Historikertag 2012: Umweltgeschichte

Von
Agnes Kneitz, Rachel Carson Center for Environment and Society, München

Besprochene Sektionen:

"Global Commons - Anspruch und Legitimation der "Gemeingüter" als Erbe der Menschheit nach dem Zweiten Weltkrieg"
"Lebensraum Meer. Umwelt- und entwicklungspolitische Ressourcenfragen in den 1960er und 1970er Jahren"
"Die Ressourcen der Stadt. Konzepte zur Untersuchung der historischen Stadt als materielles Phänomen"
"'What's the matter?' Die Provokation der Stoffgeschichte"
"Zwischen Knappheit und Überfluss: Abfall als Problem und Ressource in der Geschichte"

Bedingt durch das Thema „Ressourcen-Konflikte“ war der Historikertag in Mainz gradezu prädestiniert, eine große Anzahl umwelthistorisch relevanter Sektionen zu präsentieren. Dies trägt jedoch auch der steigenden Tendenz Rechnung, umwelthistorische Themen unter dem Deckmantel anderer historischer Disziplinen hervorzulocken. Denn anstatt sich als eigenständige Forschungsrichtung innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaften methodisch hervorzutun, scheint sich stattdessen eine gewisse Selbstverständlichkeit umweltrelevanter Fragestellungen durchgesetzt zu haben.1 Der Produktivität des Feldes tut dies jedoch keinen Abbruch. Insbesondere Klima- und Naturkatastrophengeschichte haben sich dabei in den letzten Jahren einen festen Platz erobert, ebenso die Biomobilität und die Ozeane als weitgehend unerforschte Territorien. Daneben erarbeitet sich die Umweltgeschichte aktuell aber auch die Geschichte von Tieren, der Materialität von Objekten (thing studies), die Stadt- oder Energiegeschichte. Gerade die Nachhaltigkeit und Materialität von Ressourcen oder Stoffen sowie deren Nutzungs- und Verteilungsgeschichte fanden in den Vorträgen in Mainz ihren Niederschlag. Dabei spiegelte sich auch deutlich der Trend zur Globalisierung des Forschungsfeldes wieder, die sicher dazu beiträgt, der noch immer etwas „undisziplinierten“ Disziplin2 bei der Selbstpositionierung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften behilflich zu sein.

ANDREA REHLING (Mainz) und ISABELLA LÖHR (Heidelberg) organisierten die Sektion „Global Commons - Anspruch und Legitimation der ‚Gemeingüter‘ als Erbe der Menschheit nach dem Zweiten Weltkrieg“. Auch wenn der mit den Commons (globalen öffentlichen Gütern) verbundene Schutzgedanke nicht neu war, sei er doch erst spät auf kulturelle, wissenschaftliche und Informationsgüter übertragen worden. Die historische Genese der Commons sei Teil des Globalisierungsprozesses, der mit der Veränderung globaler Politik eine neue Weltordnung geschaffen habe und bedürfte damit besonderer Aufmerksamkeit.

Veränderliche demographische Handlungsfelder zwischen global commons und global needs seit 1950 untersuchte der Vortrag von HEINRICH HARTMANN (Basel). Als besonderes Problem stellte dieser zunächst die Geringachtung von Gemeingütern gegenüber individuellen Gütern fest. Trotz steigender Bevölkerungszahlen habe keine Anpassung der Reproduktion zur Maximierung des Gesamtwohls stattgefunden, statt dessen sei die „Weltbevölkerung“ selbst zum schützenswerten Gemeingut geworden. Über Entwicklungshilfe sei zwar auf den Export von Problemen aufmerksam gemacht worden, dennoch scheiterten Sozialpsychologie und Humanökologie in ihren Bestrebungen eine gemeinsame (Welt-)Bevölkerungsplanung anzuregen.

Die Diskussion um Meere, Pole und das Weltall um 1970 stellte SABINE HÖHLER (Stockholm) ins Zentrum ihres Vortrags. Der Streit um neue Souveränitätsrechte, stellte sich weitgehend als traditioneller Streit um exterritoriale Gebiete dar. Deutlich wurde, dass die UN keinen ausreichenden Schutz und Struktur zur Regelung der neuen Territorien bot, weshalb Greenpeace die Global Commons ausgerufen habe. Mit fortschreitender Durchdringung der exterritorialen Gebiete musste auch die Globus-Definition auf Arktis, Orbit und Tiefsee ausgeweitet werden. Diese neuen Räume wurden ab den 1950er-Jahren symbolisch besetzt nach terra nullius, deren Vergemeinschaftlichung nach res communis vorgenommen. Neu in diesem Prozess war der Schutzgedanke sowie die gemeinsame Nutzung der Territorien, weshalb ein Schutz vor dem Zugriff Einzelner auf die neuen Gebiete gewährleistet werden musste. Umweltsicherheit vor allem der Arktis, sichert und motiviert heute die Commons, die neue Auflösung von Souveränitätsrechten führe jedoch zu Konkurrenz in globalem Maßstab.

