E. Bronfen u.a. (Hrsg.): Classical Hollywood

Cover
Titel
Classical Hollywood.


Herausgeber
Bronfen, Elisabeth; Grob, Norbert
Reihe
Stilepochen des Films 2
Erschienen
Stuttgart 2013: Reclam
Anzahl Seiten
400 S., 21 Abb.
Preis
€ 12,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claus Tieber, Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Universität Wien

Nach den „Klassikern der Filmgeschichte“ und der „Filmgenres“-Reihe bringt nun der Reclam-Verlag mit den „Stilepochen des Films“ weitere Sammlungen von Einzeldarstellungen zu signifikanten Filmen in handlicher Form in die Buchhandlungen. Die neue Reihe verspricht eine „andere Perspektive“. Filme „sollen erstmals in ihrem epochalen und ästhetischen Kontext verankert werden"(S. 10, Hervorhebung im Original). Von „erstmals“ kann im Rahmen der Filmwissenschaft allerdings keine Rede sein. Seit Jahrzehnten sind Stilgeschichten gang und gäbe und ihrerseits auch schon wieder überholt, da in der aktuellen Filmgeschichtsschreibung seit einigen Jahren eine Verschiebung von den Filmen selbst auf die Prozesse von Produktion bis Rezeption zu registrieren ist.

Das klassische Hollywoodkino ist in der deutschsprachigen Filmwissenschaft erstaunlich unterrepräsentiert. Zum Standardmodell der Filmproduktion, das den Ausgangs- und Bezugspunkt für alle anderen Formen des Films darstellt, findet sich aktuell kaum ein lieferbares deutschsprachiges Buch. Die Probleme mit dem vorliegenden Band beginnen bei der zeitlichen Einordnung der Stilepoche, die hier mit 1929, explizit auch mit dem Tonfilm, angesetzt wird. Eine Begründung hierfür wird nicht geliefert, es heißt nur kurz: „Zwischen 1916 und 1928 gab es eine Periode des erzählerischen Reichtums und der ästhetischen (wie ökonomischen) Stabilität, die mit dem Aufkommen des Tonfilms in eine Periode der Erneuerung mündete“ (S. 12), welche um 1930 abgeschlossen worden sei. Eine nähere Erläuterung dieser These wird ausgespart. Dabei könnte man diese entweder in wenigen Sätzen ausführen oder aber den Beginn des klassischen Hollywoodkinos früher ansetzen, beispielsweise 1917, wie David Bordwell und seine Koautorinnen Janet Staiger und Kristin Thompson dies in „Classical Hollywood Cinema“ taten.1 In diesem Werk wird das klassische Hollywood-Kino als Gruppenstil verstanden, vergleichbar dem diverser Schulen in der Malerei, und somit der Ansatz, Filmgeschichte als eine Reihe von Stilepochen zu schreiben, etabliert. Das Buch erschien 1985.

Der filmische Stil wird bei Bordwell, Staiger und Thompson im organisatorischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Zusammenhang analysiert. Im vorliegenden Band hingegen überwiegt der gesellschaftliche Kontext; der stilistische Kern kommt in den meisten Einzeldarstellungen wie in der Einleitung angesichts des Titels der Buchreihe – „Stilepochen des Film“ – erstaunlich kurz. Dabei wäre rund 30 Jahre nach „Classical Hollywood Cinema“ gerade an den stilistischen Details die These von der Einheitlichkeit des klassischen Hollywoods infrage zu stellen und neu zu prüfen.

In einer umfangreichen Einleitung versuchen die Herausgeber, das Thema in aller gebotenen Kürze zu skizzieren und so den Kontext für die Einzeldarstellungen zu liefern. Mitunter geht die Verkürzung aber so weit, dass historische Fakten unter den Tisch fallen und falsche Eindrücke entstehen. So wird etwa bei der Thematisierung der von D.W. Griffith, Charles Chaplin, Mary Pickford und Douglas Fairbanks gegründeten Firma United Artists (UA) nicht darauf hingewiesen, dass diese zunächst nur für den Vertrieb, nicht aber für die Produktion zuständig war. Das änderte sich erst später. Man muss die Geschichte von UA nicht ausführlich darstellen, aber der Eindruck, hier sei einfach ein weiteres Studio entstanden, kann zu falschen Annahmen bei uninformierten Lesern führen.

