Review-Symposium "Westforschung": Diskussionsbeitrag K. Popa

Von
Klaus Popa, Akademie Überlingen Meschede

Manche Beiträge des Symposiums zur „Westforschung“ räumen der Kontroverse um die „Interdisziplinarität“ der völkischen und NS-Geschichtsforschung einen breiten Raum ein. Die Befürworter dieser Art „Interdisziplinarität“, befinden, sie sei durchaus positiv, obwohl sie von den zur „Volks-„ , „Kulturboden-„ und „Kulturraumforschung“ mutierten „Landeskunden“ herkommt. Es handele sich um einen Fortschritt, selbst um „Modernität“. Die Kritiker halten dagegen, dass die von der völkischen und NS-Geschichts“-Wissenschaft“ kultivierte „Interdisziplinarität“ in expansionistischen, raumplanerischen Zielsetzungen und im Völkermord ausartete, weshalb sie zu verdammen und abzuweisen sei. Die ideologischen und politischen Wurzeln des umstrittenen Diskussionsobjekts fanden im Für und Wider des Symposiums hingegen nur andeutungsweise Beachtung.

Bei näherer Betrachtung erweist sich nämlich, dass die zur Diskussion stehende „Interdisziplinarität“ sowohl genetisch, wie auch inhaltlich, also diskursmäßig einer Weltsicht entwuchs, die sich selbst und ihre geistigen Produkte als einmalig betrachtete. Diese „Einmaligkeit“ wurde von Begrifflichkeiten getragen, die um die ausschließlich-ausschließenden Ideologeme wie „deutsch“, „Deutschtum“, „Volk“, „deutsches Volk“ kreisten. Dieser gesamte Komplex des politisch-kulturellen Exklusivismus, der kulturimperialistischen Arroganz, Ächtung, Ausgrenzung bis hin zur moralischen, materiellen, schließlich auch physischen Ausschaltung war von Anbeginn ideologisch fundiert und lieferte die Vorbedingung für die massive Politisierung und politische Instrumentalisierung der Geisteswissenschaften. Die bis zum Fanatismus gehende Deutschzentriertheit begünstigte eine Haltung der Ausschließlichkeit und des Ausschluss, die alle Lebensbereiche via ideologischer Gleichschaltung erfasste. Es ist deshalb angebracht, ernsthafte Zweifel zu äußern an der wissenschaftlichen Solidität und an der „Modernität“ der aus geistiger und sozialer Vereinheitlichung schöpfenden „Interdisziplinarität“. Sie ist das ausschließliche Produkt des systematischen über den Kamm Scherens, der Entmündigung, des in das Prokustes-Bett der völkischen, dann der NS-Ideologie Zwängens und Nötigens einer Vielzahl von Kulturfakten. Die hier angemeldeten Bedenken berücksichtigen die Folgen der zunächst deutschnationalistischen, dann deutsch- und germanisch-nordisch-rassistischen Einschränkung und Filterung komplexer Kulturerscheinungen und -äußerungsformen durch die engen Maschen der götzenhaft angebeteten und deshalb allmächtigen Eckbegriffe „Deutschtum“ und „Volk“. Die einschlägigen Konsequenzen theoretischer und praktischer Natur innovativ und modern einzustufen, ist mehr als problematisch.

So begründete und auf diese Weise funktionierende „Interdisziplinarität“ kam in keiner Weise dem zugute, was man sonst als Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit versteht, sondern ausschließlich dem bereits im „völkischen“ Horizont vorherrschenden, zur Monotonie und fanatischen Fixierung auf das „Deutschsein“ verkümmerten Kulturverständnis. Dieser Zustand wurde dann in der NS-Zeit durch expliziten und tätlichen Rassismus auf den Höhepunkt getrieben. Der un- und gründlich antiwissenschaftliche Irrationalismus erlebte einen bislang unbekannten Höhenflug.

Es genügt folglich nicht, Interdisziplinarität bei diesem oder jenem in der West- oder Ostforschung tätigen Historiker festzustellen und ihre Präsenz lautstark zu verkünden. Es besteht nämlich die Notwendigkeit, diese Interdisziplinarität nach dem Gehalt an rationeller Wissenschaftlichkeit abzuklopfen, wodurch auch das Ausmaß an unwissenschaftlicher Irrationalität ermittelt werden kann. Alles, was um den mystifizierten Begriffskomplex des „deutschen Volkes“ kreist, zählt zu letzterem Bereich. Es ist daher recht schwierig, Texten, die völkischer und rassistischer Exklusivität verhaftet sind, etwas an Rationalität und damit an Wissenschaftlichkeit, also auch an wissenschaftlicher Interdisziplinarität abzugewinnen. Das ideologische und politisch motivierte Niederreißen von Grenzen in den Humanwissenschaften, so wie es der völkische und NS-Horizont praktizierte, das Durcheinander und Vermengen wissenschaftlicher Bereiche, welche das von völkischer und NS-Seite verpönte positivistische Wissenschaftsverständnis mit zwingender Strenge voneinander scheidet; die wissentliche Zerstörung autonomer Wissensbereiche, die vorsätzliche Beseitigung des für die rational organisierte und funktionierte Wissenschaft unabdingbaren Zwischenspiels sonst gesonderter Bereiche täuscht Interdisziplinarität nur vor. Man ist mit einem betörenden Phänomen konfrontiert, das zu seiner Zeit ideologische und politische Illusionen nähren sollte und das zudem diesen oder jenen zeitgenössischen Interpreten in den Bann seiner verfälschenden, verzerrenden und fiktionalen Strickmuster zieht. Die völkische und NS-„Interdisziplinarität“ sollte deshalb als Mythos, als Phantasiegebilde gelten, so wie das von ihr gesponnene Bezugsgeflecht deutschzentrierter Kulturfakten sich durch Realitätswidrigkeit, Unechtheit und Irrwitzigkeit auszeichnet.

Fazit: An der „Interdisziplinarität“ des monologisch angelegten völkischen und NS-„Wissenschafts“-Diskurses bleibt eine problematische Zweilichtigkeit hängen, weshalb ihr keine Wissenschaftlichkeit, keine Modernität bescheinigt werden sollte.

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