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H-Soz-Kult
 

Das Historische Buch 2003


Thomas Angerer
Jan C. Behrends
John Breuilly
Susanna Burghartz
Sebastian Conrad
Jacques Ehrenfreund
Andreas Fahrmeir
Norbert Finzsch
Etienne François
Mary Fulbrook
Peter Funke
Klaus Gestwa
Martin H. Geyer
Dieter Gosewinkel
Abigail Green
Rebekka Habermas
Johannes Helmrath
Hartmut Kaelble
Karl Christian Lammers
Achim Landwehr
Dieter Langewiesche
Ursula Lehmkuhl
Chris Lorenz
Ralf Lusiardi
Mischa Meier
Pierre Monnet
Igor Narskij
Dietmar Neutatz
Wilfried Nippel
Marek Jan Olbrycht
Ilaria Porciani
Stefan Rebenich
Folker Reichert
Christine Reinle
Tanja S. Scheer
Axel Schildt
Hubertus Seibert
Hannes Siegrist
Claudia Tiersch
István György Tóth
Beate Wagner-Hasel
Michael Wildt
Michael Zeuske
Susan Zimmermann

Dr. habil. Claudia Margarete Zey

Ludwig-Maximilians-Universität München

Lebenslauf

geboren 20. Juni 1963 in Düsseldorf

Schulbildung:

1969-1973 Matthias-Claudius-Grundschule in Düsseldorf

1973-1982 Lise-Meitner-Gymnasium in Düsseldorf; Abschluß: 21. Juni 1982, Abitur

Studium:

WS 1982/83 Studium der Fächer Latein und Altgriechisch für das Lehramt der Sekundarstufe I und II an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

SS 1983 - WS 1988/89 Studium der Fächer Geschichte und Latein für das Lehramt der Sekundarstufe I und II an derselben Universität.
Thema der Staatsarbeit: Erzbischof Tedald von Mailand und der oberitalienische Episkopat (1075-1085).
Abschluß: 16. März 1989, Erste Staatsprüfung Sek. I./II.

Promotion:

SS 1989 - WS 1992 Promotionsstudium des Hauptfachs Mittelalterliche und Neuere Geschichte und der Nebenfächer Historische Hilfswissenschaften und Klassische Philologie Latein an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
Thema der Dissertation: Arnulf von Mailand, Liber gestorum recentium. Einleitung, Text und Kommentar (betreut von Prof. Dr. Rudolf Schieffer).
Abschluß: 9. Dezember 1992, Rigorosum

Habilitation:

SS 2002 Zulassung zum Habilitationsverfahren an der Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften (09) der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Thema der Habilitationsschrift: Die päpstliche Legatenpolitik im 11. und 12. Jahrhundert.

WS 2002/03 Abschluß: 9. Dezember 2002, Zuerkennung der Lehrbefähigung für das Fach Mittelalterliche Geschichte; 13. Februar 2003, Zuerkennung der Lehrbefugnis für das Fachgebiet Mittelalterliche Geschichte

Berufliche Tätigkeit:

1.8.1985-31.3.1989 Studentische Hilfskraft im Amt für Rheinische Landeskunde, Abteilung Landesgeschichte, Landschaftsverband Rheinland

3.4.1989-31.3.1994 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Mittelalterliche und Neuere Geschichte von Prof. Dr. Rudolf Schieffer, Historisches Seminar der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (bis Juli 1993 auf einer halben, ab August 1993 auf einer vollen Stelle)

1.4.1994-31.3.2000 Wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Geschichte von Prof. Dr. Rudolf Schieffer, Institut für Mittelalterliche Geschichte, Bildungs- und Universitätsgeschichte, Geschichtliche Hilfswissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München

1.10.2000-31.12.2002 Inhaberin eines Habilitandenstipendiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft

1.1.2003-31.3.2003 Inhaberin eines Stipendiums für exzellenten wissenschaftlichen Nachwuchs aus dem Hochschul- und Wissenschaftsprogramm (HWP) zur "Förderung der Chancengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre" des Freistaates Bayern. Projekt: Portugal - Sizilien - Böhmen. Zur europäischen Reichs- und Nationenbildung im 12. Jahrhundert

1.4.2003-31.3.2004 Vertreterin auf dem Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Leipzig (vormals Prof. Dr. Franz-Reiner Erkens)

