Der Münchner Patient. Das Institut für Zeitgeschichte wird krank geredet (WELT, Kellerhoff)

Von
Sven Felix Kellerhoff, Ressort Zeit- und Kulturgeschichte, DIE WELT / Berliner Morgenpost

Der nachfolgende Artikel wurde zunächst veröffentlicht in
DIE WELT, 20.01.2004, Seite 28

"Ein einzigartiger Vorgang"
Das Institut für Zeitgeschichte wurde evaluiert. Über das Ergebnis gibt es Streit - nicht nur aus fachlichen Gründen

Von Sven Felix Kellerhoff*

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Diesem (angeblichen) Lenin-Wort folgend, werden die staatlich finanzierten Forschungseinrichtungen in Deutschland regelmäßig auf ihre Leistungsfähigkeit überprüft - "evaluiert" in der Fachsprache. Nicht immer sind die Ergebnisse erfreulich; einige Institute mussten bereits die Arbeit einstellen, weil ihr Ertrag in keinem Verhältnis zum Aufwand stand.

Seit wenigen Tagen geistert das Gerücht durch die Historikerschaft, ein ähnliches Schicksal könnte das renommierte Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München treffen. Auslöser war ein Beitrag im Berliner "Tagesspiegel", der einen Evaluierungsbericht vom November 2003 aufgriff und von einem "einhelligen Negativ-Urteil" sprach. Massive Kürzungen drohten. In "Historikerkreisen", hieß es, stoße die Kritik "dagegen auf wenig Verwunderung".

Darauf reagieren nun sechs der sieben Fachleute, allesamt ausgewiesene Zeithistoriker, die für die Evaluierungskommission des Senats der Leibniz-Gemeinschaft an der Begutachtung des IfZ mitgewirkt haben: Der Artikel sei ein tendenziöses Pauschalurteil, dessen Gründe nicht fachwissenschaftlicher, sondern politischer oder persönlicher Natur seien.

Tatsächlich ist der Bewertungsbericht widersprüchlich. Einerseits werden die exzellenten Leistungen des IfZ hervorgehoben. Die meisten Projekte erwähnen die Experten, die fachfremden drei Mitglieder der Evaluierungskommission sowie die beteiligten Beamten lobend. Für ein einziges Vorhaben schlägt der Bericht die Einstellung vor, bei einigen anderen wird "Präzisierung" verlangt. Andererseits übt das Gutachten teilweise harsche Kritik an den Binnenstrukturen des Instituts, das seit Amtsantritt seines Direktors Horst Möller 1992 umgebaut wurde. Unter seinem langjährigen Chef Martin Broszat (im Amt 1972 bis zu seinem Tod 1989) ausgesprochen sozialliberal, gilt das Institut heute eher als konservativ. Doch nicht diese politische Dimension stand im Mittelpunkt des Berichts, sondern das künftige Konzept, der Stellenplan, die zu geringe Einwerbung von Drittmitteln im Wettbewerb und vor allem die lange Amtsdauer der Mitglieder im wissenschaftlichen Beirat - im Fall des Vorsitzenden Hans-Peter Schwarz immerhin schon mehr als 23 Jahre. Dabei sollen nach einem Beschluss der Leibniz-Gemeinschaft Beiräte höchstens acht Jahre amtieren.

Lob für die wissenschaftliche Arbeit, aber Kritik an den Strukturen - das ist zwar nicht erfreulich, aber auch kein niederschmetterndes Ergebnis für eine Evaluierung. Der besonders negative Tonfall in diesem Streit dürfte denn auch einen anderen Hintergrund haben: erstens persönliche Animositäten, zweitens aber und vor allem die anstehenden Verteilungskämpfe um das knapper werdende Geld. Hans Mommsen, der große sozialdemokratische Zeithistoriker, steuert den scharfen Tonfall bei. Er halte die wissenschaftlichen Methoden des IfZ für "bis auf wenige Ausnahmen hoffnungslos veraltet", sagt er dem "Tagesspiegel". Das Institut schmore "im eigenen Saft".

Wer in den vergangenen Jahren die geschichtspolitischen Diskurse in Deutschland verfolgt hat, kann darüber nicht erstaunt sein. Hatte sich doch zum Beispiel IfZ-Chef Möller in den "Viertelsjahrsheften für Zeitgeschichte" 2001 einigermaßen rüde von dem ehemaligen IfZ-Mitarbeiter Mommsen distanziert. Somit kann dessen Retourkutsche kaum überraschen.

Der eigentliche Hintergrund der Attacke aber dürfte im Konflikt um Geld liegen. In wenigen Jahren läuft die zugesagte Förderung des Potsdamer Zentrums für zeithistorische Forschung (ZZF) aus. Dieses Institut, erst 1996 gegründet, mausert sich derzeit stärker denn je als Konkurrenz zum Münchner IfZ - zum Beispiel mit der Präsentation einer eigenen Zeitschrift mit dem Titel "Zeithistorische Forschungen" in der kommenden Woche. Sie ist unverkennbar als Gegenstück zu den traditionsreichen "Vierteljahrsheften" konzipiert. Zwischen dem (eher "linken") Potsdamer und dem (eher "rechten") Münchner Institut dürfte damit der Verteilungskampf endgültig offen ausbrechen.

