Titel
Der Monarch im Skandal. Die Logik der Massenmedien und die Transformation der wilhelminischen Monarchie


Autor(en)
Kohlrausch, Martin
Reihe
Elitenwandel in der Moderne 7
Erschienen
Berlin 2005: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
536 S.
Preis
€ 59,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Epkenhans, Otto-von-Bismarck-Stiftung

Wilhelm II. hat von jeher Historiker wie auch historisch interessierte Laien fasziniert. Seine Reden und öffentlichen Auftritte, sein Imponiergehabe und die von ihm letztlich zu verantwortenden Entscheidungen von fataler Wirkung sind nur einige Gründe zur Erklärung dieses Phänomens. Hinzu kommen zahlreiche Skandale, in die Wilhelm II. direkt bzw. indirekt verwickelt war.

Diese Skandale stehen im Mittelpunkt der Berliner Dissertation von Martin Kohlrausch. Es geht ihm dabei nicht in erster Linie darum, in der Manier eines heutigen oder historischen Skandalreporters Bekanntes oder weniger Bekanntes über Affären, in die Wilhelm II. direkt oder indirekt verwickelt war, zu berichten. Im Mittelpunkt seiner sehr anspruchsvollen Arbeit steht vielmehr die Suche nach Antworten auf zwei wichtige Fragen. Zum einen der Frage, inwieweit die Monarchie der Logik der Massenmedien unterworfen wurde, zum anderen der Frage, welche Konsequenzen dies für die Diskussion der Monarchie hatte.

In seinen einleitenden, sehr instruktiven Kapiteln beschäftigt sich Kohlrausch ausführlich mit den geschichtstheoretischen und historischen Grundlagen seines Themas. Er verweist zu Recht darauf, dass der spätere Reichskanzler Bernhard von Bülow bereits im Jahre 1893 erkannt habe, dass das ausgehende 19. Jahrhundert eine „Zeit schrankenloser Publizität“ geworden sei. Dieser Wandel habe auch vor der Monarchie keinen Halt gemacht. Auch das Verhältnis des Monarchen zur Öffentlichkeit habe mehr oder weniger zwangsweise neudefiniert werden müssen. Der Monarch sei dabei zum „Angelpunkt einer prinzipiell grenzenlosen diskursiven Verhandlung öffentlicher Anliegen geworden“.

Was dies konkret bedeutete, arbeitet der Verfasser am Beispiel von fünf Monarchie-Skandalen heraus: Der – wenig bekannten – Caligula-Affäre, dem Eulenburg-Skanadal, der „Daily Telegraph“-Affäre, der Flucht Wilhelms II. nach Holland und der anschließenden öffentlichen Diskussion in der Weimarer Republik.

Kohlrausch seziert diese Affären, jede für sich, mit einem sehr scharfen Messer. Insbesondere seine Darstellung des Eulenburg-Skandals zeigt eindringlich, welche Eigendynamik inszenierte Meldungen über Skandale entwickeln konnten und wie katastrophal diejenigen scheiterten, die diese Krisen im Interesse der Monarchie, nicht nur des Monarchen, zu bewältigen versuchten. Es gibt wohl kaum einen Skandal, der so geradezu „lehrbuchartig“ das Aktion-Reaktionsschema politischer Skandale – auf öffentliche Rufschädigung folgen radikale, unüberlegte Gegenangriffe und schließlich rechtliche Auseinandersetzungen – deutlich werden lässt wie dieser. Dass Harden bei seinen Angriffen keinen anderen als Wilhelm II. im Visier hatte, war relativ schnell deutlich, und wie man es auch wendete, der Kaiser konnte dabei nur verlieren. Leugnete er, etwas gewusst zu haben, dann konnte man ihm vorwerfen, seine Umgebung nicht wirklich zu kennen; gab er Mitwisserschaft zu, gestand er offen Schwäche ein. Für die anderen Skandale gilt dies in ähnlicher Weise. Was bedeutet dies aus der Perspektive des Historikers?

Zunächst gilt es festzuhalten, dass – erstens – „die Diskussion des Monarchen umfangreicher, dichter und variantenreicher war als bisherige Darstellungen nahe legen“, dass, zweitens, „sowohl in Umfang wie auch Schärfe [...] die kritische Thematisierung von Handlungen und Charaktereigenschaften des Monarchen kontinuierlich“ zunahm; dass, drittens, „tatsächliche und vermeintliche politische Fehlleistungen und problematische Eigenschaften des Monarchen [...] eine Wichtigkeit [gewannen], die sie ohne die Massenmedien nicht besessen hätten“. Bei allem, was man Wilhelm II. „ankreiden“ kann, gilt es freilich mit Kohlrausch zu betonen, dass „öffentlich formulierte Erwartungen an den Kaiser als Angelpunkt des politischen Diskurses und an das Ideal eines Monarchen, der den politischen Konsens und politische Ziele formulierte, [...] zu einer aktiveren Interpretation der Monarchie“ gedrängt haben. Dies war freilich kein spezifisch deutsches, sondern ein internationales Phänomen, wie der Verfasser ebenfalls zu Recht betont. In einer Art „self-fulfilling prophecy” beschwor die Presse in den Monarchieskandalen nicht nur ihre eigene Bedeutung, sondern demonstrierte sie auch und erfuhr sich so als bedeutsam.“

Auf teilweise sehr hohem Abstraktionsniveau und unter Einbeziehung einer Fülle neuer Quellen herausgearbeitet zu haben, was dies für den Monarchiediskurs in Deutschland über annähernd drei Jahrzehnte bedeutete, ist eine große Leistung.

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