H-Soz-u-Kult Debatte zu "Ressourcen" in den Geschichtswissenschaften: 1. Teil

Von
H-Soz-u-Kult Redaktion

Liebe Leserinnen und Leser,
das Motto des diesjährigen Historikertags, "Ressourcen - Konflikte", haben wir in der Redaktion von H-Soz-u-Kult zum Anlass genommen, in den vergangenen drei Monaten eine virtuelle Debatte zum Thema "Ressourcen in den Geschichtswissenschaften" zu führen. Sechs Historiker/innen haben in vier Diskussionsrunden verschiedenste Aspekte des Themas erörtert. Die Resultate dieses Austauschs präsentieren wir Ihnen heute und in den kommenden Tagen. In vier Abschnitten veröffentlichen wir jeweils eine Diskussionsrunde per E-Mail und im Web auf http://www.hsozkult.de. Die Teilnehmer/innen sind (in alphabetischer Reihenfolge): Ralf Banken (Goethe-Universität Frankfurt am Main), Monika Dommann (Universität Basel), Birte Förster (Technische Universität Darmstadt), Christiane Reinecke (Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg), Laura Rischbieter (Humboldt-Universität zu Berlin) und Frank Uekötter (Ludwig-Maximilians-Universität München). Seitens der Redaktion haben Torsten Kahlert und Claudia Prinz die Fragen gestellt. Für uns war dieses Format neu und eine interessante Erfahrung, von der wir sehr profitieren. Allen Diskutant/innen möchten wir unseren herzlichen Dank aussprechen. Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünschen wir eine anregende und inspirierende Lektüre.

In politischen Gegenwartsdiagnosen sind "Ressourcen" ein omnipräsentes Thema. Nun hat sie auch der Verband der Historikerinnen und Historiker Deutschlands zum Thema des diesjährigen Historikertags in Mainz gemacht. Der Begriff der "Ressourcen" weckt zunächst ganz unterschiedliche Assoziationen, verfügt über zahlreiche Anschlussmöglichkeiten und verweist je nach Kombination und Kontext auf verschiedene Bedeutungs- und Forschungsfelder. Die Auseinandersetzung mit "Ressourcen" lädt aber auch zu einem bestimmten Blick auf Geschichte ein, in der Konflikte und Krisen in den Vordergrund treten, folgt das Wort doch meist auf Adjektive wie "begrenzt", "umkämpft" oder "umstritten".

Was evoziert der Begriff bei Ihnen und aus welchen Gründen könnte es derzeit attraktiv für Historiker/innen sein, sich mit "Ressourcen" auseinanderzusetzen? Welchen Stellenwert würden Sie der Analyse von "Ressourcen" in den Geschichtswissenschaften derzeit beimessen?

Frank Uekötter: Wenn es um die Festlegung des Leitthemas geht, sind die Organisatoren des Historikertags fürwahr nicht zu beneiden. Das Thema sollte für alle Epochen von der Antike bis zur Zeitgeschichte plausibel sein, auch Subdisziplinen von der Wissenschafts- bis zur Kulturgeschichte ansprechen und selbstverständlich auch für die Fachdidaktik Perspektiven bieten. Das Thema sollte breit sein, aber nicht beliebig, Zusammenhänge eröffnen, ohne die legitimen Interessen einzelner Fachzirkel mit Füßen zu treten, innovativ sein, aber das Gros der Fachvertreter mitnehmen.

Gemessen an der Aufgabenstellung haben die Organisatoren diesmal ein erfreulich klar konturiertes Thema gewählt, das gewiss nicht im Ruch eines Formelkompromisses am Ende eines langen Konferenztages steht. Und doch musste ich schmunzeln, dass im Call for Papers ausdrücklich auch von immateriellen Ressourcen die Rede war: Da war sie also, die goldene Brücke für alle, denen das Thema sonst „zu eng“ gewesen wäre.1 So finden sich nun im Tagungsprogramm Sektionen über Loyalität, Vertrauen, Verrat und Erinnerung als Ressourcen, und das ist auch völlig in Ordnung. Die deutsche Geschichtsforschung ist vielfältig, und das sollte das Tagungsprogramm auch zeigen.

