Der Münchner Patient. Das Institut für Zeitgeschichte wird krank geredet (SZ, Jostmann)

Von
Christian Jostmann

Der nachfolgende Artikel wurde zunächst veröffentlicht in
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, Freitag 16.1.2004:

Der Münchner Patient
Das Institut für Zeitgeschichte wird krank geredet

Von Christian Jostmann

Wird das Münchner Institut für Zeitgeschichte (IfZ), eine der renommiertesten Institutionen der Geschichtswissenschaft in Deutschland, jetzt zum Pflegefall? Nach Angaben des Berliner Tagesspiegel steht das IfZ „vor einer existenzbedrohenden Bewährungsprobe“. Anlass für diese düstere Prognose ist eine Stellungnahme der Leibniz Gemeinschaft, die das IfZ im vergangenen Jahr im Auftrag von Bund und Ländern evaluiert hat. Die an der Evaluation beteiligten Wissenschaftler hätten ein „einhelliges Negativ-Urteil“ gefällt, schreibt der Tagesspiegel. Schlägt man indes die Stellungnahme des Senats auf, so liest man etwas anderes: Trotz „beeindruckender Einzelleistungen“ sei die Arbeit des Instituts „insgesamt verbesserungsfähig“. Einen Grund, Bund und Ländern die Beendigung der Förderung zu empfehlen, sieht die Leibniz Gemeinschaft nicht, denn das Institut verfüge über ein „weltweit einzigartiges Forschungspotenzial“. Aber sie ermahnt zur internationalen Öffnung und kündigt eine erneute Evaluierung in drei statt den turnusmäßigen sieben Jahren an.

Die an der Evaluation beteiligten Historiker Hagen Schulze und Anselm Doering-Manteuffel weisen die Darstellung im Tagesspiegel denn auch als „grob einseitig“ und „falsch“ zurück. Schlimmer noch, sie können sich auch in der Stellungnahme des Senats der Leibniz Gemeinschaft nicht wiedererkennen. Zumindest nicht in dessen Votum, dass eine erneute Evaluation schon in drei Jahren vorzunehmen sei. Die Bewertungsgruppe habe dies zwar diskutiert, weil der Direktor des IfZ, Horst Möller, in fünf Jahren sein Amt niederlegt. Aber sie habe sich am Ende mehrheitlich dagegen ausgesprochen. Um so mehr wundern sich die Historiker, dass die Leibniz Gemeinschaft sich nun den abgelehnten Standpunkt zu eigen gemacht und sich über die Meinung der Fachwissenschaftler selbstherrlich hinweggesetzt hat.

Das Ganze hätte den Charakter einer Posse, wie sie die Forschungsbürokratie zu produzieren pflegt, wäre es nicht symptomatisch für den liederlichen Umgang mit den Geisteswissenschaften in dieser Republik. Gewiss ist die Arbeit des IfZ „verbesserungsfähig“, sind viele der Ermahnungen berechtigt. So betraf ein zentraler Kritikpunkt die interne Kommunikation zwischen der Leitung und den Mitarbeitern, die unzureichend sei, ein anderer die Zusammensetzung des Wissenschaftlichen Beirats des Instituts. Aber der insgesamt ausgewogene Bericht rechtfertigt es keineswegs, die Zukunft des IfZ in Frage zu stellen.

Wer das tut, kann sich des stillen Beifalls derer sicher sein, die den Rotstift schon gezückt haben, aber auch eines Teils der deutschen Zeitgeschichtsforschung, die derzeit einen Umbruch und eine Neuordnung ihres institutionellen Gefüges erlebt. Das IfZ, das früher eine Art Monopol auf die Zeitgeschichte in Deutschland besaß, droht die Position des Marktführers einzubüßen. Insofern ist es gut beraten, wenn es die Vorschläge der Leibniz Gemeinschaft ernst nimmt.

[Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgt mit freundlicher Genehmigung der SÜDDEUTSCHE ZEITUNG (http://www.sueddeutsche.de) und der DIZ München GmbH (http://www.diz-muenchen.de).]

--------------------------------------------------------------------------

Redaktionshinweise zum Verlauf der Kontroverse:

Am 13.01.2004 berichtete DER TAGESSPIEGEL unter dem Titel "Im eigenen Saft. Münchner Institut für Zeitgeschichte drohen massive Kürzungen" (Bodo Mrozek) über das Resultat der Evalution des IfZ durch die Leibniz-Geimenschaft: http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/13.01.2004/928661.asp. Diesen Artikel veröffentlichte H-Soz-u-Kult am Folgetag nach Überlassung durch den Autor: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/type=diskussionen&id=391=391.

Am 16.01.2004 erschien in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG der obenstehende Artikel von Christian Jostmann: http://www.sueddeutschezeitung.de/sz/feuilleton/red-artikel58/

Am 17.01.04 berichtete die FRANKFURTER RUNDSCHAU unter dem Titel "Evaluations- Übungen. Der Streit um das Münchner IfZ" (Ulrich Speck) über die Kontroverse um das Evaluierungsergebnis der Leibnitz-Gemeinschaft: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?cnt=372283&

Am 19.01.04 nahm sich wiederum DER TAGESSPIEGEL unter dem Titel "Wer die gelbe Karte zieht. Gut oder nicht? Streit um das Münchner Institut für Zeitgeschichte" (Amory Burchard/Bodo Mrozek) des Themas an: http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/19.01.2004/936612.asp

Stellungnahme der Leibniz-Gemeinschaft zur Diskussion um die Evaluierung des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ), München, vom 20.01.2004 (Ekkehard Nuissl von Rein): http://www.wgl.de/extern/presse/Stellungnahmen/Stellungnahme-IfZ-Evaluierung.pdf

Redaktion
Veröffentlicht am
Weitere Informationen
Sprache