Historikertag 2004: Frühe Neuzeit

Von
Achim Landwehr, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Besprochene Sektionen:

"Die große Welt im kleinen Raum. Städtische Kommunikationsräume in der Frühen Neuzeit"
"Zeitverständnis und Herrschaftsakzeptanz im 20. Jahrhundert"
"Kirchenräume in der Frühen Neuzeit"
"Fremde Herrscher im Ostseeraum. Kolloquium im Rahmen des Doktorandenforums"
"Freiräume – Freizeitgestaltung in Europa in der Frühen Neuzeit"
"Sprachen und Formen der Kommunikation in Adligen Führungsschichten in der Frühen Neuzeit"

Räume, Zeiten, Orte. Die Frühneuzeitgeschichte auf dem Historikertag 2004

Dienstag, 14. September
Das Einzige, was die Vorfreude auf den Historikertag 2004 trüben kann, ist die Deutsche Bahn. Zwar ließ sie sich durch das Organisationsbüro des Historikertages erfreulicherweise dazu überreden, Fahrkarten zum Einheitspreis an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kongresses abzugeben (an dieser Stelle sei ein großes Lob und ein herzlicher Dank an die Tagungsorganisation ausgesprochen, die bereits im Vorfeld für umfangreiche Informationen und einen reibungslosen Ablauf gesorgt hat). Das garantiert aber leider nicht, dass die Züge auch so verkehren, wie sie das fahrplangemäß sollten.

Die Wartezeit bis zur endgültigen Gewissheit darüber, ob der Anschlusszug in Hamburg nun noch erreicht werden kann (es gelang nicht) und ob diese Tagung einmal mehr mit einer unerfreulichen Verspätung beginnt, lässt sich mit einem Blick in das Tagungsprogramm überbrücken. Das Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung" machte heute Morgen bereits eine wichtige und möglicherweise auch überfällige inhaltliche Erweiterung der Sektionen aus, die sich vor dem Hintergrund des Generalthemas "Kommunikation und Raum" endlich über die Grenzen deutscher und europäischer Geschichte hinauswagten. Auch wenn sich der Artikel dann vor allem der wenig erfreulichen Situation am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen zuwandte, um diese als pars pro toto für den Zustand der Geschichtswissenschaft in Deutschland anzuführen, ist der generellen Einschätzung durchaus zuzustimmen. Hält man das gut gestaltete Programmheft (man sollte zutreffender sagen: Programmbuch) in Händen, stellt sich bei der Lektüre in der Tat Neugierde auf diverse Sektionen und Vorträge ein. Insofern kann man sich als Berichterstatter für H-Soz-u-Kult nur glücklich schätzen, denn durch die aufgetragene Spezialisierung auf einen bestimmten Themenbereich wird die Auswahl von vornherein deutlich eingeschränkt und die Gefahr, sich in zahllosen Veranstaltungen zu verzetteln, hoffentlich gebannt. Also werde ich mich in den kommenden Tagen mit frühneuzeitlichen Scheuklappen durch den Historikertag bewegen und hoffen, dass diese epochale Reduktion durch räumliche Weite und thematische Tiefe aufgefangen wird.

Mit der frühneuzeitlichen Brille gelesen, fällt zunächst auf, dass Sektionen zur Frühen Neuzeit wie diejenigen zur Alten und zur Mittelalterlichen Geschichte einen recht kleinen Raum einnehmen. Nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung, sondern auch auf Historikertagen wird Geschichte vor allem gleichgesetzt mit dem 19. und 20. Jahrhundert. Aber das Faktum, dass es zum gesamten Zeitraum vor 1800 weniger Sektionen gibt als zu den zwei Jahrhunderten danach, ist inzwischen schon zu selbstverständlich geworden, als dass man noch großartig darüber lamentieren müsste. Erfreulich ist hingegen die relativ große Zahl an Epochen übergreifenden Sektionen, die sich gerade bei diesem Oberthema anzubieten scheinen.