Aber vielleicht darf man doch an dieser Stelle daran erinnern, dass die meisten Menschen beim Stichwort Ressourcen zunächst an Materie denken: Rohstoffe zur Verwendung im Dienste der Menschheit bzw. genauer jenes Teils der Menschheit, der gerade – aus welchen Gründen auch immer – das Zugriffsrecht besitzt. Und so verstanden besitzt das Thema des Historikertags einen Stachel. Hand aufs Herz: Die Ressourcendebatte der jüngsten Vergangenheit hat uns Historiker kalt erwischt. In kulturalistisch beschwingten Zeiten begegnete das Gros des Faches der Stofflichkeit mit einer gewissen Geringschätzung, und so führen jene Teile der Zunft, die sich mit materiellen Ressourcen beschäftigen, zumeist ein Schattendasein. Agrargeschichte, Forstgeschichte, Geschichte des Bergbaus – man kann gewiss viel über Forschungsstände streiten, aber niemand wird wohl behaupten, diese Subdisziplinen seien in den vergangenen Jahrzehnten „academically sweet“ gewesen.

Unter den Ursachen dieser unbefriedigenden Situation scheint mir vor allem ein Punkt diskussionswürdig zu sein: Es ist überhaupt nicht leicht, in das Ressourcenthema eine intellektuelle Spannung zu bringen. Auf den ersten Blick scheint doch alles klar zu sein: Unsere moderne Gesellschaft beruht letztlich auf der Ausbeutung nicht erneuerbarer Ressourcen in historisch präzedenzlosem Umfang. Dahinter stecken neuartige technologische Möglichkeiten, der Aufstieg von Konsumgesellschaften, Infrastrukturen und vieles mehr. Und natürlich weiß auch jeder, dass der Ressourcenhunger unserer Moderne einen Preis hat: ökonomisch, sozial, ökologisch. So what?

Die Ressourcendebatte der Gegenwart mag in dieser Hinsicht einen wichtigen Impuls vermitteln: Nichts ist sicher. Viel zu lange haben wir Ressourcengeschichte als eine Geschichte des Offenkundigen geschrieben und all die Paradoxien des Themas übersehen: das schroffe Umschlagen von lethargischer Indifferenz und dramatischer Not; die stetig wachsenden Möglichkeiten der Manipulation durch Wissenschaft und Technik, die doch seltsamerweise immer wieder an chemische und physikalische Grenzen stoßen; der plötzliche Aufstieg obskurer Stoffe zu Schlüsselressourcen (gab es im 20. Jahrhundert eigentlich schon Coltan?); die Koexistenz von globalisierten Ressourcen und Autarkievisionen; der quasikoloniale Sonderstatus von Ressourcenregionen, in denen achselzuckend Dinge akzeptiert werden, die man im Rest des Landes nie und nimmer dulden würde. Kaum ein anderer Wirtschaftszweig kennt derart dramatische Aufstiegs- und Niedergangsgeschichten von nur scheinbar allmächtigen Großunternehmen. Und warum riecht es im vielzitierten Ersten Sektor der Ökonomie eigentlich überall so penetrant nach Testosteron? Ressourcengeschichte wird erst dann spannend, wenn man sich wieder wundert.

Wenn Menschen über Ressourcen reden, dann tun sie dies auffallend oft mit einem Vokabular von Moral und Pathologie: Ressourcen als Fluch, Ressourcenhunger als Sucht – als seien Rohstoffe eine finstere Macht, der die Moderne auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sei. Offenkundig gibt es da Dinge, die man nicht auszusprechen wagt, für die die Worte fehlen. Und warum sollten es nicht mal Historiker sein, die diese Sprachlosigkeit überwinden?

