Forum: Der Münchner Patient. Das Institut f. Zeitgeschichte wird krank geredet (Stellungnahme Evaluationsbeteiligte)

Von
Günther Heydemann


Stellungnahme der an der Evaluierung des "Instituts für Zeitgeschichte" beteiligten Historiker

Der am 13. 1. 2004 erschienene Beitrag im "Tagesspiegel" zur Evaluierung des Münchener Instituts für Zeitgeschichte durch die Leibniz Gemeinschaft unter dem Titel "Im eigenen Saft. Münchner Institut für Zeitgeschichte drohen massive Kürzungen" ist sachlich und inhaltlich unzutreffend. Als Mitglieder der Evaluierungskommission sehen wir uns veranlaßt, Folgendes festzustellen:

1. Das Institut für Zeitgeschichte ist zwar nicht das einzige zeithistorische Forschungsinstitut in Deutschland, aber das größte und älteste. Durch seinen Aufbau ist es allerdings einzigartig. Es umfaßt ein wichtiges Archiv, das jeder Forscher aus dem In- und Ausland zur Geschichte der Weimarer Republik, des NS-Staats und der Nachkriegszeit in den Westzonen konsultiert. Es enthält eine Bibliothek, deren Sammlung zeitgenössischer Publikationen aus der Zwischenkriegszeit von keiner anderen Bibliothek übertroffen wird, und es besteht aus einem Stab von Wissenschaftlern, die in Projektgruppen unterschiedliche Forschungsprojekte zur deutschen und europäischen Geschichte zwischen 1918 und der Gegenwart bearbeiten. Diese Forschungen sind von den Fachhistorikern der Evaluierungskommission mit der Ausnahme eines Projekts als "gut", "sehr gut" oder "herausragend" qualifiziert worden.

2. Was die Arbeit des IfZ insgesamt betrifft, so ist keineswegs ein "einhelliges Negativ-Urteil" gefällt worden, wie es der Artikel suggerieren möchte. Die Kritik bezog sich ausschließlich auf die Binnenorganisation des Instituts und die interne Kommunikation. Diese Kritik ist sorgfältig formuliert und gilt nicht der Substanz der Forschungs-, Publikations- und Dienstleistungsaktivitäten des Instituts. Die Aussage des Beitrags stellt nichts anderes dar als ein tendenziöses Pauschalurteil.

3. Eine Herabsetzung des Evaluierungszeitraums von sieben auf drei Jahre ist von der Kommission nicht angestrebt worden. Der Gedanke wurde vom stellvertretenden Vorsitzenden der Bewertungsgruppe, einem Professor für Physik, ins Spiel gebracht und aus sachlichen Erwägungen von den Fachhistorikern einhellig als nicht hilfreich abgelehnt. Daß der Senat der Leibniz-Gemeinschaft nun eine gegenteilige Förderempfehlung für das Institut ausgesprochen hat und die nächste Evaluierung in drei Jahren anberaumt, widerspricht dem Fachurteil der Kommission und ist einzig und allein dadurch begründet, daß der Direktor des Instituts in vier Jahren aus dem Dienst ausscheidet.

Es ist schwer verständlich, daß ein derart unsachlicher Beitrag in einer seriösen Zeitung erscheinen kann. Die eigentlichen Gründe dafür sind offensichtlich nicht fachwissenschaftlicher, sondern politischer oder persönlicher Natur.

Anselm Doering-Manteuffel (Tübingen),
Ulrich Herbert (Freiburg),
Günther Heydemann (Leipzig),
Marie-Luise Recker (Frankfurt a. M.),
Günther Schulz (Bonn),
Hagen Schulze (London).

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Redaktionshinsweise zum Verlauf der Kontroverse:

Stellungnahme des Senats der Leibniz-Gemeinschaft zur Evaluierung des Instituts für Zeitgeschichte vom 20. November 2003 einschl. Anlagen (Anlage A: Darstellung; Anlage B: Bewertungsbericht; Anlage C: Stellungnahme der Einrichtung zum Bewertungsbericht):
http://www.wgl.de:8080/wgl/Dokument/Senatsstellungnahmen/Dok-324/IfZ_Senatsstellungnahme_1120.pdf

Pressemitteilung E1/2003 vom 20.11.2003 - Leibniz-Senat verabschiedet Foerderempfehlungen zu sieben Einrichtungen:
http://www.wgl.de:8080/wgl/Dokument/Aktuelles/Dok-318/Pr_E1_2003.pdf

Am 13.01.2004 berichtete DER TAGESSPIEGEL unter dem Titel "Im eigenen Saft. Münchner Institut für Zeitgeschichte drohen massive Kürzungen" (Bodo Mrozek) über das Resultat der Evalution des IfZ durch die Leibniz-Gemeinschaft:
http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/13.01.2004/928661.asp. Diesen Artikel veröffentlichte H-Soz-u-Kult am Folgetag nach Überlassung durch den Autor:
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/type=diskussionen&id=391=391.

Am 16.01.2004 erschien in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG der
Artikel von Christian Jostmann:
http://www.sueddeutschezeitung.de/sz/feuilleton/red-artikel58/
Diesen Artikel veröffentlichte H-Soz-u-Kult am Folgetag nach Überlassung durch den Autor:
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/type=diskussionen&id=402=402.

Am 17.01.04 berichtete die FRANKFURTER RUNDSCHAU unter dem Titel "Evaluations- Übungen. Der Streit um das Münchner IfZ" (Ulrich Speck) über die Kontroverse um das Evaluierungsergebnis der
Leibnitz-Gemeinschaft:
http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?cnt=372283&

Am 19.01.04 nahm sich wiederum DER TAGESSPIEGEL unter dem Titel "Wer die gelbe Karte zieht. Gut oder nicht? Streit um das Münchner Institut für Zeitgeschichte" (Amory Burchard/Bodo Mrozek) des Themas an:
http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/19.01.2004/936612.asp

Stellungnahme der Leibniz-Gemeinschaft zur Diskussion um die Evaluierung des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ), München,
vom 20.01.2004 (Ekkehard Nuissl von Rein):
http://www.wgl.de/extern/presse/Stellungnahmen/Stellungnahme-IfZ-Evaluierung.pdf

Am 20.01.04 berichtete DIE WELT unter dem Titel "Ein einzigartiger Vorgang" auf der Seite 28. (Sven Felix Kellerhoff)
Diesen Artikel veröffentlichte H-Soz-u-Kult am 25.1.2004 nach Überlassung durch den Autor:
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/type=diskussionen&id=403=403

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