten sich in ihrem gemeinsamen Vortrag mit der „Vielfalt der Identitäten im deutschen Fußball“. Blecking betonte in seinem Teil die wichtige Rolle, die Personen ausländischer Herkunft in der Geschichte des deutschen Fußballs gespielt hätten. Er schilderte zunächst wie britische Kaufleute den Fußballsport nach Deutschland exportierten. Fußball habe als ein wichtiges Mittel zur Überbrückung kultureller Unterschiede und Völkerverständigung in der durch Nationalismus geprägten Zeit vor dem Ersten Weltkrieg fungiert. Die Isolierung Deutschlands während der Weimarer Republik habe sich teilweise durch Fußball durchbrechen lassen.1 Bereits kurz nach der NS-Machtübernahme bekannte sich die Mehrheit der führenden deutschen Vereine zum Nationalsozialismus. Die zwölf Jahre dauernde NS-Herrschaft habe anschließend wie eine Wasserscheide für das Geschichtsbewusstsein der Deutschen hinsichtlich der Anwesenheit von Spielern mit Migrationshintergrund gewirkt. Die Geschichte des deutschen Fußballs sei während der Bundesrepublik von zwei Tendenzen geprägt gewesen: Auf der einen Seite habe sich der deutsche Fußball aufgrund der jahrelangen Verdrängung der Existenz von Spielern mit ausländischen Wurzeln als weitgehend ethnisch homogen verstanden. Auf der anderen Seite sei er jedoch zunehmend in einen größeren, europäischen Rahmen integriert worden, indem etwa deutsche Mannschaften an europäischen Wettbewerben teilnahmen. Hinzu kommt, dass die Leitung des DFB nach dem Krieg weiterhin konservativ eingestellt gewesen sei. In dem zweiten Teil des Vortrags wies Gerd Dembowski zunächst darauf hin, dass in den letzten Jahren ca. 35 Spieler, deren Namen einen Migrationshintergrund vermuten lasse, für die deutsche Nationalmannschaft spielten. Er betonte, dass ein großer Anteil der Migranten in einem der seit den 1960er-Jahren gegründeten ethnischen Vereine gespielt habe. Dies treffe insbesondere seit Ende der 1970er-Jahre auf Personen mit türkischem Hintergrund zu. Migranten gründeten eigene Vereine, da sie unter anderem häufig in „autochthonen“ Vereinen negative Erfahrungen gemacht hätten. Ethnische Vereine boten ihren Mitgliedern einen symbolischen Ort der Sicherheit, an dem sie ähnliche Erfahrungen des Alltagslebens austauschen konnten. Ethnisch einheitliche Vereine könnten aber auch zu Vorurteilsbildungen, gegenseitigen Identitätszuschreibungen und schnellen Pauschalisierungen führen. Des Weiteren betonte Dembowski, dass Fußballerinnen mit Migrationshintergrund doppelt marginalisiert und benachteiligt würden. Dem sei am effektivsten durch Förderung an den Schulen entgegenzuwirken.