Monika Dommann: Wenn ich an Ressourcen denke, dann denke ich zunächst an Buenaventura, eine Stadt in Kolumbien, ein Hafen am Pazifik, wohin es mich in den 1990er-Jahren auf einer Reise verschlagen hatte. Ich sah größere und kleinere Schiffe und junge Männer, die auf ihrem Rücken Holz aus den Urwäldern des Landes in die Schiffe luden. Die alten Männer saßen bloß noch rum und tranken Rum. Ich las derweilen in einem Buch wie reich an Ressourcen Kolumbien sei, und ich sah wie arm die größte Hafenstadt am Pazifik geblieben war. Es gab eine gut ausgebaute, von schwer beladenen Lastwagen stark frequentierte Straße, die auch vereinzelt Reisende transportierte, und strategisch als derart wichtig eingestuft wurde, dass sie ab und an von der Guerilla angegriffen wurde. Ich begriff auf dieser Reise, dass der Standard von Transportinfrastrukturen und Städten stark auseinander klaffen kann, und ich begriff auch, dass Wirtschaft, Militär, Politik, Städtebau, Umwelt, koloniale Vergangenheiten, Infrastrukturen, Körper und Krankheiten alle irgendwie zusammenhängen. Wenn ich an Buenaventura und an Rohstoffe denke, denke ich deshalb an besonders komplexe Konstellationen.

Und an meinen Eindruck, dass komplexe Konstellationen besonders lehrreich sein könnten, und dass Ressourcenökonomien solch komplexe Konstellationen darstellen.

Die Ressourcen (seit wann spricht man eigentlich in der deutschen Sprache immer mehr von Ressourcen, und nicht mehr einfach von Rohstoffen? Und was bedeutet dies?) sind vielleicht deshalb sozial- und kulturwissenschaftlich interessant geworden, weil sie Stoffe sind, und gerade deshalb sich an ihnen Unsichtbares sichtbar machen lässt. Sie werden je nach gesellschaftlichen Konstellationen zu Werkstoffen, Energieträgern, Kultobjekten, Bekleidungsmaterialien, epistemischen Objekten, medialen Trägern oder Kriegskassen verarbeitet. Und sie sind gerade deshalb so aufschlussreich, weil sie überdies nicht einfach passive Materialien sind, sondern ihre eigenen materiellen Eigenschaften (Haltbarkeiten, Vergänglichkeiten, Dichten, Härten, Kräfte, etc.) aufweisen, die sich zuweilen auch gegen die Intentionen ihrer Bearbeiter richten. Diese Stofflichkeit und Materialität (die beispielsweise in der Ethnologie und den Ingenieurswissenschaften schon lange zum Kerngeschäft gehören) hat in der Wissenschaftsforschung oder den Medienwissenschaften zu einer Auseinandersetzung mit den sozialwissenschaftlichen Agency-Konzepten geführt, die inzwischen auch die Geschichtswissenschaft eingeholt hat.

Was mich an den Rohstoffen fasziniert, ist ihre fast schon magische Anziehungskraft, von der übrigens auch Wissenschaftler/innen nicht ausgenommen sind. An den widerstreitenden Gebrauchsweisen der Rohstoffe lassen sich Sphären aufeinander beziehen, die bislang in der Geschichte noch zu stark auseinandergehalten wurden. Historiker/innen waren schon seit jeher gut darin, Beobachter zu beobachten, dabei dezidiert multiperspektivisch vorzugehen und immer neue Quellen in neuen Konstellationen aufeinander beziehen.

Wenn ich an Rohstoffe denke, die ihr heuristisches Potential für die Geschichtswissenschaften illustrieren könnten, kommt mir Guttapercha in den Sinn, der Rohstoff der Telegraphie, der aus den Guttapercha Bäumen in den Wäldern Südostasiens gewonnen wurde. Der Export dieses Stoffes in die verarbeitenden Industrien von Berlin oder London führte in Südostasien zu einem Kahlschlag der Guttapercha. Als die Holländer in den 1880er-Jahren damit begannen, die Bäume in Plantagen in Sumatra und Java anzupflanzen, wurde ein Prozess in Gang gesetzt, der bei vielen Rohstoffen immer wieder anzutreffen ist: Durch das erhöhte Angebot sanken die Preise, und damit wurde die Existenz der Pflanzer, die nun ausschließlich auf der Gewinnung des Rohstoffes basierte, gefährdet oder gar zerstört. Der Stoff Guttapercha zeigt, wie tief verwoben Gesellschaften mit Rohstoffen sind. Stoffe werden aus einem Kontinent extrahiert (Asien), in einem anderen Kontinent weiterverarbeitet (Europa) und dienen schließlich dazu, diese mit einem dritten Kontinent (Amerika) zu verbinden. Ein Unterwasserkabel auf der einen Seite der Welt führte auf der anderen Seite des Globus zu einer Ökokatastrophe. Wenn das nicht Historikerstoff ist?

