G. Althoff (Hg.): Öffentliche Kommunikation

Titel
Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter.


Herausgeber
Althoff, Gerd
Reihe
Vorträge und Forschungen, 51
Erschienen
Stuttgart 2001: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
494 S., 4 Abb
Preis
€ 60,33
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ertl, Thomas

Demütig senken sich Blicke, blanke Schwerter ragen in den Himmel, Fürsten knien weinend vor Königen, Geschenke werden ausgetauscht, Bußfertige bekennen barfüßig und tränenreich ihre Reue, Herrschaft wird prächtig in Szene gesetzt, Küsse und Umarmungen besiegeln neue Bündnisse, vor allem aber: man unterwirft sich, immer wieder unterwirft man sich, um verlorene Gnade wiederzuerlangen. Keine Geste, kein Zeichen, kein Wort bleibt ohne Bedeutung und ausführliche Kommentierung. Denn ein programmatischer Satz schwebt über diesem Buch: „Der Kommunikationsstil des Mittelalters in der Öffentlichkeit war insgesamt ein demonstrativ-ritueller“ (160). Unverkennbar: Ein neuer Althoff ist da.

Der Meister aus Münster hat getagt, auf der Reichenau, mit seinen Schülern, Anhängern und Kollegen; nun übergibt er die Ergebnisse der Öffentlichkeit. Die Spannung ist groß, denn Althoff, wenn auch nicht in jedem methodischen Gefecht strahlender Sieger, gehört zweifellos zu den wichtigsten Anregern der deutschsprachigen Mediävistik im letzten Jahrzehnt. Er hat uns gelehrt, die eminente Bedeutung und Mannigfaltigkeit öffentlicher Kommunikationsformen, insbesondere im Bereich von Herrschaft, zu würdigen. Unbestreitbar: Vielleicht kein Paradigmenwechsel, jedenfalls aber eine notwendige, zeitgemäße und erfrischende Erweiterung unseres Faches.

Der Titel des Buches hätte treffender „Formen der nonverbalen Kommunikation“ gelautet. Denn Gesten und Rituale, Zeremonien und Zeichen dominieren eindeutig die meisten Beiträge. Viele Mitwirkenden waren sich offenkundig einig: Hier liegt der Schlüssel zum Verständnis des Mittelalters. Geradezu erfreut wird die Entdeckung mitgeteilt, dass nichtsprachliche Kommunikationsformen trotz der zunehmenden Schriftlichkeit auch im ausgehenden Mittelalter die feierlichen Momente eines Adelslebens (Karl Heinz Spieß über Hochzeit, Belehnung, Unterwerfung im 15. Jh.), ja selbst das päpstliche Legatenwesen (Birgit Studt über Legaten im 15. Jh.) prägten. Sprache wird stillschweigend ins planerische Vorfeld einer Inszenierung versetzt und nicht weiter thematisiert: eine semi-orale Gesellschaft wird im Zeichen des Zeichens entsprachlicht. Lediglich Rieger (Rieger über das consilium in Girart de Roussilon) problematisiert die Prämisse aufgrund eines negativen Befundes: in seiner chanson de geste dominiert das Wort über das Ritual. Liefert die fiktionale Literatur möglicherweise ein authentischeres Bild von Wirklichkeit als eine stilisierende Historiographie? Diese nonverbale Schwerpunktsetzung drängt zwei Beiträge, die Sprache und sprachliche Veränderungen behandeln, an den Rand des Interesses (Behrmann über Anredeformen im Spätmittelalter, Mertens über Klosterreform). Eindeutig: Der Althoffsche Weg beherrscht die Bühne.

