From:    Joachim Schummer
Date:    23.08.2002
Subject: Artikel: Newsletter "wissenschaftlichernachwuchs.de", Nr. 6
------------------------------------------------------------------------

X-post:  Initiative wissenschaftlichernachwuchs.de

--------------------------------------------------------------
    Newsletter der Initiative wissenschaftlichernachwuchs.de
           http://www.wissenschaftlichernachwuchs.de
                WN-News Nr. 6 (23. August 2002)
--------------------------------------------------------------

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Die grosse Schlacht scheint geschlagen, und viele sind enttaeuscht ueber
den Erfolg: Das HRG wurde nicht verhindert, die 12-Jahres-Frist nicht
gestrichen, die C2-Stellen nicht wieder eingefuehrt. Die
Uebergangsregelung, die erreicht zu haben auch wir uns als Erfolg auf
die Fahnen schreiben duerfen, erscheint vielen als duerftig. Die
Enttaeuschung ist in vieler Hinsicht auch eine Enttaeuschung ueber ein
Ministerium, das lange Zeit nicht zugehoert hat und Einsprueche gegen
das Gesetz nur als Besitzstandswahrung und nicht als gut begruendete
Einwaende aus der Praxis verstehen wollte. Die Breite des Protestes aus
unterschiedlichen Gruppen hat mit der Zeit ein anderes Bild erzeugt.
Viele glauben heute, dass das Gesetz in der jetzigen Form wohl nicht
sehr lange leben wird, weil einfach zu viele Sachgruende dagegen
sprechen. Indes sollten Sachgruende auch kommuniziert werden, und der
derzeit laufende Wahlkampf ist eine Moeglichkeit, unsere Argumente noch
einmal ins Spiel zu bringen. Der Erfolg von
wissenschaftlichernachwuchs.de hat gezeigt, dass wir als bundesweites
Sprachrohr des wissenschaftlichen Nachwuchses ueber eine gewisse
Multiplikatorfunktion verfuegen. In diesem Sinne verstehen wir die
Wahlpruefsteine in diesem Newsletter. Wir rufen alle EmpfaengerInnen
dieses Newsletters (z.Z. 9.674!) dazu auf, die darin enthaltenen Fragen,
den BundestagskandidatInnen vorzulegen und uns die Antworten zukommen zu
lassen. Wir werden sie dann als Entscheidungshilfen veroeffentlichen. 

Das ist auch die Funktion des Briefs, den wir an Annette Schavan
geschrieben haben. Sie ist in Edmund Stoibers "Kompetenzteam" fuer die
Bildungs- und Forschungspolitik zustaendig. Wir fragten sie nach ihren
Positionen in der gegenwaertigen Debatte. Den Brief und ihre Antwort
werden wir im naechsten Newsletter dokumentieren.

Neben den Wahlpruefsteinen enthaelt dieser Newsletter vor allem einen
Sachstandsbericht zum Stand des Gesetzes, erste Erfahrungen mit der
Praxis und einen Abriss unserer Positionen im Lichte der Meinung
anderer.

Mit freundlichen Gruessen
 Ihre Initiative wissenschaftlichernachwuchs.de

---------------------------------
INHALT DES HEUTIGEN NEWSLETTER
---------------------------------

I.  Zum Stand des Hochschulrahmengesetzes
II.  Die Praxis des Gesetzes
III.  Unsere Position und die Resonanz darauf
IV.  Wahlpruefsteine Hochschulwesen