Birte Förster: Zunächst einmal halte ich Ressourcen weniger für ein Konzept als für ein Forschungsfeld, an dem verschiedene Teilbereiche der Geschichtswissenschaft zusammengeführt werden können. Denn es geht ja nicht nur um die Ressourcen selbst, natürliche, finanzielle oder immaterielle wie Zeit, sondern auch darum, wie diesen Wert zugeschrieben wird, wie sie zirkulieren oder definiert werden. Ressourcen verknüpfen umwelt-, kultur-, politik-, technik- und wirtschaftsgeschichtliche Fragestellungen vor dem Hintergrund globaler Vernetzungsgeschichte.

Natürliche Ressourcen verstehe ich – auch in Abgrenzung zum new materialism – als Produkt soziokultureller Prozesse von Wertzuschreibungen. So lange es beispielsweise kein industrielles Herstellungsverfahren für Aluminium gab, spielte Bauxit kaum eine Rolle und erst als nach dem Zweiten Weltkrieg die Nachfrage nach Aluminium rapide anstieg, gewann dieser Rohstoff rapide an Bedeutung. Natürliche Ressourcen sind selbstverständlich durch ihre Materialität gekennzeichnet, sie können aber nicht allein als Materie agency entwickeln, sondern nur, indem ihnen ein besonderer Nutzen und Wert zugeschrieben wird.

Aus Perspektive der Infrastrukturforschung wäre daher erstens nach den enormen Anstrengungen zu fragen, die Gesellschaften für Zugang zu und Zirkulation von Ressourcen unternehmen. Um Bauxit in der Goldküste/Ghana vor Ort in Aluminium umzuwandeln, wurden in den 1950er- und 1960er-Jahren im Rahmen des Volta River Project ein Tiefseehafen, ein Staudamm inklusive Elektrizitätswerk und -netz, Eisenbahnlinien, Straßen- und Brücken sowie mehrere Townships errichtet, finanziert von Krediten durch die Weltbank, die Colonial Development Corporation und anderen.

Zweitens haben wir es sowohl im Hinblick auf Ressourcen als auch im Hinblick auf Infrastrukturen mit neuen Akteursgruppen zu tun, die auch in demokratisch legitimierten Gesellschaften maßgeblichen Einfluss auf politische (Budget-)Entscheidungen nehmen, wie beispielsweise Experten und Planer. Das Volta River Project wurde insbesondere von Aluminiumkonsortien vorangetrieben, die Gutachten von Geologen und Ingenieuren spielten eine große Rolle bei der politischen Entscheidungsfindung.

Damit bietet sich drittens der Zugriff auf Ressourcen zumindest für die Hochmoderne als globalgeschichtliches Untersuchungsfeld an, denn dieser ist in der Regel nicht auf einzelne Nationen beschränkt und zeigt zudem die Verflechtung öffentlicher und privatwirtschaftlicher Interessen.

Schließlich wären auch die jeweiligen Ressourcennarrative in den Blick zu nehmen, die in der Regel von quasi automatischer wirtschaftlicher Prosperität bei Ressourcenreichtum ausgehen, was die politikwissenschaftliche Forschung ja inzwischen in Teilen wiederlegt hat.

Laura Rischbieter: Das Konversationslexikon in 20 Bänden des dtv Verlags aus dem Jahr 1968 definiert Ressourcen knapp als „Hilfsquelle, Geldmittel.“ So definiert, sind sie nicht mehr und nicht weniger als Handlanger für (soziale) Akteure, um ein wie auch immer geartetes Ziel in der nahen oder fernen Zukunft zu erlangen, sie setzen – wenn man über sie verfügt, sie einsetzt – einen Prozess in Gang. Damit erscheint mir der Begriff „Ressourcen“ glücklich gewählt, um einer Großkonferenz wie dem Historikertag ein Motto zu geben: Ressourcen sind per Definition an soziale Handlungen im Verlauf der Zeit gebunden. Erst ihre Wahrnehmung als Ressource macht sie zu einer solchen, egal ob es sich um Werte, Vorstellungen oder aber um Rohstoffe handelt. Das Feld sich damit eröffnender Forschungsthemen ist schier unendlich und an alle methodischen Spielarten der Bindestrich-Geschichten anschlussfähig: Untersuchen lassen sich unter anderem ökonomische und soziale Strukturen von Angebot und Nachfrage, Ereignisse, Kriege, Technologie- und Wissenstransfers etc. ebenso wie die Diskurse, Wertzuschreibungen und Wahrnehmungen von Welt.