Ansonsten erweist sich die Frühneuzeitforschung in durchaus positiver Art und Weise als phantasievoll, soweit es den Umgang mit dem Oberthema angeht. Da geht es ebenso um Wirtshäuser, Marktplätze und Kirchenräume wie um Schlüsselbegriffe, Freizeitgestaltung oder adlige Führungsschichten. Erfreulicherweise konnte auch ein studentisches Kolloquium in das Programm aufgenommen werden. Was all diese schillernden Titel und vielversprechenden Schlagworte halten, wird sich ab dem morgigen Tag zeigen, wenn der Tagungstrubel seine Betriebstemperatur erreicht.

Mittwoch, 15. September
An diesem Vormittag heißt es gleich, die frühneuzeitliche Brille abzunehmen, die gestern erst angepasst wurde. Angesichts des Fehlens einer Sektion zu diesem Zeitraum (dem leider die Überschneidung von zwei Frühneuzeitsektionen am Freitag Nachmittag in unverhältnismäßiger Weise gegenübersteht), lässt sich die Zeit nutzen, um abseits des Auftrags den Blick schweifen zu lassen. Im völlig überfüllten Bus drängen sich auf dem Weg zum Audimax nicht nur die Tagungsteilnehmer, sondern auch zwei Alternativen auf: Soll es die islamische Welt als translokaler Handlungs- und Kommunikationsraum oder die Frage nach der Verbindung von Zeitverständnis und Herrschaftsakzeptanz im 20. Jahrhundert sein? Beide liegen auf sympathische Weise abseits der etablierten Pfade, entweder thematisch oder geografisch.

Persönliche Interessen lenken die Schritte schließlich doch zu den unterschiedlichen Zeitverständnissen im 20. Jahrhundert. Angesichts der in den nächsten Tagen drohenden Überdosis an Raumbegriffen, verspricht diese Sektion bereits ein früh wirkendes Gegengift. Zudem scheint in der Geschichtswissenschaft nicht nur ein allzu selbstverständlicher Umgang mit der Kategorie des Raumes vorzuherrschen, der auf diesem Historikertag erfreulicherweise aufgegriffen wird, sondern ebenso ein nicht ausreichend problematisiertes Verständnis von Zeit, das es auf einer kommenden Versammlung der "Zunft" einmal in den Mittelpunkt zu stellen gelte. Der Ansatz der von Martin Sabrow geleiteten Sektion, nämlich zu betonen, dass es neben der Kalenderzeit auch eine individuelle Eigenzeit gibt, ist dahin aber nur ein erster Schritt. In einem zweiten Schritt wäre es nötig, die neueren Erkenntnisse der Physik zur Zeittheorie einmal konsequent auf die Geschichtswissenschaft anzuwenden. In anderen wissenschaftlichen Feldern ist eine solche Konzeption bereits Teil der eigenen Wissenschaftsgeschichte, wie z.B. Alexander Schmidt-Gernig mit einem Blick auf die Zukunftsforschung der 1960er und 1970er Jahre zeigt. Im Feld des institutionalisierten Blicks auf das, was morgen kommen wird, ist es seit mindestens einem halben Jahrhundert deutlich, dass sich der Weg in die Zukunft gerade nicht nach dem gleichmäßig tickenden, wie ein Uhrwerk ablaufenden Zeitpfeil richtet, sondern dass der temporale Wandel von Systemen aufgrund der komplexen und variablen Verarbeitung von Informationen kontingent verläuft.

Zur weiteren Verdeutlichung der Komplexität des Phänomens ‚Zeit' sind im Hörsaal H des Kieler Audimax dankenswerterweise zwei Uhren angebracht, - die unterschiedliche Zeiten anzeigen. Während die eine der Norm entsprechend 11.25 Uhr verkündet, ist es nach der anderen bereits (oder erst?) 16.40 Uhr.