1.4.2004-31.7.2004 Vertreterin auf der Professur für Wissenschafts- und Universitätsgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München (vormals Prof. Dr. Martin Kintzinger)

Fakultätsarbeit:

WS 1994/95 Stellvertretende Frauenbeauftragte der Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften (09) an der Ludwig-Maximilians-Universität München

SS 1995 - SS 1996 Frauenbeauftragte der Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften (09)

WS 1996/97 - SS 1998 Vertreterin des wissenschaftlichen Mittelbaus der Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften (09)

Fragen zur historischen Forschungslandschaft und zu aktuellen Debatten

2. a) Wie kamen Sie zur Geschichtswissenschaft? Was hat Sie motiviert, Geschichte zu Ihrem Beruf zu machen?

Zur Geschichtswissenschaft wechselte ich erst im 2. Semester meines Lehramtsstudiums, nachdem ich das Studium von zwei Altphilologien (Latein und Griechisch) als zu einseitig empfunden hatte. Vorherrschend war und ist der Wunsch, die mittelalterliche Geschichte dauerhaft erforschen und unterrichten zu können.

2. b) Die Geschichtswissenschaften haben in den zurückliegenden Jahrzehnten zahlreiche Erweiterungen und Neuorientierungen der Frageansätze und Forschungsperspektiven erfahren. Welche halten Sie für die interessanteste und folgenreichste?

Die Erweiterung der Forschungsperspektiven im Fachbereich der mittelalterlichen Geschichte auf den gesamten europäischen Raum unter vergleichendem Ansatz halte ich für die wichtigste methodische Neuerung der letzten Jahre. Viele bisher nur unter „nationalgeschichtlichem“ Blickwinkel und aus einem entsprechend engen Quellenspektrum gewonnene Erkenntnisse werden so relativiert und korrigiert.

2. c) Sehen Sie Forschungsfelder, denen man künftig mehr Aufmerksamkeit widmen sollte?

Zu den Forschungsfeldern, denen man künftig wieder mehr Aufmerksamkeit widmen sollte, gehört unbedingt die textkritische Grundlagenarbeit an den Quellen selbst. Das betrifft weniger das Früh- und Hochmittelalter als das Spätmittelalter. Zahlreiche historiographische Werke wie auch dokumentarische Quellen, die für die europäische Geschichte von größter Bedeutung sind, liegen lediglich in völlig veralteten Editionen oder sogar überhaupt noch nicht gedruckt vor, stehen also als solide Basis der gegenwärtigen Forschung nicht zur Verfügung.

2. d) In den Medien werden seit längerem unterschiedliche Zukunftsdiskurse geführt, die Lösungen und Wege zur Bewältigung der gegenwärtigen Krisen- und Umbruchserfahrungen (Umbau des Sozial- und Leistungsstaates, Krise der europäischen Verfassungsentwicklung, Terrorismus und Terrorismusbekämpfung, Auflösung überkommener Lebensformen und Werte u.a.m.) aufzeigen sollen.Historiker sind an diesen Debatten kaum beteiligt. Lassen sich aus historischen Krisen- und Umbruchsphasen keine Lehren ziehen, Erfahrungen und Einsichten vermitteln? Müssen wir Historiker die öffentliche Diskussion Juristen und Verwaltungsexperten, Wirtschaftswissenschaftlern und Militärs überlassen?

Historikerinnen und Historiker sollten versuchen, sich stärker an der öffentlichen Diskussion zu beteiligen als bisher. Die Vermittlung von historischen Erkenntnissen wird angesichts eines sinkenden gesellschaftlichen Bewußtseins für langfristige historische Entwicklungen und die Dauerhaftigkeit struktureller Gegebenheiten immer wichtiger, wenn das neue Europa nicht ein geschichtsloser Verbund von Wirtschaftspartnern werden soll.

2. e) Elite oder Eliten? Das Vertrauen in die Rolle und Prämierungsmodelle der Eliten moderner Gesellschaften scheint zu schwinden. Ist die Aufspaltung unsere Gesellschaft in funktional spezialisierte, oft aber unverbundene Hochleistungsbereiche (Wirtschaft, Politik-Verwaltung, Technik-Medizin-Wissenschaft) unvermeidlich? Oder bieten die gegenwärtigen Umbruchsszenarien die Chance zu einer Neudefinition auch dessen, was Bildung sein soll und wie Elitenrekrutierung und Bildung zusammenkommen?