Der Meister ist seinen Schülern immer einen Schritt voraus. Während diese anhand von zusätzlichen Quellen (Kamp über Dudo von St-Quentin), anderen Epochen (Spieß) und bestimmten Ritualen (Becher über Weinen, Schreiner über Barfüßigkeit) die bekannten Ergebnisse, häufig mehr anekdoten- als inhaltsreich, wiederholen und ein scheinbares System von Spielregeln weiter zementieren, dekonstruiert jener (Althoff über Veränderbarkeit von Ritualen) das erstarrte Gebäude: Zwar gäbe es einen begrenzten Vorrat an Gesten, Gebärden und Handlungsweisen. Die Vorstellung vom stereotypen Vollzug der vorgegebenen Muster sei jedoch unangemessen, da Rituale in der öffentlichen Kommunikation utilitaristisch-rational genutzt, abgewandelt, miteinander kontaminiert, auf bestimmte Situationen zugeschnitten oder neu erfunden worden seien (bes. 159f.). Die Konstruktion eindeutiger Spielregeln, gleichgültig auf welchen Axiomen sie gründen, war den Erforschern der nonverbalen Kommunikation immer wieder ein Problem. Im vorliegenden Sammelband ringt Knut Görich damit (über Geld und honor Friedrichs I.). Er schließt aufgrund der Annahme bzw. Verweigerung von Geldgeschenken, dass Handeln so sehr an Ehre als Norm orientiert war, „daß es letztlich formalisiert war und wenig individuelle Prägung zeigte“ (191). Dieser suggestive Schluss, nicht ganz neu und nicht beweisbar, macht Barbarossa zu einem Gefangenen seiner Ehre. Doch war der honor nicht vielleicht ein probates Mittel, jedes Vorgehen zu legitimieren und gleichsam einen Schleier über die wahren Motive zu breiten, einen Schleier, den mittelalterliche und moderne Historiker gelegentlich mit der Wirklichkeit verwechseln? Althoff hat mit seinem Beitrag jedenfalls die Starre des Systems aufgebrochen und damit neue Wege aufgezeigt.

Auch andere Beiträge versorgen das moderne Forschungsfeld mit innovativen Anstößen. Timothy Reuter will in den ritualisierten Formen der Auseinandersetzung zwischen Thomas Becket und Heinrich II. eine Metaebene erkennen, die die Protagonisten öffentlich als Gegner positioniert hatte und ihnen auch formal, abgesehen von allen inhaltlichen Differenzen, eine Aussöhnung unmöglich gemacht hatte. Horst Wenzel interpretiert das Spannungsverhältnis zwischen geheimem und öffentlichem Herrschaftshandeln in der fiktionalen Literatur als Lehrstück für den adligen Nachwuchs, das ihm den Zusammenhang des Geschehens auf der Vorder- und der Hinterbühne der politischen Macht offenbaren sollte, gemäß dem Motto: Innen hui, außen pfui, das kann nicht funktionieren. Werner Paravicini erkennt in der nonverbalen Kommunikation von Karl dem Kühnen einen Hang zum egomanen Exzess. Die intensivierte Investition in Repräsentation und Zeremoniell sei eine Folge der unsicheren Herrschaftsgrundlage, was den burgundischen Herzog mit den italienischen Renaissancefürsten verbinde. Methode und Perspektive der genannten Beiträge erscheinen dem Rezensenten auch für andere Arbeiten gewinnbringend umsetzbar.

Obwohl die Behauptung, dass die Erforschung der nonverbalen Kommunikation in Deutschland erst in ihren Anfänge stünde, mit ihrer Wiederholung nicht wahrer wird, liegt nun die erste Zwischenbilanz eines größeren Forscherkreises vor. Damit geht die jungfräuliche Phase dieser Forschungsrichtung auch in Deutschland zu Ende. Die Bedeutung nonverbaler Kommunikation wird von niemandem mehr grundsätzlich bestritten. Der Erfolg macht manche Verästelungen des Projekts überflüssig: Deskriptive Belegketten über Unterwerfungen und Kniefälle kennen wir genug, das bloße Zählen von Tränen und Seufzern, es lohnt sich nicht mehr. Das bereitgestellte und vielfach erprobte Material muss nunmehr auf neue Fragestellungen hin untersucht werden, nicht-historiographische Texte müssen stärker berücksichtigt werden, die Isolierung der ritualhaften Handlungen aus einem größeren zeitlichen und inhaltlichen Kontext sollte relativiert werden. An diesem Scheidepunkt ist der vorliegende Sammelband anzusiedeln. Wie immer folgt der Homogenität der Grundannahme eine Heterogenität der Umsetzung, doch die Erforschung der öffentlichen Kommunikation und des damit verbundenen Ritualismus verspricht spannend und anregend zu bleiben.

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