St. Diefenbach: Römische Erinnerungsräume

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Titel
Römische Erinnerungsräume. Heiligenmemoria und kollektive Identitäten im Rom des 3. bis 5. Jahrhunderts n. Chr.


Autor(en)
Diefenbach, Steffen
Reihe
Millennium-Studien 11
Erschienen
Berlin u.a. 2007: de Gruyter
Anzahl Seiten
XI, 635 S.
Preis
€ 88,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Monika Schuol, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Die Beschäftigung mit Erinnerungsorten und -räumen hat Konjunktur: In den Kulturwissenschaften insgesamt, aber eben auch im althistorischen Bereich erlebt die Erinnerungs- und Identitätsforschung derzeit einen regelrechten Boom, der sich in einer stetig wachsenden Zahl von Einzelstudien und selbst in Handbüchern niederschlägt.1 Auch Diefenbachs in Münster eingereichte Dissertation ist von ihrem Ansatz her im Kontext der kulturwissenschaftlichen Erinnerungsforschung zu verorten. Die Verwendung von Begriffen wie „Erinnerung“ und „kollektive Identitäten“ im wissenschaftlichen Diskurs mit dem Anspruch, Methodenpluralität zu schaffen und Kommunikationsmöglichkeiten über die Fächergrenzen hinweg zu eröffnen, muss sich jedoch auch dahingehenden kritischen Anfragen stellen, wie viel innovatives Potential eine kulturwissenschaftliche Vernetzung mit derartigen Leitbegriffen als verbindendes Element überhaupt bietet oder ob hier nicht lediglich sinnentleerte Phrasen, eben die viel gescholtenen „Plastikwörter“ 2, reproduziert und kreiert werden und ein dem Zeitgeist huldigender Wissenschaftsjargon gepflegt wird, um auf einer Modewelle schwimmend permanent im wissenschaftlichen Diskurs präsent zu sein.3

Um dieser möglichen Skepsis zu begegnen, stellt Diefenbach seiner Studie eine größtmögliche Präzisierung des eigenen methodischen Ansatzes und inhaltliche Vorbemerkungen voran (Kapitel I, S. 1-37). Er stützt sich zum einen auf den von Jan und Aleida Assmann begründeten Ansatz mit dem „kulturellen Gedächtnis“ als zentrale Kategorie4 und zum anderen auf die entscheidend von Otto Gerhard Oexle5 und Michael Borgolte geprägte, vom frühmittelalterlichen Totengedenken ausgehende mediävistische Memoriaforschung.6 Diefenbachs Ziel ist es, die unterschiedlichen Ansätze nicht nur zusammenzuführen und weiterzuentwickeln, sondern sie in einer „Fallstudie historischer Erinnerungsforschung“ (S. 4) auch am spätantiken Heiligenkult zu erproben und Defizite der beiden Richtungen anhand der eigenen Thematik zu benennen. Der spätantike Heiligenkult als eine spezifische Form des Totengedenkens soll exemplarisch untersucht werden im Hinblick auf die Zusammenhänge von Erinnerung und kollektiver Identitätsstiftung sowie auf Übergangsformen zwischen dem kulturellen und dem kommunikativen Gedächtnis innerhalb eines Wandlungs- und Transformationsprozesses hin zum Frühmittelalter. In den Mittelpunkt seiner Studie rückt Diefenbach die Heiligenerinnerung; im Zentrum des Interesses stehen dabei die Frage nach der Integrierbarkeit der christlichen Totenkommemoration in die antike Erinnerungskultur und die veränderte Memorialkultur als Faktor für die Krise der spätantiken Stadt.

