A. Przyrembel: Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation

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Titel
'Rassenschande'. Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus


Autor(en)
Przyrembel, Alexandra
Reihe
Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 190
Erschienen
Göttingen 2003: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
568 S., 13 Abb.
Preis
€ 76,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfram Meyer zu Uptrup, Arbeitsstelle Gedenkstättenpädagogik, Ministerium für Bildung, Jugend und Sport, Potsdam

In den letzten Jahren hat sich der Leitbegriff “Rassismus” für die Analyse der NS-Zeit durchgesetzt. Das ermöglichte es, unterschiedliche Politikbereiche, wie die “Judenpolitik” oder die Politik gegenüber “Behinderten” oder auch gegenüber “Slawen” in einen Interpretationszusammenhang zu stellen. Dadurch wurde es auch möglich, die NS-Politik zunehmend als kohärenten Gesellschaftsentwurf zu verstehen und darzustellen.1

Wie in vielen Programmschriften ausgeführt, ging es den Nationalsozialisten um die Schaffung eines “rassereinen” “völkischen Staates”, der sich gegen seine “rassischen” und politischen Feinde durchsetzen sollte. Das deutsche Volk sollte von angeblich schädigenden “rassischen Einflüssen” geschützt werden. Mit dem Selbstbewusstsein, auf der Höhe der Zeit zu sein, vertrat Hitler ein sozialdarwinistisches Rassenkampf-Modell, mit dem er Geschichte und Politik analysierte. Der Kleintierzüchter Heinrich Himmler, wie auch der Diplomlandwirt Richard Walther Darré, versuchten die Erkenntnisse der “Erblehre" auf die menschliche Gesellschaft zu übertragen. Das führte nicht nur zu völlig neuen staatlichen Institutionen, wie dem “Rasse- und Siedlungshauptamt der SS” (RuSHA)2, oder dem “Lebensborn e.V.”, sondern auch zu neuen Gesetzen, mit deren Hilfe, die rassistischen Konzepte umgesetzt werden sollten.

Alexandra Pszyrembel zeigt in ihrer von Prof. Dr. Reinhard Rürup betreuten Dissertation “‘Rassenschande’. Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus”, die 2001 von der Technischen Universität Berlin angenommen wurde, auch, wie viele zeitgenössische Juristen die ideologischen Vorgaben des NS-Regimes eifrig betrieben. Die Verfolgung des neu erfundenen Deliktes “Rassenschande” ist ein Beispiel für eine Justiz, die antisemitische und menschenverachtende Ziele umsetzt und ohne Bedenken über Jahrhunderte entwickelte Rechtsgrundsätze beiseite wischt. Die Forschung zu diesem Thema hat mit dem Problem zu kämpfen, dass die verfügbaren Quellen in der Regel von der Seite der Verfolger stammen (Polizei- und Justizakten) und sich der Sachverhalt sowie die Situation der Opfer nur mit Schwierigkeiten rekonstruieren lässt. Przyrembel korrigiert im Hinblick auf die Polizei/Gestapo einige der bisher vertretenen Positionen.3

Neben Quellen aus bundesdeutschen Archiven, von denen Przyrembel viele Ermittlungsakten der Gestapo auswertete, nutzte sie auch das Archiv des Holocaust Memorial Museum in Washington und des Leo-Baeck-Instituts in New York, sowie diverse juristische Periodika und - Julius Streichers “Der Stürmer”. Sie versteht die Entwicklung der Verfolgung des konstruierten “Rassenschande-Delikts” als Kriminalisierungsdruck von “oben”, der von NSDAP, Polizei und Justiz ausging, und von “unten”, der von den antisemitischen und rassistischen “Volksgenossen”, die von Medien wie dem “Stürmer” beeinflusst waren, der sich direkt gegen nicht-normgerechte Liebes- und Lebenspaare wandte.

Im ersten Teil widmet sich Przyrembel dem rechtlichen Rahmen und zeigt z.B. an der Diskussion zwischen SS, Reichsministerium des Innern und Reichsministerium der Justiz zur Frage der Bestrafung der an “Rassenschande” beteiligten Frauen, mit wie viel Menschenverachtung diese absurde Diskussion geführt wurde, nachdem Hitler angeordnet hatte, diese Frauen nicht zu bestrafen. Doch obwohl die Autorität Hitlers nicht in Frage gestellt wurde, fanden sich Wege, die Bestrafung über Nebentatbestände oder “Schutzhaft” im KZ doch zu erreichen.

