Historikertag 2004: Osteuropäische Geschichte

Von
Franziska Exeler, Humboldt-Universität zu Berlin

Besprochene Sektionen:

"Raumvorstellung und Raumpolitik im Stalinismus. Kultur der Zentralität und Strategien ihrer Medialisierung"
"Europas Osten in der Wahrnehmung der Deutschen"
"Gestörte Kommunikation: Begriffstransfer zwischen Ost und West"

Am Anfang und am Ende des 45. Historikertages in Kiel stand die Frage, wo Osteuropa liegt. Manfred Hildermeier, der Vorsitzende des Verbands der Historiker und Historikerinnen Deutschlands, ging dieser Frage in seinem Abschlussvortrag nach, und auch mir stellte sich diese Frage allein schon aus organisatorischen Gesichtspunkten zu Beginn des Historikertages, galt es doch zu entscheiden, welche Sektionen zu besuchen waren. Wie sich am Ende der drei Tage herausstellen sollte, existieren unterschiedliche Auffassungen davon, wo Osteuropa zu verorten ist. Während Manfred Hildermeier sich in seinen Ausführungen stark auf den Bereich Ostmitteleuropa konzentrierte, liegt der Fokus dieses Berichts auf den Sektionen, die sich mal ausschließlich, mal überwiegend mit Russland und der Sowjetunion beschäftigten.

In der ersten Osteuropa-Sektion am Donnerstagmorgen unter der Leitung von Karl Schlögel (Frankfurt/Oder) wurden Raumvorstellungen und Raumpolitik im Stalinismus anhand von "Mosaiksteinen" (Schlögel) wie Stalinporträts, sowjetischen Massenfesten, Farbkonzepten in der russischen Avantgarde sowie der Ulica Gork'ovo und dem Moskauer Gorki-Park diskutiert. Jan Plamper (Tübingen) beschäftigte sich in seinem Vortrag mit dem Stalinkult, der im Laufe der 1930er Jahre entstanden war. Anhand eines Gemäldes von Alexander Gerasimov aus dem Jahr 1938, das Stalin und Vorošilov im Kreml zeigt (Tretjakow Galerie Moskau), veranschaulichte Jan Plamper das typische Muster der Stalinporträts der damaligen Zeit, die konzentrische Anordnung, wobei Stalin sich immer in der Mitte dieser konzentrischen Kreise befindet. Die Stalinporträts geben daher insofern Aufschluss über Raumvorstellungen im Stalinismus, als die Anordnung in den Gemälden die zentralistische Topografie der Sowjetunion widerspiegelt.

Malte Rolf (Berlin) behandelte in seinem Vortrag den städtischen Raum in den 1920er und 1930er Jahren, der nach neuen, nach sowjetischen Maßstäben ausgerichtet werden sollte. Dabei stellte das Massenfest ein wichtiges Medium für die Sowjetisierung des Raums dar. Durch die Feste wurde der neue sowjetische Raum nicht nur sichtbar gemacht, sondern zudem virtuell erfahrbar. Marktplätze wurden zu neuen sowjetischen Zentren ernannt und Straßen gebaut, die auf diese hinführten. Mit den 1930er Jahren ist die Zentrumsfixierung in der Choreografie des Festes fest verankert, die Plätze wurden zu festen Punkten der festlichen Marschrouten, die an den Prestigeobjekten des Bolschewismus vorbei auf das neue Zentrum zuführten.

Monika Rüthers (Basel) diskutierte die Rekonstruktion und Nutzung der Ulica Gork'ovo von 1928 bis 1953. Der Fokus ihres Vortrages lag dabei auf der Stadterneuerung Moskaus von 1935, die das "große Dorf" in die Hauptstadt des Kommunismus umwandeln sollte. Die Machthaber ließen in der Ulica Gork'ovo ganze Häuser versetzen, die nachts auf Schienen verschoben wurden; das vollbrachte Werk wurde am nächsten Morgen mit einer Parade gefeiert. Diese spektakulären Inszenierungen dienten der Visualisierung des Aufbaus.
Isabel Wünsche (Bremen) analysierte die Farbkonzepte der russischen Avantgarde in den 1920er Jahren. Die Künstler der Avantgarde sollten sich zwar auch am Aufbau des Sozialismus beteiligen, letztlich hatten sie jedoch nur wenig Einfluss auf konkrete Bauten. Unklar blieb deshalb, wo die realen Verbindungen zu Raumpolitik und Raumvorstellungen im Stalinismus bestanden. Katharina Kucher (Tübingen) zeigte die stalinistische Zentrumsfixierung an der Gestaltung des Gorki-Kulturparks in Moskau auf, der ein riesiges Areal umfasste und durch den in den 1930er Jahren bis zu 30 000 Personen täglich flanierten. Mit der Neugestaltung der Hauptstadt der Sowjetunion im Jahre 1935 wurde auch der Park umgestaltet; nun ging es um die ganzheitliche Erfassung und Motivierung des Menschen. Dazu gehörte ein Bildungsprogramm, von dem die Besucher des Parks Gebrauch machen konnten, und das von der Stalinschen Verfassung bis zu Tipps für die Kaninchenzucht reichte.