Mit seiner Eingrenzung des Untersuchungszeitraumes orientiert sich Diefenbach nicht an der politischen Geschichte, sondern an der Herausbildung kirchlicher Organisationsstrukturen als Voraussetzung für die Entwicklung des Heiligenkultes. Dementsprechend setzt die Untersuchung bereits in der Mitte des 3. Jahrhunderts, also noch vor der tetrarchischen Zeit, ein und endet mit dem Pontifikat des Symmachus (498-514): Als das älteste Zeugnis für kultische Formen der Heiligenverehrung in Rom behandelt Diefenbach die so genannte Triklia an der via Appia (Kapitel II, S. 38-80), wohl unter Konstantin dem Großen mit der Errichtung der basilica Apostolorum (S. Sebastiano) unzugänglich gemacht.7 Die Bedeutung der Mahlfeiern in der Triklia erklärt Diefenbach anhand der Märtyrerakten des frühen 3. Jahrhunderts (etwa die passio Perpetuae et Felicitatis): Demnach spiegelt das refrigerium, das die Graffiti unter S. Sebastiano bald nach dem Ende der großen Christenverfolgungen nach 250 bezeugen, eine Übergangsphase in der Heiligenverehrung wider. Die Form der Märtyrerverehrung entwickelte sich weg von den direkten Kommunikations- und Interaktionsbeziehungen zwischen dem noch lebenden Märtyrer und den Mitchristen beim gemeinsamen Mahl im Gefängnis und hin zu einem Gedenken an einen dem direkten Handlungszusammenhang entrückten Heiligen; dabei behielt das refrigerium seine identitätsstiftende Funktion für die Gruppe; anders als im heidnischen Totenkult blieb dabei die Handlungsgemeinschaft mit den toten Heiligen durch deren Entwicklung zu Fürsprechern und Patronen erhalten. In der Terminologie der kulturwissenschaftlichen Erinnerungsforschung gesprochen vollzieht sich hier der „Übergang von einem kommunikativen in ein kulturelles Gedächtnis“ (S. 80).

Die tiefe Zäsur, die Konstantins Hinwendung zum Christentum für die Entwicklung der stadtrömischen Heiligenverehrung bedeutete, ist Thema des dritten Kapitels (S. 81-214). Die Ausführungen kreisen um die Frage, „welche Aspekte der Kaiserherrschaft und der Beziehung des Kaisers zur Stadt Rom Konstantin in den unterschiedlichen Räumen der Stadt kommunizierte“ (S. 85). In den Blick genommen werden die Umgestaltungen des Forum Romanum und die Baupolitik Konstantins in den Coemeterien des römischen Suburbium. Diefenbach gelangt zu dem Ergebnis, dass der Kaiser mit einer umfassenden städtischen Öffentlichkeit kommunizierte, die sich aus unterschiedlichen Akzeptanzgruppen konstituierte: Die Zielgruppe kaiserlicher Herrschaftsinszenierung im monumentalen Zentrum seien senatus populusque Romanus gewesen; mit der Errichtung repräsentativer christlicher Sakralbauten an der Peripherie Roms habe Konstantin die christliche Gemeinde angesprochen. Damit habe sich der Kaiser als Befreier von der Tyrannis des Maxentius stilisiert; zugleich wollte er den Kaiserkult in den christlichen Toten- und Heiligenkult integrieren und unter christlichen Vorzeichen weiterentwickeln, wobei der Coemeterialbasilika SS. Pietro e Marcellino mit dem angeschlossenen Helena-Mausoleum besondere Bedeutung beigemessen wird.8

In Kapitel IV (S. 215-329) geht Diefenbach der Frage nach der identitätsstiftenden Bedeutung von Heiligenerinnerung während der schismatischen und häretischen Spaltungen der römischen Bischofsgemeinde im 4. Jahrhundert nach: Sowohl im Konflikt zwischen Damasus und Ursinus um die Besetzung der cathedra Petri als auch in den Rivalitäten zwischen der römischen Großkirche und den Sondergemeinden der Novatianer und Donatisten um die Legitimation als rechtgläubige ecclesia Roms weist Diefenbach den Erinnerungs- und Traditionsbezügen mit ihrer Verortung im Suburbium nachrangige Bedeutung zu. Die eigentliche identitätsstiftende Kraft schreibt Diefenbach den bischöflichen Basiliken innerhalb der Stadtmauern zu, die das Selbstverständnis des Bischofs als Hirte inmitten seiner Herde versinnbildlichten; mit der Ausgestaltung der Grablegen und der Anfertigung der Epigramme habe Damasus die Märtyrer in die Gemeinschaft der römischen Gemeinde eingegliedert und auf diese Weise den städtischen Raum und das Suburbium zu einer konzeptionellen Einheit zusammengefasst. Gegenstand von Kapitel V (S. 330-403) sind die Heiligenverehrung in der römischen domus, ihre Integrierbarkeit in einen Ort der sozialen Repräsentation und der intensiven politischen Kommunikation sowie die Auswirkungen dieser im privaten Raum (also jenseits der amtskirchlichen Kontrollmöglichkeiten) angesiedelten Heiligenkulte auf die Gemeindeöffentlichkeit. In diesem Zusammenhang betrachtet Diefenbach die Gründung zahlreicher Titelkirchen mit der Etablierung von Heiligenpatrozinien und die privaten Heiligenoratorien in den domus der stadtrömischen Oberschicht. Sein besonderes Interesse gilt der Übermittlung von Reliquien in einem Netz christlicher Amicitia-Beziehungen und der Umwandlung aristokratischer Wohnarchitektur in Kirchenbauten.

