Historikertag 2002: Vertrauen in die Macht des Namens. Gentilcharisma und Familientradition in der Mittleren Republik

Historikertag 2002: Vertrauen in die Macht des Namens. Gentilcharisma und Familientradition in der Mittleren Republik

Organisatoren
44. Deutscher Historikertag
Ort
Halle an der Saale
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.09.2002 -
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Von
Mischa Meier, Universität Bielefeld

Im Zentrum der anhaltenden Debatte über die "Demokratie in Rom", die vor 15 Jahren von Fergus Millar angestoßen wurde, steht eine Kernfrage, in der sich wiederum mehrere ganz wesentliche Aspekte der politischen Kultur der römischen Republik bündeln: die Frage nach den konkreten Funktionen und dem Status des populus Romanus und der plebs, ihren Ideologien und Institutionen sowie schließlich auch den Modi und Medien der politischen Kommunikation zwischen den (Wahl-)Comitien und contiones und der herrschenden Oberschicht, der Nobilität. Die Vorträge der Sektion rollten nun gerade nicht ein weiteres Mal die ohnehin zu schematische Frage nach der Lagerung der Macht im politischen System der Republik auf. Vielmehr ging es um ein auffälliges Phänomen: Überdurchschnittlich häufig entschieden sich die Wahlversammlungen für Kandidaten, denen sie besonders deshalb zutrauten, ihr Amt erfolgreich auszuüben, weil sie aus einer Familie stammten, deren Vertreter sich aktuell wie auch in der Vergangenheit bewährt hatten. Offenbar, so die alle Beiträge verbindende Kernthese, gab es so etwas wie das Vertrauen in ein Gentilcharisma. Dieses hatte gerade bei der Kandidatenauswahl in Krisenzeiten beträchtliche Folgen für die Verteilung der politischen Machtchancen innerhalb der Aristokratie und für die Konstituierung der Elite insgesamt; es bedeutete im politischen Gefüge des politischen Systems zugleich ein dynamisierendes Moment.

In kritischer Auseinandersetzung mit den Thesen Millars, der das republikanische Rom als Demokratie im antiken Sinn zu erweisen suchte und dabei auf den Zwang für die Nobiles, sich um Ämter zu bewerben, hingewiesen hatte, betonte Karl-Joachim Hölkeskamp in seinem einleitenden Referat die Tendenz der römischen Aristokratie zur Exklusivität, ohne damit die Vorstellung einer formal geschlossenen Elite zu suggerieren. Die 'Exklusivität' bestand vielmehr in der spezifischen Selbstdefinition der Gruppe als politische Klasse, was implizierte, daß sich zum einen die Gruppe als Ganze durch ihren 'exklusiven' Dienst an der res publica konstituiere, daß zum anderen aber auch die einzelnen Mitglieder sich 'exklusiv', d.h. streng diszipliniert und unter Hinnahme der damit verbundenen Belastungen, den Erfordernissen der res publica unterwarfen. Individualistische Statuskriterien, wie sie in Griechenland für den Adel konstituierend waren, spielten dagegen im Vergleich zum Erfolg des einzelnen in der permanenten Konkurrenz um Positionen und Prestige kaum eine Rolle. Dieses Prestige war erst mit der Bekleidung hoher Ämter und Kommanden erreichbar, zu denen es keine Alternativen gab, und nur wer die Spitze des cursus honorum - das Konsulat - erlangte, zählte wirklich zur Spitzengruppe innerhalb der Aristokratie. Hölkeskamp nahm diesen Sachverhalt zum Ausgangspunkt, um zu demonstrieren, daß damit auch die römische Aristokratie hierarchisch gegliedert und also in sich geschichtet war, und wies darauf hin, daß nur die Bewährung in niederen Ämtern begründeten Anspruch auf höhere honores versprach. An dieser Stelle ist die konstitutive Funktion des populus Romanus in besonderem Maße greifbar, freilich ganz anders als Millar es gesehen hat: Denn nur der populus bestimmte in seinen Versammlungen die Vergabe von Ämtern, und obwohl man hier nicht von im eigentlichen Sinne 'freien Wahlen' sprechen kann, waren diese Verfahren aus herrschaftssoziologischen Gründen strukturell unverzichtbar, weil sie alle Status- und Rangzuweisungen regelten, und zwar in einem neutralen Raum außerhalb des nach oben hin immer schärferen Konkurrenzkampfes in der Aristokratie. Der Preis dieses Verfahrens bestand in der Aufhebung des Erblichkeitsprinzips. Das bedeutete, daß nicht nur die Einzelpersonen, sondern auch die Familien immer von neuem um ihren Status zu ringen hatten.

