P. Jelavich: Berlin Alexanderplatz

Cover
Titel
Berlin Alexanderplatz. Radio, Film, and the Death of Weimar Culture


Autor(en)
Jelavich, Peter
Reihe
Weimar and Now: German Cultural Criticism, 37
Erschienen
Anzahl Seiten
Preis
€ 42,20
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nadine Rossol, History Department, University of Limerick

Erscheint das Schlagwort „Weimar Culture“ in Buchtiteln, verbergen sich dahinter meist überblicksartige Studien, die verschiedene kulturelle Themen anreißen. So entsteht das Bild einer Weimarer Avantgardekultur, die letztlich zusammen mit der Republik unterging. Adelheid von Saldern hat, neben anderen, kritisch auf diese einseitige Kategorisierung der Weimarer Kultur hingewiesen und fließendere Übergänge zwischen der Republik und dem NS-Staat betont.1 Auch Peter Jelavichs Studie „Berlin Alexanderplatz. Radio, Film, and the Death of Weimar Culture“ interpretiert Hitlers Machtergreifung nicht als den entscheidenden kulturpolitischen Wendepunkt, sondern datiert das Ende pluralistischer und experimenteller Kulturproduktionen vielmehr auf das Jahr 1931. Danach wurden, so argumentiert Jelavich, vor allem aus Angst vor Nazi-Unruhen rechtsgerichtete Themen besonders betont. Seine Studie charakterisiert er als „a cautionary tale about how fear of outspoken right-wing politicians can cause cultural production to be curbed and eventually eliminated as critical counterforce to politics“ (S. XII). Jelavich verleiht seinem Fallbeispiel Schärfe und Kontur, indem er auf das Schicksal von Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf“ als Hörspiel und als Film eingeht. Dieser stringente Bezugspunkt bewahrt die Arbeit vor Verallgemeinerungen, bietet aber genug Raum für eine gelungene Verankerung in den sozialen, politischen und kulturellen Verhältnissen der 1920er-Jahre.

Die Studie ist in sieben Kapitel gegliedert, wovon sich drei mit Döblins Hörspiel und der Rundfunkpolitik der Weimarer Republik beschäftigen. Die danach folgenden drei Kapitel analysieren die Filmversion des Romans sowie die Filmzensur Anfang der 1930er-Jahre. Im ersten Kapitel konzentriert sich Jelavich auf den Roman und fasst darin Informationen über Döblins Schreibstil sowie die Bedeutung des tatsächlichen Alexanderplatzes im Berlin der 1920er-Jahre zusammen. Dabei hebt er besonders diejenigen Themen des Romans hervor, auf welche er bei der folgenden Analyse des Hörspiels und des Films zurückgreift. Dazu gehören die Sprache des Romans, Hinweise auf politische Ereignisse, Homosexualität und die positive Darstellung Berliner Juden.

Die beiden „Radiokapitel“ beginnen mit einem allgemeinen Überblick über die Organisation des Berliner Rundfunks und die Versuche, auf diesen politisch Einfluss zu nehmen. Radiopolitik wurde in der Weimarer Republik von verschiednen Seiten ausgeübt, da die Programmausschüsse der Rundfunkstationen von Staats- und Länderseite kontrolliert wurden. Eine wichtige Frage war dabei, inwieweit politische Themen im Radio überhaupt vorkommen durften. Nach und nach wich die Haltung, der Rundfunk sei ein unpolitisches Medium, und es wurden verschiedene politische Standpunkte übertragen. Die sozialdemokratische Landesregierung Preußens hatte mit ihrer liberalen Rundfunkpolitik keinen geringen Anteil daran.

Nach dieser Übersicht widmet sich Peter Jelavich in seinem dritten Kapitel den Programminhalten der Rundfunkanstalten, besonders dem Kulturprogramm, welches er als traditionell bildungsbürgerlich charakterisiert. Doch er zeigt ebenso, dass sich das Radio Ende der 1920er-Jahre für kreativere Sendeformate und Themen öffnete. So kann die Idee, Döblins erfolgreichen Roman in ein Hörspiel zu verwandeln, durchaus als logische Konsequenz aus dieser Entwicklung bewertet werden. Jelavich platziert Döblins Hörspiel in einen besonderen thematischen Zusammenhang: „Over the course of 1929, the unstable relationship of individual and social forces was addressed in a variety of ways in the new genre Hörspiel. Given the central role of the crisis of subjectivity in Berlin Alexanderplatz, it was hardly surprising that Döblin was encouraged to refashion his novel into a radio play” (S. 92).

Döblin fühlte sich durchaus zum Radio hingezogen, und im Jahre 1930 bearbeitete er schließlich seinen Roman als Hörspiel. In seinem vierten Kapitel konzentriert sich Jelavich auf diesen Hörtext, welcher zwar fertig, aber nie ausgestrahlt wurde. Zensur spielte dabei eine Rolle. Anspielungen auf Politik, Homosexualität und sogar Warennamen wurden von Döblin gestrichen, weil sie die Zensur kaum passiert hätten. Jelavich argumentiert überzeugend, dass die Streichungen in Döblins Hörspiel durchaus etwas mit vorauseilendem Gehorsam zu tun hatten. Nach dem Wahlsieg der Nationalsozialisten im September 1930 bekamen die Verantwortlichen der Radiostunde Berlin Angst vor der eignen Courage und wollten wegen der „gegenwärtige[n] ungeklärte[n] politische[n] Lage“ (S. 116) mit der Ausstrahlung der Arbeit eines bekannt linkslastigen Autors erst mal abwarten.