Daran anschließend stellte ANNA-KATHARINA WÖBSE (Genf) in ihrem Vortrag die Frage nach Natur und Umwelt als gemeinsames Erbe der Menschheit nach 1945. Dabei rückte die Entwertung der naturgegebenen natürlichen Gemeingüter in den Mittelpunkt. Angesichts des Klimawandels sei es nach Ansicht Wöbses dringend notwendig Eigentumsrechte in Bezug auf die natürlichen Gemeingüter zu diskutieren, insbesondere die Verwertung und Zugänglichmachung des Meeres und die dabei vorherrschende Nord-Süd-Verschiebung. Nationalstaatliche Gemeinschaften sähen die Welt als Entität – die Bildung des Völkerbundes habe jedoch neuen politischen Raum und Akteure produziert. Wie Höhler machte Wöbse auf die Widersprüchlichkeit innerhalb der UN aufmerksam: individuelle Ressourcennutzung vs. Schutz der Ressourcen sowie Eingriffe in Freiheit und Souveränität. Problematisch sei weiter, dass noch immer keine UN-Umweltorganisation existiere. Zwar sei die Biosphärenkonferenz 1968 schon als integrativ zu bewerten, neue institutionelle Formierungen machten jedoch die Partizipation neuer Akteure notwendig.

Der Schutz von Kulturdiversität und Kulturerbe als gemeinsames Erbe der Menschheit nach 1945 wurde von ANDREA REHLING (Mainz) untersucht. Problematisch sei nach Rehling insbesondere die drohende Homogenisierung der Weltkultur(erbe), nicht zuletzt durch Verschriftlichung des Wissens und fortschreitende Globalisierungsprozesse, dennoch würden die Partikularinteressen der Industriestaaten oft (versuchsweise) durchgesetzt. Gerade kulturelle Identität und Wissen könnten jedoch als natürliche Ressourcen für das Gemeinwohl nutzbar gemacht werden; was sich auch auf kulturelle Praktiken und Wissen um den Umgang mit der Natur übertragen lässt.

Daran anknüpfend machte ISABELLA LÖHR (Heidelberg) den Widerstreit zwischen Weltkulturerbe und geistigem Eigentum zum Mittelpunkt ihrer Ausführungen. Mit der Übertragung von Kulturwissen in individuelles Eigentum seien ab Mitte des 20. Jahrhunderts die Rechte gewissermaßen „ausgeufert“. Urheberrechte, eigentlich als Ausgleichsinstrument angelegt, schafften heute Schwierigkeiten: In stetiger Ausweitung des Schutzbereichs und der zu schützenden Gegenstände. Neues Konfliktpotenzial, konstituiere die UNESCO etwa durch ihren exklusiven (westlich geprägten) Kulturbegriff, der gerade in Entwicklungsländern kontraproduktiv wirke.

Im Kommentar wies BERNHARD GIßIBL (Mannheim) auf die Rolle der Menschheit als Bedrohung der Gemeingüter, vor allem des Gemeingutes „Erde“ hin, deren Souveränität in der Nutzung sich der Mensch allerdings für sich beanspruche. Dabei unterliegende Systematiken und Weltbilder führten dazu, dass es bei einigen der globalen Gemeingüter leichter sei (politische) Kompromisse zu erzielen. Gerade in Bezug auf Naturräume ausschlaggebend sei die in den 1960er-Jahren einsetzende Abgrenzung von Mensch und Natur, etwa über die Einrichtung von Nationalparks – erst ab Ende der 1960er-Jahre sei der Mensch als Teil des Ökosystems anerkannt worden.

Die Sektion „Lebensraum Meer. Umwelt- und entwicklungspolitische Ressourcenfragen in den 1960er und 1970er Jahren“ unter der Leitung von CHRISTIAN KEHRT (Hamburg) und FRANZISKA TORMA (München), kann als synergetisch mit der Sektion zu den Global Commons gesehen werden. Hier wurde die Umwelt des Meeres als Ressource, voll von Ressourcen in den Blick genommen, war als globales Gemeingut jedoch entsprechenden politischen Veränderungen unterworfen.

