Qualitätsmessung: R. Münch: Qualitätssicherung, Benchmarking, Ranking. Wissenschaft im Kampf um die besten Zahlen

Von
Richard Münch, Lehrstuhl für Soziologie II, Universität Bamberg

Die Wissenschaft findet in der Gegenwart zunehmend als Kampf um die besten Zahlen zwecks Positionierung in einem akademischen Feld statt, das durch „Qualitätssicherung“, „Benchmarking“ und „Ranking“ bestimmt wird. In diesem Beitrag sollen wesentliche Erscheinungsformen dieses neuen Regimes der Wissenschaft und dessen Folgen für die Evolution des wissenschaftlichen Wissens aufgezeigt werden. Das soll anhand von drei Eckpunkten der Universität im neuen Regime geschehen: 1. der Audit-Universität, 2. der unternehmerischen Universität und 3. dem akademischen Kapitalismus.

1. Die Audit-Universität
Unter dem neuen Regime von New Public Management (NPM) bzw. des Totalen Qualitätsmanagements (TQM) wird die Forschung und Lehre von Professoren nach bestem Wissen und Gewissen durch externe Kontrolle verdrängt. Das Vertrauen in die professionelle Selbstregulierung und die Autonomie der Forscher, Fachbereiche und Hochschulen werden durch das Misstrauen der Prinzipale in ihre Agenten und die externe Kontrolle nach den Prinzipien von Zielvereinbarung, vollständiger Transparenz und Erfolgskontrolle durch Kennziffern abgelöst. Die akademische, selbst organisierte Universität, die nur lose an Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gekoppelt ist, wird durch die Audit-Universität ersetzt. Enge Kopplung tritt an die Stelle von loser Kopplung, und zwar von Regierung und Hochschule, Gesellschaft und Hochschule, Wirtschaft und Hochschule, Hochschulleitung und Forscher/Lehrer.

Was in den vielversprechenden Begriff des Qualitätsmanagements gepackt wird, stellt sich als eine neue Form der Bürokratisierung dar: Zweckprogramme (Zielvereinbarungen, Kennziffernsteuerung) beherrschen Forschung und Lehre. Die Leistungsorientierte Mittelverteilung (LOM) dient als neues Steuerungsinstrument. Zu diesem Zweck müssen immer umfassendere und detailliertere Systeme der Berichterstattung und Kontrolle entwickelt werden. Ressourcen, die sonst der Forschung und Lehre zur Verfügung stünden, werden in eine wuchernde Kontrollapparatur gesteckt.

Um Vergleichbarkeit und formale Gerechtigkeit zu gewährleisten, muss alles über einen Kamm geschert werden: Forschung und Lehre werden einer flächendeckenden Standardisierung und Metrisierung unterzogen. Es verschwindet die Vielfalt von Lehr- und Forschungsleistungen zugunsten einheitlicher Standardmaße. Es besteht kaum noch Spielraum für Originalität und Kreativität.

Zwischen den Forschern, Fachbereichen und Hochschulen breitet sich ein Konformitätswettbewerb um die Erfüllung von Kennziffern aus, der zur Spezialisierung zwingt und vorher Unvergleichliches in eine Rangordnung bringt. Die Hochschullandschaft wird einem Prozess der horizontalen Differenzierung nach Profilen und der vertikalen Differenzierung nach Rang unterworfen. Spezialisierung und Stratifikation reproduzieren sich in einem sich selbst verstärkenden Prozess. Die Stratifikation des Feldes bedeutet wachsende Ungleichheit der Teilhabe am wissenschaftlichen Diskurs und der Einflussnahme auf den Diskurs.

Kennziffernsteuerung verlangt nach Ranking. Rankings schaffen selbst die Realität, die sie zu messen vorgeben, nicht nur zugunsten besserer Leistungen: Sie erzeugen Reaktivität. Die Betroffenen, deren Leistungen gemessen werden, und die Nutzer der Rankings orientieren sich an den Ergebnissen der Leistungsmessung und verstärken beide die Fokussierung auf die verwendeten Leistungsindikatoren. Dadurch wird die an sich vielfältige Realität auf das reduziert, was gemessen wird. Und das ist immer weniger, als an sich wünschenswert wäre.1