Aus diesen Rahmenbedingungen leitete Hölkeskamp schließlich ein Spannungsverhältnis ab, das im Zentrum der folgenden Vorträge und Diskussionen stehen sollte: Zwar konnten honores im engeren Sinne nicht vererbt werden, doch konnten Taten, Triumphe und honores in die memoria einzelner Familien eingehen und somit doch eine sekundäre, jedoch äußerst prekäre Form von Erblichkeit begründen, die Hölkeskamp als römisch-republikanische Variante von 'symbolischem Kapital' (Bourdieu) bezeichnete. Dieses habe sich besonders in den mit den 'großen Namen' verbundenen Traditionen manifestiert. Dabei seien u.a. Fragen nach Formen und Inhalten von symbolischem Kapital sowie nach der Art und Weise seines Einsatzes in Rom zu stellen.

Einen ersten Schritt zur weiteren Bestimmung des 'symbolischen Kapitals' in der römischen Republik unternahm Uwe Walter ("Das Ebenbild des Vaters. Wiederholungen in der historiographischen Traditionsbildung"), indem er die Frage aufwarf, wie sich die 'Macht des Namens' in der römischen Traditionsbildung, zumal der historiographischen, niedergeschlagen hat. Seine Beispiele zur Wirkmächtigkeit von Handlungen einzelner Aristokraten und zu ihrer (an deren Namen gebundenen) Wahrnehmung und Tradition zeigten dabei sehr deutlich, daß die Kommunikation von Adligen und Volk sich nicht nach den extremen Modellen fester Gruppierungen und Klientelblöcke oder eines 'demokratischen' Populismus vollzog, daß aber dennoch stabile Strukturen existierten, die die Akteure berechenbar und ihr Handeln nachvollziehbar und attraktiv machten.

Den Ausgangspunkt bildeten einige der zahlreichen paradigmatischen Geschichten in der Überlieferung zur frühen Republik, die Aufschluß über die kulturelle und politische Selbstdeutung der Römer geben. Insbesondere in denjenigen Episoden, die der Vater-Sohn-Thematik gewidmet sind, spiegelte sich ein familiales Imitations- und Konformitätsideal, das offenkundig auch breit akzeptiert wurde. Die Herrschaftsbefugnis in der res publica hing maßgeblich am Erfüllen der Vaterrolle, was die Verpflichtung enthielt, nicht nur die eigene Tüchtigkeit, sondern auch den Habitus und die Codes erwartbaren Handeln persönlich an die Söhne weiterzugeben. Diese 'mimetische Norm' hat sich in der historiographischen Überlieferung u.a. in der Ausbildung von Verhaltensprofilen, die mit bestimmten Familien assoziiert wurden, niedergeschlagen und wurde von diesen über Generationen hinweg perpetuiert.

Diese Verhaltensprofile sind in der Historiographie noch klar greifbar und manifestieren sich in besonderem Maße in Ähnlichkeit und Imitation sowie Addition und Wiederholung, Faktoren, die man als generative Muster (generative patterns) der historiographischen Traditionsbildung ansprechen kann.
Im zweiten Teil des Vortrages wurden diese Muster an markanten Beispielen herausgearbeitet: So zeichnete die Existenz mehrerer gleich tüchtiger Söhne einen Adligen als mächtig aus, und vor diesem Hintergrund sind Addition und Wiederholung als ein wichtiger Aspekt einer frührepublikanischen 'Machtgeschichte' anzusehen. Die Fabier waren der annalistischen Tradition nach in der Frühzeit als gens mächtig, weil sie mehrere ungefähr gleichaltrige, gleich tüchtige und gleichgesinnte Männer aufwiesen, und auch der plebeischen gens Icilia wurden ähnliche Merkmale zugeschrieben. In der Tradition 'funktionierte' die wahrscheinlich erheblich anders strukturierte und rekrutierte Aristokratie der Frühzeit nach denselben Mustern wie die Nobilität des 3./2. Jh., der Zeit also, als die römische Geschichtsschreibung einsetzte.

Handlungen, die an große Namen angebunden waren, hatten das Potential, von Nachkommen imitiert bzw. wiederholt zu werden. Dabei konnte eine gens wie etwa die Valerier geradezu auf bestimmte Politikinhalte festgelegt werden, indem ihren Vertretern in verschiedenen Generationen immer wieder gleiche Initiativen zugeschrieben wurden. Auch die Selbstopfer der Decii Mures bildeten ein spezifisches Charakteristikum für die Familie und stellten in der römischen Tradition zugleich einen Handlungsimperativ für die Nachkommen dar, aus dem sich im übrigen auch politisch Kapital schlagen ließ. Daß mit diesen Mechanismen aber auch erhebliche Bürden fortgeschleppt werden konnten, erläuterte Walter am Beispiel der Manlii Torquati, bei denen die Wirkmacht der gestrengen Vertreter des 4. Jh. noch im 2. Jh. Handlungszwänge begründete, denen nicht zu entgehen war.

