Historikertag 2012: Alte Geschichte

Von
Thomas Blank, Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität Mainz; Philipp Altmeppen, Mainz

Besprochene Sektionen:

"Funktionale Differenzierung in der römischen Antike"
"Das Wasser: Ressource zwischen Alltagsbedarf, Ingenieurkunst und Repräsentation. Eine Konversation zwischen Antike und Neuzeit"
"eAQUA/Dissemination: Neue methodische Zugänge zu Begriffsgeschichte und Quellenkritik in den Altertumswissenschaften"
"Zur Ökonomie römischer Nahbeziehungen"

Großkonferenzen wie Historikertage bedürfen weit gefasster Rahmenthemen, die einerseits durch allzugroße thematische Streuung bedingte Zusammenhangslosigkeit und Unübersichtlichkeit der Konferenz verhindern, andererseits für Fachvertreter/innen unterschiedlichster Epochen, Forschungsgebiete und Interessen in einer Weise anschlussfähig sind, dass aktuelle Forschungsarbeiten damit verbunden und präsentiert werden können, ohne im buchstäblichen Sinne aus dem Rahmen zu fallen. Aufgabe eines Querschnittsberichts ist es nun, das zu einem größeren Forschungsfeld oder einer Epoche angebotene Konferenzprogramm – normalerweise aufgrund der Fülle an Angeboten nur in Auswahl – im Hinblick auf darin sich widerspiegelnde Forschungstrends, aktuelle Debatten, methodische Fragen etc. zu kommentieren. Eine etwas schwierige Aufgabe stellt sich freilich dem, der über eine historische Großepoche zu berichten hat, die im Konferenzprogramm derart unterrepräsentiert ist, dass von einem Querschnitt im eigentlichen Sinne kaum die Rede sein kann. So verhält es sich beim Historikertag 2012 in Mainz mit der Epoche der Alten Geschichte, die im engeren Sinne nur von drei Sektionen (zur römischen Geschichte bzw. digitalen Forschungsressourcen) vertreten wurde. Dazu kam eine biepochale Sektion, die leider ungeachtet des schmalen Angebots zeitgleich zu einer der althistorischen Sektionen stattfand. Vor dem Hintergrund dieser geringen Auswahl versteht es sich von selbst, dass sich nur ein sehr schlaglichtartiges Bild gegenwärtiger althistorischer Forschung ergeben kann. Da zu einzelnen Sektionen ausführlichere Sektionsberichte vorliegen, soll im Folgenden der Schwerpunkt auf die Frage gelegt werden, in welcher Weise sich das Rahmenthema Ressourcen – Konflikte in den althistorischen Sektionen widerspiegelte. Interessant erscheint dies nicht zuletzt deshalb, weil trotz der geringen Zahl an Sektionen die Bandbreite der unterschiedlichen Wege der Annäherung an das Rahmenthema recht groß war, wobei der am nächsten liegende Zugang (‚Ressourcenkonflikte‘ im Sinne politischer oder militärischer Konflikte um natürliche Rohstoffe) nur am Rande vertreten war.

Ein Verständnis von ‚Ressource‘ als ‚natürlichem Rohstoff‘ lag lediglich der biepochalen Sektion „Das Wasser: Ressource zwischen Alltagsbedarf, Ingenieruskunst und Repräsentation – Eine Konverstantion zwischen Antike und Neuzeit“ zugrunde, die von SITTA VON REDEN (Freiburg im Breisgau) und CHRISTIAN WIELAND (Freiburg im Breisgau) geleitet wurde. Im Fokus dieser Sektion stand die Nutzbarkeit des Wassers als lebenswichtige, aber schwer zu kontrollierende und zu organisierende materielle Ressource. Die gleichzeitige Alltäglichkeit und Unberechenbarkeit dieser Ressource habe einerseits dazu geführt, dass das Wasser als historischer Gegenstand bisher wenig Beachtung gefunden habe, andererseits, dass es fast unausweichlich Gegenstand von Konflikten über seine alltägliche Nutzung werden musste. Letzteres wurde von NEVILLE MORLEY (Bristol) anschaulich gemacht mit dem Hinweis auf den konkurrierende Flussanrainer bezeichnenden Begriff der rivales. Gleichzeitig wurde deutlich, dass neben dem Wasser an sich auch Techniken seiner Erschließung und die daraus resultierenden Möglichkeiten zu Erwerb, Repräsentation und Festigung von Macht wichtige Ressourcen im gesellschaftlichen Gefüge sowohl der Antike als auch der Neuzeit darstellten.

