Titel
Hanseat und Grenzgänger. Erik Blumenfeld – eine politische Biographie


Autor(en)
Bajohr, Frank
Erschienen
Göttingen 2010: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
302 S., 32 Abb.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Hoeres, Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität Gießen

Die Hamburger sind stolz auf ihren Hafen, das „Tor zur Welt“; sie sind auf das Meer hin orientiert, damit auch zu ihren Wahlverwandten, den Engländern, von denen sie gern die Vornamen entlehnen (Beispiel: Percy Ernst Schramm), aber zugleich nach Amerika hin. Das macht sie liberal, international, atlantisch. Politisch geführt und repräsentiert werden sie von einer Kaufmannselite, den Hanseaten, die Politik als Honoratiorenaufgabe verstehen. All das verkörperte der Unternehmer und christdemokratische Politiker Erik Blumenfeld (1915–1997), über den nun Frank Bajohr eine politische Biographie vorgelegt hat, die auf seiner Hamburger Habilitationsschrift beruht.

Von anderen prominenten Hanseaten und CDU-Politikern unterschied sich Blumenfeld dadurch, dass er während der NS-Zeit als „Mischling“ in Auschwitz und Buchenwald interniert gewesen war. Blumenfelds Vater war ein deutscher Jude, der im Alter zum Protestantismus konvertierte. Die Mutter stammte aus dem dänischen Landadel; sie ließ Erik in Dänemark von einer englischen Nanny erziehen. Sie kämpfte während des Krieges unermüdlich für ihren nun gefangenen Sohn. Dafür wurde sie sogar über Felix Kersten bei Himmler vorstellig. Schließlich gelang es ihr, den Sohn freizubekommen, der sich dafür aber sterilisieren lassen musste.

Blumenfeld wurde dann erneut in einer Sammelstelle interniert, aus der ihn sein Rechtsanwalt und Freund Gerd Bucerius mit Waffengewalt befreien wollte. Blumenfeld zog jedoch gemeinsam mit seiner späteren Frau Sibylle Brügelmann die Flucht vor und erlebte das Kriegsende, im Gegensatz zur Mehrheit seiner Landsleute, tatsächlich als Befreiung. Die Lagerzeit hatte ihn geprägt, hatte ihn, den Wirtschaftsliberalen, auch Toleranz gegenüber Sozialdemokraten und Kommunisten entwickeln lassen. Ein „Vergangenheitspolitiker“ (S. 72) wurde er jedoch zunächst nicht. Erst mit der Debatte um die antisemitischen Schmierereien 1959/60 und den „Fall Oberländer“ nahm er verstärkt öffentlich Stellung, weniger privat.

Unmittelbar nach Kriegsende setzte Blumenfeld seine ganze politische Kraft dafür ein, Hamburg politisch und ökonomisch in der Welt zu reetablieren. Erstaunlich schnell ließ er sich nach 1945 für öffentliche Ämter gewinnen und trat nach einigem Schwanken ob seiner wenig christlichen Orientierung, von Adenauer beeindruckt, der CDU bei. In Hamburg war er als CDU-Politiker angesichts des dort fehlenden christdemokratischen Milieus quasi naturgemäß Oppositionspolitiker. Nur mit dem „Hamburg-Block“ aus CDU, FDP, DP und BHE gelang es vorübergehend, eine bürgerliche Regierung zu installieren (1953–1957), in der Blumenfeld als Fraktionsvorsitzender amtierte. Danach drängte Blumenfeld, der neben der Leitung der Familienfirmen „Norddeutsche Kohlen- & Cokes-Werke“ (NKCW) und „Bd. Blumenfeld“ auch einen Zeitungsfachverlag gründete und in die Elektrobranche einstieg, auf die bundes- und dabei speziell die außenpolitische Bühne. Dort hatte er schon die Nachkriegsbegegnung von Adenauer und Churchill angebahnt und Adenauers Amerikareise vorbereitet. 1961 zog er in den Bundestag ein und engagierte sich nun in den drei außenpolitischen Ausschüssen (Auswärtige Angelegenheiten, Außenhandel, Entwicklungshilfe). Politik hieß für Blumenfeld nämlich in erster, zweiter und dritter Linie: Außenpolitik. Auch innen- und gesellschaftspolitische Themen setzte er immer in Bezug zur auswärtigen Sphäre. Zusammen mit seinem elitären Verständnis von Politik als Aufgabe von Honoratioren führte dies zu einer Entfremdung von seiner Aufgabe als Hamburger CDU-Vorsitzender, was sein Biograph anschaulich und amüsant schildert. Die Folge war 1968 Blumenfelds Abwahl und Ersetzung durch den erfolgreichen Parteifunktionär Dietrich Rollmann, Typ Helmut Kohl, mit dem Blumenfeld ebenfalls gar nicht konnte. Gleichwohl oder gerade deswegen wurde Blumenfeld in den 1970er-Jahren zweimal als eine Art Präsidentschaftskandidat der Hamburger CDU für das Bürgermeisteramt nominiert; beide Male holte Blumenfeld auch gute Ergebnisse. Das Amt blieb ihm, nicht unbedingt zu seinem Verdruss, aber verwehrt.