ARIANE TANNER (Zürich) zeichnete in ihrem Vortrag nach, wie vor dem Hintergrund neo-malthiusianischer Sichtweisen auf das Wachstum der Weltbevölkerung Plankton als Rohstoff zur Lösung der Welthungerproblematik in den Blick geriet. Die „Chlorella“-Alge spiegelt hier das Anliegen der hochindustrialisierten Länder wider, bio-chemische Sichtweisen auf Mensch und Ingenieurswissen durchzusetzen. Exemplarisch entspreche der Mensch auf dem Planeten dem Algenansatz im Reagenzglas, das durch einen Aufbruch kaputt gehe, so Tanner. Allerdings konnte die Welthungerlösung durch Technikoptimismus nicht gesichert werden; was nicht zuletzt mit einer gewissen Technikutopie zusammenhing.

Globale Güter und territoriale Ansprüche der BRD untersuchte SVEN MESINOVIC (Florenz). Die globale Debatte wurde in der BRD ab der Ölkrise von Wissenschafts- zu Wirtschaftsförderung begleitet, mit dem Ziel marine Technologien zu entwickeln, und marine Rohstoffe zu sichern. In der Debatte um die Seerechtskonferenz 1976 sah sich die BRD als Kurzküstenstaat benachteiligt und forderte vehement freien, nicht diskriminierten Zugang zu den Rohstoffen und den neuen noch zu erobernden Territorien unter Wasser. Aus dem Wechsel in der Weltpolitik und Ressourcenfrage, unter Betonung des Zusammenhangs von Bevölkerungswachstum, Rohstoffnutzung und Meeresforschung, entwickelte sich schließlich eine politisierte Debatte um Verteilungsgerechtigkeit und Nutzung von Rohstoffen.

FRANZISKA TORMA (München) analysierte in ihrem Vortrag die Funktionen des Fisches als Ressource und symbolisches Kapital in entwicklungspolitischen Zusammenhängen, am Fallbeispiel der Entwicklungskoalition Deutschland – Thailand Ende der 1950er- bis Mitte der 1970er-Jahre. Hier sollte nachhaltige Fischerei und Subsistenzwirtschaft mit deutscher Unterstützung umgestellt werden auf ein wirtschaftlich erfolgreiches System und globale Fischfangtechnologie. Die komplette Umorganisation der thailändischen Fischerei hatte enorme ökologische Folgen: das Absterben der Korallenriffe. Ab Mitte der 1960er-Jahre resultierten erste Erkenntnisse des eigenen mangelnden Wissens um ozeanographische Zusammenhänge und ökologische Folgeschäden in Investitionen in Schutzmaßnahmen. Torma bezeichnete dies treffend als „Grenzen der Ressourcen-Selbsterfahrung“ des Wachstums; erst UN und Club of Rome brachten eine Rückführung zu nachhaltigem, traditionellen Fischfang. Das thailändische Beispiel veranschaulicht die konträren Zukunftsvisionen in der Entwicklungshilfe, den schmalen Grat zwischen Industrialisierung und Umweltzerstörung sowie die Schwierigkeit in der Erhaltung des prekären Gleichgewichts von Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit.

"Dem Krill auf der Spur", war CHRISTIAN KEHRT (Hamburg), der in seinem Vortag Ressourcenfragen als Leitmotiv für die Institutionalisierung der deutschen Polarforschung in den 1970er-Jahren untersuchte. Die Nutzung der Weltfischbestände bedeutete neue Ressourcenerschließung besonders im arktischen Raum, der Krill galt hier als Indikator für Fischereipotenzial und Nahrungsmittel gleichermaßen. Wirtschaftliche Effizienz und nachhaltige Nutzung mariner Lebensmittelressourcen sollten auf der Grundlage meeresbiologischen Wissens gesichert werden. Außerdem sollte der Stand der BRD in arktischen Verhandlungen dadurch verbessert werden. Diese Zielsetzungen führten schließlich zur Gründung der Polarforschung in der BRD. Der Krill könne, so Kehrt, als Schlüsselobjekt für die deutsche Bedeutung unter den arktischen Nationen gesehen werden: der globale Wissensraum Meeresforschung wurde erschlossen, zunehmend Umwelt- und Ressourcenfragen debattiert und eine kooperative Strategie für eine Teilnahme am Arctic Treaty System begründet.

