Legislationspraxis in der Vormoderne. Zur Entstehung und Publikation von Policeygesetzen

Legislationspraxis in der Vormoderne. Zur Entstehung und Publikation von Policeygesetzen

Organisatoren
Arbeitskreis "Policey/Polizei im vormodernen Europa" (APO)
Ort
Hohenheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.04.2002 -
Von
Gerhard Sälter, Freie Universität Berlin

Bericht über die 5. Tagung des Arbeitskreises „Policey/Polizei im vormodernen Europa“ (APO)

Die eintägige Tagung fand am 25. April 2002 in der katholischen Akademie in Hohenheim der Diözese Rottenburg-Stuttgart unter Leitung von Frank Konersmann (Bielefeld), Josef Pauser (Wien) und Gerhard Sälter (Berlin) statt. Wie üblich wurden die Diskussionspapiere im Vorfeld allen Teilnehmern zugänglich gemacht und die Referenten gingen nur noch knapp auf die wesentlichen Punkte ihrer Argumentation ein. Die Themenstellung der Tagung schloß an die seit mehreren Jahren in der Forschung geführte Auseinandersetzung um Entstehung, Durchsetzung und Reichweite vormoderner Legislation und der mit ihnen verbundenen Aspekte herrschaftlicher Repräsentation an (siehe die Themenexplikation auf der Internet-Seite des Arbeitskreises: <http://www.univie.ac.at/policey-ak/treffen_5.htm>). Diskutiert wurden die Beiträge in zwei Sektionen: erstens die Entstehung von Normen mit besonderer Berücksichtigung der Kommunikationsabläufe im Vorfeld und zweitens die Publikation von Gesetzen vor allem in bezug auf ihre formelle Geltungskraft.

In der ersten Sektion beschrieb Johannes Mordstein (Augsburg) am Beispiel der langwierigen Verfahren zur Erneuerung von Judenschutzbriefen der Grafschaft Oettingen im 18. Jahrhundert die Kommunikation im Vorfeld eines Legislationsaktes, an der Landesherr, zentrale Administration, Oberämter, Landgemeinden, Städte und jüdische Gemeinden beteiligt waren. Der Inhalt der Schutzbriefe, die teilweise den Charakter von Privilegien besaßen, wurde in mehreren Diskussionsgängen zwischen allen beteiligten Akteuren ausgehandelt, auch wenn sie in absolutistischer Manier als landesherrliche Willkürakte publiziert wurden. In der Diskussion wurde von Karl Härter (Frankfurt) auf das schwierige Problem verwiesen, auch bei den beteiligten Akteuren verschiedene Interessen zu differenzieren, da bei den involvierten Gruppen, Korporationen und Behörden nicht ohne weiteres einheitliche Gruppeninteressen vorausgesetzt werden könnten. Das Verfahren diente nicht nur dazu, einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Akteuren zu erzielen, sondern auf Seiten der Verwaltung und wahrscheinlich auch bei den anderen Akteuren Einheitlichkeit der Strategie erst herzustellen bzw. durchzusetzen. Keine Einigkeit konnte in der Diskussion in bezug auf den grundsätzlichen Charakter von Judenschutzbriefen hergestellt werden. Für ihren Gesetzescharakter sprechen die Gültigkeit für eine ganze Bevölkerungsgruppe und der obrigkeitliche Zwangscharakter, den sie nach der Publikation durchaus besaßen. Für den Charakter eines an privatrechtlichen Mustern orientierten Privilegs spricht, daß sie vor Reichsgerichten einklagbar waren.

Lars Behrisch (Bielefeld) trug erste Ergebnisse seiner beim SFB 584 angesiedelten Untersuchung Lippischer Landesordnungen des 18. Jahrhunderts vor. Behrisch betonte, daß Mitte des Jahrhunderts sowohl erhebliche Veränderungen in den Kommunikationsabläufen festzustellen sind, deren Bedeutung aber noch genauer zu untersuchen wären. Diese Veränderungen gingen jedoch einher mit einer erheblichen Ausweitung der Legislationstätigkeit sowie einer Verschiebung und Ausdifferenzierung der behandelten Materien. Auch er betonte die kommunikative Beteiligung von Untertanen, Ständen und lokaler Verwaltung an der Entstehung der Gesetze. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts wurde zudem die Möglichkeit zur Rezeption der Texte durch den Rekurs auf neue Medien und Vereinfachung der Texte verbessert.