Walter unterstrich, daß die Entlarvung solcher und ähnlicher Geschichten in der Überlieferung als bloße Dubletten zu kurz greift. Sie stellten vielmehr Aspekte eines komplizierten Wechselspiels zwischen sozialer Norm, tatsächlichem Ereignishandeln und historischer Erinnerung bzw. Traditionsbildung dar. In der späten Republik konnte die 'Macht des Namens' zum Instrument für Aristokraten ohne weitere nennenswerte Kapitalien im politischen Konkurrenzkampf werden. Dabei sei mehrfach das allmähliche Verschwinden der familialen Dimension zu beobachten, wenn der Ahn, wie etwa im Falle Catos oder des Brutus (wo er gar kein Ahn war), nur noch der Profilierung des einzelnen diente und letztlich ähnliche Funktionen erfüllte wie z.B. Caesars dignitas.

Wie sich die 'Macht des Namens' in Wahlverfahren, bei denen die entsprechenden großen Leistungen der Verwandten nur wenige Monate bzw. Wochen zurücklagen, auswirken konnte, erörterte Hans Beck ("Familie, nicht Faktion. Wahlen und Wahlerfolg im Ersten Punischen Krieg"). Als Ansatzpunkt wählte er die Atilii, die im 1. Punischen Krieg die erfolgreichste Familie waren, noch vor den patrizischen 'Großclans' der Cornelii, Manlii und Fabii. Der rasante Aufstieg der wohl aus Kampanien stammenden Atilii, die noch bis in das letzte Drittel des 4. Jh. kaum aufgefallen waren, ist in der Tat erklärungsbedürftig. Beck zeigte, daß ältere Hypothesen unzutreffend sind. Das symbolische Kapital der Atilier war sehr bescheiden, und Münzers Vermutung, wonach sie insbesondere durch familiäre Verbindungen mit den Fabiern, also durch Faktionsbildung, aufgestiegen seien, ist heute widerlegt.

Um die Wahlerfolge der Atilier zu erklären, verfolgte Beck die Konsulwahlen während des 1. Punischen Krieges, insbesondere seit 258, dem ersten Konsulat des Aulus Atilius Caiatinus. Seine erfolgreiche Kriegführung in Sizilien hat die Wahl des C. Atilius Regulus zum Konsul von 257 erheblich beeinflußt, und selbst das militärisches Debakel von dessen Bruder M. Atilius Regulus (cos. I 267) i.J. 255 in Africa scheint dem Ansehen der Atilii keinen Abbruch getan zu haben, im Gegenteil: Caiatinus stieg zum höchstdekorierten Feldherrn der res publica auf. Sein Name stand offenbar für souveräne Kriegführung und optimales Krisenmanagement, er war 249 Dictator und schließlich (247) Zensor.

Die hohe militärische Expertise und politische Kommunikationsfähigkeit sowie ein sicheres Auftreten in allen Rollen, die ein römischer nobilis zu erfüllen hatte, bildeten die Erfolgsgrundlage des Caiatinus, und diese Erfolge strahlten wiederum auf weitere Angehörige seiner Familie aus.

Beck wies weiter darauf hin, daß gerade die Wahlen seit 259 sehr stark von situativen Umständen beeinflußt gewesen sein müssen und daß gerade seit dieser Zeit zunehmend Ausnahme- und Sonderregelungen Platz griffen, von denen besonders die Atilier profitierten. Dies wiederum führte zur grundsätzlichen Frage nach den Meinungs- und Mentalitätsbildungsprozessen in den Comitien. Hier haben die Kriegsereignisse und die Verluste, von denen die Römer in den 250er Jahren in starkem Maße betroffen waren, das Sensorium für die militärischen Leistungen einer Familie und ihrer Angehörigen sowie für deren persönliche Schicksale ausgebildet. Darin manifestierte sich ein deutlicher Konsens zwischen Nobilität und Volk, der sich gerade in Situationen wie z.B. der Wahl eines Atiliers ausgerechnet nach der Regulus-Katastrophe zeige. Beck betrachtet dies als einen fortschreitenden Identifikationsprozeß des Volkes mit der Aristokratie. Die Identifizierung des einzelnen mit der Gesamtheit erfolgte demnach über die Identifizierung mit diesen Familien. Akte wie die Stiftung des Fides-Tempels auf dem Capitol durch Atilius Caiatinus demonstrierten die Reaktionen der Familien auf ihr Schicksal auf dem allen gemeinsamen religiösen Feld und bot weitere Ansatzpunkte zur Identifikation.

