Forum: Fachinformationsdienste für die Wissenschaft (FID) – Fortsetzung

Von
Thomas Meyer, Humboldt-Universität zu Berlin

Vor zwei Jahren wurden in einem Themenschwerpunkt bei H-Soz-Kult die Fachinformationsdienste (FID) vorgestellt. Diese lösen das bisherige Sondersammelgebietsschema der wissenschaftlichen Bibliotheken (SSG) ab und sollen die Literatur- und Informationsversorgung für die ‚Spitzenforschung‘ übernehmen. Nach Empfehlungen des Wissenschaftsrates wurde ab 2015 sukzessive die Förderung der Sammelschwerpunkte eingestellt und durch eine FID-Projekt-Förderung mit einzelnen regionalen, epochalen oder fachlichen Zuschnitten in den ehemaligen SSG-Bibliotheken substituiert. Mit der stärkeren „Orientierung an Fachinteressen“ und einer „Abgrenzung von der Grundversorgung“, unter anderem gegenüber der Lehre, sollen die FIDs ihren Fokus auf elektronische Publikationen legen, was einen Strukturwandel der Literaturversorgung impliziert. Im Vorfeld der FID-Förderung durch die DFG wurde in verschiedenen Stellungnahmen auf Vor- und Nachteile eingegangen, im Mittelpunkt der Diskussion stand und steht weiterhin ein drohender Wegfall des „vorsorgenden Bestandsaufbaus“. Der Themenschwerpunkt bei H-Soz-Kult 2016 und zwei Sektionen auf dem Historikertag 2016 in Hamburg widmeten sich der Vorstellung einzelner FIDs sowie einer ersten Beobachtung und Kommentierung durch FID-VertreterInnen und FachwissenschaftlerInnen.1

Nach der Entwicklung und Inbetriebnahme erster FID-Projekte, welche die Weiterentwicklung von Fachportalen, Datenbanken oder Bibliographien betreiben sowie neue Lizensierungs- und Erwerbungsmodelle erproben, setzen wir nun den Themenschwerpunkt von 2016 fort, um eine erste Zwischenbilanz zu ziehen. Vor dem Hintergrund der ersten auslaufenden Projektförderungen bzw. anstehender Fortsetzungsanträge von FIDs haben wir diese um eine Einschätzung zum Entwicklungsstand und zu Perspektiven gebeten. Parallel haben wir Interviews mit WissenschaftlerInnen geführt, in denen sie aus ihrem Blickwinkel als Forschende und Lehrende über die Nutzung von FID-Diensten berichten. Im Fokus der Interviews mit Ewald Frie von der Universität Tübingen und Silke Hensel von der Universität Münster stehen die Nutzung digitaler Ressourcen und die Auswirkungen einer veränderten Erwerbungspraxis. Beide berichten aber auch als Beiräte der FIDs über ihre Rolle als Impulsgeber und VertreterIn von „Fachcommunities“, spezifische Anforderungen an die jeweiligen FIDs und das Verhältnis zu anderen Online-Angeboten in den Geschichtswissenschaften.

Ein erstes Resümee über den Entwicklungsstand der FID wird die durch die DFG vorgegebene Schwerpunktsetzung auf elektronische Ressourcen in den Fokus nehmen: Seitens der FID-Bibliotheken wird versucht, die vorgegebene „e-first“-Strategie umzusetzen. Aus den FID-Berichten geht hervor, dass trotz rückläufiger Erwerbungsetats der FID-Förderung gegenüber den früheren SSG-Etats versucht wird, ein mit Einschränkungen weiterhin breites Portfolio an Literatur und auch Quellen(-Datenbanken) zu erwerben und bereitzustellen, teils unterfüttert durch die Haushalte der betreibenden Bibliotheken. Die jeweiligen regionalen, epochalen oder fachlichen Schwerpunktsetzungen der FIDs bedingen hierbei unterschiedliche Erwerbungsstrategien: So werden durch den FID Anglo-Amerikanischer Raum mehr Zeitschriften abonniert, der FID Lateinamerika wiederum kann sich in diesem Segment auf ein breites Angebot lateinamerikanischer Open-Access –Journale und ‚Repositorien‘ stützen. Erwartungsgemäß steht trotz einer „e-first“-Politik weiterhin die gedruckte Literatur im Mittelpunkt. Grund hierfür ist sicherlich das Primat gedruckter Literatur und die damit verbundene Nachfrage, sei es vor Ort oder über Fernleihdienste. Die grundsätzliche Erwerbungspolitik im Vergleich zu den SSG scheint sich den Berichten der FIDs zufolge kaum geändert zu haben, bestehen bleibt dennoch die Skepsis seitens der Wissenschaft hinsichtlich des „vorausschauenden Erwerbs“. Durch den Ausschluss bestimmter Textgattungen oder Themen droht eben doch eine „Gefahr der Stromlinienförmigkeit in der Forschung“ (Silke Hensel), wie auch die Prämierung „aktuelle(r) Moden des Fachs“ (Ewald Frie).