Die zweite Sektion wurde durch den Beitrag von Achim Landwehr (Augsburg) eingeleitet. Achim Landwehr betonte das Moment rhetorischer Übermächtigung in den Texten von Policeyordnungen. Text- und Satzstruktur der öffentlich verlesenen Ordnungen sei nicht gerade geeignet gewesen, die Aufmerksamkeit der Zuhörer über eine halbe Stunde zu fesseln. Deren Interesse sollte vornehmlich durch die Nennung des vorgeblichen Urhebers, des Territorialherrn, und seiner sakralen Legitimation geweckt und gebunden werden. Landwehr verweist auf die rhetorische Funktion der Narratio: eine unheilverkündende Darstellung der Konsequenzen der Nichtbefolgung – irdische Unordnung und göttlicher Zorn. Es handelt sich dabei um Strategien herrschaftlicher Legitimierung und einer Darstellung des Normgebungsanspruchs: eine „sprachliche Machtdemonstration“.
Außerdem wird eine Interpretation der sozialen Ordnung, eine ordnende Sicht der Wirklichkeit geboten. In der Diskussion wurde auch darauf aufmerksam gemacht, daß der Diplomatik gegenüber der Rethorik ein wesentlicher Stellenwert bei der Formgebung von Verordnungen einzuräumen sei.

Karl Härter (Frankfurt/Main) stellte mit seinem Beitrag über Entstehungskontexte, Publikation und Gestaltungskraft frühneuzeitlicher Policeygesetze am Beispiel von Kurmainz im 17. und 18. Jahrhundert eine gekürzte Version eines entsprechenden Kapitels seiner Habilitationsschrift zur Diskussion. Er wies auf den zweifachen Kommunikationsprozeß hin, der mit obrigkeitlichen Gesetzen verbunden sei: erstens die bereits im Beitrag von Mordstein deutlich gewordene Kommunikation im Vorfeld, die einerseits der Informationsbeschaffung diente und in der andererseits die Inhalte eines legislativen Textes verhandelt wurden, zweitens aber auch die Kommunikation, die mit der Publikation verbunden war. Härter beschrieb die zahlreichen Medien der Publikation von der mündlichen Verlautbarung, der auszugsweisen oder vollständigen Verschriftlichung bei den Adressaten bis hin zum Affichieren und Ausrufen der Texte. Da an die Publikation die Geltungskraft gebunden war, begann die Obrigkeit bereits im 17. Jahrhundert die tatsächliche Publikation durch die lokalen Behörden zu kontrollieren. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts wurde, ähnlich wie in Lippe, die Rezeption deutlich verbessert. Es wurden zunehmend Einzelverordnungen erlassen, die Sprache der Gesetze vereinfacht und die Anweisung ausgegeben, daß die Texte verständlich zu verlesen und zu erläutern seien. Gesetze mußten in die Amtsbücher eingetragen werden, um das Wissen darüber zu verstetigen und eine erneute Verkündigung zu ermöglichen. Auch wenn allenfalls sehr wenige Untertanen über die Gesamtheit des geltenden Rechts informiert gewesen sein dürften, so war nach Härter beim Großteil der Bevölkerung ein mehr oder weniger diffuses Wissen über Ge- und Verbote vorhanden.

Gunter Mahlerwein (Gimbsheim und Mainz) betonte am Beispiel von Worms im 18. Jahrhundert die Besonderheiten der Normgebung in einer Stadt gegenüber den Territorien. Hierzu rechnet er die „besondere Nähe“ zwischen Obrigkeit und Bevölkerung in den Städten. In der Gesetzgebung orientierte sich der Wormser Rat auch am Vorbild benachbarter Städte und Territorien. Die Legislationstätigkeit zeigt einen deutlichen Schwerpunkt bei Handwerk, Gewerbe und Handel. Auch Suppliken aus der Bevölkerung bezogen sich fast ausschließlich auf wirtschaftliche Bereiche. Vor allem die Zünfte galten als berechtigt, ihre Interessen in Form von Eingaben zu wahren. Sie formulierten auch die Zunftordnungen, die dann vom Rat erlassen wurden. Die meisten Verordnungen wurden nicht im Druck publiziert, sondern in den Stadtratsprotokollen zumeist auch nur in Kurzform notiert. Die Publikation geschah in Worms neben dem seltenen Anschlag gedruckter Zettel vor allem durch mündliche Verlautbarung entweder vor der versammelten Bürgerschaft oder auf Versammlungen der betroffenen Korporationen. Zumeist wurden Erlasse durch Trommelschlag und Ausrufen in den Straßen bekannt gemacht. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts wurden auch parallel mehrere Publikationswege genutzt, um Rezeptionslücken zu schließen. Die mündliche Verbreitung stellte somit für die meisten Normen die übliche Verbreitungsweise dar. Dies diente gleichzeitig auch der „Inszenierung von Herrschaft“ seitens der Stadtobrigkeit.