Rankings wirken wie sich selbst erfüllende Prophezeiungen (self-fulfilling prophecies). Sie belohnen die Gewinner und bestrafen die Verlierer. Selbst kleine Differenzen beeinflussen die Nachfrage nach Studienplätzen (Zahl und Qualität der Bewerber). Frühere Rankings determinieren das Urteil in aktuellen Rankings. Rankings entscheiden über die Verteilung von Ressourcen und bestimmen dadurch die Wettbewerbsfähigkeit von Institutionen. Ressourcen werden zwecks Positionierung im Ranking auf die verschiedenen Aufgaben verteilt. Zu den beliebten Strategien gehören zum Beispiel der Erlass von Studiengebühren für Studenten mit Bestnoten und die Erhöhung der Gebühren für den Rest der Studenten sowie die Steigerung der Ausgaben für Marketing. Im Spektrum der Aufgaben bekommt der Karriere-Service eine herausragende Stellung. Es wird „Gaming the System“ betrieben. Das bedeutet zum Beispiel die Manipulation von Zahlen, etwa die nur vorübergehende Vermehrung des Lehrpersonals zur Verbesserung der Lehrer/Schüler-Quote zum Zeitpunkt der Erhebung der Zahlen oder die Trennung des Lehrpersonals vom Forschungspersonal, wenn sich damit bessere Leistungswerte erzielen lassen.

Mit der Ausbreitung von Rankings ist die Drittmittel-Einwerbung zum verselbständigten Leistungsindikator geworden. Deshalb drängen Hochschulleitungen die Forscher, ihre Forschung drittmittelkonform zu gestalten. Großprogramme wie etwa Sonderforschungsbereiche (SFBs) werden zum Selbstzweck, weil sie auf einen Schlag viel Geld einbringen: die besten Forscher verschleißen sich dann im Management von Forschungsverbünden, während viele Forscher als Mitläufer dabei sind, die sonst keine Drittmittel bekämen. Große Forschungsverbünde sind für weite Teile der Forschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften eher ein Hemmnis als eine förderliche Einrichtung.

Auch die zur Norm gewordene Prämierung der begutachteten Fachzeitschriftenaufsätze hat kontraproduktive Effekte: Forscher werden darauf konditioniert, Datensätze mehrfach zu verwerten und in kleinen Teilen zu publizieren, um aus ein und derselben Forschungsarbeit möglichst viel Kapital zu schlagen. Das ist die Salamitaktik der kleinstmöglichen publizierbaren Einheit. Fachzeitschriftenaufsätze sind meist Ergebnisse der Normalwissenschaft. So wird durch deren besondere Belohnung die Normalisierung der Wissenschaft befördert. Besonderes extrem wirkt sich diese Normalisierung durch das Ranking nach „Impact“ in A-, B- und C-Journals, wie zum Beispiel in der Volkswirtschaftslehre, aus.

Bibliometrische Rankings vernachlässigen bzw. ignorieren sogar ganz Publikationen in anderen Sprachen als dem Englischen, Monographien, Forschungsberichte als Transfer in die Praxis und Veröffentlichungen für ein breiteres Publikum. In der Soziologie wird die Professionelle Soziologie für Soziologen prämiert, die kaum gesellschaftliche Relevanz besitzt. Dagegen werden die Policy-orientierte Soziologie, die Öffentliche Soziologie und die Kritische Soziologie verdrängt.

2. Die unternehmerische Universität
Im Kampf um Sichtbarkeit wird die Umgestaltung der Universitäten in Unternehmen forciert. In die „Autonomie“ einer unternehmerischen Universität entlassen zu werden, bedeutet: von der staatlichen Kontrolle durch das Wissenschaftsministerium befreit zu sein. Die Bindung der Universität an das politisch repräsentierte und vom Wissenschaftsministerium administrativ umgesetzte Gemeinwohl wird jetzt durch die direkte Bindung an die Gesellschaft - verkörpert im Hochschulrat – ersetzt. Inzwischen sind bis auf Bremen in allen Bundesländern Hochschulräte – bzw. Kuratorien, Aufsichtsräte, Stiftungsräte oder Universitätsräte – im Landeshochschulrecht verankert. In die Hochschulräte sollen Persönlichkeiten gewählt werden, denen aufgrund ihrer Kompetenz und ihres Ansehens eine Vermittlung zwischen Hochschule und Gesellschaft zum beiderseitigen Wohle zugetraut wird. Die Universität kann sich nur dadurch in der neuen Freiheit behaupten, dass sie erfolgreich Gelder einwirbt. Mit der Durchsetzung der unternehmerischen Universität verändern sich die Koordinaten der Wissensproduktion grundlegend. Um das zu begreifen, müssen wir uns anschauen, nach welchen Regeln der Wettbewerb von Forschern um Reputation abläuft und nach welchen Regeln sich der zunehmend den Forscherwettbewerb überlagernde Wettbewerb zwischen unternehmerischen Universitäten um Kapitalakkumulation richtet.2

Zwischen Forschern und Forschergruppen findet immer schon ein Wettbewerb um Reputation durch Rezeption von Publikationen statt: a) ein Prioritätswettbewerb durch Innovation, das heißt Abweichung von herrschendem Wissen und herrschenden Methoden, das heißt von der Norm, und b) ein Qualitätswettbewerb durch Bestätigung des herrschenden Wissens mittels herrschender Methoden, das heißt Konformität zu Normen.