Die veränderte christliche Sakraltopographie im Rom des 5. Jahrhunderts, einhergehend mit dem Zerfall des städtischen Raumes in einzelne Zentren nach einem rapiden Bevölkerungsrückgang, und die Bedeutung der Heiligen in der neuen Raumordnung werden in Kapitel VI (S. 404–487) anhand der Liturgie und der Hagiographie exemplarisch untersucht: Zentrale Aspekte sind die bischöfliche Stationsliturgie mit mehreren gleichberechtigten Kultzentren als Bezugspunkte, die veränderte Disposition des Kirchenraumes durch die Errichtung von Nebenaltären, Kapellen und Baptisterien sowie die literarische Konstruktion der stadtrömischen Topographie in den gesta martyrum als ein Konglomerat aus unzähligen gleichförmigen Zentren (palatia, domus, custodiae, cryptae). Insgesamt lässt Diefenbach das Bild einer polyzentrischen Sakraltopographie entstehen, die für ihn Ausdruck eines beginnenden längeren Transformationsprozesses ist. In einer Zusammenschau der Einzelergebnisse seiner Studie in Kapitel VII (S. 488–538) schlussfolgert Diefenbach, dass die Toten- und Heiligenmemoria und die memorialen Gabentauschbeziehungen entscheidende Faktoren für tief greifende strukturelle Umgestaltungen in der Formierung kollektiver Identitäten gewesen seien, die schließlich das Ende der spätantiken Stadt eingeläutet hätten. Ein Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 539-619) sowie ein Register (S. 621-635) beschließen den Band.

Diefenbach gelingt es, die in der Alten Geschichte seit mittlerweile fast zwei Jahrzehnten präsente Thematik „Erinnerung und kollektive Identitäten“ auch für seine Untersuchung des Heiligenkultes fruchtbar zu machen. Er trägt die Leitfragen der Erinnerungsforschung an bislang unter diesem Aspekt nicht analysierte Quellen heran und tut mit der Untersuchung der christlichen Sakraltopographie im spätantiken Rom neue und bisher nicht untersuchte Orte der Identitätsstiftung auf, an denen die bekannten Kausalbeziehungen nachgewiesen werden können. Die Entwicklungen und Strukturen der christlichen Totenkommemoration werden gut begründet an ausgewählten Beispielen aufgezeigt. Die Betrachtung des Heiligengedenkens aus ganz verschiedenen Perspektiven, die bislang weniger im Fokus althistorischer Forschung standen, gibt den Blick frei auf spannende und die Forschung weiterführende Facetten der Thematik. So demonstriert gerade das Teilkapitel zur Veränderung liturgischer Gewohnheiten im 5. Jahrhundert, das Diefenbachs Kompetenzen auch in theologischen und vor allem an liturgiegeschichtlichen Fragestellungen erkennen lässt, einmal mehr das Potential fächerübergreifenden Arbeitens. Die Stärken der Arbeit liegen in einer sorgsamen methodischen Grundlegung, der auf hohem Reflektionsniveau erfolgten Verortung des eigenen Ansatzes in der kulturwissenschaftlichen und mediävistischen Erinnerungsforschung und einer detailreichen und tiefgehenden Darstellungsweise mit großer Überzeugungskraft.

Gerade das Einleitungskapitel (Kapitel I) präsentiert sich aber auch als problematisch: Diefenbachs Erläuterungen zum Untersuchungsgegenstand der eigenen Arbeit, seinem methodischen Ansatz und der Zielsetzung lassen sich nur mühsam herausdestillieren. Hier hätte klarer zwischen den ausführlichen begrifflichen und konzeptionellen Klärungen auf der einen Seite und der Skizzierung des eigenen Vorhabens auf der anderen Seite getrennt werden müssen. Zudem hätte man in der Schlusszusammenfassung (Kapitel VII) eine deutlichere eigene Positionierung innerhalb der Erinnerungsforschung und vor allem eine Abgrenzung von den zugrunde gelegten Forschungsrichtungen erwartet.9 Auch in den einzelnen Kapiteln sollten mehr Bezüge auf die in der Studie genutzten Richtungen der Erinnerungsforschung hergestellt werden; vor allem konkrete Hinweise auf den heuristischen Wert dieser Ansätze wären willkommen. Als Beispiel seien hier nur die Ausführungen über Damasus und dessen Propagierung der Heiligenverehrung durch die Monumentalisierung der Heiligentopographie genannt (Kapitel IV).10 Ungeschickt platziert wirken die Überlegungen über die Memoria als Gabentausch (Kapitel VII.2), die besser in einem eigenen Kapitel aufgehoben wären, anstatt die Schlusszusammenfassung mit der Diskussion neuer Aspekte zu überfrachten.11 Hilfreich für das Verständnis der gesamten Untersuchung wäre ein Plan von Rom und Umgebung, aus dem sich die Verteilung der Bischofsbasiliken, Coemeterien und Titelkirchen im Zentrum bzw. im Suburbium entnehmen lässt, sowie eine Kartierung der Zentren der bischöflichen Stationsliturgie; auch Diefenbachs Ausführungen zur Baugeschichte und der liturgischen Funktion der Petersbasilika mit den später hinzugefügten Grabmonumenten (Andreas- und Petronilla-Rotunde, Kapitel VI.2) würden durch eine entsprechende Dokumentation gewinnen.12