Durch eine völlig verfehlte Forschungs- und Universitätspolitik der öffentlichen Hand wird der schon bestehende Graben zwischen der Bildung breiter Gesellschaftsschichten und der Spitzenforschung noch weiter vertieft. Statt die Forschungsinstitute und Universitäten wirtschaftlich und auch ideell zu stärken, werden unter den Schlachtrufen „Effizienz, Reform und Innovation“ sparwütig neben den schlechten und verbesserungswürdigen Strukturen auch die guten und bewährten zerschlagen. Dabei nimmt man zugleich Image- und Prestigeeinbußen von leistungsfähigen Institutionen und ihrem Personal in Kauf. Solange dieser Prozeß politisch gewollt ist, hat die Wissenschaft kaum Chancen, eine Bewußtseinsänderung und damit auch eine ökonomische Verbesserung ihrer Situation herbeizuführen.
Allenfalls verfügt sie über Strategien, um der Nivellierung und dem Qualitätsverlust vorzubeugen, indem fachintern die Standards hochgehalten werden und deutlicher als bisher herausgestellt wird, daß Elitenförderung und Allgemeinbildung die Spitze und der Sockel ein- und desselben Eisbergs sind.

2. f) Deutschland begibt sich auf die Suche nach Spitzen-Universitäten. Verträgt sich Geschichtswissenschaft über die bloße fachliche Professionalität hinaus überhaupt mit dem Elitegedanken?

Wie jede andere akademische Disziplin benötigt auch die Geschichtswissenschaft eine Elite. Inzwischen gibt es in Deutschland aber nur noch wenige Universitätsstandorte, an denen die Voraussetzungen für eine besondere Förderung von Spitzenkräften für das Fach Geschichte gegeben sind; damit meine ich gut ausgestattete Bibliotheken und ausreichendes Personal an den Historischen Instituten. Vielfach geht es heute ja nur noch um die Verwaltung und Versorgung von (leider oft schlecht qualifizierten) Studentenmassen mit unzureichenden Mitteln. Insofern lenkt die derzeit politischerseits instrumentalisierte Elitendiskussion von den Kernproblemen der Hochschulen ab. Vordringliches Problem ist eine flächendeckende Verbesserung der Studien- und Forschungsbedingungen. Für die Eliteförderung wäre es momentan schon wünschenswert, wenn der Qualitätsstandard an den besseren Standorten gehalten werden könnte und nicht durch weitere Sparmaßnahmen zerstört würde.

3. Stellen Sie bitte Ihren persönlichen Favoriten unter den historischen Büchern des Jahres 2003 kurz vor und erläutern Sie Ihre Wahl. (15-20 Zeilen.)

Mein persönlicher Favorit unter den historischen Büchern des Jahres 2003 ist der Band von Martin Kintzinger, Wissen wird Macht. Bildung im Mittelalter.
Von den vielen Gründen für diese Wahl will ich drei nennen:
1) Kintzinger hat das Thema mit einem umfassenden Ansatz in zeitlicher wie geographischer Ausdehnung behandelt.
2) Mit seiner ganzheitlichen und generalisierenden Betrachtungsweise hat er viele Brücken zur aktuellen Diskussion über den Stand von Hochschule und Bildung in unserer Gesellschaft geschlagen.
3) Durch den flüssigen Stil wird über die Fachkreise hinaus ein breites Publikum angesprochen, was angesichts der aktuellen Bezüge besonders erfreulich und wichtig ist. Damit hat Kintzinger zugleich eine Lücke in der ansonsten üppigen Literaturlandschaft zu Bildung, Schule und Universitäten im Mittelalter geschlossen.
Die Nachrede trägt den Titel: „Bildung, Wissen und Macht in der Wissensgesellschaft“. Wie ohnmächtig die Wissensgesellschaft mitunter gegenüber der Macht ist, zeigt der Umgang mit der Münchener Professur für Wissenschafts- und Universitätsgeschichte, die Martin Kintzinger zuletzt innehatte. Sie wird mutmaßlich dem Sparwillen der bayerischen Landesregierung zum Opfer fallen.