Beck sieht in den unmittelbaren Folgen großer Leistungen für einzelne Aristokraten und ihre Familien die Grundlage für den kurzfristigen Erfolg dieser Familien und faßt dies mit dem Begriff des 'familialen Kapitals'. Damit läßt sich der aktuelle und unmittelbare Profit bezeichnen, der sich aus dem Ruhm lebender, meist etwa gleichaltriger Familienangehöriger ergab und die Wahlchancen einer gens stark erhöhte. Anders als das 'symbolische Kapital', das auf mitunter weit zurückliegenden Leistungen der Vorfahren basierte und nicht von Generation zu Generation umstandslos und kurzfristig zu mobilisieren war, aber über einen langen Zeitraum bewahrt werden konnte, brachte das 'familiale Kapital' nur in einem engen Zeitfenster Profit, solange nämlich exponierte Vertreter einer gens Schlüsselpositionen zu besetzen vermochten. Eine zentrale Voraussetzung des 'familialen Kapitals' lag in den unterschiedlichen Verhaltens- und Kompetenzmustern, wie sie einzelnen Familien zugeschrieben wurden.

Nicht nur die Atilii konnten im 1. Punischen Krieg unmittelbaren Gewinn aus ihrem 'familialen Kapital' schlagen. Ähnliche Beobachtungen machte Beck auch für die Otacilii, die Cornelii Scipiones, die Servilii, die Fabii und die Lutatii. Tatsächlich wiederholten sich derartige familialen Erfolgsmuster in den Fasten der Mittleren Republik. Becks Analyse des 'familialen Kapitals' lieferte zumindest für die Zeit des ersten Punischen Krieges eine einleuchtende Erklärung für die sog. Geschlechternester.

Im dritten Vortrag der Sektion griff Harriet Flower zentrale Aspekte der vorausgegangenen Referate auf und demonstrierte am konkreten Beispiel der gens Claudia die Wirkmacht von 'symbolischem Kapital' (ohne diesen Begriff zu nennen) sowie die Konsequenzen, die aus der Assoziierung einzelner Familien mit bestimmten Vorstellungen resultieren konnten ("Die Nemesis des Stereotyps: die gens Claudia"). Für die der Überlieferung nach 504 eingewanderten Claudii war bereits die Gleichzeitigkeit von Gründung der Familie und Gründung der res publica von großer Bedeutung, und schon mit dem Begründer der gens, Attus Clausus, habe, so Flowers These, die Traditionsbildung eingesetzt. Trotzdem gehörten die Claudii zunächst nicht zu den ersten Familien Roms; dies änderte sich erst mit Appius Claudius Caecus (Censor 312), mit dem der Aufstieg der Familie begann. Anders als andere Familien orientierten sich die Claudier stets auch über die Grenzen Roms hinaus und akzeptierten griechische Einflüsse durchaus. Eine besondere Familienstrategie erkannte Flower im Kinderreichtum der Claudier, besonders in der auffällig hohen Anzahl ihrer aufgezogenen Töchter; bemerkenswerterweise verbanden sich in dieser Familie traditionsbildende Geschichten auch mit den Namen von Frauen. Der große Kinderreichtum verursachte freilich hohe Kosten, was für eine besondere ökonomische Potenz spreche und das Interesse der Familie an wirtschaftlichen Fragen erkläre. Ihren Reichtum und ihre Besonderheit gegenüber anderen gentes bewahrten und demonstrierten die Claudii während der gesamten Republik, u.a. in prächtigen Familienbegräbnissen und besonderen Trachten. Insofern überrascht es nicht, daß die Claudier häufig von ihren Gegnern angegriffen und stigmatisiert wurden.