In seinen Anmerkungen begrüßte Karl Schlögel, dass der spatial turn nun auch in der Osteuropaforschung Anklang gefunden habe, und zeigte sein Erstaunen darüber, dass sich Selbige der Kategorie Raum so lange verschließen konnte. So sei etwa die räumliche Erstreckung Russlands nie thematisiert worden, obwohl doch zu fragen sei, ob es eine Geschichte Russlands ohne Raum überhaupt geben könne, und bis vor wenigen Jahren habe es niemanden gegeben, der zum zentralen Lebensort, der Kommunalka, geforscht habe. Mit der Einführung des Raumaspektes in die Osteuropaforschung würden sich neue Themenfelder eröffnen, die sich mit der Kolonisierung Sibiriens, der Vergesellschaftung durch neue Verkehrsformen wie etwa die Eisenbahn, aber auch noch stärker mit den privaten Räumen und ihren Bewohnern auseinander setzen könnten. Vor diesem Hintergrund betonte er die Bedeutung der in dieser Sektion vorgelegten Mosaiksteine zum Thema Raumvorstellungen im Stalinismus, die sich anhand von Quellen wie etwa Gemälden, die bisher nur selten in der Forschung verwendet worden seien, um die Rekonstruktion von historischen Lebenslinien bemüht hätten. Die Diversität des Quellenkorpus von Malerei bis hin zur Architektur war es dann auch, die eine der großen Stärken dieser Sektion ausmachte - und die gerade in Bezug auf das Thema Raumvorstellungen doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit in der Geschichtswissenschaft darstellen sollte.

Es versteht sich von selbst, dass die auf einer Tagungssektion vorgelegten Mosaiksteine kein ganzes Bild ergeben müssen und können, dennoch aber die Umrisse eines Bildes erkennbar machen sollten. Die Referentinnen und Referenten arbeiteten in ihren Vorträgen sehr anschaulich und überzeugend die Kultur der Zentralität heraus, die sich in den 1930er Jahren etwa in der Choreografie von Massenfesten, in der Gestaltung von Kulturparks oder aber in den Stalinporträts wieder finden lässt. Aber: Gab es etwas jenseits dieser Kultur der Zentralität, das die Raumvorstellungen und die Raumpolitik im Stalinismus bestimmt haben könnte? Diese Frage zu stellen, erscheint vor dem Hintergrund der Intention der Referentinnen und Referenten, die die in den 1930er Jahren dominierende Kultur der Zentralität sichtbar machen wollten, fast ein wenig unangebracht, gilt es doch, die Sektion inhaltlich nicht an etwas zu messen, was bewusst nicht im Fokus der Ausführungen stand. Dennoch stellt sich die Frage, ob es etwa in den 1920er Jahren, also zu einer Zeit, als sich die Kultur der Zentralität erst herausbildete, auch andere Raumvorstellungen oder Konzepte von Raumpolitik gab. Und wie kam es, dass die Kultur der Zentralität so kennzeichnend für die 1930er Jahre wurde? Standen Strategien und Intentionen dahinter und wenn ja, hingen sie von den unterschiedlichen Kontexten ab, sei es Zentrum oder Peripherie, Führungsebene und lokale Ebene, in denen sie nicht nur erdacht, sondern auch zur Anwendung gebracht wurden? An dieser Stelle vergleichend anzusetzen und danach zu fragen, was jenseits einer Kultur der Zentralität stand, könnte im Hinblick auf zukünftige Forschungen zu Raumvorstellungen im Stalinismus lohnend sein.