Dies konnte einerseits für den Personenkreis der Herrschenden gelten, die durch die Leistungen für die Bevölkerung, also die Wasserversorgung, und deren Repräsentation ihre Legitimation festigten, wie Sitta von Reden für die Ptolemäer zeigte, während ASTRID MÖLLER (Freiburg im Breisgau) der Frage nachging, ob in architektonischen Großprojekten angelegte Wasserleitungen etwas typisch monarchisches seien. Gut vergleichen ließ sich hiermit die nach CHANDRA MUKERJI (San Diego) explizit zur Ausweitung und Stärkung der Monarchie betriebene Anlage des Canal du Midi durch Ludwig XIV. Andererseits konnte die technische Überwindung der Natur, wie sie in der Beherrschung des Wassers zum Ausdruck kommt, auch derart geschickt repräsentiert werden, dass sie den sozialen Aufstieg einer ursprünglich nicht privilegierten Schicht wie der Ingenieure in Italien und England des 16. und 17. Jahrhunderts ermöglichte, wie Christian Wieland darlegte. Auch FRANZ-JOSEF BRÜGGEMEIER (Freiburg im Breisgau) kam zu dem Ergebnis, dass der von der Bürgerschaft getragene monumentale und repräsentative Ausbau von Kanalisationen im 19. Jahrhundert einer „technokratischen Elite“ die Projektionsfläche für die Formulierung ihres Selbstbewusstseins bot. Auf Grenzen der Verfügbarkeit von Wasser als in diesem Sinne politischer Ressource wiesen Neville Morley und Chandra Mukerji hin, indem sie die Diskrepanz zwischen Anspruch auf Beherrschung des Wassers und Wirklichkeit schwieriger technischer Beherrschbarkeit dieser Ressource aufzeigten, die die Durchsetzung des Monopolisierungsanspruchs weitgehend verunmöglichte und so auch Konflikte zwischen Herrschenden und Bevölkerung hervorrufen konnte.

Der Sektion lag also eine weite Definition mit vielfältigem Verständnis von Ressourcen zugrunde, sowohl der sehr konkreten materiellen Ressource und ihrer Verteilung, besonders in der Antike, als auch der abstrakten Nutzung von Wasserarchitektur als Repräsentationsmedium zwar auch in der Antike, aber vor allem in der Neuzeit. Den roten Faden in den Vorträgen bildete die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen der Repräsentation technischer Beherrschung des Rohstoffs Wasser und der damit in Verbindung stehenden Macht. Auffällig waren hierbei die vorausgesetzten und aufgezeigten Parallelen zwischen Antike und Neuzeit, die eine gute Basis für tatsächliche Konversation zwischen den Epochen darstellten, und insofern in der vergleichenden Betrachtung von ökonomisch-sozialen Mechanismen eine Ressource der Forschung für die Zukunft erkennen lassen.

Ein ebenfalls eher klassisches Verständnis von ‚Ressourcen‘ lag der von ELKE HARTMANN (Darmstadt) organisierten Kurzsektion „Zur Ökonomie römischer Nahbeziehungen“ zugrunde. Im Zentrum standen Strategien der erbrechtlichen Sicherung, Ausweitung oder Streuung privaten Besitzes als wirtschaftlicher und sozialer Ressource in der römischen Gesellschaft von der Republik bis ins frühe 2. Jahrhundert n.Chr. WILFRIED NIPPEL (Berlin) lenkte in einem forschungsgeschichtlichen Überblick zur Gestalt der ‚Nahbeziehungen‘ den Blick über die Orthodoxien der älteren Forschung (vor allem in Bezug auf Patronageverhältnisse) hinaus besonders auf die von der jüngeren Forschung eröffneten Perspektiven einer differenzierten Interpretation sich überschneidender bzw. integrierter Funktionen sozialer und wirtschaftlicher Interaktion.1