I. ZUM STAND DES HOCHSCHULRAHMENGESETZES

Seit Februar dieses Jahres ist die Fuenfte Novelle des HRG in Kraft,
welche die Juniorprofessur einfuehrt, die Habilitation auf Dauer
entbehrlich machen moechte und eine Regeldauer von 12 Jahren vorsieht,
innerhalb derer eine befristete Beschaeftigung ohne besonderen Sachgrund
moeglich ist. Besonders gegen die 12-Jahres-Regelung ist nicht nur
wissenschaftlichernachwuchs.de Sturm gelaufen. Die Argumentation des
Ministeriums, auch nach den 12 Jahren waeren immer noch befristete
Beschaeftigungsverhaeltnisse moeglich, wenn sie nach dem Teilzeit- und
Befristungsgesetz (TzBfG) begruendet sind, hat sich dabei in den Augen
der meisten Praktiker als nicht realistisch erwiesen, weil damit die
Angst der Hochschulverwaltungen, dass Beschaeftigte sich einklagen
koennten, nicht ausgeraeumt werde. In einigen Faellen wurde auch bereits
deutlich signalisiert, dass die Anwendung des TzBfG abgelehnt wird.
Wegen der damit drohenden, unmittelbar bevorstehenden "Freisetzung"
einer grossen Zahl von NachwuchswissenschaftlerInnen, die in Projekten
beschaeftigt sind, haben wir nachdruecklich gefordert, dass zumindest
eine Uebergangsregelung eingefuehrt werden soll, die denen, die jetzt
unmittelbar betroffen sind, erlaubt, sich an die neue Situation
anzupassen. Damit hatten wir zumindest teilweisen Erfolg. Im April
wurden wir ins BMBF eingeladen und konnten Staatssekretaer Catenhusen in
einer intensiven Diskussion deutlich machen, dass eine
Uebergangsregelung im Interesse aller sei, weil die ploetzliche
Einfuehrung der neuen Regelung das Vertrauen in die Hochschulpolitik des
Bundes nachhaltig erschuettern wuerde. Dass das Ministerium sich bereit
fand, in der Sechsten Novelle des HRG eine Uebergangsregelung zu
verankern, ist ein Verdienst, das wir zu grossen Teilen fuer uns
beanspruchen duerfen.

Diese Uebergangsregelung geht allerdings nicht so weit, wie wir sie
vorgeschlagen hatten. Unsere Forderung war, dass fuer alle
NachwuchswissenschaftlerInnen innerhalb einer Periode von fuenf Jahren
der entsprechende Passus des Gesetzes (§ 57) nicht zur Anwendung kommen
solle. Die jetzige Regelung sieht eine Phase von lediglich drei Jahren
vor, und auch dies nur fuer diejenigen, die zum Zeitpunkt des
Inkrafttretens des Gesetzes (22. Februar 2002) einen befristeten Vertrag
hatten. Alle, die zu dieser Zeit arbeitslos oder im Ausland oder auf
Stipendium waren, werden von der Uebergangsregelung also nicht erfasst.
Warum das Ministerium diese Einschraenkung vorgenommen hat, ist uns
nicht bekannt und auch nicht mitgeteilt worden. Wer also jetzt oder in
den naechsten 3 Jahren sein 12-Jahres-Budget voll hat, kann laut
Uebergangsregelung noch bis zum Februar 2005 weiterbeschaeftigt werden,
sofern er am 22. Februar 2002 befristet eingestellt war.

Diese Regelung hat jedoch noch keine Gesetzeskraft! Die Sechste Novelle
des HRG, die zugleich auch das Verbot der Studiengebuehren enthaelt, ist
bisher vom Bundespraesidenten nicht unterschrieben worden. Dem Vernehmen
nach soll dies allerdings in den naechsten Wochen geschehen, so dass mit
einem baldigen Inkrafttreten zu rechnen ist. Wie bei der Fuenften
Novelle ist umstritten, ob das Gesetz zustimmungspflichtig ist. Die
Bundesregierung ist in beiden Faellen der Ansicht, dass das Gesetz der
Zustimmung der Laender nicht beduerfe. Einige CDU-regierten Laender
haben deshalb unter der Federfuehrung Thueringens eine
Normenkontrollklage gegen die Fuenfte Novelle beim
Bundesverfassungsgericht eingeleitet; es steht zu erwarten, dass sie
dies auch bei der Sechsten Novelle tun werden. Wenn diese Klagen vor dem
BVG Erfolg haetten, koennte es sein, dass die betreffenden Gesetze noch
einmal im Bundestag verhandelt werden, diesmal allerdings mit
moeglicherweise veraenderten Mehrheiten.

II. DIE PRAXIS DES GESETZES

Mittlerweile werden an vielen Universitaeten Juniorprofessuren
ausgeschrieben; nicht immer ganz freiwillig. Aber die
Ausstattungsleistungen in Hoehe von 60.000 EUR, die vom BMBF als
"Anschubfinanzierung" erbracht werden, wirken unterstuetzend. Dies
geschieht meist im Paket; um ein solches Paket zu schnueren, werden auch
Fakultaeten, die daran kein Interesse haben, mit mehr oder minder
sanftem Zwang (etwa: Streichungsdrohungen) zur Ausschreibung einer
Juniorprofessur bewegt. Es kommt auch vor, dass C2-Stellen, die zur
Neuausschreibung aufgelegt werden sollen, auf dem Weg durch die
Institutionen zu Juniorprofessuren werden. Diese Juniorprofessuren
werden ausgeschrieben als Nachwuchsstellen mit der Voraussetzung der
Promotion, die nicht laenger als fuenf Jahre zurueckliegen darf, sowie
zusaetzlicher wissenschaftlicher Leistungen. Oft werden sie sehr
spezifisch ausgeschrieben. Das hat zum einen oft den Grund, dass genau
diese Qualifikationen benoetigt werden; mitunter bedeutet es aber nichts
anderes, als dass ein bestimmter Kandidat, der gemeinhin der eigenen
Fakultaet entstammt, auf den Posten gehievt werden soll. In der Praxis
der Berufungen (die keine Berufungsverfahren im strengen Sinn sind, weil
sie ohne das Ministerium zustande kommen und faktisch in der
Verantwortung der Fakultaeten liegen) zeigt sich haeufig, dass
Juniorprofessuren verstanden werden als eine Form der Versorgung des
eigenen Nachwuchses.

Die Praxis mit Stellen alter Art ist unterschiedlich. Es gibt Laender
wie Bayern oder Baden-Wuerttemberg, die C2-Stellen noch durchweg
freigeben; in anderen Laendern werden sie nicht mehr genehmigt. Und
dies, obwohl eine Implementierungsphase bis Ende 2004 besteht, innerhalb
derer vom alten auf das neue System umgestellt werden soll.

Auch die 12-Jahres-Regelung wird hoechst unterschiedlich gehandhabt,
wobei hier nicht nach Laendern, sondern nach Universitaeten zu
differenzieren ist. Manche Universitaetsleitungen haben erkennen lassen,
dass sie sich strikt an diese Regel halten werden, weil damit fuer sie
Eindeutigkeit gegeben ist. Andere wollen versuchen, befristete Stellen
in bestimmten Faellen auch ueber diese Frist hinaus zu ermoeglichen. Es
gilt also, sich bei der betreffenden Universitaet direkt zu erkundigen.
Das BMBF hat eine "Handreichung" herausgegeben, welche die
arbeitsrechtlichen Parameter aus ihrer Perspektive enthaelt und in der
die Moeglichkeit befristeter Beschaeftigung auf Projekten ueber die 12
Jahre hinaus vertreten wird - ob dies allerdings die Universitaeten und
die Arbeitsrechtler genauso sehen, muss die Zukunft erweisen. Die
Uebergangsregelung, wie sie in der 6. HRG-Novelle verankert ist, wird
allerdings allen Universitaeten vorerst noch die Moeglichkeit eroeffnen,
den bereits beschriebenen Personenkreis ueber die 12 Jahre hinaus zu
beschaeftigen.

Bis auf Niedersachsen ist noch in keinem Land ein Landeshochschulgesetz
verabschiedet worden. Die meisten Laender befinden sich in einer
Vorbereitungsphase, sind aber zumeist noch nicht so weit, dass sie einen
konkreten Entwurf diskutieren. Der Hochschulverband hat vor einer
vorschnellen Implementierung in Landesrecht gewarnt, weil die
Normenkontrollklage gegen das Gesetz noch nicht beschieden ist. Ebenso
kann man feststellen, dass einige Laender sich erkennbar Zeit lassen,
weil sie den Ausgang der Bundestagswahl abwarten. Offensichtlich rechnen
manche damit, dass die Frage dann noch einmal diskutiert wird.

Die Umstellung der Gehaltssysteme von C auf W mit der erhoehten
Anrechnung von Leistungszulagen ist noch in keinem Bundesland vollzogen.
Die Detailprobleme der Beurteilung von Leistung (wer? welche? nach
welchen Kriterien?) erweisen sich als so schwierig, dass die
Tarifumstellung offenbar als Letztes in Angriff genommen werden soll.

Im Hinblick auf die Anwendung der 12-Jahres-Frist haben wir bereits
einige Erfahrungen gemacht. Uns wurden unterschiedliche Faelle gemeldet,
die sich wie folgt typisieren und zusammenfassen lassen:

- Es gibt eine Reihe von Faellen von klassischen Drittmittelkarrieren,
bei denen die Wissenschaftler - zumeist als verantwortliche Leiter
mehrerer aufeinanderfolgender Drittmittelprojekte - innerhalb eines
Zeitraums von ueber 12 Jahren betraechtliche Mittel eingeworben haben.
Dennoch wurde auch bei einer erwartbaren Verlaengerung oder
Neufoerderung von Drittmittelprojekten nach Auslaufen der Vertraege
unter Berufung auf den Paragraphen 57 keine Weiterbeschaeftigung mehr
zugelassen. Erfolgreiche und fuer die Forschung hoechst foerderliche
Projektkarrieren von Personen, die, wie es frueher einmal moeglich war,
seit vielen Jahren bzw. Jahrzehnten ausschliesslich ueber Werk- und
Dienstvertraege beschaeftigt wurden, sind so nicht mehr moeglich.

- Es gab darueber hinaus einen Fall, in dem auch die schon annoncierte
Moeglichkeit der Weiterbeschaeftigung unter Anwendung des TzBfG
grundsaetzlich abgestritten wurde, mit der Begruendung, dass die
Tatbestaende fuer das TzBfG allesamt fuer den wissenschaftlichen Bereich
nicht anwendbar seien! Einige Universitaeten (z. B. die Universitaet
Dortmund) haben signalisiert, dass sie das TzBfG grundsaetzlich nicht
zur Anwendung bringen wollen.

- Weiterhin gab es Beispiele fuer die Streichung von C2-Stellen, obwohl
der Anschluss auf C2 bereits vorgesehen und geplant war. Diese
C2-Stellen wurden sogleich in Juniorprofessurstellen umgewidmet.
Beschaeftigungsmoeglichkeiten fuer Privatdozenten waren entsprechend in
diesen Faellen nicht mehr einzurichten.

Nicht wenige Wissenschaftler artikulieren angesichts dieser Lage ihre
Absicht, ins Ausland zu gehen, was zum Teil auch ueberaus erfolgreich
umgesetzt wird. Zugleich erhalten wir viele Nachrichten von deutschen
Wissenschaftlern im Ausland, die signalisieren, dass die aktuelle
Gesetzeslage fuer sie ein Grund ist, langfristig im Ausland zu bleiben.
Der deutsche Brain Drain ins Ausland wird also durch die Reform noch
verstaerkt und keinesfalls - wie von den Gesetzgebern intendiert -
umgekehrt. Nicht zuletzt hat das neue Gesetz eine deutlich abschreckende
Wirkung auf den wissenschaftlichen Nachwuchs bereits zu Beginn der
Promotionsphase oder noch frueher, was den Effekt hat, dass fuer diesen
zukunftswichtigen Personenkreis die akademische Karriere an
Attraktivitaet verliert. Alle diese Entwicklungen dokumentieren die
weitreichenden und fuer das System Wissenschaft insgesamt
hochproblematischen Implikationen dieses Gesetztes bzw. seiner
derzeitigen Umsetzung.

III. UNSERE POSITION UND DIE RESONANZ DARAUF

Im Prozess der Gesetzesberatung hat wissenschaftlichernachwuchs.de
versucht, einerseits pragmatisch anschlussfaehig zu bleiben und in
Detailfragen Positionen zu vertreten, die politisch durchsetzbar sind.
Andererseits haben wir uns bemueht, unser grundsaetzliches Anliegen in
aller Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen. In einigen Fragen haben wir
Unterstuetzung - von manchmal unerwarteter Seite - erhalten; andere
Fragen sind noch nicht aufgegriffen worden. Wir wollen hier die
wichtigsten Punkte noch einmal dokumentieren:

1. Wir sind fuer die Juniorprofessur, allerdings nicht auf  Kosten der
jetzigen Nachwuchsgeneration. Deshalb sind wir dagegen, dass
Juniorprofessuren aus C2- und C3-Stellen finanziert werden.
Juniorprofessuren sollten statt dessen aus C1- und Mitarbeiterstellen
entstehen, neu zu besetzende C2- und C3-Stellen zukuenftig als
W2-Stellen oeffentlich ausgeschrieben werden.

In dieser Hinsicht stossen wir bisher kaum auf Resonanz. Die meisten
Juniorprofessuren werden aus C2-Stellen bestritten. Die
Juniorprofessuren, wie es dem Qualifikationsniveau der Stellen
entspraeche, aus C1-Stellen umzuwandeln, scheitert oft am Widerspruch
der Professoren, die ihre Assistenten nicht verlieren wollen. Einzelne
Universitaeten schreiben sogar C3-Stellen als Juniorprofessuren aus, mit
dem rechtlich unverbindlichen Versprechen eines Tenure Track. Das
bedeutet, dass sie fuer sechs Jahre eine billige Professur (mit vollem
Deputat) haben.

Wir sind dagegen, die Juniorprofessur zu einer Billigprofessur zu
machen. Vielmehr sollte sie eine entsprechend geschuetzte Moeglichkeit
zur Qualifikation auf eine volle Professur werden. Das bedeutet, dass
ein Deputat von hoechstens vier Stunden zu geben ist und
JuniorprofessorInnen nicht das volle Mass an Verwaltungs- und
Pruefungsverpflichtungen haben.

Diese Forderung ist inzwischen weithin anerkannt. Das BMBF hat
angekuendigt, dass nur solche Juniorprofessuren in die Foerderung
fallen, die in dieser Weise ausgestaltet sind. In einigen Laendern wird
erwogen, den Universitaeten ein Vier-Stunden-Deputat vorzuschreiben. Es
gilt allerdings, auf die konkrete Ausgestaltung zu achten.

Wir sind fuer die Moeglichkeit eines Tenure Tracks fuer
JuniorprofessorInnen. In diesem Fall muss die Stelle aber ordentlich
ausgeschrieben werden; sie muss sich der vollen Konkurrenz des Faches
aussetzen.

Dies ist bislang nicht in der wuenschenswerten Weise geschehen. Vielmehr
ist haeufig zu beobachten, dass Professoren ihre Assistenten auf
Juniorprofesuren setzen und versuchen, ohne eine regelrechte
Ausschreibung einen Tenure Track durchzusetzen. Das wuerde eine
empfindliche Dequalifizierung im Professorenbereich bedeuten.

Wir wenden uns gegen die im Gesetz verankerte Fuenf-Jahres-Frist nach
der Promotion, innerhalb derer man auf eine Juniorprofessur berufen
werden kann. Diese Frist, die es in anderen Laendern nicht gibt,
benachteiligt Biographien, die nicht stromlinienfoermig sind - und damit
auch und gerade Frauen.

Auch hier ist bislang noch nichts geschehen; dieses Thema muss aber im
Auge behalten werden, um dem Trend zur Verlaufbahnung entgegenzutreten.
Nur in Deutschland gibt es buerokratische Grenzen dieser Art. Sie stehen
einem Leistungswettbewerb im Wege - aller ministeriellen Rhetorik zum
Trotz.

Die Juniorprofessur darf nicht der einzige Weg zur Professur sein.
Andere Qualifikationswege sollten genauso moeglich sein und gefoerdert
werden.

Diese Forderung, die von vielen anderen Institutionen und Verbaenden
auch erhoben wurde, findet sich mittlerweile im Gesetz.

2. Wir wenden uns gegen die 12-Jahres-Frist fuer befristete
Beschaeftigung. Diese Frist uebersieht, dass inzwischen die
Projektforschung, die per definitionem befristet ist, zu einem
integralen Bestandteil der Wissenschaft geworden ist. Gerade erfahrene
Forscher werden damit ausgeschlossen, laengerfristige Projekte sind
nicht mehr moeglich.
Aus diesem Grund fordern wir die Verankerung der Moeglichkeit
befristeter Beschaeftigung im Gesetz, in Anerkennung der besonderen
Situation in der Wissenschaft. Man kann in Erwaegung ziehen, solche
Stellen wegen ihrer sozialpolitischen Besonderheit ("prekaere
Beschaeftigung") gegenueber unbefristeten Stellen aus Arbeitgebersicht
negativ zu privilegieren (also etwa: hoehere Gehaelter; "Ansparbetraege"
fuer die Sozialversicherung), wie dies auch von anderer Seite
vorgeschlagen worden ist. In jedem Fall ist es nicht
wissenschaftsdienlich, die Projektforschung, die von allen Seiten als
eine hoechst erfolgreiche Form der Forschung anerkannt ist, durch die
Behinderung befristeter Beschaeftigung gerade der erfahrenen
WissenschaftlerInnen derart zu behindern.

Diese Forderungen teilen viele und ganz unterschiedliche Verbaende und
Institutionen. Gerade aus der Naturwissenschaft werden Klagen darueber
laut, dass  die grossen Projekte, in denen erfahrene Forscher benoetigt
werden, in Zukunft nicht mehr moeglich sein werden. Das sieht auch die
DFG so. Grosse Forschungsinstitutionen wie das Wissenschaftszentrum
Berlin befuerchten, dass sie wichtige WissenschaftlerInnen nicht halten
oder an sich binden koennen. Der Wissenschaftsminister von
Baden-Wuerttemberg hat sich in aller Deutlichkeit gegen die
12-Jahres-Frist gewandt. Allerdings gibt es in den Hochschulverwaltungen
nicht wenige, welche die neue Regelung aus verwaltungstechnischen
Gruenden begruessen.

3. Darueberhinaus ist die 12-Jahres-Frist kontraproduktiv selbst im
Bereich der Nachwuchsqualifikation, denn sie beruecksichtigt nicht, dass
die Allokation von qualifizierten WissenschaftlerInnen auf eine
Professur fuenf Jahre und laenger dauern kann. Eine solchermassen
buerokratische Erschwerung des Verbleibs der hochqualifizierten Kraefte
im System fuehrt zu einem Brain Drain und ist deshalb nicht im Sinne der
Absichten des Gesetzgebers. Wir fordern deshalb nicht nur die
Abschaffung der 12-Jahres-Frist, sondern darueber hinaus die erneute
Institutionalisierung der Allokationsphase zwischen wissenschaftlicher
Vollqualifikation und Professur, wie dies bisher bei den
Hochschuldozenturen und Oberassistenzen gegeben war. Dieses Problem wird
nicht nur die Habilitierten von heute, sondern auch die "fertigen"
JuniorprofessorInnen von morgen treffen. Je hoeher die Spezialisierung,
desto laenger dauert die Allokation auf eine passende Stelle.

Diese Ueberlegung wird inzwischen von vielen in der Wissenschaftsplanung
und Wissenschaftspolitik geteilt. Bayern hat angekuendigt, statt der
C2-Stellen den Akademischen Rat auf Zeit als Uebergangsmoeglichkeit zur
Verfuegung zu stellen. Nordrhein-Westfalen hat sich noch nicht eindeutig
geaeussert, im Zuge der Diskussion des Landeshochschulgesetzes wird aber
dieses Thema auch hier relevant werden.

4. Die Realitaet der Forschung in den verschiedensten Faechern macht
darueber hinaus deutlich, dass ein Wissenschaftssystem, in dem unterhalb
der Professur nur mehr Nachwuchskraefte arbeiten, nicht funktionieren
kann. Vielmehr muss wieder ueber die Etablierung einer
nichtprofessoralen, gleichwohl qualifizierten Schicht von
WissenschaftlerInnen nachgedacht werden, die unbefristet beschaeftigt
sind. Eine Dynamisierung der Mobilitaetschancen im Zuge der Aufweichung
beruflicher Qualifikationsanforderungen (Abschaffung der Habilitation
als alleinige Anforderung) kann den Problemen der Statik begegnen, die
im nichtprofessoralen "Mittelbau" frueher beklagt wurden.

Dieses Problem ist vielen klar; es stehen jedoch die Realitaeten des
oeffentlich finanzierten Hochschulsystems dagegen. Es gibt eine grosse
Koalition derer, die Stellen befristet - nach der Logik des Gesetzes
also: als Nachwuchsstellen - halten moechten: Die Ministerien, weil
befristete Stellen leichter kuerzbar sind, die
Universitaetsverwaltungen, weil sie mit befristeten Stellen einen
Spielraum fuer Berufungszusagen haben, den sie mit unbefristeten nicht
haetten. Und die Professoren, weil sie ihre "Schueler" auf befristeten
Stellen disponieren koennen. Umso scheinheiliger ist die Position des
BMBF, befristete Stellen nur mehr innerhalb einer bestimmten Frist
allein als Nachwuchsstellen zu nutzen. Denn schon heute machen
Assistenten und wissenschaftliche Mitarbeiter auf befristeten Stellen
die Arbeit, die frueher von unbefristeten Akademischen Raeten oder
Custoden erledigt wurden. Die oft beklagte Dauer der Qualifikationsphase
hat einen Grund auch darin, dass in den letzten zwanzig Jahren immer
mehr Arbeit auf die QualifikandInnen verlagert wurde.

5. Im Zuge der letzten Jahre ist, insbesondere durch die Intensivierung
der Drittmittelforschung und der Habilitationsfoerderung, in manchen
Faechern die Zahl der hochqualifizierten NachwuchsforscherInnen sehr
angestiegen. Wir fordern besondere Anstrengungen, um diese
Wissenschaftler im System zu halten, da sich immer wieder - etwa beim
gegenwaertigen Lehrermangel - zeigt, dass sehr schnell ein Mangel an
geeigneten Kraeften eintreten kann. Das Abwandern dieser
WissenschaftlerInnen, die einen grossen Anteil an der wissenschaftlichen
Innovation wie auch an der Lehrleistung in ihren Faechern haben, ins
Ausland oder aus der Wissenschaft muss verhindert werden. Als ein
geeignetes Mittel erscheinen uns Foerderprofessuren nach dem Muster der
Fiebiger-Professuren, wie sie in den achtziger Jahren mit grossem Erfolg
eingerichtet wurden.

Mit dieser Idee, die auch von anderen vertreten wurde, haben wir eine
Menge Widerhall gefunden. Die DFG und andere Wissenschaftsorganisationen
wie der Stifterverband haben sich sehr interessiert gezeigt. Wir
befinden uns zur Zeit in Gespraechen mit diesen und anderen
Institutionen und versuchen, auch ein oder zwei Bundeslaender dafuer zu
interessieren, in dieser Hinsicht Vorreiterfunktion zu uebernehmen.

IV. WAHLPRUEFSTEINE HOCHSCHULWESEN

Vorbemerkung: Die folgenden Fragen wurden auf der Basis einer Vorlage
formuliert, die von Joerg Requate unter Mitarbeit von Mischa Meier und
Tassilo Schmitt (alle Bielefeld) erstellt wurde, denen wir dafuer
herzlich danken. Wir bitten die Empfaengerinnen dieses Newsletters, sie
den KandidatInnen fuer den Bundestag, besonders denen, die sich in der
Bildungs- und Wissenschaftspolitik engagieren, vorzulegen. Die Antworten
bitten wir uns zuzusenden (an Roland Merten
merten@paedagogik.uni-halle.de ), damit wir sie im naechsten Newsletter
veroeffentlichen koennen; wir versuchen, noch vor der Wahl eine Reihe
der Antworten zu bringen, um so einen Ueberblick ueber die Positionen
der Parteien und damit eine Entscheidungshilfe geben zu koennen. Aus
diesem Grund waere es sinnvoll, sie zumindest ergaenzend als e-mail zu
versenden und die Antwort auch elektronisch zu erbitten. Denn wir
koennen nur elektronische Post verarbeiten.

Mit der 5. Novelle des Hochschulrahmengesetzes hat der Bundestag
einschneidende Reformen fuer den Werdegang und die Beschaeftigung von
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eingeleitet, die jedoch nicht
nur diesen, sondern das Bildungssystem insgesamt betreffen. Tatsaechlich
gibt es im derzeitigen System erheblichen Reformbedarf, doch das
Ergebnis der Reform hat in den Hochschulen fuer Diskussionen,
Irritationen und Proteste gesorgt. Trotz der Neuregelungen bleibt
weiterhin vieles unklar, und viele Experten befuerchten gravierende
Beeintraechtigungen des deutschen Hochschulwesens insgesamt. Fuer uns
als Hochschulangehoerige ist die Zukunft der Hochschule ein wichtiger
Punkt, der Wahlentscheidung beeinflussen wird. Deswegen bitten wir Sie
um eine Stellungnahme zu folgenden Punkten

1. Juniorprofessuren:

- Sind Sie fuer die Beibehaltung und Durchfuehrung des Modells der
Juniorprofessur? Halten Sie dies fuer ein exklusives Modell oder koennen
Sie sich auch alternative Wege vorstellen, wie z.B. die Beibehaltung von
C1-Assistenturen und Habilitationen (Parallelstrukturen)? Wie soll im
Falle geplanter Parallelstrukturen die Vergleichbarkeit von
Qualifikationen sichergestellt werden? Wie ist Ihre Position bezueglich
der Moeglichkeit eines Tenure Track fuer Juniorprofessuren?

- Das Ministerium betont, dass Juniorprofessuren gegenueber andern
Qualifikationswegen auf dem Weg zur Vollprofessur "politisch
privilegiert" sein sollen. Wie interpretieren Sie dies und wie stehen
Sie dazu?

2. Befristungsregelungen/Uebergangsregelungen:

- Trotz aller Dementis aus dem BMBF werden die neuen
Befristungsregelungen dazu fuehren, dass eine ganze Generation hoechst
qualifizierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ohne weitere
Chancen auf Beschaeftigung in die Arbeitslosigkeit und ins Ausland
gedraengt wird. Welche Vorstellungen haben Sie von wissenschaftlichem
Personal unterhalb der Professur? Wie koennen Abwanderungen ins Ausland
verhindert werden? Welche Uebergangsregelungen und -fristen planen Sie,
die eine geordneten Uebergang fuer Habilitierende bzw. Habilitierte nach
Altrecht in eine Professur ermoeglichen? Was halten Sie von dem
Vorschlag, in den sogenannten Ueberhangfaechern, in denen die Zahl der
habilitierten WissenschaftlerInnen die Zahl der freiwerdenden Stellen
weit uebertrifft, in der Uebergangszeit Foerderprofessuren
auszuschreiben?

- Experten haben unterschiedliche Loesungsvorschlaege vorgebracht. Was
halten Sie von der Einfuehrung eines Wissenschaftstarifs? Wie stehen Sie
zur Moeglichkeit, den Status des 'Freien Wissenschaftlers' zu schaffen?
Was halten Sie davon, grundsaetzlich nur noch unbefristete
Arbeitsverhaeltnisse abzuschliessen, jedoch mit der Moeglichkeit der
betriebsbedingten Kuendigung bei Wegfall von Forschungsgeldern bzw.
Auslaufen von Forschungsprojekten?

3. Professorenbesoldung:

- Halten Sie es fuer wahrscheinlich, dass fuer die Festlegung der
Leistungszulagen auf die neuen Professorengrundgehaelter objektivierbare
Kriterien entwickelt werden koennen? Welche Kriterien koennten das sein
und wie sollen sie gemessen werden? Planen Sie Obergrenzen bei den
Leistungszulagen? Sollen die Leistungszuschlaege fuer alle Faecher an
der Universitaet gleichermassen eingefuehrt werden? Wie wollen Sie
universitaetsinterne Verwerfungen zwischen drittmittelbeguenstigten
(insbes. Natur-, Ingenieur- Rechts- und Wirtschaftswissenschaften) sowie
drittmittelbenachteiligten (insbes. Kultur- und Geisteswissenschaften)
Faechern verhindern? Sind fuer jeweils einzelne Faecher bzw.
Faechergruppen jeweils gesonderte Leistungskriterien und -budgets
vorgesehen?

- Wie kann Leistungssteigerung durch Leistungszulagen erreicht werden,
wenn diese grundsaetzlich kostenneutral sein sollen?


________________________________________________________________________
H-Soz-Kult: Kommunikation und Fachinformation
    für die Geschichtswissenschaften
hsk.redaktion@geschichte.hu-berlin.de
<http://www.hsozkult.de>