Auf diese Weise durch die Kategorie der Zeit imprägniert, lässt sich den kommenden Sektionen mit ihrer Raumdominanz entgegenschreiten. Es wurde bereits deutlich - falls eine solche Verdeutlichung überhaupt nötig war -, dass sich Raum keinesfalls ohne Zeit betrachten lässt. Eine Trivialität, ohne Frage, aber wie werden kommende Vorträge darauf reagieren?

Multimedial, so ließe sich antworten. Denn gleich zu Beginn der Sektion "Die große Welt im kleinen Raum. Städtische Kommunikationsräume in der Frühen Neuzeit" wird dem Publikum die Ubiquität von Räumen in der Gleichzeitigkeit vor Augen geführt, da die Sektion nicht nur im Hörsaal, sondern auch qua Live-Stream im Internet verfolgt werden kann. Oder lässt sich der Nicht-Ort der Virtualität nicht mehr als Raum begreifen?

Die Beiträge der Sektion kümmern sich nicht in erster Linie um solche Fragen, konzentrieren sich vielmehr einerseits auf Wirtshäuser, andererseits auf Marktplätze. Im Zentrum stehen die Wechselwirkungen zwischen dem großen und dem kleinen Raum. Das Verkehrswesen und der sich entwickelnde Straßenbau des 18. Jahrhunderts spielten dabei für die Wirtshäuser keine größere Rolle, vielmehr war, wie Beat Kümin für das Berner Oberland zeigte, deren Struktur und Dichte bereits wesentlich früher ausgebildet. In seinem Vortrag sowie demjenigen von Susanne Rau wird aber vor allem ein - man ist versucht zu sagen: intimer - Einblick in das Innere von Wirtshäusern gewährt. Die Anordnung von Schlafräumen wird ebenso thematisiert wie die Menschen aus unterschiedlichen Schichten, die sich in den Gaststuben zusammenfanden.

Nun sind Wirtshäuser noch nicht lange Objekt wissenschaftlicher Aufmerksamkeit, weshalb es sicherlich vonnöten ist, sich des Gegenstandes zunächst einmal zu versichern, indem seine geschichtlichen Varianten ausgelotet werden. Allerdings fragt es sich, ob in dieser Situation ein allzu starker Bezug auf elaborierte Raumtheorien, wie er in dieser Sektion zum Teil bemüht wird, tatsächlich hilfreich ist. Der Zusammenhang zwischen fraglos wichtigen, aber doch stark abstrahierenden Raumbegriffen und Streitereien beim Kartenspiel im Gasthaus wird nur ansatzweise deutlich. Eine theoretisch inspirierte Geschichtswissenschaft hätte hier sicherlich mehr zu leisten, als theoretische Versatzstücke in nur lose Verbindung mit empirischen Ergebnissen zu bringen. Denn dass das konkrete Material genügend Ansatzpunkte für weiter gehende, auch abstrahierende Überlegungen bietet, zeigt die Beschäftigung mit anderen Wechselwirkungen zwischen großem und kleinem Raum, nämlich zwischen dem makrohistorischen Raum marktwirtschaftlicher Beziehungen zwischen Ländern und Kontinenten sowie den mikrohistorischen Räumen städtischer Marktplätze. Hier lässt sich in der konkreten Bewegung von Gütern und Menschen die Herstellung von Räumen als sozialen Konstrukten wesentlich plausibler machen.

Nimmt man diese Sektion gemeinsam mit derjenigen zu Zeitverständnissen in den Blick, dann lässt sich als Fazit des ersten Tages festhalten, dass sich hier ein Komplexitätsgrad historischer Prozesse andeutet, dem übliche geschichtstheoretische Entwürfe nicht auch nur annähernd gerecht werden können. Neben einer Vielzahl von Zeitschichten, die sich in einem Raum überlagern können, kristallisiert sich vor dem Hintergrund von Wirtshäusern und Verkehrsnetzen, Marktplätzen und globalen Märkten heraus, dass zur gleichen Zeit auch eine Pluralität von Räumen vorherrscht. Von einem sinnvollen oder gar selbstverständlichen Umgang mit dieser Komplexität ist die Geschichtswissenschaft noch meilenweit entfernt. Möglicherweise muss hier noch viel Material gesammelt werden, bevor man zu einer entsprechenden Konzeptualisierung schreiten kann.