In dieser Weite und Breite sind aber Ressourcen auch schon in den letzten Jahrzehnten Gegenstand von Forschung und Lehre gewesen, explizit u.a. in der Wirtschafts- oder Politikgeschichte, impliziter in der Wissenschaftsgeschichte. Für was steht dann das Motto des Historikertags in diesem Jahr? Verweist es auf eine aktuelle Trendwende innerhalb der Geschichtswissenschaft, sich wieder vermehrt den materiellen Gegebenheiten in der Vergangenheit zuzuwenden und dies vielleicht gar unter Berücksichtigung neuer Ansätze und Methoden? Im Programm des Historikertags lässt sich hier nicht unbedingt eine bejahende Antwort ablesen. Die ersten Stellungnahmen zu dieser Debatte legen aber zumindest nahe, dass den Diskutanten zuerst Rohstoffe in den Sinn kommen, wenn sie an Ressourcen denken.

In dem Moment, in dem ich meine Stellungnahme schreibe, liegen schon die ersten Beiträge vor: Monika Dommann bezieht ihre Ausführungen vor allem auf Rohstoffe. Birte Förster nennt ebenfalls weitgefächerte Gegenstandsbereiche, die man mittels „Rohstoff-Produktgeschichten“ untersuchen könnte. Auch bei Frank Uekötter findet sich dieser Bezug auf Ressourcen als Rohstoffe. Er verweist in einer langen Assoziationskette auf vor allem pejorative Aspekte, die in der Vergangenheit den Umgang mit Ressourcen verstanden als Rohstoffen prägten. Ressourcen sind in den Beiträgen Hilfsmittel materieller Art – wenn auch nicht immer zugleich Rohstoffe. Als Wirtschaftshistorikerin kommen auch mir weniger kulturhistorische Themen und Untersuchungsgegenstände sondern eher Konflikte über unterschiedliche knappe Güter als erstes in den Sinn. Wenn ich an „Ressourcen“ denke, dann an die Produktion, Distribution und Konsumption von Wirtschaftsgütern auf Märkten.

Doch so gut gewählt das Motto „Ressourcen“ für den Historikertag erscheinen mag, so wenig befriedigend empfinde ich es, dass die mögliche Themenvielfältigkeit leicht zu einer gewissen Beliebigkeit führen kann. Hier scheint eine strukturierte Debatte weiter zu führen, insbesondere wenn sie auszuloten vermag, welche unterschiedlichen Definitionen von Ressourcen in Verbindung mit bestimmten methodischen Zugriffen sich für einige Untersuchungsgegenstände und auch Zeiträume eventuell besonders eignen und für andere nicht. Daher stellt sich mir vor allem die Frage: verbirgt sich hinter dem Begriff „Ressourcen“ überhaupt ein analytisches Potential?

Wie könnte eine solche Ressourcen-Geschichte aussehen, die nicht immaterielle oder materielle Ressourcen mehr oder weniger explizit und mehr oder weniger wahllos (mit-)behandelt sondern einen neuen Blick auf die Vergangenheit ermöglicht – vor allem aber einen, den die anderen Bindestrich-Geschichten nicht schon ausreichend abdecken? Oder sind wir Historiker doch „von gestern“ und haben einfach mit der verstärkten Hinwendung zur Zeitgeschichte der 1960er- bis 1980er-Jahre eine Debatte „entdeckt“, die die von Rezession, Ölpreiskrise und auch Stagflation gebeutelten Zeitgenossen unter dem Schlagwort „Die Grenzen des Wachstums“ geführt haben? Wenn Letzteres zuträfe, dann wäre über Ressourcen, verstanden als Rohstoffe, zu forschen, zu debattieren und zu schreiben sicherlich weder originell noch innovativ, sondern Ausdruck einer typischen Verschiebung von Themen, wenn sich die Zeitgeschichte in neue Jahrzehnte vorwagt.