In diesem Sinne untersuchte ANN-CATHRIN HARDERS (Bielefeld) auf kulturanthropologischer Grundlage die Modi der Übertragung von Eigentum im republikanischen Erbrecht. Ein besonderes Interesse, das Vermögen der (wohlhabenden) familia im Erbfall zusammenzuhalten und vor einer Verteilung auf viele Erben zu bewahren, lässt sich weder bei intestaten Erbschaften erkennen, in denen einzelne Personen nicht als Haupterben bevorzugt und männliche und weibliche Erben (wohl aber agnate und kognate Linie) rechtlich nicht unterschieden wurden, noch bei testamentarischer Regelung des Erbes, bei der in praxi statt einer Beschränkung der Erben eher zusätzliche Zweit- und Dritterben eingesetzt oder gar Legate an Gruppen festgelegt wurden. Auch für aus dieser Tendenz zur breiteren Besitzstreuung resultierende Dysfunktionalitäten (Erbschaftsstreitigkeiten, Missachtung der festgesetzten Legate etc.) seien Belege nicht in signifikanter Breite vorhanden. Vielmehr sprächen spätere gesetzliche Regelungen eher für intensive Nutzung der Möglichkeiten zur Streuung des Eigentums. Harders erklärte dies auf plausible Weise mit von modernem westlichem Denken abweichenden Auffassungen von generationenübergreifender Absicherung der familia. Die Sicherung der sozialen Stellung der Nachkommen erfolgte nicht einseitig auf wirtschaftlicher, sondern gerade auch auf der davon kaum zu trennenden sozialen Ebene. So konnten soziale Bindungen der famila bzw. ihres neuen Oberhauptes horizontal (Berücksichtigung verheirateter, agnater weiblicher Verwandter; testamentarische Berücksichtigung kognater Verwandter oder Außenstehender) wie vertikal (Legate) gesichert oder hergestellt werden. Anstelle einer auf die Kernfamilie beschränkten Wohlstandssicherung konnte der horizontale Güteraustausch zudem als reziprokes Austauschsystem innerhalb des sozialen Stratums mittelbar auch die wirtschaftliche Stellung der familia sichern. Das private Eigentum diente als zugleich wirtschaftliche wie auch soziale Ressource.

Ähnliches zeigte sich auch in ELKE HARTMANNs Vortrag zum Problem der Erbfängerei (captatio). Was erhofften sich jene meist männlichen Personen, die durch teils aufwendige materielle Zuwendungen um die Gunst potentieller vornehmer Erblasser(innen) buhlten? Welche Ressourcen brachten beide Seiten bei dieser Form des Austausches ins Spiel? Auch hier ging es, wie Hartmann zeigte, sowohl um wirtschaftliches als auch um soziales Kapital. Neben der Hoffnung auf Rendite in Form einer zukünftigen Erbschaft war es nicht zuletzt die Aussicht auf ein Eintreten in das Erbe einer Person von hohem sozialen Prestige, die den risikovollen Aufwand der Erbfänger lohnend erscheinen lassen konnte. Hartmann konstatierte für die hohe Kaiserzeit jedoch auch ein Missverhältnis zwischen der vor allem vom sozialen Prestige einer umworbenen Person genährten Hoffnung auf ein ertragreiches Erbe und der wirtschaftlichen Realität einer zunehmenden Verschuldung der senatorischen Kreise, deren wirtschaftliches Potential mit ihrer sozialen Verpflichtung zu ostentativem Konsum oft nicht mehr Schritt halten konnte. So seien ungeachtet der Kritik an den Erbfängern in der zeitgenössischen Literatur diese wohl nicht selten die eigentlich geschädigten eines materiell ungleichen Austauschprozesses gewesen.

Den komplexesten Bezug zum Rahmenthema wies die sehr gut besuchte Sektion „Funktionale Differenzierung in der römischen Antike“ unter der Leitung von HARTMUT LEPPIN (Frankfurt am Main) und ALOYS WINTERLING (Berlin) auf. Gegenstand der Sektion war der Versuch einer Anwendung des luhmannschen Konzepts der ‚funktionalen Differenzierung‘ autonomer gesellschaftlicher Teilsysteme auf verschiedene Themenfelder der römischen Geschichte – dies ausdrücklich gerade angesichts des Umstandes, dass eine solche Ausdifferenzierung nach Luhmanns Ansicht für ‚vormoderne‘ antike Gesellschaften a priori nicht anzunehmen sei. In den einzelnen Beiträgen dieser Sektion spielten verschiedene Arten von Ressourcen eine Rolle. Den roten Faden bildete dabei – ganz deren zentraler Bedeutung für die Systemtheorie entsprechend – das Thema der systemspezifischen Kommunikation als eines Unterscheidungsmerkmals für die Differenz System/Umwelt und mithin als einer sozialen Ressource innerhalb gesellschaftlicher Teilsysteme.