SABINE HÖHLER (Stockholm) bezeichnete in ihrem Kommentar die Wachstums- und Schrumpfungsvorgänge in den 1970er-Jahren als Übergang von SciFi in SciFact. Wie in Zeiten absoluter Grenzen wurde eine Wahl erzwungen, Ressourcenverknappung und globale Konkurrenz machte die Neuverhandlung der Ozeane als Territorium bzw. Ergänzungssystem notwendig. Hier gingen Territorial- und Forschungspolitik Hand in Hand, die entstehenden politischen Probleme seien, so Höhler, eigentlich biologischer Natur, die die Menschheit als Ganzes betreffen. Das Meer wurde – gespeist vom Technikoptimismus der Zeit – zunehmend als Reservoir lebender Ressourcen wahrgenommen. Diese neue Aufmerksamkeit führte schließlich zu einer Neuorganisation des Umweltbewusstseins. Hierbei spielte die Wissenschaft als Raumgewinn mit anderen Mitteln eine zentrale Rolle über die Entwicklung von Technologien aber auch Techniken zur Entwicklung auf globaler Ebene. Schließlich habe die Verwechslung von Balance und Bilanz zu neuer globaler Ökonomie und Ökologie geführt.

Die Beiträger zum Roundtable „Die Ressourcen der Stadt. Konzepte zur Untersuchung der historischen Stadt als materielles Phänomen“, organisiert von DIETER SCHOTT (Darmstadt), beschäftigten sich in ihren Vorträgen mit Konzepten und Ansätzen zur Erforschung des Ressourcengebrauch in historischen Städten sowie deren Voraussetzungen und Beschränkungen. Dabei fungiere der ökologische Fußabdruck als nützliche Metapher in historischen Studien, um die Auswirkungen von Städten zu quantifizieren.

SABINE BARLES (Paris), stellte in ihrem Vortrag den Beitrag einer Analyse von Material- und Energieströmen für die Erforschung urbaner Ressourcen vor. Beispielhaft wurde dies an den Energieversorgungsarealen von Paris im 19. und 20. Jahrhundert veranschaulicht. Dessen Versorgungsinfrastrukturen stellen die ökologische und soziale Verbindung zwischen Stadt und Natur dar, so wie etwa ein Aquädukt sowohl technische Infrastruktur und Ökosystem gleichermaßen sei. In der statistischen Auswertung des Nahrungs- und Energiekonsums von Paris ab dem 18. Jahrhundert zeigten sich Wasser, Energie und Arbeitskraft, wie erwartet als maßgebliche Ströme. Nicht fassbar für die Statistiken sei jedoch die menschliche und tierische Arbeitsleistung sowie die hydraulische Fließenergie.

Technologische Strukturen als Basis für soziale und andere Metabolismen untersuchte JENS IVO ENGELS (Darmstadt). Er machte deutlich, dass die Forschung zur Infrastruktur eigentlich eine Geschichte von Macht(beziehungen) sei. Die Materialität der Infrastruktur, so wurde offensichtlich, könne dabei Probleme gleichermaßen beheben oder verursachen. Ähnlich wie bei Infrastrukturen bleiben bei der Entwicklung der Städte Machtstrukturen meist bestehen, weiterhin gäbe es eine Zirkulation von Macht – vor allem zwischen Zentrum und Peripherie. Offen blieb die Frage ob die Stadt Macht durch Infrastruktur erhalte, auch ohne Akteur zu sein. Immerhin sei sie aber ein Ort von Machtaushandlung, wobei Infrastruktur als Richtungsleiter für die (Macht)ströme fungiere.

Eine bisher nicht ausreichend ausgebeutete Ressource für die Umweltgeschichte präsentierte MARTIN KNOLL (Darmstadt). Die urbane Ikonographie in Mittelalter und Früher Neuzeit könne zur Beschreibung der Umwelt/Natur und Stadt Beziehungen genutzt werden. Am Beispiel der Stadt Regensburg zeigte Knoll die Wege urbaner Ressourcenversorgung auf. Für die Darstellung der Ressourcen und Versorgungskorridore der Stadt erschließt sich mit der Ikonographie alternatives neues Quellenmaterial. Die perspektivischen Darstellungen zeigten zwar eine Harmonie in der soziologischen und natürlichen Ordnung, wie sie de facto nie existierte, Schwerpunkte und Gewichtungen der Infrastrukturen würden jedoch deutlich hervorgehoben und erlaubten so Rückschlüsse auf deren Relevanz.

