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H-Soz-Kult
 

Das Historische Buch 2007

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Entangled History: nationale und europäische Geschichte in globaler Perspektive
Thematischer Schwerpunkt 2008
Publikumspreis

Publikumspreis

Essay von Rüdiger Hohls für H-Soz-Kult

1. Rang (356 Punkte, 90 Voten)

Friedländer, Saul: Das Dritte Reich und die Juden. Bd. 2: Die Jahre der Vernichtung : 1939 - 1945. München: C.H. Beck Verlag 2006.

Saul Friedländer ist ein beeindruckendes Buch gelungen. Dabei ist sein Vorhaben, denkt man an die Bände von Wolfgang Benz und Leni Yahil, nicht unbedingt neu. Aber im Unterschied zu seinen Vorgängern profitiert er von einer in den letzten Jahren erreichten Erweiterung und Vertiefung der Holocaustforschung sowie von den zahlreich erschienenen Selbstzeugnissen. Die Fülle an Forschungsergebnissen nicht nur zu kennen, sondern kompositorisch mit den Tagebüchern der Opfer so zu verweben, dass eine Geschichte des Massenmords und aller daran Beteiligten entsteht, ist ein historiographischer Meilenstein. Peter Klein für H-Soz-Kult

Man kann Friedländers Schilderung der "Endlösung der europäischen Judenfrage" nur mit tiefer Erschütterung und Ergriffenheit, als Deutscher zugleich mit einem Gefühl der Beschämung, aus der Hand legen. Sie berichtet von der Entrechtung und Ermordung der mehr als fünf Millionen Juden, die dem Zugriff der Schergen Hitlers erlagen und Jahre langer erniedrigender Unterdrückung und qualvollem Tod ausgesetzt waren.
Hans Mommsen (FR 02.10.2006)
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medie...

Was in den meisten Darstellungen zur Verfolgung der Juden getrennt behandelt wurde – hier wird es zusammengeführt. Mit anderen Worten: Dies ist die erste Gesamtgeschichte des Holocaust, die diesen Namen auch verdient.
Volker Ullricht (Die Zeit 28.09.2006)
http://www.zeit.de/2006/40/P-Friedlaender

In ihrer Eindringlichkeit erinnert die Darstellung dieser maßlosen Tragödie an das Filmkunstwerk von Claude Lanzman. Der Chor der Stimmen - das ist Saul Friedländers Absicht - unterbricht die glatte historische Erzählung und "die (meist unwillkürliche) Selbstgefälligkeit wissenschaftlicher Distanz und ,Objektivität'" in der Tat höchst eindrucksvoll. So sind tiefe Fassungslosigkeit und nüchterne Gründlichkeit in einem Werk zusammengeflossen, das mehr ist als ein Höhepunkt internationaler Zeitgeschichtsschreibung: Es ist das historiographische Denkmal für die ermordeten Juden Europas.
Klaus-Dietmar Henke (FAZ 04.10.2006)
http://www.buecher.de/w1100485faz3406549667

Dieses Buch ist eines der wenigen, vielleicht das erste aus der Hand eines Historikers, das für die Beschreibung und Analyse der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden eine angemessene Form findet: durch die Vielzahl der Schauplätze und Perspektiven, durch die erzählerische Kraft und den zurückhaltenden, klaren Stil des Autors, und dadurch, dass Friedländer immer wieder diejenigen in den Mittelpunkt stellt, die litten und starben. Es sind die Stimmen der Opfer, die alle Versuche, die Geschichte des Holocaust über einen Leisten zu schlagen, scheitern lassen. Nur auf diese Weise, so betont Friedländer mehrfach, könne die Geschichtsschreibung der Gefahr der "domestizierten Erinnerung” an dieses beispiellose Geschehen entkommen.
Ulrich Herbert (SZ 29.09.2006)
http://www.buecher.de/w1100485sz3406549667


2. Rang (218 Punkte, 67 Voten)

Longerich, Peter: "Davon haben wir nichts gewusst!". Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933 - 1945. München: Siedler Verlag 2006.