Als letztes ging TIM CASSEL (Kiel) vom Schleswig-Holsteinischen Fußballverband auf Integrationsarbeit als Zukunftsaufgabe des organisierten Fußballs ein. Er wies zunächst darauf hin, dass es im Gegensatz zu der weit verbreiteten Annahme keine signifikante Zunahme von interkulturellen Konflikten auf dem Fußballplatz zwischen Migranten und „Bio-Deutschen“ gebe. Zwar würden in etwa einem Drittel aller Fälle Migranten für gewalttätige Übergriffe von Sportgerichten verurteilt, jedoch lägen den meisten dieser Übergriffe diskriminierende Beleidigungen zugrunde. Außerdem hätten viele Auseinandersetzungen wenig mit interkulturellen Konflikten zu tun. Während der Anteil männlicher Migranten an deutschen Fußballvereinen deutlich über dem der Gesamtbevölkerung liege, spielten hingegen vergleichsweise kaum Frauen mit Migrationshintergrund in Fußballvereinen. Um die Integration von Migranten im deutschen Fußball voranzutreiben, habe der DFB in der letzten Zeit neue Strukturen geschaffen. So sei 2007 Gül Keskinler als Integrationsbeauftragte ernannt, ein 2008 durch die Lokalverbände verabschiedetes Integrationskonzept entwickelt und eine von der Integrationsbeauftragten geleitete Kommission „Integration“ eingerichtet worden. Darüber hinaus besäßen die 21 Landesverbände ihre eigenen Integrationsbeauftragten. Der DFB betrachte die Integration von Migranten als eine wichtige Zukunftsaufgabe sowie eine große Chance für den deutschen Fußball, erkenne jedoch, dass die Mitgliedschaft in einem Fußballverein nicht automatisch zu Integration führe. Daher unternehme der DFB zum einen den Versuch, eine interkulturelle Sensibilisierung des deutschen Fußballs herbeizuführen, indem u.a. Trainern, Schiedsrichtern, Betreuern usw. ein Informations- und Schulungsangebot gemacht werde. Zum anderen strebe der Verband eine Erhöhung des Anteils der Sportrichter mit Migrationshintergrund an. Hinzu komme, dass der DFB jedes Jahr im Rahmen des Programms „DFB-Mobil“ ca. 3600 Vereine besuche, um über das Thema Integration zu informieren. Der DFB habe auch Maßnahmen entwickelt, die auf die soziale Integration von Mädchen mit Migrationshintergrund durch Fußball abzielten (z.B. die Durchführung von lokalen Schulfußballturnieren und Mädchenfußballcamps). Der Verband setze sich auch aktiv dafür ein, dass Mädchen das Tragen eines Kopftuches beim Fußballspielen auf nationaler sowie auf internationaler Ebene gestattet werden sollte.

Die Tagung schloss mit einer Podiumsdiskussion, an der neben den Referenten Diethelm Blecking, Tim Cassel und Gerd Dembowski auch Daniel Thioune, Frank Schmidt und Karsten Twiehaus teilnahmen. Die Diskussion wurde von Bernhard Remmers moderiert. Eines der Themen, die am leidenschaftlichsten diskutiert wurden, betraf Rassismus im Fußball. In diesem Zusammenhang wurde betont, dass es zwar allgemein keine Zunahme von Rassismus im Fußball gebe, dieser sich jedoch zunehmend „hinter die Kulissen“ sowie in die unteren Ligen verlagert habe. Zum Schluss wurde hervorgehoben, dass Fußball trotz seiner Integrationspotentiale nur einen begrenzten Beitrag zur Lösung gesamtgesellschaftlicher Probleme leisten könne.

Konferenzübersicht:

Malte Steinbrink (Osnabrück): Enge Netze, weite Pässe – Kicken zwischen Homeland und Township in Südafrika

Lars Leeten (Hildesheim): Die Sprache Fußball: Gedanken zur Möglichkeit von kulturübergreifendem Spielverständnis

Henry Wahlig (Hannover): Verehrt, verfolgt, vergessen. Die Geschichte der Juden im deutschen Fußball

Gerd Dembowski (Berlin) und Diethelm Blecking (Freiburg):: Schimanski, Ünlü und andere - über die Vielfalt von Identitäten im deutschen Fußball

Tim Cassel (Kiel): „Kann Kayra mit Kopftuch kicken?“ - aktive Integrationsarbeit als Zukunftsaufgabe des organisierten Fußballs

Podiumsdiskussion: „Zehn kleine Negerlein“ oder „Elf Freunde“? Fußball zwischen Rassismus und Integration
Moderation: Bernhard Remmers
Teilnehmer: Diethelm Blecking, Daniel Thioune, Tim Cassel, Frank Schmidt, Karsten Twiehaus, Gerd Dembowski

Anmerkung:
1 In dieser Hinsicht veranlasste die friedliche Stimmung eines sechs Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges organisierten Freundschaftsspiels des Berliner Vereins „Tennis Borussia“ gegen eine französische Fußballauswahl das französische Ministerium für Wohlfahrt dazu, die Sportplätze im besetzten Ruhrgebiet wieder zu eröffnen. Die Berliner Mannschaft war die erste deutsche Mannschaft überhaupt, die nach dem Krieg gegen eine französische Auswahl antrat. Vgl. Ralf Fischer, Tennis Borussia. Hevenu TeBe alejchem! in: Jüdische Allgemeine (08.11.2007) <http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/4556> (03.10.2010).


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