ALOYS WINTERLING nahm zunächst die Politik in der römischen Kaiserzeit in den Blick. Hier konstatierte er einerseits für manche Bereiche (Reflexion von Macht, Nutzung von Macht als Ressource der öffentlichen Kommunikation, Trennung von Amtsmacht und Person usw.) einen hohen Grad von bereichsspezifischer Autonomie, was in den Begriffen Luhmanns als Indiz für ‚Ausdifferenzierung‘ zu werten wäre. Andererseits erfasse diese ‚Modernität‘ der römischen Politik keineswegs alle politisch relevanten Bereiche. So erweise sich das System des Politischen keineswegs als autark, insofern für andere Teilsysteme relevante Ressourcen (soziales Prestige, juristische Gewalt des pater familias usw.) grundlegende Bedeutung auch für die Politik besäßen und deren autonomen Einflussbereich stark begrenzten. Gleichzeitig besäßen Ressourcen der Politik zugleich auch erheblichen Wert im sozialen, juristischen, religiösen Teilsystem. In diesem Sinne sei die römische Politik in den Kategorien von Moderne (ausdifferenziert) und Vormoderne (nicht ausdifferenziert) systemtheoretisch nicht adäquat zu beschreiben.

Eine ähnliche Gleichzeitigkeit von Merkmalen vermeintlicher ‚Ausdifferenzierung‘ und des Fehlens derselben thematisierte der Vortrag von FABIAN GOLDBECK (Berlin), der sich mit wirtschaftlichen Transaktionen befasste. So existierten beispielsweise nebeneinander ein rein am monetären Gewinn orientiertes (faeneratio) und auch ein von sozialen Faktoren wie amictia abhängiges und auf sozialen Profit ausgerichtetes monetäres Kreditwesen (mutuum). Der Wirkungsgrad des Austauschmediums Geld sei einerseits größer als in modernen Wirtschaftssystemen, insofern Geld auch als Währung im sozialen und politischen System von Belang gewesen sei, andererseits weniger groß, insofern der Geldwirtschaft jedenfalls auf der Ebene der gesellschaftlichen Eliten keine autopoietische Autarkie von anderen Teilsystemen zugeschrieben werden könne.

HARTMUT LEPPIN setzte sich in seinem Vortrag mit der Entstehung von Kirche und Religion als Teilsystem von der hohen Kaiserzeit bis in die frühere Spätantike und dabei insbesondere mit Konflikten auseinander, die sich am Autarkieanspruch der religiösen monotheistischen Sphäre entzündeten. So entwickelten sich schon im frühesten Christentum exklusive Formen der Kommunikation und infolgedessen spezifisch christliche Netzwerke, ein Personal religiöser Spezialisten etc., die für eine hohe Autarkie des religiösen Bereiches sorgten. Damit einher ging in signifikanter Abweichung von der alle Gesellschaftsbereiche betreffenden Bedeutung der polytheistischen Religion die Betonung der Zuwendung zum Christentum als gänzlich privater Entscheidung des Einzelnen sowie die Suspendierung sozialer Stratifikation innerhalb des Rahmens der christlichen Religion. Ungeachtet der ‚Irritationen‘ (Christenverfolgungen, juristische Konflikte, theologische Forderung nach universaler Gültigkeit religiöser Moral), die diese Entkopplung der religiösen Sphäre von anderen gesellschaftlichen Teilsystemen hervorgerufen habe, lasse sich das antike Christentum als zunächst verhältnismäßig stark differenziertes Teilsystem begreifen, das jedoch in der Spätantike in der Universalisierung des Geltungsanspruchs christlicher Lehre über den Bereich der Religion hinaus einen Prozess der Entdifferenzierung durchmachte, der erst in der Neuzeit – durchaus unter dem Einfluss älterer antiker Konzepte – wieder überwunden wurde.