Ganz anders stellt sich der Wettbewerb zwischen Universitäten um Forscher dar. Er kann unter Bedingungen der Chancengleichheit in der Ausstattung und in der Vergütung von Forschungsleistungen ausgetragen werden. Das beinhaltet einen offenen Wettbewerb mit der Konsequenz, dass sich Forscher frei entscheiden können, wo, mit wem und worüber sie forschen wollen. Es gibt nur eine begrenzte Spreizung zwischen Spitzengehältern/Spitzenausstattung und Grundgehältern/Grundausstattung mit der Konsequenz der breiten Förderung einer größeren Zahl von gut situierten Forschern mit dem notwendigen akademischen Freiraum für riskante, in ihrem Erfolg nicht planbare Forschung.

Der Wettbewerb der Universitäten um Forscher kann aber auch unter Bedingungen der Ungleichheit in der Ausstattung und in der Vergütung von Forschungsleistungen stattfinden. Daraus folgt eine wachsende Spreizung in exorbitant hohe Spitzengehälter und üppige Ausstattung für Stars (siehe Manager) und niedrige Gehälter sowie ärmliche Ausstattung für die breite Masse der Forscher mit der Konsequenz der Überausstattung über das effizient und effektiv nutzbare Maß hinaus in der Spitze und der Unterausstattung unterhalb der kritischen Masse in der Breite, in welcher der notwendige akademische Freiraum für riskante Forschung fehlt. Es schrumpft das Innovationspotential, das oft aus der Peripherie und eher seltener aus dem Zentrum kommt, weil dort das schon etablierte und zur Norm gewordene Wissen sitzt.

Universitäten variieren zwischen den beiden Polen von Förderern der Forschung auf der einen Seite und Parasiten der Forschung auf der anderen Seite. Als Förderer der Forschung bieten sie Forschern einen Freiraum der Forschung und überlassen ihnen deren Erträge in Gestalt von Reputation zur freien Verwendung, oft jenseits ihrer Grenzen. Als Folge ergibt sich eine breite und vielfältige Entwicklung des Wissens. Als Parasiten der Forschung treffen Universitäten mit Forschern Zielvereinbarungen (Drittmitteleinnahmen, Publikationen in begutachteten Fachzeitschriften) und beanspruchen die Nutzung der Erträge (ökonomisches und symbolisches Kapital) für die Institution in Gestalt von institutionell gebundenen Forschungsverbünden. Das ist die Handlungsmaxime der neuen unternehmerischen Universität.

3. Akademischer Kapitalismus
Wirtschaft und Wissenschaft greifen in der unternehmerischen Universität so ineinander, dass beide Seiten nahezu ununterscheidbar werden. Während Wirtschaftsunternehmen Wissen nutzen, um es in ökonomisches Kapital umzuwandeln, investieren Universitätsunternehmen ökonomisches Kapital, um jenes Wissen zu generieren, das wieder in die Akkumulation von ökonomischem Kapital eingespeist werden kann. Um sich Wettbewerbsvorteile in der Generierung von ökonomischem Kapital zu verschaffen, verlangen unternehmerische Universitäten von ihren Forschern, dass sie ihre neuen Erkenntnisse und Erfindungen zuerst vor der Nutzung durch Konkurrenten sichern, bevor sie für die breitere wissenschaftliche Gemeinschaft zugänglich gemacht werden. Dabei muss die unternehmerische Universität darauf bestehen, dass sie als Institution und nicht der Forscher als Person das Verfügungsrecht über die Erkenntnisse und Patente erhält, weil nur so gesichert ist, dass sie in die institutionelle und nicht persönliche Akkumulation von Kapital investiert werden können. In der Hand unternehmerischer Universitäten gelangt die Wissensproduktion direkt vor Ort in einen ökonomischen Verwertungskreislauf. Der klassische Kreislauf der reinen Wissensproduktion wird von diesem ökonomischen Verwertungskreislauf im Vorrang verdrängt. Für die unternehmerische Universität gelten die Gesetzmäßigkeiten der Behauptung gegen Konkurrenten, indem sie sich exklusive Wettbewerbsvorteile verschafft, zu denen die Konkurrenten keinen Zugang haben, so dass Monopolrenten erzielt werden können. Der größte Vorteil ist Reichtum an ökonomischem Kapital, das in Reputationsgewinne durch die Rekrutierung schon reputierter und besonders aussichtsreicher Forscher, das heißt in symbolisches Kapital umgemünzt werden kann. Das symbolische Kapital hilft, Allianzen zu schmieden, Geldgeber zu finden und die Studiengebühren nach oben zu treiben.