Im Nationalsozialismus beschränkte sich der juristische Begriff der “Rassenschande” auf Beziehungen zwischen nichtjüdischen und jüdischen Deutschen. Aus der rassistischen Perspektive ist das eine Reduktion. Der Topos “Rassenschande” entstand zum einen im Umfeld der Kolonialpolitik, als nach anfänglicher Akzeptanz von Beziehungen zwischen Angehörigen der Kolonialmacht und Angehörigen des Kolonialvolkes diese Akzeptanz einer drastischen Ablehnung wich. Grundsätzlich gehört dieser Aspekt, der sich in der rassistischen Propaganda gegen französische Besatzungstruppen im Rheinland nach 1918 unter dem Schlagwort “schwarze Schmach” fortsetzte, zur Vorgeschichte der Verfolgung von “Rassenschändern” im Nationalsozialismus. Die zweite Wurzel des Topos aus dem Rassenantisemitismus wurde aber nach 1933 dominant, der andere Strang wurde nicht Element der offensiven Verfolgungspolitik. Die von Przyrembel für diese offensichtliche Diskrepanz genannten Gründe (wegen Rücksicht auf das Ausland, da “Farbige” meist keine deutschen Staatsbürger waren) waren nur ein nebensächliches Motiv. In der Tat handelte es sich immer, wenn die Nationalsozialisten von “Rassenpolitik” sprachen oder schrieben in erster Linie um Antisemitismus, wie eine Fülle von Schulungsmaterialien belegen (die von Przyrembel nicht ausgewertet wurden). Wünschenswert wäre eine klarere Begründung, weshalb das “Blutschutzgesetz” vom September 1935 zu einem “Grundgesetz des nationalsozialistischen Staates” wurde (so bezeichnet in zahlreichen Urteilstexten) und warum sich die Verfolgung von Beziehungen von “Deutschblütigen” mit “Juden”, “Zigeunern” und “Polen” etc. unterschied. Hierzu reicht “Rassismus” als hermeneutischer Leisten nicht mehr aus, das muss aus einem breiteren Verständnis der NS-Ideologie heraus analysiert werden. Weitere Quellen, wie die Reden Hitlers, Goebbels oder Rosenbergs auf dem Reichsparteitag 1935, Texte von Himmler oder Darré oder politischer Gegner (wie von der sozialdemokratischen Münchener Post und Konrad Heiden) können den ideologischen Hintergrund ausleuchten.

Oberstes Ziel der NS-Rassenpolitik war die Trennung von nichtjüdischen und jüdischen Deutschen, die Ausschaltung jedweden Einflusses von Juden auf die Gesellschaft der Nichtjuden. Aus Sicht von NS-Politikern, die durch mehr oder minder subtile Zuchtmechanismen einen Einfluss auf das Sexualverhalten und die Fortpflanzung der nichtjüdischen Deutschen nehmen wollten, oftmals verbunden mit dem Ziel der “Aufnordung”, waren sexuelle Kontakte zwischen Menschen, die separiert werden sollten, eine todeswürdige Sünde. So verwandten sie viel Energie dazu, das Delikt der “Rassenschande” zu etablieren und zu definieren, ungeachtet der schon von Zeitgenossen nachgewiesenen Unmöglichkeit, den Kreis der Normadressaten “Juden” und “Nichtjuden” biologisch oder juristisch logisch und zuverlässig zu definieren. Przyrembel dokumentiert eindrucksvoll die kriminelle Energie, mit der Polizei, Justiz und Oberste Reichsbehörden die neuen Straftatbestände entwickelten und verfolgten. Sie erinnert auf jeder Seite daran, dass die mit dem “Delikt” Rassenschande verfolgten Menschen Opfer eines menschenverachtenden und kriminellen Systems wurden, indem sie das Menschlichste des Menschlichen taten - sich liebten.

Zwischen 1935 und 1945 wurden rund 15.000 Ermittlungsverfahren wegen “Rassenschande” eingeleitet, meist initiiert durch denunziationseifrige Nachbarn. Dass nur etwa 16 Prozent dieser Verfahren in eine Anklage mündeten, bedeutet nicht, dass die restlichen “ungeschoren” davonkamen. Allein die Verhörmethoden, die Przyrembel darstellt, waren einer Folter gleich und bewegten sich selbst unter den zeitgenössischen Bedingungen in einem rechtsfreien Raum. Die Stigmatisierung in der Nachbarschaft oder weiteren Öffentlichkeit oder gar die Verfolgung mit polizeilichen Strafmaßnahmen zerstörten viele Beziehungen und Biografien. Nach dem Beginn der Deportationen der “Juden” aus dem “Altreich” nach “dem Osten”, endeten viele Untersuchungsverfahren mit der Deportation des “jüdischen” Teils.