STEFFEN ESDERS (Berlin) zeigte unter anderem an zwei Fallbeispielen (Eid des freizulassenden Sklaven; Kirchenasyl) strukturelle Kopplungen zwischen der Wirkungssphäre des römischen Rechts und dessen Wirkungsbereich einschränkenden Teilsystemen (Rechtsgewalt des pater familias, Kirchenhoheit) auf. So bewirkte der Eid des noch nicht freigelassenen (und damit nicht rechtsfähigen) Sklaven eine dauerhaft auch nach dessen Eintritt in die Sphäre des Rechts wirksame Bindung an den einstmaligen Herrn. Im Unterschied dazu benötigte der pagane dominus, der seinem ins Kirchenasyl geflohenen Sklaven die Rückkehr ermöglichen wollte, einen christlichen (also der Kirchenhoheit unterworfenen) Bürgen, der die Einhaltung der Straffreiheit für den Sklaven eidlich garantierte. Anders als im älteren Freilassungsrecht musste die eidliche Zusicherung auf Einhaltung der Vereinbarung also von einer schon dem zuständigen Rechtssystem unterworfenen Person geleistet werden.

In allen Vorträgen wurden spezifische Ressourcen des Austauschs in verschiedenen Teilsystemen beleuchtet. Gemeinsam war allen Beiträgen die Beobachtung, dass sich Teilsysteme antiker Gesellschaften mit dem Begriffsarsenal der Systhemtheorie nicht eindeutig in die Kategorien vormodern/modern einordnen lassen, dass sie im Vergleich mit modernen Gesellschaften sowohl in manchen Aspekten einen hohen als auch in anderen einen geringen Grad an Ausdifferenzierung aufwiesen. Demgegenüber lenkte BARBARA STOLLBERG-RILINGER (Münster) in der Zusammenfassung den Blick auf das zentrale Anliegen der Sektion, die Frage der Anwendungsmöglichkeiten der Systemtheorie für die Alte Geschichte zu thematisieren. Theorien wie die Systemtheorie ließen sich als Ressourcen der Wissenschaft(sgesellschaft) begreifen, deren Akzeptanz oder Ablehnung innerhalb der wissenschaftlichen peer group Gegenstand von Konflikten sei. Mag man auch ihrer gewollt provokanten These nicht zustimmen, wonach eine Theorie wie die luhmannsche vor allem von jenen peers abgelehnt werde, die den durchaus hohen Aufwand der Aneignung derselben scheuten, so zeigte die abschließende Diskussion um das Verhältnis von Aufwand und Ertrag einer Anwendung Luhmanns auf althistorische Themenfelder durchaus auf, dass der nur schwer allgemein zu bemessende Wert sozialwissenschaftlicher Theorien als Wissenschaftsressource nach wie vor Irritationspotential birgt. Dass eine hochkomplexe und daher mit besonderen Anwendungsproblemen behaftete (wie die Sektion eindrucksvoll belegte) Theorie wie die Systemtheorie hier jedoch ihrerseits eher einen Sonder- als den Regelfall darstellt, dürfte ebenso evident sein.

