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H-Soz-Kult
 

Das Historische Buch 2006

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Publikumspreis

Neueste Geschichte

Essay von Dirk van Laak für H-Soz-Kult

1. Rang (41 Punkte, 7 Voten)

Koenen, Gerd: Der Russland-Komplex. Die Deutschen und der Osten 1900 - 1945. München 2005.

Durch seine Arbeit zeigt Gerd Koenen, dass die deutsch-russische Geschichte komplexer ist als im Selbstentschuldigungsmodell Noltes vorgesehen. Der deutsche "Oktober" fand im Januar 1933 statt und stand in keiner direkten Kausalitätsbeziehung zur Machtübernahme der Bolschewiki in Russland. Während Nolte in seiner Erzählung an der Oberfläche des deutsch-russischen Verhältnisses blieb, steigt Koenen in seine Verästelungen hinein, dort hin, wo es unübersichtlich wird und wo die einfachen Gegenüberstellungen keine Erklärungskraft mehr gewinnen. Die Grundannahme Ernst Noltes, dass es sich bei Bolschewismus und Nationalsozialismus stets um Gegensätze gehandelt habe, wird durch die Empirie entkräftet; der Versuch eine Geschichte von Ursache und Wirkung, von Original und Kopie zu schreiben, wird durch die Komplexität des Geschehens destruiert. Gerd Koenens Studie verdeutlicht, dass der "europäische Bürgerkrieg" nicht bipolar strukturiert war, sondern dass es sich um eine Suche nach neuen Ordnungen handelte, die durch einen geteilter Verlust an Humanität sowie eine geteilte Leidenschaft für Gewalt und Revolution gekennzeichnet war. Jan C. Behrends für H-Soz-Kult

Koenen bietet keine Formel an. Was ihn als Historiker von Rang auszeichnet, ist die Achtung vor der Fülle und der Widerspenstigkeit des historischen Stoffs, der Historikern oft nur dazu dient, Thesen auszuprobieren oder Gesinnung zu demonstrieren. Er tut etwas, wozu die Kontrahenten des deutschen Historikerstreits, der nun selbst schon Geschichte ist, nicht gekommen sind, nicht kommen wollten oder nicht kommen konnten: Koenen erzählt eine Geschichte, die faszinierende wie katastrophische Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen im 20. Jahrhundert.
Karl Schlögel (Die Zeit, 13.10.2005)
http://www.zeit.de/2005/42/P-Koenen

Landläufige Vorstellungen lassen den deutschen Russlandbezug auf eine rassistisch aufgeladene Ablehnung, eine durchgehaltene Russenfeindschaft zusammenschrumpfen; Gerd Koenen zeichnet ein komplexeres Bild. Er zeigt die Ambivalenz deutscher Russlandbilder und –bezüge auf, ihre Ausformung vor dem Ersten Weltkrieg, in der Zwischenkriegsphase totalitärer Polarisierungen sowie im deutschen Vernichtungs- und Ausrottungskrieg gegen den Osten 1939. Mit einer Fülle von politischen, literarischen und biographischen Zeugnissen der Zeit macht Gerd Koenen diese Vielgestaltigkeit sichtbar.
Wolfgang Templin (Frankfurter Rundschau, 1. Februar 2006)
http://www.fr-aktuell.de/in_und_ausland/kultur_und_medi...

Selten ist die Ambivalenz im deutschen Verhältnis zu Russland so scharf herausgearbeitet worden, wie von Koenen. Sein glänzend geschriebenes Buch will die Frage beantworten, warum die beiden extremen politischen Bewegungen und Ideologien des 20. Jahrhunderts sich gerade in Russland und Deutschland entwickelt haben und zur Macht gelangt sind.
Heinrich August Winkler (Süddeutsche Zeitung, 13.12.2005)
http://www.buecher.de/w1100485sz3406535127