MARTIN SCHMID (Klagenfurt) und VERENA WINIWARTER (Klagenfurt) stellten das Konzept der sozionaturalen Schauplätze sowie deren Anreiz für die Umweltgeschichte am Beispiel der Stadt Wien 1529-2010 vor. Der Mehrwert des Konzeptes ergibt sich aus dessen Integration von Natur und Kultur. Sozionaturale Schauplätze konstituieren sich aus menschlichen Praktiken und deren materiellen Niederschlägen bzw. Arrangements. Je weitreichender der Eingriff in die natürliche Umwelt – insbesondere mit dem Zweck der Energiegewinnung – umso größer seien die möglichen Probleme durch erzeugtes Energielevel, Abnutzung und Verschleiß (Wassermühle vs. Staudammkraftwerk). Winiwarter/Schmidt teilen diese in kurzzeitige, mittelfristige und Langzeitfolgen ein, mit jeweils beunruhigenden, problematischen oder üblen Folgen für den jeweiligen sozionaturalen Schauplatz. Gerade für eine nachhaltige Stadtentwicklung seien derartige vergangene Entwicklungen von Bedeutung; bisher jedoch nicht hinreichend erforscht.

In der Diskussion wurde die Bedeutung der Infrastruktur als Voraussetzung und Resultat menschlichen Verhaltens weiter unterstrichen. Auf Grund ihres Einflusses auf die Menschen, könne ihr zudem eine gewisse Art von Agency etwa in Konflikten oder politischen Debatten zugeschrieben werden. Fraglich blieb, ob Territorien von Städten allein durch wirtschaftliche Hegemonie gehalten oder politische Strukturen benötigt würden. Mit steigender Stärke und Macht des finanziellen Sektors ab den 1880er-Jahren, lasse sich dabei generell eine erhöhte Lebensspanne von Infrastrukturen feststellen.

FRANK UEKÖTTER (München) leitete die Sektion "What's the matter?" Die Provokation der Stoffgeschichte. Einleitend stellte er die Frage ob die Stoffgeschichte ein Komplement oder eine Gegenbewegung zur Kulturgeschichte darstelle und betonte, Nutzen und Sinn für die Geschichtswissenschaft seien bisher nicht ausreichend genutzt worden.

Schokolade war das Thema von ANGELIKA EPPLE (Bielefeld), das sie als Geschichte der Globalisierung mittels Warenkettenanalyse untersuchte und die Erfolgsgeschichte des hybriden Produktes vom Heil- und Würzmittel zum Konsumschlager nachzeichnete. Im 19. Jahrhundert erfuhr die Schokolade eine Neudefinition als industrielles Produkt. Durch die Lebensmittelchemie wissenschaftlich erzeugte Tatsachen, wie deren Reinheit machte sich vor allem die Werbung zu Nutze, was den weiteren Erfolg der Schokolade beförderte. Die Provokation der Stoffgeschichte beruhe nach Epple in ihrem Potenzial Globalgeschichte makro- und mikroperspektivisch zu verbinden, dabei biete sie empirische Möglichkeiten die Geschichte der Globalisierung aufzulösen und durch kleine Geschichten neu zu erzeugen.

Den Gefahrenstoff Asbest machte PAUL ERKER (München) zum Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Er wies auf die unterschiedlichen methodisch-konzeptionellen Herausforderungen prekärer Stoffe für die Stoffgeschichte im engeren Sinne hin. Risikowahrnehmung und Aushandlung seien bei den Stoffkreisläufen von Asbest grenzwertig, dessen Stoffkarriere durch Ambivalenzen und Metamorphosen vom „Magic Mineral“ zum „Killer Dust“ gekennzeichnet. Möglicherweise ließe sich die Asbestgeschichte jedoch in eine Erfolgsgeschichte über Ausstieg, Brandschutz und Risikorückgang umdeuten, so Erker. Dennoch ergäben sich mittlerweile neue Probleme, aus der Substituierung prekärer Stoffe und einer Verlagerung der Verwendung in die Schwellenländer. Zudem machten sich aktuell die Altlasten des Stoffes in einem Anstieg von Krankheits- und Todesfällen bemerkbar. An diesem Beispiel zeige sich eine Transformation umweltrelevanten Wissens und Erkenntnisprozessen in kulturelle, politische, und Gesellschaftsgeschichte.