Die Erwerbung elektronischer Ressourcen konfrontiert die Betreiber der FIDs mit neuen Anforderungen: Verschiedene Lizenzierungsmodelle werden erprobt, wie z.B. das Modell der Nationallizenzen http://www.nationallizenzen.de, bei denen WissenschaftlerInnen an Forschungseinrichtungen deutschlandweit Zugriff auf Fachdatenbanken erhalten, oder spezielle Abrechnungsmodelle wie Patron Driven Aquisition (PDA), bei dem Lizenzen nach Zugriffen abgerechnet werden. Hierfür stehen alle FIDs gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum für Lizenzierung (KfL) https://www.fid-lizenzen.de/ in komplexen Verhandlungen mit Verlagen. Diese allerdings reagieren oft zögerlich auf die Anforderungen aus den neuen FID-Lizenzmodellen. Erschwert werden die Verhandlungen aber auch durch Wechsel von Rechteinhabern infolge der seit Jahren anhaltenden Marktveränderung durch Akquisitionen, Ver- und Aufkäufe.

FID-Angebote wie das Hosting von Zeitschriften oder Open-Access-‚Repositorien‘ sollen eine Lücke füllen, die durch teure Zeitschriftenabonnements, aber auch enorme Druckkostenetats für Monographien entstanden ist. Schon in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren haben Universitätsbibliotheken unter dem weniger sperrigen Terminus ‚Dokumentenserver‘ begonnen, frei verfügbare Publikationen ihrer WissenschaftlerInnen einzusammeln und elektronisch zu archivieren. Nun stellen aber auch FIDs eine Vielzahl an Publikationsformaten in Open Access-‚Repositorien‘ bereit, unter anderem durch Kooperationen mit Verlagen zur Übernahme von Monographien und Sammelwerken nach Ablauf einer ‚Moving Wall‘-Sperrfrist. Zugleich zeigen Betreiber von ‚Repositorien‘ an den Universitätsbibliotheken eine sehr ausgeprägte Sammelleidenschaft. Die Vielzahl an Dokumentenspeichern führt damit aber zu einem Mehraufwand auf der NutzerInnenseite, unter anderem durch die Zunahme von Rechercheinstrumenten. Für NutzerInnen positive Effekte ergeben sich aus der Fortführung etablierter Informationsangebote: So werden nun im FID Geschichte die vor Jahren eingestellte „Historische Bibliographie“ und die „Jahresberichte für deutsche Geschichte“ unter dem neuen Namen „Deutsche Historische Bibliografie“ https://www.historicum.net/metaopac/start.do?View=dhb weitergeführt. Auch zeigen sich erste Formen der direkten Zusammenarbeit von Infrastruktureinrichtungen und Forschung, wie z.B. im FID Altertumswissenschaften, in den Werkzeuge der Digital Humanities einfließen sollen.

Ein deutlich positiv zu benennender Effekt der FID-Förderung ist die intensive Zusammenarbeit mit Fachverbänden, WissenschaftlernInnen und Beiräten, über die wir in den Interviews berichten werden. Auch stellen alle FIDs als Form der direkten NutzerInnenbeteiligung ein sog. Wunschbuch bereit, über das Wünsche für Neuerwerbungen, teils aber auch für die Retrodigitalisierung vergriffener Werke gemeldet werden können. Ob und wieweit damit alle Wünsche einer ‚Fachcommunity‘ – einer heute gängigen, jedoch vagen Umschreibung potentieller NutzerInnen – in die Entwicklung der FID einfließen, lässt sich momentan kaum bewerten. Denn noch liegen umfassende Zahlen zur Nutzung noch nicht bei allen FIDs vor. Ebenso stehen die Ergebnisse einer Umfrage der Prognos AG zur Evaluation der Förderlinie im Auftrag der DFG im Jahr 2017 aus.