Was das Buch so lesenswert macht, ist nicht sein faktographischer Neuigkeitsgehalt. Es ist vielmehr der Versuch, Russland beziehungsweise die Sowjetunion als Objekt machtpolitischen und damit außenpolitischen Kalküls in Verbindung mit dem russischen Menschen, mit den innenpolitischen und kulturellen Konstellationen des Landes zu bringen, wie sie von interessierten Kreisen der deutschen Öffentlichkeit wahrgenommen wurden. (...) Das Buch zeigt vor dem Hintergrund der Politik diejenigen, die Russland mit der Seele suchten. Dabei empfiehlt es sich als anspruchsvolle, gewisse geschichtliche und literarische Grundkenntnisse voraussetzende Lektüre, deren Überzeugungskraft jeder Leser selbst auf sich wirken lassen muß.
Hans-Erich Volkmann (FAZ, 2.11.2005)
http://www.faz.net/s/RubA330E54C3C12410780B68403A11F948...html


 

2. Rang (35 Punkte, 8 Voten)

Aly, Götz: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. Frankfurt am Main 2005.

Der Name des Autors bürgt für originelle und mitunter provokante Thesen. Spätestens seit "Vordenker der Vernichtung" ist Götz Aly zu den wenigen Spezialisten hinzu gestoßen, die mit hervorragender Quellenkenntnis wirklich neue Einsichten in die NS-Vernichtungspolitik ermöglichen. Wolfram Meyer zu Uptrup für H-Soz-Kult

Die Thesen Goldhagens interessiert heute nur noch die Rezeptionsforschung. Was bleibt von Alys "Volksstaat"? Obwohl Aly in seinem Hauptanliegen scheitert, das NS-Regime als umverteilende Wohlfahrtsdiktatur zu beschreiben, wird von seinem Buch mehr bleiben als von Goldhagens "willing executioners", weil er die NS-Forschung in zweierlei Hinsicht mindestens zu kritischer Gegenrede inspirieren wird, meines Erachtens auch weiterbringt. Zum einen ist ihm mit der Beschreibung der Ausbeutung der besetzten Gebiete durch das Deutsche Reich und seine Soldaten ein großer Wurf gelungen. So detailliert ist die Funktionsweise der Reichskreditkassenscheine noch nicht beschrieben worden, und die Bedeutung der Feldpostpakete für die materielle Versorgung der Bevölkerung im Reich erkannt zu haben, ist, wenn wir Alys Zahlen Glauben schenken dürfen, tatsächlich ein Verdienst. Aly hat darüber hinaus in viel stärkerem Maße, als dies bisher geschehen ist, darauf verwiesen, dass eben nicht nur Industrieunternehmen, Banken und Versicherungen von Krieg und Holocaust profitierten, sondern auch die "kleinen Volksgenossen". Zum anderen ergibt das Zusammenspiel des Versuchs, die Heimatfront durch materielle Bestechung ruhig zu halten und die dafür erforderliche Forcierung der Ausplünderung des Auslands und der europäischen Juden eine Dynamik, die sehr plausibel wirkt. Die Erklärung der Radikalisierung nicht nur des NS-Regimes sondern der ganzen deutschen Gesellschaft bedarf daher nicht des Rekurrierens auf angeblich spezifisch deutsche Dispositionen, sondern wird, wenn man so will, "rationalisiert". Mark Spoerer für H-Soz-Kult

Sechzig Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht treibt die deutsche Gesellschaft immer noch die Frage um, warum das Ende des Krieges und des NS-Regimes so lange hatte auf sich warten lassen und warum es ohne innerdeutsche Eruptionen einzig dem militärischen Erfolg der Feindmächte zuzuschreiben - oder zu verdanken? - war. Diese geschichtliche Neugierde läßt sich nur durch die Summe bislang noch lückenhafter Teilantworten befriedigen, denen der Historiker und Journalist Götz Aly eine höcht aufschlußreiche hinzufügt. Sie wird die öffentliche Kontroverse über den historischen Stellenwert des alliierten Sieges als nationale Katastrophe oder Befreiung vom Terror neu impulsieren, weil der Autor das Herrschende und Beherrschte miteinander verknüpfende Beziehungsgeflecht zumindest an einem Knotenpunkt als geradezu unauflöslich exemplifiziert.[...] Von seiner Problemstellung her fügt sich das Buch in die Reihe zahlreicher Untersuchungen zum Verhältnis von Volk und Staat während der nationalsozialistischen Zeit ein und führt sie ein gutes Stück weiter. Von Walter H. Pehle kompetent lektoriert, erfüllt es die Kriterien spannender Lesbarkeit, so daß durchaus Voraussetzungen für eine weite Verbreitung bestehen.
Hans-Erich Volkmann (FAZ, 16.03.2005)
http://www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41F46...html