Martina Löw stellt zum Abschluss der Sektion als Vorschlag den "Ort" zur Diskussion. Nach ihrem Verständnis fallen im "Ort" die unterschiedlichen Räume mikro- und makroskopischer Art zusammen und tragen dadurch der Erd- und Leibgebundenheit des Menschen Rechnung. Am Ort werden plurale und kontingente Räume durch Menschen handelnd hervorgebracht und reproduziert. Denkt man diesen Ansatz weiter und identifiziert man den Ort nicht vorschnell mit einem bestimmten geografischen Punkt, sondern rubriziert man unter Orten auch Menschen oder soziale Gruppen, dann fallen hier möglicherweise nicht nur die unterschiedlichen Räume, sondern auch die differenten, durch Menschen produzierte Zeiten zusammen.

Donnerstag, 16. September
Wirkt die Kirche abschreckend? Möglicherweise. Zumindest zeichnet sich die Sektion zu Kirchenräumen in der Frühen Neuzeit nicht gerade durch einen Massenandrang an Besuchern aus. Im Nachhinein stellt sich dies vor allem für all diejenigen als bedauerlich heraus, die sich diese Veranstaltung entgehen ließen, denn es handelte sich um eine der konzisesten Sektionen zur Frühen Neuzeit. Sollten Kirchenräume aber tatsächlich abschreckend wirken, wäre das mehr als bedenklich, denn deren historische Bedeutung zu betonen hieße in der Tat, Sonderdrucke zum Historikertag zu tragen.

Die Aufmerksamkeit des ausgewählten Publikums wird in den vier Vorträgen vornehmlich auf die sinnliche Erfahrung des Kirchenraums gelenkt - oder sollte man im Sinne von Martina Löw eher von einem "Ort" sprechen, der sich durch seine Erd- und Leibgebundenheit auszeichnet? Zumindest wird, im Gegensatz zur Sektion um Wirtshäuser und Märkte, dieser Vormittag nicht durch theoretische Vorbemerkungen überfrachtet. Wie heilsam es sein kann, der detaillierten Interpretation eines einzigen Kirchenraumes zu lauschen, führen diese Vorträge vor Augen (und Ohren). Bis in feinste Ziselierungen werden Planungen, Wandbemalungen und Predigten ausgeleuchtet - und dies keineswegs ohne theoretischen Anspruch. Ganz im Gegenteil, aufgrund des empirischen Materials, das heißt den Aussagen von Bildunterschriften, den Texten von Predigtbüchern oder den Streitigkeiten um Innendekorationen, offenbaren Andreas Holzem und Renate Dürr in ihren Vorträgen ganz konkrete Beziehungen zwischen Raum und Kommunikation: die Koinzidenz von Bilderwelt und Sprechakt, der Aufbau eines dreiseitigen Kommunikationsraumes zwischen Gemeinde, Geistlichkeit und transzendenten Mächten oder auch die Sakralität von vermeintlich sinnlich entleerten lutherischen Kirchen. Die Kirche als Raum, die sich hier herauskristallisiert, ist konfessionell aufgeladen, ist Überschneidungsterrain von Öffentlichkeit und Privatheit und ist ein eindeutig hierarchisch gestufter Raum.

