E. Weinbaum u.a. (Hrsg.): Modern Girl

Titel
The Modern Girl Around the World: Consumption, Modernity, and Globalization.


Herausgeber
Weinbaum, Eve; Lynn M. Thomas, Priti Ramamurthy, Uta G. Poiger, Madeleine Yue Dong, Tani E. Barlow
Reihe
Next Wave: New Directions in Women's Studies
Erschienen
Anzahl Seiten
435 S.
Preis
19,99 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Pablo Dominguez, Transcultural Studies Nachwuchsgruppe "Radikaler Nationalismus und Geschlecht in den USA, Deutschland und Japan 1900-1945", Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Der Sammelband „The Modern Girl Around the World“ geht von einer Entdeckung aus: Das Modern Girl war zwischen den Weltkriegen ein globales Phänomen. Bekannt als „flappers, garconnes, moga, modeng xiaojie, schoolgirls, kallege ladki, vamps and neue Frauen“ (S. 1) prägten junge Frauen, erkennbar an kurzem Haar, geschminkten Lippen, als provokant empfundener Kleidung und langgestreckten, androgyn wirkenden Körpern das Straßenbild von Metropolen auf der ganzen Welt. Herausgegeben wird dieser Band von einer international und interdisziplinär besetzten Forschungsgruppe an der University of Washington, die sich seit 2002 der Frage widmete, worin die spezifische Globalität des Modern Girl bestand und wie sie sich herausgebildet hatte. In zwei gemeinsam verfassten Aufsätzen und fünfzehn Einzelstudien präsentiert die Gruppe nun ihre Ergebnisse.

In der Einleitung bestimmen die Autorinnen zunächst den Forschungsgegenstand genauer. Modern Girls zeichneten sich vor allem durch den Gebrauch bestimmter Konsumgüter und durch eine offen zur Schau gestellte Erotik aus. Die Differenz zu den bestehenden normativen Weiblichkeitskonzepten der Tochter, Ehefrau und Mutter ist für die Autorinnen ebenfalls ein zentrales Charakteristikum des Modern Girls; eines, das sie als grundlegend subversives Element der Figur ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellen. Die Gruppe bevorzugt deshalb auch den Begriff des Girls gegenüber dem der Frau: das Girl, weder Kind noch Frau, sei eine tendenziell transgressive Figur, weil sie bestehende Grenzen und Dichotomien überschreite.

Obgleich sich der heuristische Begriff des Modern Girls sowohl auf „tatsächliche“ historische Akteurinnen als auch auf deren kulturelle Repräsentationsformen beziehen soll, liegt der Fokus der meisten Beiträge wohl auch aufgrund der Quellenlage eher auf Letzterem. Vor allem visuelle Quellen wie Werbeanzeigen, Fotografien oder Abbildungen aus zeitgenössischen Illustrierten bilden die Grundlage der Analysen. Wie die Autorinnen jedoch betonen, war auch zeitgenössisch die Visualität eines der wichtigsten Charakteristika des Modern Girls. So stellte gerade die öffentliche Sichtbarkeit junger, unabhängiger Frauen aus der Sicht heteronormativer Geschlechterdiskurse ein Hauptskandalon dar, weil sie die vergeschlechtlichte Aufteilung von öffentlicher und privater Sphäre grundlegend in Frage stellte.

In der zentralen Frage nach der spezifischen Modernität des Modern Girls schließt sich der Band an die jüngere Forschung an, die sich von der Identifizierung der Moderne mit „dem Westen“ gelöst hat und dazu übergegangen ist, von multiplen, geteilten, parallelen oder (post-) kolonialen Modernen im Plural zu sprechen. Als methodisches Analysewerkzeug präsentieren die Autorinnen das Verfahren der „connective comparison“, also eine Perspektive, die vergleichend angelegt ist und zugleich den Blick auf transnationale Transfer- und Austauschprozesse richtet.

Das zentrale Forschungsergebnis des Bandes ist zunächst die Feststellung, dass die Figur des Modern Girls zu Beginn der 1920er-Jahre beinahe zeitgleich an verschiedenen Orten der Welt auftauchte. Wenngleich die Autorinnen die besondere Rolle der USA und des Hollywoodkinos gerade für die massenmediale Verbreitung des Modern Girls anerkennen, widerspricht dieses Ergebnis einmal mehr der weit verbreiteten Vorstellung, das Modern Girl sei eine amerikanische Erfindung, die zunächst nach Europa und dann in den Rest der Welt exportiert worden sei. So hinterfragt der Band deutlich das westliche Fortschrittsnarrativ, nach dem die Moderne insgesamt sich einseitig von den USA und Europa auf den Rest der Welt ausgebreitet habe.