Die kritischen Bemerkungen schmälern nicht das Verdienst Diefenbachs, die althistorische Erinnerungsforschung um ein Maßstäbe setzendes Werk bereichert zu haben, das nicht nur das spätantike Rom fokussiert, sondern mit Seitenblicken etwa auf den universalkirchlichen Führungsanspruch des römischen Bischofs und auf die Verhältnisse in Konstantinopel einen sehr viel weiteren Horizont eröffnet. Jedes Nachhaken ist zugleich ein Kompliment an eine innovative Forschungsarbeit, die zum Mit- und Weiterdenken einlädt und kritisches Fragen lohnenswert macht.

Anmerkungen:
1 Für den althistorischen Bereich seien stellvertretend genannt: Walter, Uwe, Memoria und res publica, Frankfurt a. Main 2004; Stein-Hölkeskamp, Elke; Hölkeskamp, Karl-Joachim (Hrsg.), Erinnerungsorte der Antike. Die römische Welt, München 2006. Speziell zu Erinnerungsorten im spätantiken Rom vgl. Muth, Susanne, Rom in der Spätantike – die Stadt als Erinnerungslandschaft, in: Stein-Hölkeskamp; Hölkeskamp 2006, S. 438-456; Bauer, Franz Alto, Sankt Peter – Erinnerungsort in Spätantike und Mittelalter, ebd., S. 626-641; Behrwald, Ralf, Die Stadt als Museum? Die Wahrnehmung der Monumente Roms in der Spätantike, Berlin 2008.
2 Zu dem Begriff „Plastikwörter“ vgl. Pörksen, Uwe, Plastikwörter – Die Sprache einer internationalen Diktatur, Stuttgart 1988; vgl. ders., Wissenschaftssprache und Sprachkritik, Tübingen 1994, S. 275-284.
3 Das verbreitete Unbehagen über die Möglichkeiten der Kulturgeschichte artikulieren z.B. Bronfen, Elisabeth, Die Vorführung der Hysterie, in: Assmann, Aleida; Friese, Heidrun (Hrsg.), Identitäten, Frankfurt a. Main 1998, S. 232-268; Niethammer, Lutz, Kollektive Identität. Heimliche Quellen einer unheimlichen Konjunktur, Reinbek 2000, bes. S. 9-70 (627: Warnung vor dem inflationären Gebrauch des Begriffs „kollektive Identität“).
4 Assmann, Jan, Das kulturelle Gedächtnis, München 1992 (6. Aufl., 2007); Assmann, Aleida, Erinnerungsräume, München 1999 (3. Aufl. 2006); dies., Gedächtnis als Leitbegriff der Kulturwissenschaften, in: Musner, Lutz; Wunberg, Gotthart (Hrsg.), Kulturwissenschaften, Freiburg i.B. 2003, S. 27-47.
5 Oexle, Otto G., Memoria und Memorialbild, in: Schmid, Karl; Wollasch, Joachim (Hrsg.), Memoria, München 1984, S. 384-440; ders., Memoria als Kultur, in: Oexle, Otto G. (Hrsg.), Memoria als Kultur, Göttingen 1995, S. 9-78.
6 Vgl. zuletzt Borgolte, Michael, Memoria. Zwischenbilanz eines Mittelalterprojekts, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 46 (1998), S. 197-210; ders., Zur Lage der deutschen Memoria-Forschung, in: Borgolte, Michael; Fonseca, Cosimo D.; Houben, Hubert (Hrsg.), Memoria, Bologna u.a. 2005, S. 21-28.
7 Zur Diskussion der Erbauungszeit der basilica Apostolorum vgl. Brandenburg, Hugo, Die frühchristlichen Kirchen Roms vom 4. bis zum 7. Jahrhundert, 2. Aufl., Regensburg 2005, S. 63f.
8 Den bibliographischen Angaben Diefenbachs zur Funktion der Basilika und des Mausoleums (S. 155–181) hinzuzufügen ist Brandenburg 2005, S. 55-60, der unter vorrangiger Berücksichtigung der architektonischen Disposition zu ähnlichen Ergebnissen gelangt.