Orchestriert wird der aufziehende Konflikt von Gerüchten um eine Personalie. Danach soll einer der Gutachter (und Mitunterzeichner des Protests an den "Tagesspiegel"), der Freiburger Historiker Ulrich Herbert, aussichtsreicher Bewerber um die vakante Direktorenstelle am ZZF sein. Gegen einen Zusammenhang spricht allerdings, dass sich Herbert ausdrücklich von der negativen Interpretation des Bewertungsberichts im "Tagesspiegel" distanziert hat.

Der Streit ums IfZ wirft eine weitere Frage auf. Denn entgegen dem Votum der Fachgutachter hat der Leibniz-Senat empfohlen, das IfZ nicht wie üblich in sieben Jahren erneut zu evaluieren, sondern bereits in drei Jahren. Darüber gibt es zwar noch keinen bindenden Beschluss der zuständigen Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung. Aber die Empfehlung ist deutlicher Ausdruck des Misstrauens gegen IfZ-Chef Möller.

Hier zeigt sich ein deutlicher Gegensatz zwischen den Fachgutachtern und den fachfremden Mitgliedern der Kommission. Dietrich Wegener, Physiker an der Universität Dortmund und Mitglied des Leibniz-Ausschusses für Evaluierung, begründete die Empfehlung: "Die Institutsleitung hat sich leider als beratungsresistent gegen die Empfehlungen des Wissenschaftrates aus dem Jahr 1996 erwiesen." Zudem habe sich der Beirat geweigert, seine Protokolle zur Verfügung zu stellen. Das sei "ein einzigartiger Vorgang".

Beigetragen zur empfohlenen Fristverkürzung hat laut Wegener vor allem auch das Fehlen eines "ausreichenden und langfristigen Forschungsprogramms - was angesichts der absehbaren Emeritierung des Direktors ein schwerer Mangel ist". Die externen Fachgutachter hatten diesen Vorschlag dagegen einmütig für nicht hilfreich erklärt und abgelehnt.

Der neue Streit um das IfZ ist also weniger ein wissenschaftlicher Konflikt als vielmehr eine Auseinandersetzung um Fördermittel - und stellt zudem das gängige Verfahren der Evaluation in Frage. Denn was ist eine Begutachtung wert, wenn ausdrücklich entgegen dem Votum der herangezogenen Fachleute entschieden wird? Zumal auch Dietrich Wegener unmissverständlich sagt: "Das IfZ hat sehr viel Potenzial. Es muss aber besser genutzt werden."

Zwischen dem (eher "linken") Potsdamer und dem (eher "rechten") Münchner Institut dürfte der Verteilungskampf endgültig offen ausbrechen.

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[Die Veröffentlichung dieses Artikels erolgt mit freundlicher
Genehmigung des Autors und der Axel Springer AG (http://www.asv.de)]

* Sven Felix Kellerhoff
DIE WELT / Berliner Morgenpost
Leitender Redakteur
Zeit- und Kulturgeschichte
Tel. 030 / 2591 73958
Fax 030 / 2591 71967
E-Mail: Kellerhoff@welt.de

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Redaktionshinsweise zum Verlauf der Kontroverse:

Stellungnahme des Senats der Leibniz-Gemeinschaft zur Evaluierung des Instituts für Zeitgeschichte vom 20. November 2003 einschl. Anlagen (Anlage A: Darstellung; Anlage B: Bewertungsbericht; Anlage C: Stellungnahme der Einrichtung zum Bewertungsbericht):
http://www.wgl.de:8080/wgl/Dokument/Senatsstellungnahmen/Dok-324/IfZ_Senatsstellungnahme_1120.pdf

Pressemitteilung E1/2003 vom 20.11.2003 - Leibniz-Senat verabschiedet Foerderempfehlungen zu sieben Einrichtungen:
http://www.wgl.de:8080/wgl/Dokument/Aktuelles/Dok-318/Pr_E1_2003.pdf

Am 13.01.2004 berichtete DER TAGESSPIEGEL unter dem Titel "Im eigenen Saft. Münchner Institut für Zeitgeschichte drohen massive Kürzungen" (Bodo Mrozek) über das Resultat der Evalution des IfZ durch die Leibniz-Gemeinschaft:
http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/13.01.2004/928661.asp. Diesen
Artikel veröffentlichte H-Soz-u-Kult am Folgetag nach Überlassung durch den Autor:
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/type=diskussionen&id=391=391.

Am 16.01.2004 erschien in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG der
Artikel von Christian Jostmann:
http://www.sueddeutschezeitung.de/sz/feuilleton/red-artikel58/
Diesen Artikel veröffentlichte H-Soz-u-Kult am Folgetag nach Überlassung durch den Autor:
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/type=diskussionen&id=402=402.

Am 17.01.04 berichtete die FRANKFURTER RUNDSCHAU unter dem Titel "Evaluations- Übungen. Der Streit um das Münchner IfZ" (Ulrich Speck) über die Kontroverse um das Evaluierungsergebnis der
Leibnitz-Gemeinschaft:
http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?cnt=372283&

Am 19.01.04 nahm sich wiederum DER TAGESSPIEGEL unter dem Titel "Wer die gelbe Karte zieht. Gut oder nicht? Streit um das Münchner Institut für Zeitgeschichte" (Amory Burchard/Bodo Mrozek) des Themas an:
http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/19.01.2004/936612.asp

Stellungnahme der Leibniz-Gemeinschaft zur Diskussion um die Evaluierung des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ), München, vom 20.01.2004 (Ekkehard Nuissl von Rein):
http://www.wgl.de/extern/presse/Stellungnahmen/Stellungnahme-IfZ-Evaluierung.pdf

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