Die letzten drei Kapitel konzentrieren sich auf die Filmzensur, die nationalsozialistische Einflussnahme und die Verfilmung Döblins Roman. Im fünften Kapitel stellt Jelavich die schwierige Situation Filmschaffender in der Weimarer Republik dar, welche es oft mit der Filmzensur zu tun bekamen. Die Neuaufnahme ganzer Filmszenen, ihre völliger Streichung oder ein vollkommenes Verbot des Filmes waren keine Seltenheit. Jelavich zeigt, wie die Filmzensoren ihren Spielraum immer weiter ausdehnten und damit Filmproduzenten zu konventionellen Produktionen veranlassten. Sinkende Zuschauerzahlen nach der Weltwirtschaftskrise taten ihr übriges. Für noch wirkungsvoller hält Jelavich jedoch die Unruhen, welche die Nationalsozialisten nach ihrem Reichstagswahlerfolg von 1930 inszenierten, um damit ihren Unmut über unliebsame Filme zu bekunden. Als Paradebeispiel dieser Strategie gelten die Protestaktionen bezüglich der Verfilmung von Erich Maria Remarques Roman „Im Westen nichts Neues.“ Obwohl der Film von der Zensur zuerst nicht beanstandet wurde, führten Kampagnen der Nazis, Proteste und ein inszeniertes Chaos in den Kinos letztendlich zu einem Verbot, das erst im Herbst 1931 wieder aufgehoben wurde. Jelavich argumentiert, dass diese Erfahrung Filmproduzenten nur darin bestärkte, sich auf politische, experimentelle oder „links“ orientierte Filme immer weniger einzulassen.

In diesem Klima der Vorzensur, der Verunsicherung und der Hektik kam der Film „Berlin Alexanderplatz“ Ende 1931 in die Kinos. Nachdem Jelavich verschiedene cineastische Vorbilder beschreibt – dazu gehörte etwa die Montagetechnik Walter Ruttmanns oder der Realismus der so genannten Zille-Filme – konzentriert er sich auf die Unterschiede zwischen dem Roman und dem Film. Auch die Kinoversion enthielt sich aller Hinweise auf Politik, Homosexualität oder jüdische Themen. Außerdem wurde das düstere Ende des Romans durch ein „Happy End“ ersetzt. Es sollte den Zuschauern zu verstehen geben, dass das Leben schon zu meistern sei, solange man das Herz am rechten Fleck habe. Jelavich skizziert die möglichen Gründe für die Änderungen: „The tension, fractures, and ruptures within the film refracted the multiplicity of contending and often contradictory forces – aesthetic, political, social, economic […]” (S. 235). Außerdem sollte die Zensur umgangen und der Geschmack des Publikums besser getroffen werden.

Jelavich versucht die mögliche Kritik, er vergleiche Äpfel mit Birnen, wenn er auf den Unterschieden zwischen Roman, Hörspiel und Film beharre, vorweg zu nehmen, indem er wiederholt die Grenzen bzw. besonderen Möglichkeiten seiner verschiedenen Medien aufzeigt. Dies ist zwar ein wichtiger Punkt, der dennoch die Hauptthese der Arbeit einschränkt. So scheint etwa der Film „Berlin Alexanderplatz“ nicht nur von der drohenden Zensurpraxis beeinflusst worden zu sein, sondern mindestens ebenso stark vom stilistischen Empfinden des Regisseurs. Jelavichs Arbeit zeigt dennoch anschaulich und zugleich erschreckend, wie durch Unsicherheit, vorauseilendem Gehorsam und Angst vor finanziellen Ausfällen ein Klima entstand, das den Übergang zur NS-Kulturpolitik erleichterte. Dafür brauchte es weder einen Reichskanzler Hitler noch Anordnungen nationalsozialistischer Minister. Die Weichen wurden viel subtiler gestellt.

In welche methodische Schublade Jelavichs Studie passt, kann ihm, dem bekennenden „failed structuralist“2, egal sein, denn er verschränkt in „Berlin Alexanderplatz“ Kultur- und Politikgeschichte auf das Beste miteinander. Leider ist eine weit verbreitete Verlagspraxis auch in dieser Studie zu finden: das Streichen einer separaten Literaturliste. So erscheinen Literatur- und Quellenangaben nur in den Endnoten, womit ein schneller Überblick über das verwendete Material überaus erschwert wird.

Anmerkungen:
1 Saldern, Adelheid von, Volk and Heimat in Radio Broadcasting during the Period of Transit from Weimar to Nazi Germany, in: The Journal of Modern History, 76. Jg. Heft 2/2004, S. 312.
2 Jelavich, Peter, Method? What Method? Confessions of a Failed Structuralist, in: New German Critique, Heft 65 (Frühjahr/Sommer 1995), S. 75-86.

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