Wenn ein international anerkannter Holocaustforscher wie Peter Longerich sich diesem Gegenstand annimmt, darf man auf einen Erkenntnisgewinn hoffen. Tatsächlich leistet seine Monografie einen wichtigen Beitrag auf einem besonders schwierigen Terrain der Erforschung der Rahmenbedingungen des Holocaust. Die Legende von der Ahnungslosigkeit der Deutschen wird durch zahlreiche Quellen widerlegt. Longerich gelingt dies, indem es die Entwicklung der nationalsozialistischen Propaganda zur Judenverfolgung in der NS-Zeit intensiv untersucht. Bernward Dörner für H-Soz-Kult

Sein Buch zeichnet sich darüber hinaus dadurch aus, dass es die Frage nach dem Wissen über die »Endlösung« verknüpft mit einem weiteren Untersuchungskomplex: der Rolle, welche die »Judenfrage« in der von den Nationalsozialisten gelenkten und kontrollierten Öffentlichkeit spielte. Er schildert die einzelnen Stadien der Verfolgung, beginnend mit dem Boykott vom April 1933, die sie begleitenden Propagandakampagnen und die jeweiligen Reaktionen der Bevölkerung. Dabei lässt er, gerade was die Aussagekraft der Stimmungsberichte betrifft, ein Höchstmaß an quellenkritischer Sorgfalt walten. So methodisch reflektiert, so akribisch genau ist das schwierige Thema noch nie behandelt worden. Kurzum: ein exzellentes Buch, das für eine längst fällige Korrektur unseres Geschichtsbildes sorgt.
Volker Ullrich (Die Zeit 20.04.2006)
http://zeus.zeit.de/text/2006/17/P-Longerich

Der plakativ-apologetisch und provokant wirkende Titel des Buches ("Davon haben wir nichts gewußt!") mag dem merkantilistischen Interesse des Verlags geschuldet sein. Er steht im partiellen Widerspruch zum Untertitel, da "ganz normale" Deutsche von der Judenverfolgung zwischen 1933 und 1939 unmittelbar mehr erfahren haben als von den Massenmorden während des Zweiten Weltkriegs in den besetzten Gebieten Osteuropas. Unabhängig davon ist es Longerich mit seiner quellengesättigten Untersuchung gelungen, wesentlich neue und ertragreiche Erkenntnisse zu gewinnen, die breites Aufsehen hervorrufen werden innerhalb wie außerhalb der historischen Zunft.
Hans-Jürgen Döscher (FAZ 12.06.2006)
http://www.faz.net/s/RubA330E54C3C12410780B68403A11F948...html


3. Rang (168 Punkte, 56 Voten)

Welzer, Harald: Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden. [Unter Mitarb. von Michaela Christ]. Frankfurt am Main: S. Fischer 2005.

Welzer erinnert die Holocaust- bzw. Täter-Forschung gekonnt daran, dass der gesellschaftliche Ausschluss einer Minderheit eine notwendige Voraussetzung genozidaler Prozesse ist. Erst nachdem eine Mehrheitsgesellschaft eine Minderheit als störend und bedrohlich wahrgenommen hatte, erblickte sie ihr "Heil darin [...], diese Gruppe unschädlich zu machen und zu vernichten". Töten avancierte zum "gesellschaftlich integrierten Handeln". Die Täter maßen ihrem Morden einen Sinn bei. Sie konnten ihr Handeln als "gut" interpretieren, da es der nationalsozialistischen Definition von Gerechtigkeit und Gemeinwohl entsprach. Welzer überzeugt mit seiner These, dass es ohne diese diskursiv vereinbarte nationalsozialistische Moral wohl kaum ein Massenmorden gegeben hätte. Tobias Bütow für H-Soz-Kult

Die Originalität und der wichtige wissenschaftliche Beitrag von Harald Welzers neuem Buch liegen darin, dass er ältere sozialpsychologische Erkenntnisse über Gruppenverhalten und soziale Prozesse mit der neuen Größe »Referenzrahmen« kombiniert und den daraus resultierenden begrifflichen und theoretischen Ansatz auf eine detaillierte Fallstudie anwendet: die »normalen Männer« des Reserve-Polizeibataillons 45, eines berüchtigten Killerkommandos in der Ukraine, das dem Reserve-Polizeibataillon 101 in der Region Lublin und dem Reserve-Polizeibataillon 133 in Ostgalizien an tödlicher Effizienz in nichts nachstand.
Christopher R. Browning (Die Zeit 27.10.2005)
http://www.zeit.de/2005/44/P-Welzer


4. Rang (165 Punkte, 52 Voten)

Koselleck, Reinhart: Begriffsgeschichten. Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache. [Mit zwei Beitr. von Ulrike Spree und Willibald Steinmetz ...]. Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Verlag 2006.