Der erzielte akademische Reichtum ist nicht erforderlich, um besser forschen zu können, sondern um weiteres symbolisches Kapital zu akkumulieren und um die kapitalkräftigsten Forscher von anderen Universitäten abzuziehen und bei sich selbst zu halten. Konsequenterweise wird in Deutschland hartnäckig daran gearbeitet, die Besoldungsordnung für Professoren außer Kraft zu setzen. Die von den reichsten Universitäten rekrutierten Forscher haben allerdings in aller Regel an weniger reichen Universitäten dieselben Leistungen erbracht. Um den Erkenntnisfortschritt zu fördern, ist offensichtlich die Konzentration von Reichtum auf wenige Universitäten gar nicht notwendig. Erklärt werden kann deshalb dieser Konzentrationsprozess nicht durch den daraus resultierenden Nutzen für die Forschung, sondern allein durch die Anziehungskraft reicher Institutionen, die ihren Reichtum zur parasitären Nutzung der rekrutierten Forscher für die weitere Akkumulation von ökonomischem und symbolischem Kapital verwenden.

Investitionen in die Forschung werden im Kontext des akademischen Kapitalismus nach dem Maßstab kurzfristiger Nutzenerwartungen getätigt. Die Konsequenz dieser Investitionspolitik ist die Überinvestition in aktuell gewinnträchtige Forschung, die Überforschung von im Trend liegenden Themen und die Unterinvestition in risikoreiche Forschung außerhalb großer Verbünde, außerhalb des Mainstreams, gegen Modetrends und abseits der angewandten Forschung. Damit schrumpft das Innovationspotential der Forschung. Eine weitere Konsequenz ist die wachsende Ungleichheit zwischen Universitäten in der Verfügung über Forschungsmittel. Je weniger Gegenkräfte es gegen diesen Trend gibt, um so mehr führt der Akkumulationsprozess zur Überinvestition an wenigen reichen Standorten und zur Unterinvestition an vielen armen Standorten. In Deutschland verschärft die Konzentration von Forschungsressourcen an wenigen reichen Standorten das Problem, dass die Mittel überwiegend in die Vergrößerung der im internationalen Vergleich so schon sehr großen Doktoranden- und Mitarbeiterstäbe und nicht in Professuren investiert werden. Dadurch kommen auf einen Professor noch mehr Mitarbeiter als bisher. Im Durchschnitt standen an den deutschen Universitäten vor der Exzellenzinitiative 83 Prozent Mitarbeiter 17 Prozent Professoren gegenüber. Fasst man Doktoranden und Mitarbeiter in einer Kategorie zusammen, dann hat sich der Anteil der abhängig tätigen Forscher in der Folge der Exzellenzinitiative noch erhöht. Forschung wird noch mehr als zuvor in oligarchischen Strukturen betrieben.3

Fazit: Schließung der Wissensevolution
Wissen entwickelt sich zwischen den zwei Polen der vollständigen Offenheit, Chancengleichheit und Heterogenität (Vielfalt) auf der einen Seite und der vollkommenen Geschlossenheit, Stratifikation und Homogenität auf der anderen Seite: Paul K. Feyerabend versus Thomas von Aquin. Driftet die Wissensevolution zu weit zur Seite der Offenheit, ergibt sich kein Erkenntnisfortschritt, weil alles und nichts gilt. Driftet sie zu weit zur Seite der Geschlossenheit, dann ergibt sich kein Erkenntnisfortschritt, weil jede Neuerung durch die herrschenden Dogmen unterdrückt wird. Die Forschung steuert gegenwärtig auf den Pol der fortlaufenden Konstruktion und Reproduktion einer geschlossenen, Ungleichheit fortschreibenden und Wissen homogenisierenden Statushierarchie zu. Der wissenschaftsinterne Wettbewerb um Priorität bzw. Qualität wird durch den wissenschaftsexternen Kampf um Sichtbarkeit durch Evaluations- und Akkumulationserfolge kolonisiert.

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Richard Münch ist Professor für Soziologie an der Universität Bamberg, zuvor Professuren in Köln und Düsseldorf. Schwerpunkte seiner Forschung sind die soziologische Theorie und historisch-vergleichende Soziologie. Er ist Mitglied im Fachbeirat des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln.

Anmerkungen:
1 Wendy N. Espeland / Michael Sauder, Rankings and Reactivity. How Public Measures Recreate Social Worlds, in: American Journal of Sociology 113,1 (2007), S. 1-40.
2 Richard Münch, Globale Eliten, lokale Autoritäten. Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von PISA, McKinsey & Co, Frankfurt am Main 2009.
3 Richard Münch, Die akademische Elite. Zur sozialen Konstruktion wissenschaftlicher Exzellenz, Frankfurt am Main 2007.