Abseits der Frage nach der Vollständigkeit bzw. Verfügbarkeit elektronischer und gedruckter Literatur stellen sich weitere Fragen: so nach der Veränderung des Rezeptionsverhaltens. Wie weit wird sich das Verständnis von ‚Archiv‘ und der Fülle von Überlieferungen verändern, wenn keine Findbücher mehr gewälzt werden müssen, fragt beispielsweise Silke Hensel. Und ob die Konzentration der FIDs auf Spitzenforschung zu Nachteilen in der Informationsversorgung für die Lehre – Stichwort Grundversorgung – führt, darüber lässt sich derzeit nur vage spekulieren. Schließlich finden in der Praxis Quellen und Literatur aus der Hand der Lehrenden ihren – vermutlich nicht immer legalen – Weg zu den Studierenden. Die schnelle Verfügbarkeit digitaler Quellen und Literatur hat eindeutig ihre Vorteile, wie Ewald Frie betont, und der zugleich aber darauf hinweist, dass bei „digital aufgewachsenen Studierenden“ der Blick über den elektronischen Tellerrand hinaus geschult werden muss. Eine ‚digitale Hermeneutik‘ wird zusätzlich zur Textkritik auch die Informationsinfrastrukturen, etwa in Bibliotheken und Archiven, wie auch kommerzieller Anbieter, einbeziehen müssen.

Wir setzen den Themenschwerpunktes fort mit einem Beitrag von Silvia Daniel, Wiebke Herr und Gregor Horstkemper von der Bayerischen Staatsbibliothek München (BSB) zum FID Geschichte, gefolgt von einem Interview mit Ewald Frie, Direktor des Seminars für Neuere Geschichte an der Universität Tübingen und Beiratsmitglied des FID Geschichte. Ein weiteres Interview mit Silke Hensel, Professorin an der Universität Münster und Beirätin des FID Lateinamerika schließt sich an, wie auch Berichte zu den FIDs Altertumswissenschaften – Propylaeum, Anglo-American Culture, Jüdische Studien, CrossAsia sowie Ost-, Ostmittel-, Südosteuropa.

Neben dem Themenschwerpunkt wird auf dem Historikertag in Münster die Sektion „Fachinformation für die Forschung: gedruckt, digital, hybrid?“ Raum für eine Fortsetzung der Debatte bieten: mit der Vorstellung der FID Geschichte durch Gregor Horstkemper von der BSB München und dem Kommentar von Eva Schlotheuber, Professorin an der Universität Düsseldorf und Vorsitzende des Verbands der Historiker und Historikerinnen (VHD) sowie der Vorstellung des FID Angloamerikanischer Raum durch Almuth Breitenbach von der SUB Göttingen. Einen weitergehenden Einblick in Stand und Perspektiven der FID-Förderlinie gibt Anne Lipp als Leiterin der Gruppe Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme.

Die Redaktion ist offen für weitere Beiträge und Anregungen von Seiten interessierter Leserinnen und Leser von H-Soz-Kult. Scheuen Sie sich deshalb nicht, Diskussionsbeiträge einzusenden.

Beiträge des Forums

Teil 1 des Themenschwerpunkt 2016

S. Daniel / W. Herr / G. Horstkemper (BSB München): historicum.net – FID Geschichtswissenschaft

Interview mit Ewald Frie (Univ. Tübingen) zum FID Geschichte

U. Mühlschlegel (IAI-SPK Berlin): FID Lateinamerika

Interview mit Silke Hensel (Univ. Münster) zum FID Lateinamerika

G. Wirtz (BSB München): FID Ost

Anmerkung:
1 Vgl. Forum: Fachinformationsdienste (FID) für die Wissenschaft, in: H-Soz-Kult, 16.09.2016, <http://www.hsozkult.de/debate/id/diskussionen-3829>.