BERND-STEFAN GREWE (Freiburg im Breisgau) zeichnete in seinem Vortrag den Weg des Goldes vom unnützen Material zum Garant von Währungsstabilität nach, was er nicht von ungefähr als gewisse Absurdität bezeichnete. Wie Epple, nahm er eine globale Warenkettenanalyse vor, dabei verortete er deren Vorteile vor allem in der Verbindung transnationaler Flüsse von Material und Kapital und einer klaren narrativen Ordnung durch die materiellen Eigenschaften des Edelmetalls. Der Stoff zeichne sich nach Grewe durch die permanente Wandelbarkeit seiner Materialität aus, die in einer globalen Warenkette Einfluss auf alle Bereiche habe.

Kultur- und wirtschaftsgeschichtliche Herausforderungen an die Sojabohne untersuchte INES PRODÖHL (Washington). Soja stelle eine Herausforderung für die methodisch-theoretische Arbeit dar, Erkenntniserweiterung entstehe hier durch transkulturelle Wirtschaftsgeschichte. Steigende Nachfrage an Soja setzte mit Bedarf an vegetarischem Öl als Ersatz von Baumwollsamenöl zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein. Interessant sei dabei die gesellschaftliche Gleichgültigkeit in den USA gegenüber der Sojabohne. Zwar existieren Warentransfers zwischen den sojaverwendenden Staaten, die jedoch eigene kulturelle Wege beschreiten. Prodöhl stellte fest, Soja verbinde und trenne Kulturen und Gesellschaften gleichermaßen. Interessanterweise habe kaum eine kulturelle und landwirtschaftliche Entwurzelung der Pflanze stattgefunden, aber auch keine kulturelle Übersetzungsleistung in deren Verwendung.

Die Frage nach der Provokation der Stoffgeschichte, die im Titel angedeutet wird, konnte auch in der Diskussion nicht vollständig beantwortet werden, offen bleibe unter anderem das Ziel der Provokation. Dennoch kann die Stoffgeschichte als wertvolle Kategorie für die Umweltgeschichte gelten, die sich zunehmend mit der Materialität ihrer Untersuchungsgegenstände auseinandersetzt.

Der Umgang mit der Materialität von Ressourcen, den Abhängigkeitsbeziehungen von Akteuren, Strukturen und Distribution von „Abfall“ schließlich, war das Thema der Sektion „Zwischen Knappheit und Überfluss: Abfall als Problem und Ressource in der Geschichte“, organisiert von ROMAN KÖSTER (München) und HEIKE WEBER (Berlin). Hier ging es insbesondere um den Wert, des Abfalls – als Ressource – der nicht mehr nur unter ökonomischen sondern zunehmend unter ökologischen Aspekten definiert wird.

Auf Grund von Krankheit musste der einleitende Vortrag von REINHOLD REITH (Salzburg) gelesen werden. Reith beschäftigte sich mit der Entstehung von Märkten für „Abfall“. Dabei kategorisierte er Rest- und Risikostoffe als natürliches Resultat von Konsumption und Produktion. Weggeworfen würde nur Wert- oder Sinnloses, was in direktem Zusammenhang mit der Knappheit von Ressourcen stünde, entsprechend passten sich Produktivität und Arbeitseinsatz im Umgang mit „Abfall“ an. Eine Umstrukturierung des Abfallhandels hin zu überregionalen Märkten mit staatlicher Regelung habe ab dem Kaiserreich eingesetzt.

HEIKE WEBER (Berlin) betrachtete in ihrem Vortag mit dem metaphorischen Titel „Schaffet Werte aus dem Nichts!“ die Rolle der Frauen bei der Wiederverwertung von Küchenresten im Ersten Weltkrieg und während der NS-Zeit. Dabei erfuhr „Abfall“ hier eine graduelle, insbesondere ideologische Aufwertung, eng verbunden mit dem Ideal der sparsamen Hausfrau. Als moralische Begründung fungierte die Wiedereingliederung in den ökonomischen Kreislauf, so dass während des Ersten Weltkrieges der „Abfall“ als Ressource regelrecht ausgebeutet worden sei. Oft waren dabei die Frauen selbst initiativ gewesen. Das Schwein als Nahrungskonkurrent entwickelte sich dabei zum Recycler für Nahrungsmittelreste. Frauen stiegen über Nacht auf zu „Recycling-Fachleuten und -Unternehmern“ so Weber, die an der Heimatfront auch entsprechende Würdigung erfuhren. Insgesamt hätten die Frauen jedoch nur eine Nebenrolle gespielt, im „NS-Müllregime“, das mit seinen Zentralisierungsstrategien die Verwertung des „Wertlosen“ perfektioniert habe.