In der Bundespolitik hatte sich Blumenfeld am Ende der Ära Adenauer mit diesem überworfen – nicht nur im Falle der Personalie Oberländer, auch in der „Spiegel“-Affäre und im Unionsstreit der 1960er-Jahre um die außenpolitische Orientierung stand Blumenfeld als entschiedener Atlantiker in Opposition zum „Alten“. Unter dem von ihm favorisierten Erhard wäre Blumenfeld gern Staatsminister geworden; ihm blieb aber nur die Rolle als Emissär in Warschau, Prag, Jerusalem und Ost-Berlin. Im Streit um die Neue Ostpolitik wich Blumenfeld bei der Debatte um die Ratifizierung des Warschauer Vertrages von der Mehrheitsmeinung der Union ab, deren Enthaltungslinie er sich dann aber doch beugte. Hinsichtlich der Einschätzung der Sowjetunion und der DDR lag er wieder näher bei der Majorität der Union.

Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag (1980) widmete sich Blumenfeld als Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft intensiv dem zu Zeiten Menachem Begins besonders schwierigen bilateralen Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und Israel. Sein zweites großes Betätigungsfeld war die Europapolitik, wo Blumenfeld als Europaparlamentarier die Vereinigten Staaten von Europa anstrebte und sich später skeptisch gegenüber dem Vorrang der deutschen Einheit vor einer weiteren europäischen Integration zeigte.

So liberal Blumenfeld war, so sehr er sich für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit einsetzte, so sehr er für Versöhnung mit dem Osten stand, dabei dem Schicksal der Vertriebenen regelrecht kalt gegenüberstehend: Auch Blumenfeld wurde 1968 als „Faschist“ niedergeschrien, da er zu viel Verständnis für das griechische Obristen-Regime gezeigt hatte. Letztlich interessierten sich die „68er“ auch für Blumenfelds Schicksal und das seiner Leidensgenossen nicht, wie sein Biograph plausibel darlegt. Erst eine Dekade später, nach der Ausstrahlung der von Blumenfeld begrüßten Fernsehserie „Holocaust“, war er als Zeitzeuge überall gefragt. Nun argumentierte er in der nicht enden wollenden Verjährungsdebatte auch offensiv und erfolgreich mit seiner Geschichte als ehemaliger Auschwitz-Häftling. In Blumenfelds Umgang mit seiner eigenen Vergangenheit sind überdeutlich die Konjunkturen der jeweiligen Vergangenheitspolitik ablesbar.

Blumenfeld war mit den Größen der „Hamburger Kumpanei“ befreundet: mit Axel Springer, dem er beim Kauf der Tageszeitung „Die Welt“ behilflich war und den er später für Israel begeisterte, mit Gerd Bucerius und mit Marion Gräfin Dönhoff, die sieben Jahre in seinem Haus wohnte; Rudolf Augstein duzte er. Gleichwohl nahm er wie die Hamburger Politik insgesamt den neuen Status der Stadt als Medien- und Verlagsmetropole lange nicht richtig wahr. Auch hier zeigt sich ein sehr traditionelles Verständnis seiner Heimatstadt. Von den Hamburger Journalistengrößen scheint er sich nur mit Henri Nannen nicht besonders gut verstanden zu haben – im vorliegenden Band kommt der „Stern“-Chef kaum vor. 1969 schmähte dieser Blumenfeld jedenfalls im Rahmen der Auseinandersetzung um die Neue Ostpolitik als einen „in Außenpolitik dilettierenden Kohlenhändler“.1

Einiges hätte man gern noch genauer gewusst, so über Blumenfelds medienpolitischen Einsatz für Axel Springer, von dem ihn politisch-weltanschaulich vieles trennte, oder auch über seine Aktivitäten in den Vereinigten Staaten. Die Beziehung zu Henry Kissinger, den er öfter traf und mit Vornamen anredete, wird mit keinem Satz erwähnt.

Frank Bajohr fügt sich mit seiner von zurückhaltender Sympathie für den Protagonisten getragenen Biographie diesem Genre, das in den letzten Jahren von der akademischen Zunft in Deutschland zurückerobert wurde, insgesamt aber gut ein, auch wenn seine politisch-historischen Urteile den Leser mit keinerlei Perspektivwechsel überraschen. Bei Themen wie der Vergangenheitspolitik, der Neuen Ostpolitik oder den Geschichtsdebatten der 1980er-Jahre bleibt so eine Horizonterweiterung aus.

Mit seinem Buch leistet Bajohr auch einen klar konturierten Beitrag zur mittlerweile gut bestellten Stadtgeschichte Hamburgs, die hier nun in Verbindung zur Außenpolitik gebracht wird. Er versteht Blumenfeld als einen Repräsentanten der durch die Nationalsozialisten erst als Gruppe konstituierten „Mischlinge“, die sich nach Kriegsende schnell in die Wiederaufbaugemeinschaft einfügten und erst allmählich, abhängig von den Veränderungen der politischen Kultur, vergangenheitspolitisch aktiv wurden. Zugleich erkennt Bajohr in Blumenfeld den elitären Typus des Hamburger Honoratiorenpolitikers, dem nichts so verhasst war wie Parteidisziplin, Funktionärslaufbahnen und Basisnähe. Dies verbaute dem weltgewandten Blumenfeld freilich den Zugang zu höheren Ämtern, zu denen er sich durchaus berufen gefühlt hatte.

Anmerkung:
1 Henri Nannen, Lügen haben kurze Beine, in: Stern, 14.12.1969 (Editorial).

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