Deutlich wurde in den meisten Beiträgen und in der Diskussion, daß eine Untersuchung der Kommunikation im Vorfeld eines Gesetzgebunsaktes die intensive Beteiligung verschiedener sozialer Akteure deutlich macht. Die Gesetzgebung selbst wird ihres „absolutistischen“ Charakters entkleidet, indem der Einfluß verschiedener Gruppen und Korporationen auf den Inhalt der Gesetze sichtbar gemacht werden konnte. Teilweise wurden Normen von intermediären Instanzen verfaßt und dann als obrigkeitliche Gesetze publiziert, so daß der Legislationsakt in solchen Fällen als reine Formalisierung und Bestätigung von Normen nicht-souveräner Korporationen interpretiert werden kann. Ein Desiderat besteht allerdings noch in der Berücksichtigung der Binnendiskurse bei den beteiligten Gruppen, Korporationen und Behörden, die nach außen als einheitliche soziale Akteure auftraten und innere Differenzen nach Möglichkeit nicht deutlich werden ließen. Vormoderne Gesetzgebung ist sicherlich ein Forschungsfeld, in dem das in den letzten Jahren diskutierte Modell des „Aushandelns von Herrschaft“ sinnvoll Anwendung finden kann. Zur Ausdifferenzierung des Bildes wird auch beitragen, wenn der Normproduktion von Instanzen größere Aufmerksamkeit geschenkt wird, die unterhalb der Ebene der Stadt- und Landesherrschaft angesiedelt waren.

Ebenfalls deutlich wurde, daß um die Mitte des 18. Jahrhunderts eine erweiterte, genauere und detailliertere Legislationstätigkeit einsetzte, die einher ging mit intensivierten Bemühungen um eine verbesserte Rezeption und Kenntnis der Gesetze. Auch wenn, wie Karl Härter betonte, auch vorher eine ungefähre Kenntnis von Rechten und Pflichten durchaus vorhanden war, deuten diese Bemühungen auf eine sich verändernde Auffassung von Herrschaft bei der Obrigkeit am Beginn der „Sattelzeit“ hin. Ein Desiderat dürfte hier neben der genaueren Untersuchung von Formen der Publikation vor allem in der Rezeption und Adaption der erlassenen Normen seitens der Bevölkerung bestehen.

Kontrovers blieb der Aspekt herrschaftlicher Repräsentation, der dem angestrebten Legislationsmonopol und dem Legislationsakt selbst anhafteten. Auch wenn die Argumente der häufigen Wiederholung und der Nichtbefolgung von Gesetzen in der Diskussion der letzten Jahre vielleicht überstrapaziert worden sind und die meisten Gesetze sicherlich dazu gedacht waren, soziales Verhalten zu beeinflussen, so bleiben allerdings genügend Hinweise, diesem Aspekt einen wichtigen Stellenwert einzuräumen. Das gesteigerte Bemühen um eine erfolgreiche Rezeption von Normen, die teilweise in der Zunahme und der Differenzierung der Regulierungen begründet ist, weist ebenso wie die von Achim Landwehr betonte herrschaftliche Rhetorik der Texte in diese Richtung. Gerade die im Vorfeld sichtbar gewordene Beteiligung der unterschiedlichsten Akteure an der Entstehung von Gesetzen könnte eine Motivation gebildet haben, den souveränen Charakter der Legislation in der äußeren Gestalt der Texte und der Form der Publikation zu unterstreichen. Auch die zunehmende Entmachtung intermediärer Instanzen durch die entstehenden zentralisierten Staatswesen wird vor dem Hintergrund ihrer weiterhin bestehenden Macht und der weiterhin intensiven Einbindung in das Herrschaftsgeflecht des Ancien Régime den Wunsch motiviert haben, gegenüber diesen Instanzen den Anspruch auf souveräne Herrschaftsausübung zu verdeutlichen. Denn Repräsentation richtete sich nicht nur an die einfachen Untertanen, sondern auch an die Eliten.

Die auf der Tagung diskutierten Texte werden sukzessive auf der Internet-Seite des Arbeitskreises in der Form eines in lockerer Reihe erscheinenden e-journals als PDF-Dateien publiziert werden. Bereits ins Netz gestellt wurden als Ausgaben 1 bis 3 der „PoliceyWorkingPapers“ die Texte von Gunter Mahlerwein, Johannes Mordstein und Karl Härter (http://www.univie.ac.at/policey-ak/pwp.htm). Die anderen werden folgen.

Abschließend wurde als Thema für die nächste Tagung des Arbeitskreises im Juni 2003 „Policey, öffentliche Ordnung und Militär“ festgelegt. Eine Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit (AMG) wird angestrebt.

Kontakt

Dr. des. Gerhard Sälter
Wilsnacker Straße 39
D-10559 Berlin
00.49.(0)30.394.86.22
G.Saelter@t-online.de

http://www.univie.ac.at/policey-ak/treffen_5.htm
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