Ausgehend von diesem grundsätzlichen Ergebnis arbeiten die einzelnen Beiträge dann die beim globalen Aufstieg des Modern Girls auftretenden Widersprüche, Verflechtungen, Komplexitäten und Asymmetrien heraus. Einzelne Aufsätze besonders hervorzuheben fällt bei der durchgängig guten Qualität der Studien schwer. Deutlich wird vor allem, wie sich in verschiedenen nationalen und kulturellen Kontexten immer wieder lokale und globale Elementen vermischten und so zu je spezifischen Ausprägungen des Modern Girl führten. So zeigt beispielsweise Priti Ramamurthy für Indien wie die Filmikone „Glorious“ Gohar auf Fotografien mit geschminkten Wimpern, großen Augen und Bubikopf deutlich an das amerikanische „It-Girl“ Clara Bow erinnerte; gleichzeitig war sie mit Signifikanten traditionell indischer Weiblichkeit wie Bindi, Sari und Perlenschmuck ausgestattet. Für dieses Phänomen hat die Gruppe den Begriff der “multidirectional citation” gefunden, den sie definiert als “the mutual, though asymmetrical, influences and circuits of exchange that produce common figurations and practices in multiple locations.” (S. 4)

Ein besonderer Schwerpunkt des Bandes liegt neben Fragen von Konsum und Klassenzugehörigkeit auch auf der rassischen Kategorisierung des Modern Girls, ein Aspekt, der in der bisherigen Forschung kaum Aufmerksamkeit erfahren hat. In der Einleitung betonen die Autorinnen, „[i]n many instances ‚girl’ functioned as a racialized category. In those contexts structured by eugenics, racial segregation, and colonial rule, the Modern Girl could not be envisioned apart from hierarchical racial formations.” (S. 11) Wie auch die einzelnen Aufsätze zeigen, spielten in allen untersuchten nationalen Kontexten rassische Zuschreibungen eine entscheidende Rolle bezüglich der Frage, welche Frauen als modern angesehen wurden und welche nicht.

Grundlegend und in globaler Perspektive analysiert wird das Verhältnis der Kategorien „Rasse“ und „Geschlecht“ im zweiten, gemeinsam verfassten Aufsatz zum Thema Werbung für Kosmetik. Hier arbeiten die Autorinnen anhand von Anzeigen für Kosmetikprodukte heraus, dass weiße oder helle Haut als Schönheitsideal moderner Weiblichkeit in den 1920er-Jahren nicht nur in Europa und den USA, sondern auch in China, Indien, Hong Kong, Australien und Südafrika verbreitet war. In all diesen Ländern wurden Kosmetika beworben, die dazu dienten, die Haut aufzuhellen. In einigen Kontexten wie der afroamerikanischen oder südafrikanischen Presse wurde das Schönheitsideal weißer Weiblichkeit jedoch auch gezielt in Frage gestellt bzw. durch das einer glamourösen, modernen Blackness ersetzt, wie Davarian L. Baldwin für die USA und Lynn M. Thomas für Südafrika zeigen.

Während in kolonialen Kontexten weiße Haut also oftmals als Zeichen weiblicher Modernität fungierte, warben seit Mitte der 1920er-Jahre in Europa und den USA Firmen zunehmend mit Produkten, welche modernen weißen Frauen einen „exotischen“ Look versprachen. Die Modernität und das Weißsein des Modern Girls in der westlichen Metropole stellten sich also paradoxerweise über das visuelle Zitieren von Exotik und Primitivität, das heißt über eine teil- und zeitweise Inkorporierung rassischer Differenz her. Hierbei hat die Gruppe einen besonders starken Einfluss orientalistischer Diskurse beobachtet. Die visuelle Ausstattung des Modern Girl vor allem mit fernöstlichen Charakteristika war in den 1920er-Jahren in den USA und Europa ein so weitverbreitetes Phänomen, dass die Autorinnen von einer „Asianization“ des Modern Girl sprechen, so zum Beispiel auch Uta Poiger in ihrem Beitrag zur neuen Frau in Deutschland. Inwiefern ein solcher positiver Bezug auf das „rassische“ Andere auch einen Ausdruck rassistischer Machtverhältnisse darstellte, betont Alys Eve Weinbaum mit Blick auf die USA treffend: „The racially syncretic aesthetic was a powerful sign of racial supremacy, of white women’s control over the racial masquerade, racial ascription, and thus their designation as members of the modern racial nation.“ (S. 128)

„The Modern Girl Around the World“ setzt die in der deutschen Historiographie geforderte Überwindung des methodischen Nationalismus mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit in die Tat um. Der Band zeigt exemplarisch, wie fruchtbar institutionell und disziplinär breit angelegte Forschungskollaborationen gerade für transnationale Fragestellungen sind. Besonders positiv fällt die durchgängige methodische und theoretische Reflexivität und Sorgfalt der Aufsätze auf. Der Konsumgeschichte, der globalen bzw. transnationalen Geschichte und der (relationalen) Geschlechtergeschichte bietet „The Modern Girl Around the World“ wertvolle neue Einsichten und methodische Impulse.

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