Bei den 50 Einzeldarstellungen kann man natürlich über die Aufnahme bzw. Nicht-Aufnahme einzelner Filme diskutieren. In den meisten Fällen ist dies müßig. Wenn aber in der Einleitung die Bedeutung von Genrefilmen unterstrichen wird und dann zwar Western, Horror- und Musicalfilme Eingang finden, jedoch kein einziger Gangsterfilm der genre-definierenden ersten Welle (kein „Little Caesar“, kein „Public Enemy“, kein „Scarface“), dann kommen Fragen nach den Kategorien der Auswahl auf. Umgekehrt lässt die Zusammenfassung dreier filmischer Adaptionen von Ernest-Hemingway-Vorlagen, die allesamt von bescheidener historischer Bedeutung sind, den Leser zweifelnd zurück. Dass mit „Citizen Kane“ einer der zentralen Filme des klassischen Hollywoods fehlt, ist bei aller Singularität des Films auch nicht ganz nachvollziehbar.

Die Einzeldarstellungen sind in ihrer Struktur vergleichbar, liefern kurze Informationen und erste Interpretationsansätze. Insbesondere durch die jeweiligen Literaturhinweise bieten die meisten dieser Darstellungen somit brauchbare Informationen für eine weitere Beschäftigung. In einigen Fällen hätte man allerdings etwas mehr Augenmerk auf Produktionsgeschichten richten können. So ist im Text zu „Grand Hotel“ (1932) etwa davon die Rede, dass die Filmgesellschaft Metro-Goldwyn-Mayer (MGM) hier die Romanvorlage in Richtung einer „wertkonservative[n] Familienunterhaltung“ (S. 100) entschärft habe. Dabei kann man weder MGMs Pre-Code-Filmen vorwerfen, ausschließlich Familienunterhaltung zu sein, noch verlief der Produktionsprozess so direkt von Buch zu Film. Das Studio erwarb die Rechte am Stoff mit der Auflage, die Bühnenfassung am Broadway herauszubringen. Damit wurde die englische Übersetzung des deutschen Theaterstücks nach dem Roman von Vickie Baum zur Vorlage des Films. Nachdem die Theaterproduktion erfolgreich war, sah man bei MGM wenig Grund, zum Roman zurückzugehen. Dies hatte keine moralisch-ideologischen, sondern kommerzielle Gründe. Moralisch bedenkliche Szenen und Passagen blieben im Film enthalten, schließlich ist käuflicher Sex Thema und war Grund für die Zensurbehörden zweier US-Staaten, den Film zu verbieten. All das muss für einen derartigen Band nicht neu recherchiert werden, es ist längst nachzulesen, mitunter in der im Buch selbst angegebenen Literatur.

Die einzelnen Texte sind als Einstieg für ein breites Publikum gedacht und daher zumeist allgemein zugänglich verfasst. Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist diese Verbindung von anspruchsvollem Inhalt und verständlicher Sprache gelungen. Der Band – wie die Reclam-Filmbände insgesamt – versteht sich als Nachschlagwerk, lässt aber wichtige Elemente, welche den Gebrauchswert heben und das Nachschlagen erleichtern würden, vermissen. Das beginnt mit den Filmtiteln, da hier unverständlicherweise deutsche Synchrontitel verwendet werden, ohne dass es einen Index mit den Originaltiteln gäbe. Wer hier zum Beispiel „I am a Fugitive from a Chain Gang“ sucht, muss unter „Jagd auf James A.“ suchen. Ein Index der Namen und Filmtiteln findet sich ebenso wenig, was bei einem derartigen Werk ein grobes Versäumnis ist.

Nach den vorangegangenen Reclam-Reihen, die allesamt Einzeldarstellungen von Filmen versammeln, schiene es an der Zeit, diesen Ansatz grundsätzlich zu überdenken. Sowohl inhaltlich, da eine derartige Konzentration auf den filmischen Text zumindest ergänzungsbedürftig ist, und zum anderen formal, da das Internet hier Möglichkeiten böte, welche die Grenzen eines Sammelbandes zu sprengen imstande sind und hier in punkto Multimedialität, Hypertext und Umfang ganz neue Dimensionen eröffnet werden könnten.

Anmerkung:
1 David Bordwell / Kristin Thompson / Janet Staiger, The Classical Hollywood Cinema. Film Style and Mode of Production to 1960, New York 1985.

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