Christiane Reinecke: Ungleich, Ungleichheit, Verteilung, Mangel, Umwelt, Stadt: Wäre das hier ein Assoziationsspiel, bei dem man auf Zuruf das erste sagt, was einem in den Kopf kommt, wären das meine Ressourcen-Assoziationen. Repräsentativ ist diese Reihung vermutlich nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei Anderen Stichworte wie Rohstoff oder Rohstoffmangel eher fallen, ist hoch. Lohnend ist es dennoch, der Ungleichheits-Assoziation nachzugehen, auch, um sich vor Augen zu führen, wie vielfältig und oftmals vage der Begriff der Ressource verwendet wird. Ungleichheit, das ist gängigen Definitionen zufolge die ungleiche Verfügung über oder der ungleiche Zugang zu Ressourcen, Chancen und Handlungsbefähigungen. Wofür Ressource in diesem Zusammenhang konkret steht, variiert: Ressource, das konnte oder kann ebenso das Einkommen oder Kapital sein, über das jemand verfügt, wie damit Arbeit, Macht, Einfluss, oder der Bildungsabschluss gemeint sein können. Aus Sicht einer Wissensgeschichte, die sich für wechselnde Beschreibungen des Sozialen interessiert, ist „Ressource“ jedenfalls ein Quellenbegriff. Aus Sicht einer Sozialgeschichte, die sich für den Wandel sozialer Positionierungen und den damit verbundenen Zugang zu Gütern und Einfluss interessiert, ist es ein (nicht gerade trennscharfer) analytischer Begriff. Lohnend erscheint mir eine ausgiebige Auseinandersetzung mit Ressourcen in der Geschichtswissenschaft jedoch vor allem dann, wenn darunter explizit materielle Ressourcen verstanden werden. Denn dann geht es um die Herausforderung, sich der materiellen Dimension von Geschichte zuzuwenden, und zwar – und das wäre die Herausforderung – ohne sich von kulturgeschichtlichen Ansätzen zu verabschieden.

Auffallend ist, dass die Frage nach der Bedeutung von Materialität und ihrer historischen Erforschung derzeit überall gestellt wird. Das gilt vor allem für die Stadt- und Umwelt-, aber auch für die Wissensgeschichte. Dabei geht es mit etwas Glück nicht um eine Rückkehr zu materiellen Determinismen, sondern es geht um die Frage, inwiefern sich Materialität und Materielles in die historische Analyse einbeziehen lassen, ohne in Essentialisierungen zu verfallen. Häufig werden in dem Zusammenhang die Arbeiten Bruno Latours angeführt, der sich intensiv mit der Frage befasst hat, wie die materielle Welt Handlungen strukturiert und menschliche Akteure eingebunden sind in ein Gefüge von menschlichen und nicht-menschlichen Aktanten. Die Forderungen Latours und anderer Vertreter der Akteur-Netzwerk-Theorie in historische Forschungsprojekte zu überführen, ist methodisch alles andere als einfach. Instruktiv sind sie dennoch, weil sie Problemfelder in den Blick rücken, die Historikerinnen und Historiker lange ignoriert haben.

Ein gutes Beispiel für die Erschließung eines solchen neuen Problemfeldes ist die wachsende Zahl historischer Studien, die Ressourcen, Infrastrukturen und Umweltrisiken mit der Analyse sozialer Ungleichheit zusammen bringen und sich Formen umweltbedingter Ungleichheit zuwenden. Die historische Erforschung sozialer Ungleichheiten kann neue Ansätze vertragen, zumal solche, die sich von den nationalen Fixierungen lösen, die in diesem Feld lange dominierten. Dass die jüngere Stadt- und Umweltgeschichte das Interesse an der sich wandelnden Materialität (städtischer) Räume mit der Frage verknüpft, wie diese Materialität unterschiedliche (ethnische, soziale) Gruppen jeweils betraf, ist da viel versprechend. Doch besteht die Herausforderung darin, solchen Fragen nachzugehen, ohne die sich wandelnden Deutungen und Deutungshoheiten aus dem Blick zu verlieren. Wie das gehen kann (Materialität: ja, materieller Determinismus: nein), finde ich tatsächlich diskutierenswert, und zwar über den Begriff der Ressource hinaus.

Ralf Banken: Quellen, Stipendien, