H-Soz-u-Kult Debatte zu "Ressourcen" in den Geschichtswissenschaften: Welche Methoden?

Von
H-Soz-u-Kult Redaktion

Die Beiträge der zweiten Runde finden Sie unter:
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/index.asp?pn=forum&type=diskussionen&id=1885;id=1885

3. Runde: Welche Methoden?

Bei aller Vielfältigkeit Ihrer Reflexionen zu den narrativen Herausforderungen und Fallstricken des Themas "Ressourcen" kann als verbindendes Element wohl die Warnung vor den Quellenerzählungen festgehalten werden, deren Metanarrativ wir Historiker/innen nicht aufsitzen dürfen und von dessen repetitivem "Katastrophenszenario" wir uns, so Ralf Banken, nicht "anstecken" lassen sollten. "Mehr Skepsis, bitte!" scheinen Sie in die Runde rufen zu wollen. Jenseits des Krisenszenarios "als Drama oder Moralgeschichte" (Christiane Reinecke) vermuten Sie das Potential der Ressourcengeschichten in der Offenlegung komplexer (globaler) Wertschöpfungsketten, deren Funktionslogiken gerade in mittlerer und langer Dauer offenbar werden; in ihrer Relevanz für Konsumgesellschaften; oder in der Verbindung nur scheinbar analytisch trennbarer Gesellschaftsbereiche durch den Gegenstand der Ressourcen.

Diese Ansätze verweisen auf den Aspekt, den wir in der folgenden Runde expliziter diskutieren wollen, den der angemessenen Methoden für Ressourcengeschichten. Einig waren Sie sich alle von Beginn an darin, dass Ressourcen, ob materielle oder immaterielle, nicht als "natürlich gegeben" angesehen werden können, sondern vielmehr immer in soziales Handeln eingebunden und Produkt bestimmter Voraussetzungen, Rahmenbedingungen und Interessen sind. Aber wie gehen wir von hier aus weiter? Sollen Ressourcen selbst als Akteure konzipiert werden und welche Anforderungen würde dies an die Definition und Bestimmung des Akteursbegriffs stellen? Wie können wir Ressourcen folgen, um "along the way" Strukturen, Paradoxien und Kontingenzen ihrer Geschichte zu rekonstruieren? Welche Rolle spielt die Wirtschaftsgeschichte dabei? Und schließlich: Welches Set an Kriterien benötigte es, um den „unterschiedlichen Geschichten“, die sich mit Ressourcen verbinden (Frank Uekötter), jeweils gerecht zu werden?

Nachdem die Gefahr einer "freischwebenden" Methodendiskussionen durch die Verortung der geschichtswissenschaftlichen Narrative in ihren Kontexten und Entstehungsbedingungen gebannt zu sein scheint, sind wir nun für die nächste Runde gespannt, welche Vorschläge hinsichtlich gewinnbringender methodischer Ansätze Sie erörtern und in welchen Themen und Perspektiven Sie diese verankern werden? Was können wir speziell für Ressourcengeschichten aus unserem Werkzeugkasten gebrauchen, woran können wir anknüpfen und auf welche Theorien von Geschichte und Gesellschaft können wir uns hierbei stützen?

Laura Rischbieter: Vergleicht man neuere Publikationen zur Geschichte von Ressourcen hinsichtlich ihrer verwendeten Methoden, so stehen sich wirtschaftsgeschichtliche und kulturhistorische Ansätze oft diametral gegenüber: Die meisten wirtschaftshistorischen Untersuchungen widmen sich mittels unternehmenshistorischer Ansätze oder quantitativer Verfahren der Rolle von Ressourcen in der nationalen oder globalen Ökonomie. Kulturhistorische Studien untersuchen in der Regel den Wandel von Konsumpraktiken, das Verbraucherverhalten einzelner sozialer Gruppen oder die Regulierungsansprüche politischer Interessengruppen. Durch die gewählten Fragestellungen, Analyseinstrumentarien und Untersuchungsgegenstände stehen wirtschaftshistorische und kulturhistorische Ansätze zumeist unvermittelt nebeneinander.

Um bei der Untersuchung von Ressourcengeschichten Neuland zu gewinnen, ist also zu klären, wie sich die kulturgeschichtlichen mit wirtschafts- und politikhistorischen Perspektiven methodisch verbinden lassen, statt sich wie bisher damit zu begnügen, die aufgrund unterschiedlicher Methoden gewonnenen Forschungsergebnisse schlichtweg zu addieren. Nur durch eine systematische Verknüpfung der genannten Ansätze kann man erklären, welche Wechselwirkungen zwischen (welt-) wirtschaftlichen Prozessen, politischen Regulierungsversuchen und heterogenen Konsumkulturen bestehen. Schon diese Ausführungen zeigen, dass ich Ressourcen nicht als soziale Akteure konzipieren (kann). Aufgabe bleibt es demnach, einen integrativen, wirtschafts- und kulturgeschichtliche Themen verbindenden Ansatz zu entwickeln, der zudem soziale Akteure in das Zentrum der Untersuchung stellt.

Produkthistorische Studien scheinen hierfür einen handhabbaren methodischen Weg zu bieten. Denn wählt man einen Rohstoff als Ausgangspunkt der Untersuchung, kommt man den Zusammenhängen von Produktion, Markt und Konsum am leichtesten auf die Spur. Verfolgt man den Weg eines Rohstoffs von seiner Herstellung über seine Weiterverarbeitung und Vertriebswege bis zum Endkonsumenten, kann man Produktionsbedingungen und Handelsstrukturen der einzelnen Akteure ebenso thematisieren wie nationale Wirtschaftspolitiken und Konsumgewohnheiten. Weil viele Rohstoffe nicht nur regional erzeugt und konsumiert werden, sondern im Laufe ihrer Kommodifizierung Landesgrenzen und Kontinente überwinden, eignen sie sich als Prisma zur Analyse globaler Wirtschaftsprozesse und Konsumentwicklungen (wie Sidney Mintz in seiner Geschichte des Zuckers mustergültig gezeigt hat). Doch diese Weltgeschichten haben aufgrund ihres globalhistorischen Anspruchs die Schwierigkeit, enorme Mengen von relevantem Quellenmaterial bewältigen zu müssen, wenn sie der Schilderung der verschiedenen historischen Kontexte, der beteiligten Akteure und deren Handeln einigermaßen gerecht werden wollen. Bei näherem Hinsehen scheint es auch hier, dass produkthistorische Studien entweder eher wirtschaftsgeschichtlich oder eher kulturhistorisch argumentieren. Im schlimmsten Fall bleiben sie menschenleere Darstellungen der globalen Kommodifizierung eines bestimmten Produktes.

Die Forschungsperspektiven sind aber insofern eng miteinander verknüpft, als sie aufeinander bezogene Teilbereiche des Marktgeschehens untersuchen. Es bietet sich daher an, den Gegensatz zwischen den an Strukturen auf der Makroebene interessierten ökonomischen Studien und der zumeist auf der Mikro- oder Mesoebene ansetzenden kultur- oder politikhistorischen Arbeiten über eine Präzisierung des Marktbegriffs aufzuheben. In wirtschaftswissenschaftlichen Modellen findet Marktintegration unter anderem ihren Ausdruck im Konvergenzgrad des Preises. Letzterer wird aber durch die Summe der Tätigkeiten einzelner Akteure bestimmt, indem sich diese für bestimmte Handlungen und gegen andere mögliche Optionen entscheiden. Dabei ist das individuelle Verhalten in konkreten Situationen variabel und in manchen Fällen kann es ökonomischer Logik sogar widersprechen. Die Zeitgenossen haben verschiedene Prämissen. Sie verfügen in unterschiedlichem Ausmaß über soziales, ökonomisches und kulturelles Kapital. Sie treffen ihre Entscheidungen in einer Situation, in der sie nicht über alle notwendigen Informationen verfügen und zukünftige Entwicklungen ungewiss sind. Ebenso zentral sind die zeitlichen, geographischen und politischen Kontexte. Sie bilden den methodischen Bezugsrahmen, um die Verhaltensweisen der historischen Subjekte zu analysieren.

Eine integrative Ressourcengeschichte sollte den Markt also nicht als voraussetzungslosen, Konsumgüter generierenden Automatismus verstehen oder monoton die Stationen der Wertschöpfungsketten nacherzählen. Vielmehr sollte sie in Anlehnung an wirtschaftssoziologische Arbeiten den Markt als einen historisch variablen Interaktionsprozess zwischen Akteuren und Institutionen definieren. Auf Grundlage dieser Definition geraten die Veränderungen der Marktbeziehungen und der politischen Steuerungsversuche in den Blick und können in ihrer Beziehung zum Verhalten der Marktteilnehmer und ihrer Handlungsoptionen untersucht werden. Die Entwicklung von Konsumgesellschaften, politischen Interessen und globalen Märkten kann so als ein durch (soziale) Akteure beeinflusster und interessengeleiteter Interaktionsprozess dargestellt werden. Dies gilt auch und insbesondere für die in diesem Prozess entstehenden Konflikte, die für die Ressourcengeschichten (zu) oft das zentrale Thema bilden. Indem jedoch die Akteure, ihre Interessen und ihre Handlungsstrategien zu Grundkategorien der Untersuchung gemacht werden, lassen sich kulturgeschichtliche und wirtschaftshistorische Forschungsansätze zu einem einheitlichen Untersuchungsgegenstand integrieren und dessen zentrale Fragen thematisieren, nämlich die Ressourcennutzung von Gesellschaften im Wandel der Zeit.

Christiane Reinecke: Der eng umgrenzte Schauplatz der für die weitere Wissenssoziologie und -geschichte prägenden Studie „Laboratory Life“, die Bruno Latour und Steve Woolgar 1979 gemeinsam verfassten, ist ein Labor, das von den beiden in anthropologischer Dichte, mitsamt der alltäglichen Gespräche, Tätigkeiten und Wege der dort beschäftigten Forscher und Techniker beschrieben wird. Bei dieser Nahaufnahme wissenschaftlichen Forschens kommt selbst den Geräten, deren Handhabung Latour und Woolgar beobachten, eine tragende Rolle zu; als unabdingbaren Elementen der experimentellen Arrangements, die im Zentrum ihrer Analyse stehen. Erkenntnis ist in dieser Sicht nicht das Ergebnis geniehafter Eingebung, sondern untrennbar mit der konkreten Praxis des Experimentierens, Notierens und Re-Formulierens von Argumenten verknüpft. Was hier in das Zentrum der Analyse rückt, sind Routinen und Verfahren, die auf ihre Funktion hin befragt und in immer neuen Zusammenhängen situiert werden. Naturwissenschaftliches Forschen wird zu einer Kette von Praktiken, in denen Teile der Handlung von Zentrifugen und Ultrazentrifugen, Aminosäuren und Diagrammen getragen werden. Diese Handlungsketten machen nicht an den Grenzen des Labors Halt, sondern sie reichen – über den Austausch mit anderen Forschenden und über die Zirkulation der verwendeten Substanzen, Proben und Ergebnisse – in andere Räume hinein.

Latour und Woolgar geben in ihrer Laborgeschichte neue Antworten auf alte Fragen (Wie entsteht eine wissenschaftliche Tatsache? Wie funktioniert Wissenschaft?) und werfen ihrerseits eine Reihe von Fragen auf, die Forschende unterschiedlicher Disziplinen beschäftigt haben. Was bei ihnen zu einer guten Labor-Geschichte taugt, könnte durchaus das Zeug zu einer guten Ressourcengeschichte haben. In jedem Fall ist ihr Anspruch, bei der eigenen Analyse die gängigen kategorialen Einteilungen in Soziales und Technisches, in eine soziale und eine materielle Welt, zu umgehen, für die Analyse von Ressourcen relevant. Gleiches gilt für das relationale Verständnis von Handlung und Handlungsmacht, von dem sie ausgehen: Apparate und Substanzen, Infrastrukturen und Ressourcen sind in dieser Perspektive nicht reine Objekte menschlicher Akteure, sondern ermöglichen oder beschränken ihrerseits Handlungen – und verfügen in diesem Sinne über Handlungsmacht. Von dem Anspruch einmal abgesehen, die analytische Trennung zwischen einer materiellen Welt der Dinge an sich und einer sozialen Welt der Menschen unter sich aufheben zu wollen, lässt sich der methodische Weg, der hier eingeschlagen wird, wohl am ehesten als Mikrostudie beschreiben, bei der die Forschenden sehr nah an ihren Gegenstand heranrücken. Der Ausgangspunkt der Analyse ist eine konkrete Handlungs- oder eben Ressourcensituation, der in der Erwartung nachgegangen wird, dass die Akteurskette von einem Ort und Handlungskontext aus zu anderen Räumen und Handlungskontexten führt.

Damit ist nicht gemeint, dass sich nun alle in dichter Beschreibung üben sollen – aber für den Versuch, bei der historischen Ressourcen-Analyse von konkreten Praktiken und Handlungszusammenhängen auszugehen, spricht vieles. Maßgeblich spricht dafür, dass, wie Margareth Lanzinger kürzlich schrieb, über die Rekonstruktion langer Akteurs-Ketten transterritoriale und globale Verbindungen zwischen unterschiedlichen sozialen Räumen sichtbar werden.1 Sich bei der Ressourcen-Analyse an den Laborstudien zu orientieren, ist zudem mit Blick auf die wechselnden Wissensordnungen und wissensabhängigen Verhaltensroutinen lohnenswert, die das Laborgeschehen bestimmen. Die Förderung, Aufbereitung und der Vertrieb von Rohstoffen etwa ist beeinflusst durch wechselnde (Experten)meinungen und Technologien. So lassen sich auch Rohstoffe als wissenschaftliche Tatsachen beschreiben, die mittels bestimmter Wissenspraktiken hervorgebracht werden, die zugleich stets umstrittene Tatsachen sind, deren Wert und Bedeutung je nach Handlungskontext variiert.

Zweifelsfrei ist die Auswahl an möglicherweise angemessenen Methoden für ein konkretes Forschungsprojekt groß. Insofern hat es eine gewisse Willkür, dass ich hier Vorschläge aufgreife, die im Umfeld der Science and Technology Studies und Akteur-Netzwerk-Theorie formuliert wurden und die in der Geschichtswissenschaft vor allem in der Wissens-, Stadt- und Umweltgeschichte Widerhall finden. Doch scheint mir der dort vorgeschlagene tatsächlich ein attraktiver Weg zu sein: Ressourcengeschichte als Geschichte langer Akteursketten, sozialer Praktiken und wechselnder Wissensordnungen zu erzählen.

Ralf Banken: In der Frage, ob und inwieweit Ressourcen selbst als Akteure konzipiert werden sollen und können kann ich nur Laura Rischbieter zustimmen: Ressourcen, welcher Art auch immer, sind keine Akteure und haben keine Agency. Wie ich bereits in meiner ersten Antwort geschrieben habe, gewinnt ein Erzvorkommen für die jeweilige Wirtschaft und Gesellschaft erst dann eine Bedeutung, wenn es von den Akteuren ausgebeutet werden kann. Es reicht kein prinzipielles Wissen um ihr Vorhandensein, sondern es müssen zudem die Möglichkeiten vorhanden sein, sie zu gewinnen und anschließend zu verwerten. Hierfür sind aber Knowhow, die richtigen Technologien, Arbeit, Kapital und die entsprechenden Verfügungsrechte notwendig, damit aus einfachen Bodenschätzen Handlungsoptionen für die Akteure werden. Die riesigen Kokskohlevorkommen des Ruhrgebiets wurden eben erst in der Industrialisierung als Ressource wichtig, weil Holzpreise seit dem 18. Jahrhundert gestiegen waren bzw. die Abbau- und Verwendungstechnologien nach 1800 bereitstanden.

Dem widerspricht nicht, dass auch unverritzten Bodenschätzen oder nicht angebohrten Ölfeldern ein Wert zugesprochen wird, da dies nichts anderes als eine Hoffnung einer Ausbeutung in der Zukunft darstellt; an der Börse spekuliert man ja häufig über Verfügungsrechte, die erst in der Zukunft Handlungsoptionen ermöglichen. Kurzum: Ressourcen ermöglichen einzelnen Menschen, sozialen Gruppen oder aber Institutionen wie etwa Unternehmen und Staaten Handlungen und strukturieren diese auch, sie selbst aber verfügen über keine eigene Handlungsmacht.

Welches Set an Kriterien wird also benötigt, um die unterschiedlichen Ressourcen-Geschichten zu heben? Die häufige Nutzung des Wertbegriffs in dieser Debatte liefert einen Anhaltspunkt. Es reicht nicht aus, stets zu konstatieren, dass Ressourcen einen Wert für die damaligen Akteure besaßen und dass sich dieser Wert änderte. Vielmehr ist es auch wichtig, den damaligen Wert zu bestimmen, um beispielsweise zu verstehen, warum Ressourcen in dieser und nicht in anderer Weise den entsprechenden Nutzungen zugeführt wurden, kurz, warum Akteure nicht alternative Verwendungen wählten?

Wie aber, bitte schön, wird dieser Wert gemessen? Meine Antwort ist, dass man sich hierfür stets auch die historischen Preisentwicklungen anschauen soll. Dies ist sicherlich nicht der einzige – und fraglos kein unproblematischer – Weg, den Wert von Ressourcen (oder anderen Gütern) zu bestimmen. Es ist aber der wichtigste, da sich die wirtschaftlichen Akteure häufig nach Preisen richteten und Preise eine große Steuerungswirkung auf das Akteurshandeln ausübten. Dies gilt im Übrigen sowohl für Unternehmen oder Kaufleute und Produzenten auf der Angebotsseite als auch für Konsumenten auf der Nachfrageseite. Ein Beispiel für die Angebotsseite ist der Umstieg der bundesdeutschen Chemieindustrie auf das Öl als neuem Einsatzstoff ab Ende der 1950er-Jahre, obgleich die westdeutschen Chemiekonzerne nach dem Zweiten Weltkrieg erst noch auf die teuere Kohle setzten. Da aber die Konkurrenten auf Ölbasis günstiger produzieren, gab man die Kohlechemie auf, obgleich zahlreiche Verfahren und Werkseinrichtungen auf diesem Einsatzstoff beruhten und der Umstieg erhebliche Investitionen erforderte.

Selbstverständlich kamen und kommen nicht alle Preise auf „freien“ Märkten zustande und zeigen als Knappheitsindikator durch den Ausgleich von Nachfrage und Angebot die „reale“ Wertschätzung der Marktteilnehmer an. Daher ist Laura Rischbieter abermals zuzustimmen, dass nicht von der in den Wirtschaftswissenschaften zu oft unkritisch vorausgesetzten Annahme ausgehen sollte, dass Märkte stets „Recht“ haben und den wahren Preis hervorbringen. Auch unabhängig von politischen Preisfestsetzungen und anderen außerökonomischen Interventionen in die Märkte werden die Marktpreise häufig auch durch die jeweiligen Marktverfassungen und Marktstrukturen beinflusst, zum Beispiel durch Kartellabsprachen, die Zulassung nur bestimmter Marktteilnehmer die spezielle Definition der gehandelten Güter oder aber die Verteilung der Verfügungsrechte. Genau hier sollten historische Studien denn auch ansetzen, indem sie neben der historischen Preisentwicklung auch das Zustandekommen der Preise, das Funktionieren der Märkte und ihre Verfasstheit genauer in den Blick nehmen, da Märkte eben nie aus sich heraus und schon gar nicht voraussetzungslos funktionieren. Zu fragen ist in Bezug auf Ressourcen daher stets, wie die Märkte konstruiert wurden, um die Ressourcen zu handeln.

Gleichzeitig sind auch die Strategien und Reaktionen der Unternehmen auf die Preisentwicklungen und auch andere Folgen der Preisstrukturen ernst zu nehmen, da sie häufig Pfadabhängigkeiten nach sich zogen. So industrialisierte sich Großbritannien aufgrund der günstigen Kohlenbezugspreise ab Ende des 18. Jahrhunderts sehr früh, doch gleichzeitig war die billige Steinkohle 100 Jahre später auch dafür verantwortlich, dass zahlreiche britische Industrieunternehmen sich wenig um neue brennstoffsparende Technologien kümmerten, während deutsche Stahlunternehmen hier wegen der deutlich höheren Kohlenpreise stark in eben diese investierte und sich so gegenüber den Briten langfristig einen komparativen Kostenvorteil erarbeitete.

Schließlich bleibt noch die (Robert-Lemke-)Frage zu beantworten: Welche Wirtschaftsgeschichte hätten Sie denn gern? Wohl wissend, dass heutzutage das Wünschen nicht mehr viel bewirkt (in meinem Alter eh nicht; außerdem gibt’s ja auch keine 5 D-Mark ins Schweinchen) und letztlich auch in der Ressourcenwirtschaftsgeschichte viele Wege nach Rom führen, möchte ich die Frage jedoch anders herum stellen und in Bezug auf meine vorherigen Ausführungen beantworten: Welche Wirtschaftsgeschichte hätte ich nicht gerne? Hier ist meine Auffassung eindeutig: Auch ich bin wie die anderen Mitdiskutanten der Meinung, dass Wertschöpfungsketten oder aber Produktstudien wichtige und fruchtbare Zugangsweisen zur Entwicklung der globalen Ressourcenwirtschaft in der Neuzeit darstellen (den großen Erkenntniswert der Wertschöpfungsketten hat kürzlich ja Andrew Godley anhand der Verbreitung des Tiefkühlhähnchen und der damit verbundenen Entstehung des Hühnchenmassenkonsums in Großbritannien nach 1950 sehr schön deutlich gemacht).2

Ich sehe allerdings ein Problem, wenn demnächst zahlreiche Mikrostudien entstehen, die allein detailliert dem Weg einzelner Ressourcen und die damit verbundenen Transaktionen, Praktiken und Verwertungen bis hin zum Konsumenten nachvollziehen, aber dabei die makroökonomischen Zusammenhänge oder einzelne ökonomische Parameter wie die Preisentwicklung unberücksichtigt lassen. Eine so vorgehende Geschichtsschreibung würde meiner Meinung nach anhand zahlreicher Beispiele häufig nur die Nutzungsweisen der Ressourcen anschaulich illustrieren, aber nicht vollständig erklären. Das Thema würde oberflächlich behandelt und damit verschenkt.

Frank Uekötter: Vor einiger Zeit fragte mich eine amerikanische Kollegin, warum man in Europa eigentlich ständig die Akteur-Netzwerk-Theorie zitieren muss. Die jüngsten Wortmeldungen sind da nicht gerade geeignet, solchen Befremdungen entgegenzutreten. Es war zu erwarten, dass der Latour'sche Aktant sich auch in diese Debatte einschleichen würde. Ebenfalls zu erwarten waren die Abwehrreflexe: Nein, Ressourcen sind keine Akteure, da erst der Mensch den Kohleflöz zum Rohstoff macht. So weit, so vertraut.

Was bei solchen Diskussionen jedoch meist vergessen wird: Die Geschichtswissenschaft hat längst Wege gefunden, mit nichtmenschlichen Akteuren umzugehen – ganz pragmatisch, ohne dichten Theorieverhau und (pardon!) französische Intellektuelle. In der Technikgeschichte ist die Eigenmacht des Artefaktischen ein vertrautes Thema. Things bite back, wie es Edward Tenner so schön formulierte. In der umwelthistorischen Forschung hat es die Eigenlogik der natürlichen Umwelt zu einem vergleichbaren Status gebracht. Wenn der Mensch ein Feld beackert, kann der Boden versalzen, verdörren, versauern, verdichten, ganz egal, was der Mensch sagt und denkt. Beide Disziplinen haben nach einigem Hin und Her gelernt, mit dieser methodischen Herausforderung umzugehen. Nur Außenstehende stören gelegentlich, indem sie einen technologischen bzw. ökologischen Determinismus wittern. Technik- und Umwelthistoriker sind von solchen Vorwürfen inzwischen eher genervt als irritiert. Weder Technik noch Umwelt determinieren Geschichte. Aber sie setzen dem menschlichen Wollen Grenzen, und diese Grenzen verstehen wir umso besser, je mehr wir über die jeweiligen Logiken wissen.

Vielleicht könnten wir uns an dieser Gelassenheit ein Beispiel nehmen, bevor wir um die Ressource als Akteur einen neuen Theoriekonflikt vom Zaun brechen. Es bleibt bei den Ressourcen ein materielles Substrat, das sich in Diskursen und Marktprozessen nicht auflösen lässt.

Der entscheidende Einwand scheint mir aus einer anderen Richtung zu kommen. Wenn man die Materialität der Ressource ernst nimmt, kommt dabei mehr heraus als Trivialitäten? Sind stoffliche Eigenschaften und ihre Folgen nicht derart offenkundig, dass man sich die theoretischen Klimmzüge sparen kann? Aber neben der Stofflichkeit (die im Zeitalter der Großchemie natürlich nicht mehr ganz so trivial ist) gibt es noch einen zweiten Aspekt der Ressource, der Beachtung verdient, und das ist das Trägheitsmoment. Wenn jährlich zwei Milliarden Tonnen Eisenerz und sieben Milliarden Tonnen Kohle in Bewegung gesetzt werden, dann haben diese unvorstellbaren Massen eine Tendenz, ihre Bewegung fortzusetzen. Natürlich nicht allein aus physikalischen Gründen – denn die Bewegung der Stoffe bleibt ja letztlich Menschenwerk. Tatsächlich ist die Option, das Trägheitsmoment zu stoppen, jedoch eine ziemlich theoretische – und das ist noch freundlich ausgedrückt. Wir sehen das von der deutschen Lebensmittelversorgung im Ersten Weltkrieg bis zur Ölkrise von 1973: Wenn Stoffströme plötzlich versiegen, regiert bald die blanke Panik.

Es geht also bei den Ressourcen nicht um einen weiteren Akteur, der sich freundlich in die Riege der bekannten Protagonisten einreiht. Es geht um eine neue Sichtweise auf die vertrauten Prozesse der Ressourcenallokation, wie sie sich in einigen Arbeiten über Commodity Chains andeutet. Wir sollten Ressourcengeschichte nicht nur als heroische Geschichte der Erschließung immer neuer Stoffwelten schreiben, sondern umgekehrt auch – wohlgemerkt auch! – als die Geschichte von Getriebenen: von Leuten, die Stoffströme um jeden Preis aufrechterhalten müssen. Das Trägheitsmoment der Ressourcen lässt den menschlichen Akteuren keine andere Wahl, als irgendwie für Nachschub zu sorgen, in mindestens gleichen Umfang. Zugleich wissen diese Akteure aber nur zu gut, wie fragil Rohstoffströme sind. Auf dem langen Weg vom Bergwerk oder vom Acker bis zum Konsumenten kann eine Menge schiefgehen.

Zugleich aber darf nichts schiefgehen. Irgendwie für Nachschub sorgen – wir wissen inzwischen nur zu gut, wie viel menschliches Leid sich mit diesem Wort verbinden kann. Silber aus den Anden, Kautschuk aus dem Kongo, Öl aus Saudi-Arabien – es ist schon betrüblich, was Menschen anstellen, nur um Stoffströme aufrechtzuerhalten. Die inhärente Brutalität des Ressourcensektors hat viele moralische Klagen provoziert, auch, ja gerade von jenen, die diesen Sektor verkörpern und formen. Selbst vom langjährigen saudi-arabischen Ölminister Ahmed Zaki Yamani ist die Bemerkung überliefert, dass man vielleicht besser Wasser entdeckt hätte.3 Es ist höchste Zeit, dass wir diese moralische Entrüstung als Ausdruck einer strukturellen Lage des Sektors ernst nehmen und zu erklären versuchen. Wenn man Ressourcenmanager als Getriebene anonymer Stoffströme sieht, könnte das ein erster Schritt in diese Richtung sein.

Wenn man Ressourcengeschichte einmal auf diesem Wege schreibt, wird nämlich etwas sichtbar, was oft hinter den großen Egos der Produzenten verborgen bleibt: Angst. Es gibt vielleicht keinen anderen Wirtschaftssektor, in dem Allmacht so leicht in Ohnmacht umschlägt – von der Zerschlagung des Standard Oil-Kartells 1911 bis zu British Petroleum, einer Firma, die vor zwei Jahren fast pleite ging, weil ein Ventil klemmte. Die Angst vor dem Stillstand der Stoffströme ist die Urangst des Ressourcensektors, jedenfalls in der Industriemoderne, die auf die ständige Verfügbarkeit von Stoffen angewiesen ist. Das ausgeprägte Selbstbewusstsein, das eine bemerkenswerte Konstante der Ressourcenwirtschaft ist, dürfte nicht zum geringsten mit dieser Angst zusammenhängen. Wer ist schon gerne Getriebener anonymer Ressourcenflüsse?

Natürlich ist eine solche Sichtweise ungewohnt, irritierend, fast schon subversiv. Aber sollte das gute Geschichtsschreibung nicht auch sein?

Monika Dommann: Diskutiert haben in dieser Debatte vor allem die Wirtschaftshistoriker/innen, die Sozialhistorikerin, der Umwelthistoriker und ich. Vielleicht ist unsere Runde auch ein Indiz dafür, dass das Interesse an Ressourcen eine Spezialität geblieben ist, für jene die zuständig sind für die materielle Kultur, für relative Preise, für die soziale Konstruktion des Marktes, oder auch jene, die sich für die Kategorie des Sozialen interessieren. Wir sind unter uns geblieben. Es fehlt nicht bloß die für die großen Erzählungen zuständige Allgemeine Geschichte. Auch die Forscher, die sich mit der Zeit vor 1800 beschäftigen, sind nicht vertreten.

Methode entstammt dem Griechischen und besagt wortwörtlich: Den Weg zu etwas hin. Welche Wege wurden denn gewählt von der historischen Wissenschaft? Und welche verlassen? Wann stand sie an einer Kreuzung und wann wusste sie nicht mehr weiter? Zunächst stellt sich an dieser fast schon letzten Wegmarke unserer Debatte die Frage, warum unsere Runde bei der Frage nach der Geschichtlichkeit der Ressourcen und Materialien fast so reflexartig wie ein Pawlowscher Hund (oder wie die salutierenden Garden am Buckingham Palace) zur Anschlussfrage nach deren Handlungsmächtigkeit und Agency kam. Ich komme darauf zu sprechen, weil ich bezweifle, dass dies die richtige, sprich: produktive Frage ist. Wer sagt denn, dass wer Ressource sagt, auch Agency mitdenken muss? Die Menschen waren noch nie unter sich, daran ist frei nach Bruno Latour zu erinnern. Sie haben schon seit langer Zeit beispielsweise Kohle gegraben, damit Fabriken angetrieben, daraus Farben gekocht und schließlich die Kohle wieder begraben und auf synthetische Farbstoffe gesetzt, die ihnen wiederum nicht immer gut bekamen. Die historisch wirklich interessante Frage könnte meiner Ansicht vielmehr sein, warum die Einsicht, dass die Menschen nicht mehr unter sich seien, erst zu Beginn der 1990-Jahre auftauchte, und nicht bereits etwa im 19. Jahrhundert, als besonders viele neue Stoffe (Mischwesen) von den Menschen in Umlauf gebracht wurden. Und dann würde sich auch noch die Frage stellen, warum diese Aussage so provozierte. Und wen sie besonders traf.

Ist es wirklich wünschenswert, dass nun in der Geschichtswissenschaft eine Debatte wiederholt wird, die bereits in den 1990er-Jahren nicht sonderlich produktiv war, als sie von den inzwischen methodisch gestählten Soziologen und den wilden Spielverderber/innen aus der Science and Technology Studies betrieben wurde?

Als Emile Durkheim (und andere protosoziologische Denker) zum Ende des 19. Jahrhunderts das imaginäre Kollektiv des „Sozialen“ geschaffen haben, geschah dies in Abgrenzung zum Positivismus der Naturwissenschaften und im Bemühen, dieselbe Anerkennung für die eigenen Methoden der Beobachtung zu erlangen, die den Naturforschern damals zukam. Es ging um die Schaffung von neuen Kategorien für ein Gebilde, das seither „Gesellschaft“ genannt wird. Emile Durkheim machte 1893 klar, dass dies ein kühnes Wagnis war: „Es gibt nämlich nur ein Mittel, um eine Wissenschaft zu etablieren, sie nämlich, allerdings mit Methode, zu wagen.“4 Das Primat des Sozialen, das seither von der Soziologie gepflegt wurde und auch von der Sozialgeschichte, die zeitweise in Deutschland beinahe zum allgemeinen Paradigma der Geschichtswissenschaft aufgestiegen war, übernommen wurde, ist also historisch zu erklären und nicht mit historischer Methodik zu verwechseln.

Die Wegverzweigung, die damals von der Soziologie gewählt wurde, als sie beschlossen hatte, sich nicht mit der Natur zu beschäftigen, sondern es stattdessen wagte Begriffe, Konzepte, Klassifikationen und Methoden für etwas zur erfinden, das sich in Auflösung befand und gleichzeitig damit auch neu geschaffen wurde, ist im Rückblick betrachtet, ein Weg den die Geschichte nie gehen musste, weil sie andere Interessen hat. In der Geschichte ging und geht es darum zu verstehen, wie die Welt (mit den Naturstoffen und den Kulturtechniken und den Menschen und ihren Ideen, Träumen und Enttäuschungen und Verwerfungen) zu dem geworden ist, was sie heute ist. Und weil ihr Untersuchungsgegenstand stets im Fluss ist, müssen auch die Methoden hierfür immer wieder neu gefunden werden.

Anmerkungen:
1 Margareth Lanzinger, Das Lokale neu positionieren im actor-network-Raum – globalgeschichtliche Herausforderungen und illyrische Steuerpolitiken, in: H-Soz-u-Kult, 21.06.2012, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/id=1810&type=diskussionenonen>.
2 Andrew Godley and Bridget Williams, Democratizing luxury and the contentious "invention of the technological chicken" in Britain. Business History Review, 83 (2009), 2, S. 267-290.
3 Terry Lynn Karl, The Paradox of Plenty. Oil Booms and Petro-States, Berkeley u.a. 1997, S. 187.
4 Emile Durkheim, Über die Teilung der sozialen Arbeit, (Paris 1893) Frankfurt a. M. 1977, 82.

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