Der Freitagmorgen begann mit der Sektion "Europas Osten in der Wahrnehmung der Deutschen" unter der Leitung von Gregor Thum (Pittsburgh). Vejas Gabriel Liulevicius (Knoxville) beschäftigte sich in seinem Vortrag mit den Bildern, die sich Deutsche vom Osten während und nach dem Ersten Weltkrieg machten. Im Unterschied zur Westfront wurde der Osten in der deutschen Wahrnehmung zu einem apokalyptischen Raum. Die Invasion der russischen Armee in Ostpreußen bestätigte früh diffuse Feindbilder von "den Russen", die auf Stereotypen aus dem 19. Jahrhundert basierten. Der russische Einfall wurde als "Sintflut", als "Überschwemmung" wahrgenommen und als solche etwa von Kriegsmalern, Zeitungen und von Seiten des Heeres dargestellt und instrumentalisiert. Die geordnete deutsche Welt traf nun auf die russische Unterwelt. Diese Bilder des Ostens sollten noch nach dem Ersten Weltkrieg einen langfristigen Einfluss auf die Wahrnehmung der Deutschen haben, konnten die Nationalsozialisten doch letztlich an diese Bilder anknüpfen und sie radikalisieren.

Neben dem Feindbild Russland gab es parallel dazu in den 1920er Jahren eine geradezu "emphatische Ostströmung", geprägt von romantischen Vorstellungen über das revolutionäre Russland, wie Gerd Koenen (Berlin) deutlich machte. Am Beispiel des linken Intellektuellen und langjährigen Korrespondenten der Frankfurter Zeitung Alfons Paquet zeigte er auf, dass das verheißende Bild des bolschewistischen Russlands oft auch die Kehrseite der Abwendung vom Westen, spätestens seit dem Versailler Vertrag, war und somit ein "Element der deutschen Hysterie" bildete, die zur Entzündung imperialer Phantasien beitrug und dazu führte, dass Russland als "Indien im Nebel" angesehen wurde - der Osten schien in vielerlei Hinsicht viel zu versprechen.

Dass die Rede über den Osten auch immer eine Rede über den Westen ist, verdeutlichte Stefan Troebst (Leipzig) in seinem Vortrag, der sich mit dem Balkan als Projektionsfläche deutschen Revisionsstrebens in der Zwischenkriegszeit beschäftigte. Das positive, enthusiastische Echo in der Weimarer Republik auf die mazedonische "Freiheitsbewegung" wurde in eine gesamteuropäische Bewegung des Widerstandes gegen den Versailler Vertrag gestellt und ein damit gemeinsamer anti-europäischer Nenner gesucht.

Von Männern und Elchen handelte dann zum Abschluss der Vortrag von Gregor Thum (Pittsburgh), der die Bilder vom "Deutschen Osten", jene Gebiete, die nach dem Zweiten Weltkrieg an Polen gingen, nachzeichnete, und darlegte, wie sie sich nach 1945 in der deutschen Heimatliteratur präsentieren. Der "Deutsche Osten" wird hier zu einem mythisch und sehnsüchtig verklärten Ort. Mehr noch: In der revisionistischen Literatur kommt der Verlust der Ostgebiete dem Verlust eines Teils deutscher Identität gleich. Der Osten wird im Vergleich zum Westen durch seine urwüchsige Natur (verkörpert durch den allgegenwärtigen ostpreußischen Elch, der tatsächlich nur noch in geringer Zahl vorhanden war), durch die deutsche koloniale Vergangenheit (symbolisiert durch mittelalterliche, massive Steinkirchen) sowie durch seinen dramatischen Untergang zu einem fundamental anderen Raum. In seinen Ausführungen betonte Gregor Thum, dass der Osten immer als ein Raum der Ängste und der Sehnsüchte herhalten musste, als Ersatz für das nie erreichte deutsche Kolonialreich. Zugleich habe jedoch immer Furcht vor einem Ansturm des Ostens geherrscht.