CHAD DENTON (Seoul) betrachtete in seinem Vortrag „Recuperez!“, die französischen Recycling-Kampagnen zwischen 1939-1945 und ihre deutschen Ursprünge. Im Vichy sei die Altstoffsammlung in gegenseitigem Einvernehmen eingerichtet worden, die deutschen Einflüsse jedoch verborgen, und sich auf französische Traditionen berufen worden, deren Infrastruktur, Technologie und Umsetzung zu großen Teilen von jüdischen Landsmännern getragen wurden. Mit Parolen wie „Müll muss unterdrückt werden“ versuchte man bereits vor der deutschen Übernahme der Sammelstellen und der Gründung der Wiederverwertungsorganisation OCRP, die Bevölkerung zu sensibilisieren. Denton vermutet, die gute Annahme des deutschen Vorbildes habe auf der hohen Übereinstimmung mit den eigenen Plänen Vichys beruht, auch wenn dies einen Ausschluss der jüdischen Händler bedeutete. In den Jahren 1944/45 blieb die Organisation der Abfallverwertung, auch personell, erhalten. Jedoch erwies sich die Rückkehr der jüdischen Expertise in den „Kriegsmüll“ schließlich als Erfolgsrezept.

Im „Abschied von der ‚verlorenen Verpackung‘“ zeichnete ROMAN KÖSTER (München), die Geschichte des Recyclings von Hausmüll in Westdeutschland 1945-1990 nach. Diese Veränderungen lassen sich zurückführen auf Wohlstandszuwachs, städtebauliche Veränderungen, Durchsetzung der Selbstbedienung im Einzelhandel, Technisierung der Hausarbeit, bei gleichzeitig steigender Müll- und Verpackungsmenge. Maßgeblich für die Durchsetzung moderner Recyclingpraktiken sei nach Köster schließlich die Verwissenschaftlichung der Abfallwirtschaft sowie zunehmendes Umweltbewusstsein bei weiter steigenden Müllmengen gewesen; zur Institutionalisierung des Recyclings hätten private Entsorgungsfirmen erheblich beigetragen. Zusammenfassend stellte Köster fest, gerade das Zusammenwirken von ökologischen und ökonomischen Faktoren hätten ab den 1970er-Jahren zu dauerhaften Recyclingstrukturen geführt (sekundäre Rohstoffpreise). Die Unterschiede zwischen modernen und traditionellen Strukturen ergäben sich jedoch vor allem aus der Beteiligung internationaler Unternehmen sowie der Konzentration auf ökonomische Parameter statt umweltschützerische Aspekte.

Der ebenfalls in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angesiedelte Vortrag von CHRISTIAN MÖLLER (Bielefeld), beschäftige sich mit der Abfallwirtschaft in der DDR und beleuchtete sozialistische Verwertungskonzepte und Entsorgungspraxis zwischen Ökonomie und Ökologie. Hier bestimmten Widersprüche, Zäsuren und Wandlungsprozesse die Kontinuitäten seit dem Zweiten Weltkrieg. Besonders ins Auge fällt die Abweichung von Anspruch und Praxis, denn erst ab den 1960er-Jahren fand eine Umdeutung der Abfall- über die Umweltpolitik statt. Extreme Rohstoffknappheit und Abfallmangel hätten zu historischen Stilblüten, wie etwa bewusster Schrottproduktion oder Abfallimport aus dem nichtsozialistischen Ausland geführt. Strukturbildende Maßnahmen zur Umsetzung umweltpolitischer Richtlinien waren: Propaganda, finanzielle Anreize und Mangelsituation. Letztendlich entstand ein Umweltbewusstsein nicht aus Idealismus, sondern aus Eigeninteresse. Demgegenüber steht eine Zunahme vor allem toxischer Industrieabfälle, weshalb man ab den 1960er-Jahren nach Möllers Ansicht sogar von einer Pervertierung der Umweltschutzbestrebungen in der DDR sprechen kann.

Im Kommentar hob VERENA WINIARTER (Klagenfurt) die zentrale Rolle der Kriegswirtschaft (Ersatzstoffe) bei der Einführung und Durchsetzung nachhaltiger Recyclingstrukturen hervor. In den Vorträgen sei jedoch weder Toxizität noch Art und Zusammensetzung des Mülls durch Kunststoff thematisiert worden. Als Potenzial der Vorträge hob Winiwarter hervor, nicht nur Mangel, sondern auch Nutzlosigkeit des Mülls seien deutlich geworden, ebenso eine Verschiebung des Mangels. Außerdem hob sie die Bedeutung von Sekundärrohstoffen als nie versiegende Quelle hervor, die versuchte Anhebung der Bewertung von Abfällen sowie städtebaulicher Wandel als Grundlage für Veränderungen. Abfallorte seien dabei als Nicht-Orte zu sehen – deren Auslagerung aus den Siedlungen das Problem lediglich verschiebe.