Wenn "Hitlers Volksstaat" trotzdem bei einem breiten Publikum zu dem großen Sachbuch-Bestseller wird, der es jetzt schon zu werden verspricht, dann könnte das auch daran liegen, daß das Buch ein ziemlich perfektes Missing link zwischen den beiden großen Themen ist, die die Deutschen im Moment obsessiv in die Kinos und an die Büchertische treibt: die Geschichte des Nationalsozialismus und die Zukunft des Sozialstaats. [...] Noch spannender und beunruhigender als dieses Buch ist deshalb jetzt eigentlich nur die Frage, wie damit nun umgegangen wird.
Peter Richer (FAZ, 13.03.2005)
http://www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41F46...html

Nie zuvor ist der symbiotische Zusammenhang zwischen »Volksstaat« und Verbrechen, zwischen den attraktiven und kriminellen Elementen des Nationalsozialismus so scharfsinnig und einleuchtend dargestellt worden. Dieses Buch gehört zu jenen seltenen Werken, die unseren Blick auf die düsterste und folgenreichste Periode der deutschen Geschichte neu schärfen.
Volker Ullrich (Die Zeit, 10.03.2005)
http://www.zeit.de/2005/11/P-Aly?page=all

[...] ein wichtiges, höchst beachtenswertes Buch. Aly gebührt das Verdienst, als Erster die vertrackte und höchst schwierige Materie der antijüdischen Enteignung im besetzten Europa und ihren Zusammenhang mit den Kontributionen an NS-Deutschland herausgearbeitet zu haben. Dies ist ein Erkenntnisfortschritt, der nachhaltige Wirkungen auf die zukünftige Forschung ausüben wird. Die Verinselung der Holocaust-Forschung auf den jeweiligen nationalen Kontext ist bereits vielfach beklagt worden. Für das Thema der antijüdischen Enteignung hat Aly diese reduzierte Perspektive beispielhaft überwunden und den Blick auf Zusammenhänge gerichtet, die oft übersehen werden. Hier gelingen ihm immer punktgenaue Analysen und griffige Formulierungen. Selten zuvor ist das Wesen der NS-Finanzpolitik so eindringlich und prägnant beschrieben worden. Vor allem das Unterkapitel "Spekulative Politik" ist ein kleines sprachlich-analytisches Meisterstück. Selten zuvor ist die Frage nach den Bindekräften der NS-"Volksgemeinschaft" derart ins Zentrum einer Darstellung gerückt worden, auch wenn die gegebenen Antworten nicht ausreichen. Der hier vorgenommene Perspektivwechsel ist schon deswegen verdienstvoll, weil er ein wichtiges Korrektiv gegen das neue deutsche Opfer-Selbstbild darstellt, wie es in der anschwellenden Bücherflut zu den Themen Bombenkrieg, Vertreibung und Kriegskinder zum Ausdruck kommt.
Frank Bajohr (sehepunkte)
http://www.sehepunkte.de/2005/07/8194.html


 

3. Rang (31 Punkte, 8 Voten)

Eckel, Jan: Hans Rothfels. eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert. Göttingen 2005.