Die Vorträge ließen deutlich werden, dass das Verhältnis zum Osten in Deutschland nie neutral war - wie es auch heute noch nicht zu sein scheint. Zu stark scheinen die Ähnlichkeiten zwischen den historischen Bildern des Ostens und den Gegenwärtigen auf, seien es "polnische Wirtschaft", der "graue Osten" oder als Gegenteil dazu romantische Bilder von der "ursprünglichen russischen Seele". Es hat den Anschein, als gäbe es auch heute noch wenig anderes als eine diffuse Ablehnung des "Ostens", sei es etwa Russlands, der Ukraine oder Ostmitteleuropas, oder eine sozialromantische Verkitschung eben jener Länder. Die EU-Osterweiterung hat viele dieser historischen Stereotype zum Vorschein kommen lassen. In diesen Kontext passt auch die Angst der Deutschen vor einer Überschwemmung des Arbeitsmarktes mit "billigen Arbeitskräften aus dem Osten", speziell aus Polen, die ohne die vorherrschenden Stereotype über "den Osten" nicht zu denken ist.

Die historische Forschung steht, was die Wahrnehmung der Deutschen vom Osten betrifft, noch am Anfang einer systematischen Beschäftigung. Gerade die in der gegenwärtigen Öffentlichkeit vorherrschenden Stereotype zeigen aber auf, dass diese historische Wurzeln haben, die weit über die Zeit des Kommunismus hinaus zurückreichen. Sie zu erforschen, nach Dynamiken von Wahrnehmungsmustern, ihrer Umdeutung und Wandlung über die Jahre, aber auch ihrer Beständigkeit zu fragen, und somit nicht nur über die Vergangenheit, sondern auch etwas über die Gegenwart zu sagen, drängt sich als Forschungsfeld geradezu auf.

"Gestörte Kommunikation" war das Thema des Freitagnachmittags. Unter der Leitung von Jörg Baberowski (Berlin) behandelte diese Sektion den Begriffstransfer zwischen Ost und West. Üblicherweise, so Baberowski, handele es sich im Hinblick auf Russland dabei um Defizitgeschichten, deren Gegenstand die verfehlte Umsetzung eines westlichen Konzeptes ist. Anliegen der Referentinnen war es dann auch, jenseits dieser Defiziterzählungen nach verschiedenen Formen des Transfers von westlichen Begriffen und den dahinter stehenden Konzepten und Bedeutungen zu fragen, um etwas Neues über die jeweiligen Kontexte aussagen zu können, in denen sie verwandt wurden.

Martina Winkler (Berlin) zeigte in ihren Ausführungen zum Eigentumsbegriff im Russland des 18. Jahrhunderts die Bedeutung auf, die dieser mit Vorstellungen von Liberalismus und Individualismus westlich-modern aufgeladene Begriff, der von Katharina der Großen importiert worden war, im russischen Kontext hatte. Dahinter stand die Frage, inwiefern westliche Begriffe auf nichtwestliche Bedingungen angewendet werden können - eine Frage, die Martina Winkler insofern bejahte, als Begriffe um Bedeutungen, die sie in unterschiedlichen Kontexten erlangen, erweitert werden müssten; schließlich wandele sich die Bedeutung eines westlich geprägten Begriffs auch in den Gesellschaften, aus denen er hervorgegangen ist.

Was passiert, wenn Idealtypen mit der Wirklichkeit verwechselt werden, konnte Susanne Schattenberg (Berlin) einprägsam aufzeigen. Sie beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit westlich geprägten Vorstellungen von Ehre, die, auf russische Beamte übertragen, zur Folge hatten, dass Selbige von ihren Zeitgenossen als "faul", "ehrlos" und "inkompetent" angesehen wurden. Dabei konnte sie jedoch aufzeigen, dass die Beamten durchaus ein Bild von "Ehre" hatten, das ihre Handlungen leitete - wir müssten uns den russischen Beamten jedoch weniger im Weber'schen Sinne als einen "modernen" bürokratischen Experten vorstellen, sondern vielmehr als Patrimonialbeamten, für den der Gabentausch nicht ein Zeichen von Korruption gewesen sei, sondern konträr zu einer westlich geprägten Wahrnehmung ein zentrales Element der Ehrerbringung in dem Klientelsystem darstellte, auf dessen Grundlage die russische Beamtenwelt basierte.

Ricarda Vulpius (Berlin) und Julia Obertreis (Freiburg) diskutierten anschließend die Anwendbarkeit westlicher Konzepte im Kontext der osteuropäischen Geschichte. Ricarda Vulpius kritisierte, dass die Idee von der Neuzeit als säkularer Moderne immer noch nicht aus den Köpfen der Historikerinnen und Historiker verschwunden sei. Sie zeigte am Beispiel der Dnjepr-Ukraine auf, dass die Moderne hier gerade nicht mit einer Verringerung des Glaubens einhergegangen ist, sondern dass es die religiös-konfessionelle Frage war, die die Nationenbildung im Rußländischen Reich beeinflusste. Julia Obertreis beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit der Frage, inwiefern Kolonialismustheorien auf die Sowjetunion anwendbar sind. Dabei ging es ihr speziell um die Herrschaft der Bolschewiki in Zentralasien, die versuchten, mittels Zwangsansiedelungen und künstlichen Bewässerungssystemen die dort lebenden Menschen und das Land zu beherrschen. Wie umstritten die Verwendung von Kolonialismus-, aber auch Imperialismustheorien in diesem Kontext ist, wurde auch in der anschließenden Diskussion deutlich.

Auch wenn es in dieser Sektion letztlich weniger um Beispiele für eine Geschichte eines Transfers zwischen Ost und West ging, als um einen einseitigen Transfer von Begriffen oder Konzepten von West nach Ost, konnten die Referentinnen ihr Anliegen, durch das Prisma der Begriffsgeschichte etwas Neues über die von ihnen betrachteten osteuropäischen Kontexte zu erfahren, erfolgreich umsetzen. Zudem wurde deutlich, dass es auch gerade für eine westeuropäisch ausgerichtete Geschichtswissenschaft gewinnbringend sein kann, durch den Blick auf Osteuropa die eigenen, an der westlichen Welt ausgerichteten Konzepte und Vorstellungen stärker zu hinterfragen - nicht nur im Hinblick auf ihre Anwendung auf die nichtwestliche Welt, sondern auch im Hinblick auf mögliche notwendige Erweiterungen und Wandlungen von westlich geprägten Begriffen und Konzepten.

Die drei besuchten Osteuropasektionen setzten sich alle insofern überzeugend mit dem Thema des Historikertages auseinander, als in den Vorträgen verschiedene Raumvorstellungen und Raumwahrnehmungen sowie Kommunikation im Sinne eines Begriffstransfers an historischen Phänomenen oder Zusammenhängen zumeist im Bereich der Osteuropäischen Geschichte deutlich gemacht wurden. Dennoch: Eine theoretische Auseinandersetzung mit Raum und Kommunikation wurde in den Beiträgen nicht unternommen, geschweige denn, dargelegt, welches Verständnis von Raum oder Kommunikation den jeweiligen Beiträgen zugrunde lag. Auch hier gab es Ausnahmen, aber welcher theoretische Rahmen bzw. welche theoretische Basis verwandt wurde, wenn über Raumvorstellungen im Stalinismus, Wahrnehmungen des "Deutschen Ostens" oder über Begriffstransfer von West nach Ost gesprochen wurde und was damit gesagt und gezeigt werden kann, was bisher noch nicht so gesehen oder gekannt wurde, das blieb oft unklar oder schien nur manchmal an den konkreten Untersuchungsgegenständen durch. Fast schien es, als wenn den Vorträgen ein implizites Verständnis über die Begriffe Raum und Kommunikation und den dahinter stehenden Konzepten zugrunde lag, ein Verständnis, das auch für die Zuhörerschaft vorausgesetzt wurde. Eine kurze Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundlagen der Vorträge hätte daher zum einen die sehr erhellenden und faszinierenden Einzelbeispiele in einen größeren theoretischen Rahmen einbetten können und somit die Vorstellung davon, was eigentlich genau mit den Begriffen Raum und Kommunikation gemeint ist, präzisieren können, zum anderen wären durch die Verknüpfung von theoretischen Grundlagen und konkreten historischen Untersuchungsgegenständen die Stärken wie auch die Grenzen des theoretischen Rahmenkonzepts "Kommunikation und Raum" stärker erkennbar gewesen.

Franziska Exeler studiert an der Humboldt-Universität zu Berlin Neuere und Neueste Geschichte, Politikwissenschaften und Volkswirtschaftslehre. Ihr Interessenschwerpunkt ist die Geschichte Osteuropas mit dem Fokus auf sowjetischer Geschichte.

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