Um elektronische wie materielle Ressourcen der Forschung ging es schließlich bei der von CHARLOTTE SCHUBERT (Leipzig) geleiteten Sektion eAQUA/Dissemination: Neue methodische Zugänge zu Begriffsgeschichte und Quellenkritik in den Altertumswissenschaften. Hier wurde das multifunktionale Textminingsystem eAQUA2, das in mehreren Projektphasen unter Förderung der DFG sei 2008 an der Universität Leipzig entwickelt wird, in Aufbau, Datenbasis und Funktionalität (MICHAELA RÜCKER, Leipzig) sowie anhand von Nutzungsbeispielen (CHAROLTTE SCHUBERT / ROXANA KATH, Leipzig) vorgestellt. In den einzelnen Präsentationen wie auch in den Plenumsdiskussionen zeigten sich einerseits die großen Möglichkeiten, die eAQUA für die Auswertung antiker Texte bietet, andererseits auch die methodischen Schwierigkeiten, die damit verbunden sein können. Dies sprach auch HARTMUT LEPPIN (Frankfurt am Main) in seinem Kommentar deutlich an. Während einerseits gewaltige Textmengen sehr rasch auf bestimmte Fragestellungen hin semantisch, lexikalisch usw. ausgewertet werden können, und während die ungemein erleichterte Zusammenschau ganz verschiedener (und gut nach diversen Kategorien wie Zeitstellung, Region etc. zu filternden) Textsorten ein äußerst nützliches Instrument darstellt, das durchaus auch neue Erkenntnisse befördern kann, wie Charlotte Schubert und Roxana Kath in ihren Fallbeispielen zeigten, so sollten dennoch die rasche Bearbeitung riesiger Textmengen, die mathematische Präzision des textmining und die automatisierte graphische Anschaulichkeit nicht zum Eindruck technischer Exaktheit oder unmittelbarer Aussagekraft der Ergebnisse führen – zu sehr hängen die zu erzielenden Ergebnisse von der präzisen Formulierung der Suchkriterien ab, aber auch von äußeren Faktoren wie der Quellen- oder Literaturgattung (Literatur vs. Inschrift vs. Bildquelle / Graffito vs. philosophischer Traktat vs. bukolische Dichtung etc.), der Überlieferungslage des untersuchten Materials (zum Beispiel weitgehender Ausfall der hellenistischen Literatur / Überlieferungsgeschichte) oder den von Dritten erstellten und ständig an den aktuellen Forschungsstand anzupassenden Metadaten (zum Beispiel Festlegung der de facto häufig unklaren Schaffensphase eines Autors). Die in der Diskussion angesprochenen Schwierigkeiten der Nutzung des Portals machten deutlich, dass ein derart ambitioniertes und komplexes System, dessen Potential als Forschungsressource zweifelsohne gewaltig ist, langfristig und auf der Grundlage breiter Praxiserfahrung fortzuentwickeln sein wird. Zugleich erfordert der Umgang mit dem Portal eine hohe Reflexion und Methodenkompetenz auf Seiten der Anwender, so dass eAQUA sich insbesondere als Forschungsressource als wertvoll erweisen, für einen Schnellzugriff (zum Beispiel in der Lehre) aber nur bedingt geeignet sein wird. Die Diskussion zeugte aber grundsätzlich von dem großen Interesse, auf das eAQUA stößt. Es ist dem Projekt zweifelsohne zu wünschen, dass es den dauerhaften Zugriff auf die technischen (Software, technischer support) und finanziellen Ressourcen (Drittmittel) zu seiner Fortentwicklung langfristig wird sichern können, was angesichts meist fünfjähriger Zyklen der Forschungsförderung sowie der schwer abschätzbaren, weil rasanten Fortentwicklung der technischen Grundlagen eine zusätzliche und beständige Herausforderung darstellt. Diesbezüglich ist Michaela Rücker fraglos zuzustimmen: Für derartige Großprojekte in den Altertumswissenschaften „sind fünf Jahre keine Nachhaltigkeit.“

In den Sektionen mit althistorischer Beteiligung spiegelte sich trotz der geringen Zahl der Beiträge die große Deutungsvielfalt wider, die das Rahmenthema des Historikertages „Ressourcen - Konflikte“ gestattete. Thematisiert wurden natürliche, wirtschaftliche und wissenschaftliche Ressourcen als Grundlagen des physischen und des akademischen Lebens ebenso wie deren jeweiliger sozialer Repräsentationswert; zudem spielte Kommunikation als soziale Ressource eine besondere Rolle. Sektionsübergreifend wurde insbesondere die Frage der Integriertheit (bzw. embeddedness) sozialer Teilsysteme in antiken Gesellschaften verhandelt. Zu bedauern ist die bereits erwähnte geringe Breite des althistorischen Programms, die dadurch anschaulich illustriert wird, dass die griechische Geschichte der gesamten archaischen und klassischen Zeit nur in einem einzigen Vortrag eine Rolle spielte. Demgegenüber steht der Umstand, dass neben den ausnahmslos stark frequentierten Fachsektionen auch die althistorischen Angebote des Rahmen- und Schülerprogramms sehr gut besucht waren. Dies zeugt durchaus von einem auch jenseits der Fachwissenschaft vorhandenen Interesse an althistorischen Forschungen und Fragestellungen. Auch vor diesem Hintergrund wäre zukünftigen Historikertagen zu wünschen, dass sich dieses Interesse im Sektionsangebot widerspiegelte.

Anmerkungen:
1 Zum Beispiel Koen Verboven, The Economy of Friends. Economic Aspects of amicitia and Patronage in the Late Republic, Collection Latomus 269, Brüssel 2002; Fabian Goldbeck, Salutationes. Die Morgenbegrüssungen in Rom in der Republik und der frühen Kaiserzeit, Klio Beihefte N.F. 16, Berlin 2010.
2 <http://www.eaqua.net/index.php> sowie <http://www.eaqua.net/~eaqua2012/> (29.11.2012).