Sprichwörtlich war die superbia der Claudii; der Frage nach dem Ursprung dieses Stigmas ging Flower im zweiten Teil ihrer Ausführungen nach. Ihrer Ansicht nach war diese negative Charakterisierung der Familie eine Folge bereits der steilen Karriere des Appius Claudius Caecus, denn erste superbia-Beispiele seien in der Überlieferung mit Claudiern der unmittelbar auf Caecus folgenden Generationen verbunden. Unser Bild der Claudii in den letzten Jahren des 1. Punischen Krieges zeigt demnach die Wirkungen des plötzlichen Aufstiegs der Familie sowie die Heftigkeit der Reaktionen ihrer Gegner. Die negative Claudier-Tradition fügt sich insgesamt gut in den Kontext der mittleren Republik, stellt also keineswegs erst eine Erfindung der späten Republik dar, sondern spiegelt Attacken bereits des 3. Jhs. Andererseits bildeten sich aber parallel dazu auch regelrecht 'volkstümliche' Traditionen aus, etwa zu Quinta Claudia, über deren Wirkmächtigkeit heute indes nur noch spekuliert werden könne. Beide Traditionsstränge resultierten letztlich aus dem Umstand, daß die Claudier über einen langen Zeitraum hin einen Stil pflegten und eine Politik betrieben, die nicht allein in Konkurrenz zu den anderen Familien stand, sondern auch den aristokratischen Komment überschritt. Die darin erkennbare Konfrontationsbereitschaft der Claudier wurde von den anderen nobiles besonders negativ gezeichnet. Die Claudii konnten dadurch größere Erfolge erzielen, gingen aber auch größere Risiken ein. Beim in den Quellen einseitig negativ geprägten Bild der Claudii muß jedenfalls mit überlieferungsbedingten Verzerrungen gerechnet werden. Der bruchstückhaft erkennbare Motivkreis um Quinta Claudia läßt noch erahnen, wie groß das Traditionsspektrum um diese gens gewesen sein muß.

In seinem abschließenden Ausblick bündelte Karl-Joachim Hölkeskamp die Ergebnisse der Referate noch einmal vor dem Hintergrund soziologischer Überlegungen Georg Simmels zum Komplementärverhältnis von Konkurrenz und Konsens und wies damit weiterführende Fragestellungen und Perspektiven für die Erforschung der politischen Kultur der römischen Republik auf. Demzufolge hat die Konkurrenz den Bewerber, der häufig erst durch die Existenz eines Mitbewerbers zum eigentlichen Bewerber wurde, gezwungen, der umworbenen dritten Instanz näherzukommen. Gleichzeitig waren die Regeln der Konkurrenz konsensual gesetzt, und je schärfer die Konkurrenz war, desto rigider mußte der Konsensrahmen gestaltet werden, womit zugleich die Rolle der dritten Instanz, d.h. für Rom: des populus Romanus, umschrieben ist. In der permanenten Konkurrenz um Rang und Vorrang sind die Kriterien dafür nicht Gegenstand der Konkurrenz geworden, sondern machten vielmehr den Kernbestand des Konsenses aus. Zu diesen Kriterien zählte aber auch das 'symbolische Kapital', innerhalb dessen wiederum 'feine Unterschiede' feststellbar waren. Rituale und Praktiken der Demonstration und Anwendung dieses 'symbolischen Kapitals' (pompa funebris, Triumph u.a.) waren daher ebenfalls festen Regeln unterworfen, deren Wahrung und Kontrolle dem populus oblag.

Grundlegende Literatur:

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Egon Flaig, Politisierte Lebensführung und ästhetische Kultur am Beispiel des römischen Adels, in: Historische Anthropologie 1 (1993) 193-217

Harriet I. Flower, Ancestor Masks and Aristocratic Power in Roman Culture, Oxford 1996

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Martin Jehne (Hg.), Demokratie in Rom? Die Rolle des Volkes in der Politik der römischen Republik, Stuttgart 1995

Martin Jehne, Integrationsrituale in der römischen Republik. Zur einbindenden Wirkung der Volksversammlungen, in: G. Urso (Hg.), Integrazione, mescolanza, rifiuto. Incontri di popoli, lingue e culture in Europa dall'Antichità all'Umanesimo, Atti del convegno internazionale, Cividale del Friuli, 21-23 settembre 2000, Roma 2001, 89-113

Karl-Joachim Hölkeskamp, Die Entstehung der Nobilität. Studien zur sozialen und politischen Geschichte der Römischen Republik im 4. Jhdt. v.Chr., Stuttgart 1987

Jochen Martin, Familie, Verwandtschaft und Staat in der römischen Republik, in: J. Spielvogel (Hg.), Res publica reperta (FS Bleicken), Stuttgart 2002, 13-24

Christian Meier, Res Publica Amissa, Frankfurt. Eine Studie zu Verfassung und Geschichte der späten römischen Republik, Frankfurt 3. Aufl. 1997

Fergus Millar, The Crowd in Rome in the Late Republic, Ann Arbor 1998 (dazu: Karl-Joachim Hölkeskamp, The Roman Republic: Government of the People, by the People, for the People ?, in: Scripta Classica Israelica 190, 2000, S. 203-223)

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