FRANZ-JOSEF BRÜGGEMEIERs (Freiburg im Breisgau) Vortrag zur Internationalisierung der Umweltbewegung, schloss im wahrsten Sinne des Wortes die umwelthistorischen Beiträge des Historikertages ab. Gekennzeichnet sei die Umweltbewegung heute von zunehmender Institutionalisierung, Professionalisierung und Bürokratisierung, was zu einer Krise, einem Verschwinden der spontanen Elemente führe. Neu seien die „neuen“ Bewegungen zwar nicht. Ab den 1960er-Jahren setzte jedoch eine bewusste Abgrenzung der neuen Umweltbewegung gegenüber traditionellen Organisationen ein. Dabei gelangen die neuen sozialen Bewegungen vor allem dort, wo sich eine einfache Verbindung von Traditionellem und Neuem herstellen ließ. Trotz einer anfänglichen Skepsis der regionalen und nationalen Verbände gegenüber einer zunehmenden Internationalisierung setzte sich ab den 1980/90er-Jahren das gemeinsame Verständnis für globale Umweltprobleme als Grundlage für gemeinsame Lösungsversuche durch; strukturell wiesen die internationalen NGOs heute eher Konzernstruktur statt Sozialer Bewegungsstruktur auf. Auch sei es schwierig, internationale/transnationale Umweltschutzbemühungen als Politik zu bezeichnen, so Brüggemeier. Grundlegend für deren Erfolg sei jedoch die internationale Orientierung der Konflikte, die Produktion gemeinsamer Bilder durch die Medien und die Art der Strategieaustragung.

„Zum ersten Mal kann man als Umwelthistoriker zwischen verschiedenen Sektionen wählen. Es scheint, als ob man im Mainstream angekommen wäre“, so fasste eine langjährige Teilnehmerin des Historikertages das Programm der diesjährigen Konferenz zusammen. Die dort vorgestellten umwelthistorischen Beiträge verdeutlichten die thematische Breite des Forschungsfeldes sowie dessen Anschlussfähigkeit und Relevanz für andere, nicht nur geisteswissenschaftliche Disziplinen. Dabei zeichnet sich die Umweltgeschichte gerade auch durch ihre Offenheit gegenüber anderen Themen aus und nimmt eine wichtige Brückenfunktion als Teil der environmental humanities ein. Gerade in global-geschichtlichen Zusammenhängen liefert die Umweltgeschichte wichtige Aspekte zu einem umfassenden Verständnis von politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen oder der Raumerschließung. Dabei spielt der Kontext klimatischer Veränderungen und die Veränderung ozeanischer Räume eine immer stärker werdende Rolle. Gleichermaßen wichtig sind dafür lokale und regionale Fallbeispiele, anhand derer die gesellschaftliche Relevanz geschichtlicher Vorgänge, insbesondere in Blick auf nachhaltige Entwicklung herausgearbeitet werden kann, wie vor allem die Sektionen zu Stadtentwicklung sowie marinen Ressourcen und Territorien deutlich machten. Wie an mehrfacher Stelle von den Vorträgern herausgearbeitet, ist vergangene Entwicklung als Basis für zukünftige Nachhaltigkeit noch nicht hinreichend erforscht, aber unbedingt notwendig, um das Gemeingut „Erde“ und seine Ressourcen weiter nutzbar zu erhalten. Damit präsentiert sich die Umweltgeschichte als gesellschaftsrelevanter Zukunftsträger historischer Forschung und es bleibt zu hoffen, dass sie auch auf den kommenden Historikertagen ähnliche Beachtung erfahren wird wie 2012.

Anmerkungen:
1 Franz-Josef Brüggemeier / Jens Ivo Engels, Den Kinderschuhen entwachsen. Einleitende Worte zur Umweltgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Dies. (Hrsg.), Natur- und Umweltschutz nach 1945. Konzepte, Konflikte, Kompetenzen, Frankfurt am Main 2005, S. 10-19.
2 Uwe Lübken, Undiszipliniert. Ein Forschungsbericht zur Umweltgeschichte, in: H-Soz-u-Kult, 14.07.2010, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/2010-07-001> (18.02.2013).

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