Eckel hat eine Pionierstudie vorgelegt. Sie überwindet den Stillstand der in letzter Zeit fast ausschließlich auf die NS-Zeit beschränkten Rothfels-Forschung. Zudem bereichert sie die Reihe der in den letzten Jahren erschienenen Bücher zu bedeutenden deutschen Historikern des 20. Jahrhunderts inhaltlich und methodisch. Und sie führt erneut vor Augen, wie erkenntnisfördernd es ist, das ganze 20. Jahrhundert und nicht allein die ominösen zwölf Jahre in die Analyse einzubeziehen, wenn die jüngere Vergangenheit der deutschen Geschichtswissenschaft untersucht wird. Mathias Beer für H-Soz-Kult

Seine "intellektuelle Biographie" konzentriert sich auf die Reflexion von politischen Erfahrungen im Medium von Geschichtsschreibung – und stellt eine historiographische Glanzleistung dar.
Manfred Hettling (Süddeutsche Zeitung, 22.11.2005)
http://www.buecher.de/w1100485sz3892449759

Darin liegt die Leistung dieser Biografie: Sie macht deutlich, dass Geschichtsschreibung für Rohtfels primär ein Medium der Verarbeitung gegenwärtiger Erfahrungen und Konstellationen war, die als historische Deutungsangebote in die Vergangenheit projiziert wurden.
Volker Ullrich (Die Zeit, 19.01.06)
http://www.zeit.de/2006/04/P-Eckel

Eckels methodisch anregendes Buch, das über seinen engeren Gegenstand weit hinsusweist, geht der Frage nach, »wie sich die extremen Zeiterfahrungen des deutschen 20. Jahrhunderts auf die wissenschaftliche Tätigkeit« ausgewirkt haben. Gesucht wird nach den »Kontinuitäten und Transformationen eines intellektuellen Profils«. Vereinfacht formuliert geht Eckel dem uralten Problem nach, welche Gegenwartsfragen vom Historiker an die Vergangenheit gestellt werden.
Gottfried Niedhart (Das Parlament, 31.20.2005)
http://www.das-parlament.de/2005/44/daspolitischebuch/0...html


 

4. Rang (28 Punkte, 6 Voten)

Jarausch, Konrad H.; Geyer, Michael: Zerbrochener Spiegel. deutsche Geschichten im 20. Jahrhundert. München 2005.

Wie lässt sich eine deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts schreiben? Sehr hoch ist der Anspruch der beiden Autoren: »Das Ziel dieses Buches ist nichts Geringeres, als eine Neukonzipierung deutscher Geschichte(n) im 20.Jahrhundert anzuregen und einzuleiten.« Dies ist die Messlatte, die sich Konrad H. Jarausch und Michael Geyer selbst auflegen. Die beiden renommierten Historiker argumentieren ebenso kühn wie anregend; sie sind Grenzgänger diesseits und jenseits des Atlantiks und reklamieren für sich einen freien Blick: Ihnen sei die Suche nach historischer Wahrheit wichtiger als der Respekt vor nationalen Orthodoxien.[…] Sieben analytisch vortreffliche Geschichten stellen sie nebeneinander und präsentieren eine Fülle anregender Gedanken und weiterführender Perspektiven.
Edgar Wolfrum (Die Zeit 10.11.2005)
http://www.zeit.de/2005/46/P-Jarausch?page=all


 

5. Rang (24 Punkte, 6 Voten)

Browning, Christopher R.: The origins of the Final Solution. the evolution of Nazi Jewish policy, September 1939 - March 1942. Lincoln 2004.

Anyone familiar with Browning’s work knows his books are a pleasure to read. Not only is he one of the foremost experts on the Nazi ‘Final Solution’ to the Jewish question, but in transmitting his arguments, he is always eloquent and articulate, and judicious in his use of language.... Who made the decision to murder all of Europe’s Jews? When was the decision made? Why and how was it made? The Origins of the Final Solution is an answer to these questions and for this reason is an extremely important book.
Hilary Earl (H-German (April, 2005))
http://www.h-net.org/reviews/showrev.cgi?path=121091118...

This magisterial work does offer us something new—an unrivaled account of how the Nazi leadership ended up with a policy of industrialized mass murder of Jews as it fought a war of territorial expansion against the threats supposedly posed by Polish nationalism and Soviet Bolshevism. Probably no one is better qualified for this task than Christopher R. Browning. [...] In this summation of more than 20 years of research, he explains how the grand design emerged [....] and points the way to a reintegration of the whole subject in a much broader history of nationalist conflict, forced population movements and colonial settlement.
Mark Mazower (The New York Times Book Review, March 14, 2004)
http://query.nytimes.com/gst/fullpage.html?res=9406E1D8...