Titel und Untertitel der neuen Sammlung klingen fürchterlich akademisch, geradezu nichtssagend neutral. Die Gesamtaussage der Texte aber ist eine andere. Koselleck betrieb seine "Begriffsgeschichten" nicht als akademisches Glasperlenspiel. Er betrachtete die Begriffsgeschichte als ein Mittel, zu einem begrifflich differenzierten Geschichtsbild zu gelangen, das politische Funktionen im "Postulat der Prognosenkontrolle" erfüllt. Dieser Schritt über die bloßen "Begriffsgeschichten" hinaus ist das Vermächtnis der neuen Sammlung. Reinhard Mehring für H-Soz-Kult

Reinhart Koselleck ist mit der Zeit immer mehr in die Rolle eines theoretischen Übervaters der Begriffsgeschichte geschlüpft. Seine gesammelten Studien sind sein Vermächtnis; nie zuvor hat er das Ethos seiner unermüdlichen Begriffsarbeit so aufscheinen lassen. Gerade in unseren Zeiten empfehlen sich seine theoretisch »gehegten« Begriffsgeschichten als wirksames Gegenmittel gegen neue Feinderklärungen.
Stephan Schlak (Die Zeit 07.12.2006)
http://www.zeit.de/2006/50/P-Koselleck

Der Anfang dieses Jahres [2006] gestorbene Historiker Reinhart Koselleck nahm gern die Gelegenheit wahr, die eigenen Forschungen zur historisch-politischen Begrifflichkeit als Ausdruck begriffener Welt in gegenwärtigen Auseinandersetzungen fruchtbar zu machen. Wie intensiv er das betrieben hat, läßt sich auch an dem postum erschienenen, von Willibald Steinmetz, Ulrike Spree und Carsten Dutt bearbeiteten Band "Begriffsgeschichten" ablesen, in dem grundsätzliche Aufsätze zur Begriffsgeschichte und Semantik der bürgerlichen Welt bis zu Gegenwartsproblemen fortgeführt werden.
Michael Jeismann (FAZ 11.12.2006)
http://www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41F46...html


5. Rang (157 Punkte, 44 Voten)

Weinfurter, Stefan: Canossa. Die Entzauberung der Welt. München: C.H. Beck Verlag 2006.

Weinfurters Anliegen richtet sich also unverkennbar weniger auf die politische Geschichte, sondern auf den gesellschaftlichen Wandel der Zeit des Investiturstreits und auf die dahinter stehenden Ideen. [...] Die knapp und präzise gehaltenen Anmerkungen sowie das ausführliche Quellen- und Literaturverzeichnis bieten für den Fachwissenschaftler hinreichend Anknüpfungspunkte, um die zahlreichen wichtigen und in zentrale Probleme der hochmittelalterlichen Geschichte führenden Gedanken Weinfurters weiterzuverfolgen. Darüber hinaus wird das Buch wegen seiner Darstellungskunst, seiner ausgesprochen klaren Sprache und Gedankenführung zweifelsohne auch ein breiteres Publikum erreichen. Bernd Schütte für H-Soz-Kult

Im Grunde meint die Chiffre »Canossa« einen Umbruchprozess, einen Jahrhundertschritt auf dem Weg zu einer Rationalisierung von Herrschaft, zu einer Entzauberung der Welt im Sinne Max Webers. All das skizziert Weinfurter mit sicherem Strich; er entwirft eine Einheit der Welt, die vor und nach Canossa zerbrach. Erneut beweist der Autor, dass er die seltene Gabe besitzt, mit seinen Büchern Fachwissenschaft und breite Leserkreise gleichermaßen bereichernd zu erreichen.
Olaf B. Rader (Die Zeit 20.07.2006)
http://www.zeit.de/2006/30/P-Canossa