Die Verfolgung des Pseudo-Delikts “Rassenschande” war geleitet von der Vorstellung, einen rassereinen “völkischen Staat” zu schaffen. Diese Vorstellung als “Mythos” (Untertitel) zu bezeichnen, halte ich nicht für angemessen. Auch im Hinblick auf die zahlenmäßige Dimension der mit der “Rassenschande”-Verfolgung verbundenen Polizei- und Justizverbrechen, würde ich den Begriff “Vernichtungslegitimation” darauf nur mit Vorsicht beziehen wollen. Entscheidend war, und das wird auch deutlich, die Segregation zwischen “deutschblütiger” und “jüdischer” Bevölkerung, die alle im deutschen Herrschaftsbereich lebenden Menschen betraf und sich nicht “nur” auf die bei den Ermittlungsverfahren Betroffenen bezog.

Przyrembel wertet vor allem Gerichts- und Polizeiakten aus. Andere Quellen, wie Biografien, schweigen zu diesem Thema. Damit begegnet man auf der Quellenebene eine Sprache, die stark von juristischen Termini geprägt ist. Doch sollte selbstverständlich sein, dass juristische Termini in der Regel auch so in eine Darstellung übernommen werden, wie sie im Gang des Verfahrens oder zur Beschreibung von Situationen angewendet wurden. So ist im Verlauf des Untersuchungsverfahrens ein Verdächtigter noch kein Angeklagter (S. 302), auch wenn in der NS-Praxis die Gestapo die Verdächtigten häufig ohne wahrheitsgemäße Überprüfung des Sachverhaltes bestrafte (z.B. durch “Schutzhaft”). Auch gehen bei Przyrembel die Begriffe unehelich (für die Geburt eines Kindes, dessen Eltern nicht verheiratet sind), nichtehelich (für ein Paar, das nicht verheiratet ist) und außerehelich (für Aktivitäten neben der Ehe wie “Seitensprünge”) als Synonyme durch.

Neben einer erklecklichen Anzahl von orthografischen Fehlern vermag der aufmerksame Leser aber auch auf neue Erkenntnisse zu stoßen: z.B. sollten mit dem “Verbot der ‘Sippenschande’ [...] Ehen [...] zwischen Deutschen und anderen ‘Fremdrassigen’ ‘unter Zwang’ durchgesetzt werden” (S. 112, Anm. 151). Was aber ist ein “legalisiertes Verbot” (S. 309)? Man stößt auf ein bislang unentdecktes Archiv der “Opfer des Antifaschismus” im Centrum Judaicum in Berlin (S. 301, Anm. 131). Weiter heißt Walter Gran mit Nachnahmen Grau und hat noch viel mehr antisemitische “Forschungen” produziert, als von Przyrembel verzeichnet, und im Jahr 1925 erschien nur der 1. Band von Hitlers “Mein Kampf”. Leider sind die Abbildungen, Statistiken und Dokumente nicht ausreichend quellenkritisch bezeichnet, es fehlen genauere Angaben bei Fotos oder z.B. eine Schätzung des Erscheinungsdatums eines Flugblattes, das im Anhang dokumentiert ist (S. 515, ca. Sommer 1940). Przyrembel hat sich einem schwierigen Thema zugewandt, das für unser Verständnis der nationalsozialistischen Politik ebenso wichtig ist, wie die Planungen z.B. zum “Generalplan Ost”. Für künftige Forschungen hoffe ich, dass sie mit einem couragierteren Zugriff auf die Quellen ihren Stoff verdichtet und ihre Thesen konziser mit weniger Scheu vorträgt.

Anmerkungen:
1 Vgl. die richtungweisende Arbeit von Janka, Frank, Die Braune Gesellschaft. Ein Volk wird formatiert, Stuttgart 1997.
2 Hierzu jetzt Heinemann, Isabel, “Rasse, Siedlung, deutsches Blut”. Das Rasse- & Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas, Göttingen 2003.
3 So die von Gellately, Robert, Die Gestapo und die deutsche Gesellschaft. Die Durchsetzung der Rassenpolitik, Paderborn 1995; Gordon, Sarah, Germans and the “jewish Question”, Princeton 1984 und Friedländer, Saul, Das Dritte Reich und die Juden. Die Jahre der Verfolgung 1933-1939, München 2000.

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