Die Kirche ist aber auch ein gemalter Raum, der sich beispielsweise in der Malerei der nördlichen Niederlande des 17. Jahrhunderts großer Beliebtheit erfreute, wie Peter Burschel zeigte. Welche Bedeutung es hat, dass in diesen Kirchen regelmäßig Hunde abgebildet wurden (und welche Hunde dies waren), das wird ein Geheimnis der kleinen Diskussionsgemeinschaft dieser Sektion bleiben. Wichtig ist jedoch auch hier die Pluralisierung der Räume, indem der Raum der Kirche in den Bildraum überführt wird. Es handelt sich bei dieser nordniederländischen Obsession der Kirchenbilder aber nicht einfach nur um Architekturdarstellungen, sondern immer auch um den Transport von Bewegungen im Raum, weil praktisch ausnahmslos Menschen auf diesen Bildern zu sehen sind. Die Kirchendarstellungen waren geprägt durch Dynamik und Multifunktionalität - sie zeigen einen sozialen Raum. Dadurch macht sich eine Spannung bemerkbar zwischen dem Kirchenraum und dem umgebenden städtischen Raum. Zugleich verweist die soziale Praxis dieser Bilder auch auf eine neue Selbstsicht der niederländischen Gesellschaft: Anstatt sich selbst ausschließlich auf die Hilfe Gottes zu verlassen (und ausschließlich den Kirchenraum zu zeigen), legen diese Raumbilder ein neues Selbstbewusstsein der Niederländer als Gemeinschaft nahe.

Nimmt man die Beziehungen zwischen Kirchenraum und Stadtraum, zwischen den verschiedenen Funktionen von Kirchenräumen, zwischen einer Kirche und ihrer künstlerischen Darstellung in den Blick, offenbart sich einmal mehr die Überlagerung vielfacher Räume - an einem Ort. Die Differenzierung von Martina Löw zwischen Raum und Ort scheint in ihrer Funktionalität also belegt, da auch im Ort der Kirche unterschiedliche soziale Räume zusammenfallen können.

Freitag, 17. September
Der gestrige Tag endete traditionell mit den Sektionen der "jungen Historiker", die sich einem breiteren Publikum vorstellten. Diese Sektion bietet - ebenfalls traditionell - einen willkommenen Anlass für ironische Bemerkungen, die meist darauf hinauslaufen, dass sich die historische "Jugend" nicht selten als schon reichlich ergraut und (fast schon) habilitiert präsentiert.

Umso erfreulicher ist es, dass auf dem Historikertag auch den "jüngsten Historikern" eine Sektion eingeräumt wurde. Fünf Promovierende aus vier Ländern (ja, das klingt in der Tat wie der internationale Frühschoppen von Werner Höfer) fanden sich zusammen, um sich dem Thema "Fremde Herrscher im Ostseeraum" zu widmen. Die Titel der Einzelvorträge klingen, offen gestanden, einigermaßen irritierend: Es geht um Christoph von Bayern, Christian von Oldenburg, Sigismund Vasa und Friedrich von Hessen-Kassel, die in Skandinavien und Polen zu Königswürden kamen. Irritierend daran ist, dass man von den "jüngsten Historikern" eher ketzerische, innovative, mit einem Wort: neue Fragen erwarten würde. Die Beschäftigung mit diversen Königen riecht jedoch nach den ältesten nur möglichen Ansätzen, nämlich nach der alten Politikgeschichte und ihren großen Männern. Sollte in der Beschäftigung mit Herrscherbiografien tatsächlich die Zukunft der Geschichtswissenschaft liegen? Nach dem "cultural turn" also der "political return"?

Aber es besteht Hoffnung, dass sich hinter den nüchternen Titeln spannende Vorträge verbergen mögen, die dem Themenbereich eine ganz neue Perspektive abgewinnen können. Doch diese Hoffnung erfüllt sich leider nicht. Es geht tatsächlich um Herrscher und ihr Wirken, um politische Verstrickungen und Machtspiele, um Ämterbesetzungen und Hofintrigen (und nur sehr am Rande um Kommunikation und Raum). Um nicht missverstanden zu werden: Gegen solche Themen ist überhaupt nichts einzuwenden, aber erwartet man sich vom Nachwuchs nicht eher einen frischen Wind? Sollte nicht eher an etablierten Ansätzen gezweifelt werden, anstatt sie zu reproduzieren? Möglicherweise fördert die Beschäftigung mit Geschichte doch den Konservatismus - oder ist es die unsichere Stellensituation des historischen Nachwuchses, die ihn dazu verleitet, in der Flucht in die methodisch-theoretische Vergangenheit sein Heil zu suchen?

Wechseln wir daher zu einer Sektion, die recht unverdächtig ist, Affinitäten zur politischen Geschichte zu haben: zur Geschichte der Freizeit. Dass Freizeit und Freiraum enge Verbindungen aufweisen, bedarf keiner tief schürfenden Argumentation. Die in diesen Vorträgen präsentierten Ergebnisse verweisen allerdings noch einmal auf einen anderen, bisher weniger thematisierten Aspekt von Räumlichkeit (und Zeitlichkeit), nämlich deren Ökonomisierung. Ulrich Rousseaux zeigt dies am Beispiel der Entwicklung von Unterhaltungsmöglichkeiten in Dresden während des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Diese waren um 1700 noch eindeutig korporativ organisiert. Feiern, Schützenfeste und Umzüge wurden von Innungen und Gesellschaften ausgetragen. Im 18. Jahrhundert wuchs allerdings allmählich die Zahl unterschiedlicher Schaustellergruppen an. Dieser Bereich kommerzieller Unterhaltungsmöglichkeiten weitete sich ab 1780 stark aus. Neben diesem quantitativen Anstieg machte sich auch eine inhaltliche Erweiterung bemerkbar, vor allem durch wissenschaftlich-technisch geprägte Attraktionen: Automaten, chemische Versuche oder Ballonfahrten fanden großen Zuspruch. Vergnügen und Belehrung gingen hierbei eine fruchtbare Verbindung ein. Dies weist deutlich darauf hin, dass die städtische Gesellschaft sich immer mehr Freiräume eroberte. Nach dem Vorbild des Theaters wurden Unterhaltungsmöglichkeiten nun auch vermehrt im Winter angeboten, dehnten sich in die Abendstunden aus und zeichneten sich durch längere Aufführungszeiten aus. Die Zeit des Vergnügens nahm also immer mehr ‚Raum' ein und konnte diesen Raum auch beanspruchen, weil die ständische, korporativ verfasste Gesellschaft sich in allmählicher Auflösung befand.

Als ganz speziellen Freiraum stellt Ute Lotz-Heumann den Kurort vor. Dabei änderte sich die Räumlichkeit dieses Ortes seit dem 16. Jahrhundert grundlegend. Aus zuvor lange ausgedehnten und in größeren Gruppen vollzogenen Bädern wurden Einzelbäder für Adlige und Bürgerliche. Die soziale Abgrenzung innerhalb dieses Raumes nahm im Verlauf der Frühen Neuzeit deutlich zu. Auch zwischen unterschiedlichen Kurorten baute sich eine klare Hierarchisierung auf. Zudem lässt sich in der inhaltlichen Ausrichtung eine Stärkung des Aspekts der Rekreation gegenüber demjenigen der Gesundheit ausmachen. Vor allem das Spazieren gehen als gesundheitsfördernde Bewegung im Raum gewann im 18. Jahrhundert eine wachsende Bedeutung.

Dass Freizeit keine unschuldige und unproblematische Angelegenheit ist, muss kaum hervorgehoben werden. Die sehr anregende Sektion zu diesem Thema macht deutlich, wie sehr dieser Zeit-Raum einerseits ökonomisch durchdrungen, andererseits sozial hierarchisiert ist. Neben Pluralität, Komplexität und Kontingenz ist die Kategorie ‚Raum' daher nicht minder von den Medien Geld und Macht durchsetzt.

Die Identität des Adels war stets prekär - von dieser Prämisse ging daraufhin die von Ronald G. Asch geleitete Sektion zu "Sprachen und Formen der Kommunikation in adligen Führungsschichten der Frühen Neuzeit" aus. Diese Schwierigkeit des frühneuzeitlichen Adels mit dem eigenen Selbstverständnis manifestierte sich möglicherweise auch im Raum, verdeutlicht sich aber vor allem im zweiten Schwerpunkt des Historikertages, nämlich in der Kommunikation. Die Sprachen des Adels, darum soll es den Vorträgen gehen. Dort finden sich Ehrbegriffe, heraldische Präferenzen oder Duelle, in denen immer wieder ausgehandelt wurde, was adlig war, wer dazu gehörte und wer vor allem von diesem Stand ausgeschlossen wurde.