9 Damit sich der Kreis schließt, hätte abschließend ganz klar formuliert werden müssen, inwiefern sich die kulturwissenschaftliche und mediävistische Erinnerungsforschung tatsächlich als gewinnbringend für eine Studie zum Heiligenkult erwiesen haben und wie sich die Zusammenführung und Weiterentwicklung der beiden Ansätze, die sich Diefenbach zum Ziel gesetzt hat (S. 4), konkret gestaltet.
10 Damasus’ Bestreben, seine eigene Stellung als Gemeindeleiter gegenüber den konkurrierenden Ansprüchen des Ursinus zu stärken und die Märtyrer als Kristallisationspunkt der Gruppenidentität der römischen Christengemeinde zu instrumentalisieren, aber auch die universalkirchliche Dimension der damasianischen Heiligenerinnerung werden von Diefenbach zu Recht herausgestellt und sehr überzeugend präsentiert. Wie lässt sich nun aber Damasus’ Art der Heiligeninszenierung in den Kategorien der kulturwissenschaftlichen Erinnerungsforschung fassen und erklären? Hier könnten z.B. Assmanns Überlegungen zu den Hintergründen von Kanonbildung als Ausgangsbasis dienen; vgl. Assmann 1992, S. 53-55; 95-97; 123-127. Zu untersuchen wäre dann, inwieweit Damasus die Rolle eines Gedächtnisspezialisten zufällt, der angesichts einer verblassenden Erinnerung den Kanonisierungsprozess in Gang setzt, selbst die Autorität des Kanons verkörpert und mit seinen autoritativen Entscheidungen einer Tendenz zum „anything goes“ entgegenwirken will. Auch weitere Beweggründe von Kanonisierung, etwa eine bewusste Grenzziehung zur Bezeichnung klarer Fronten in schweren inneren Konflikten und die Schaffung einer identitätsstiftenden Kategorie, müssten in den Blick genommen werden.
11 Gerade bei den Ausführungen zum Ende der antiken Stadt fühlt sich Diefenbach merklich unter Druck, sich kurz fassen zu müssen: Diefenbach weiß, dass nicht ausschließlich die memorialen Gabentauschbeziehungen das Ende der antiken Zivilisation herbeigeführt haben und auch nicht allein für den Transformationsprozess ins Frühmittelalter verantwortlich zu machen sind. Die Kürze dieses als Ausblick konzipierten Kapitels erlaubt es ihm aber nicht, etwa die Frage nach der Wahrung alter aristokratischer Traditionen in euergetischen und karitativen Handlungszusammenhängen zu diskutieren und auch andere Faktoren für den Wandlungsprozess – neben den Transformationen in Religion und Mentalität auch politische, strukturelle, soziale und wirtschaftliche Krisenmomente – in seine Überlegungen einzubeziehen. Der – freilich ungerechte – Generalverdacht, die Heiligenverehrung in ihrer Relevanz für tief greifende Veränderungen in der spätantiken Stadt zu überschätzen und ein quasi monokausales Erklärungsmuster für das Ende der Antike anzubieten, liegt nahe und sollte durch eine differenziertere Abhandlung dieser Problematik in Anknüpfung an die neuere Forschungsdiskussion zum Untergang Westroms ausgeräumt werden; vgl. z.B. Ward-Perkins, Bryan, Der Untergang des Römischen Reiches und das Ende der Zivilisation, Stuttgart 2007; Heather, Peter J., Der Untergang des Römischen Reiches, Stuttgart 2007 (dazu die Rezension von Udo Hartmann, H-Soz-u-Kult, 09.07.2007 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-3-022>).
12 Entsprechende Pläne finden sich z.B. in Brandenburg 2005, 323, S. Abb. XLV (frühchristliche Kirchen in Rom und im Umfeld der Stadt); Bauer, Franz Alto, Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter, Wiesbaden 2004, S. 83, Abb. 36 (St. Peter).

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