Dass und wie solche Kommunikationsformen auch Räume unterschiedlicher Art aufspannen konnten, verdeutlicht Richard Cust anhand eines Manuskripts mit Wappen englischer Gentry-Familien. Nicht nur, dass diese heraldischen Zeichen auf dem Papier den Raum eines Zeichensystems errichteten, sondern auch die Verschiebung und Veränderung der Position der Wappen verweist auf eine soziale Hierarchie adliger Familien, auf den Kampf in einem gesellschaftlichen Raum um Macht und Einfluss.

Nicht anders verhält es sich bei den Versuchen des Adels, während der Frühen Neuzeit in den Bereichen des Rechts oder der Bildung seine Stellung zu verteidigen. Christian Wieland führt vor dem Hintergrund des frühneuzeitlichen Verrechtlichungsprozesses vor, mit welchen Schwierigkeiten der Adel zu kämpfen hatte, um körperliche Gewaltfähigkeit als ein Mittel zu erhalten, das den spezifischen Ehrbegriff zum Ausdruck brachte. Um diese tradierten Vorstellungen von Ehre und Gewalt erhalten zu können, wurde auf außergerichtliche Einigungspraktiken ausgewichen oder ein komplexes Duellwesen etabliert. Doch auch die geschickte Nutzung der Justiz durch den Adel fand hier ihren Platz. Nicht weniger ambivalent zeigt sich das Verhältnis des Adels zur Bildung, dieser neuen sozialen Aufstiegsmöglichkeit für nicht-adlige Schichten in der Frühen Neuzeit. Gerrit Walther führt vor, dass man als Adliger zwar durchaus gebildet sein konnte - dies aber auf keinen Fall zeigen durfte, um nicht mit akademischen Pedanten verwechselt zu werden. Vielmehr wurden Bildungsmöglichkeiten genutzt, um auch hier die Standeskonkurrenz zu überbieten, die Memoria zu pflegen oder Freundschaftsbeziehungen herzustellen.

Auf dem Weg zum Bahnhof stellt sich ein insgesamt positiv gestimmtes Gefühl im Hinblick auf diesen Historikertag ein. Die Atmosphäre war sehr freundlich, aufgrund der Konzentration auf dem Kieler Campus trotz der großen Teilnehmerzahl nahezu intim, die Organisation erwies sich als hervorragend und bei den Vorträgen und Sektionen waren einige wirkliche Glanzpunkte dabei. Wissenschaftliche Revolutionen waren kaum zu erwarten, auch wenn man sie sich immer wieder erhofft und erwünscht. Aber die Frühneuzeitgeschichte hat sich keineswegs verstaubt, vielmehr auf der Höhe der Zeit präsentiert, vor allem in dem Bemühen, theoretische Überlegungen und empirisches Handwerk in eine fruchtbare Verbindung zu bringen. Und nach dreieinhalb Tagen in Hörsälen, nach Mittagspausen, die mit Fachgesprächen vergingen und nach einer Reihe von Abendessen, die durch Spekulationen über die nächste Stellenausschreibung geprägt waren, ist man unverhofft wieder froh, dass es die Deutsche Bahn mit all ihren Unzulänglichkeiten gibt, - nicht nur weil sie einem Sitzplätze inklusive Tisch und Steckdose zur Verfügung stellt, an denen man mit einem Laptop ausgerüstet den Bericht über den Historikertag beenden kann, sondern auch weil der Zug auf dem Heimweg natürlich wieder Verspätung hat und einem dadurch vor Augen führt, dass es ‚dort draußen' noch andere Probleme gibt als die auf Historikertagen verhandelten.

Dr. Achim Landwehr ist Juniorprofessor für Europastudien an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit sowie Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft. Homepage: http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/europastudien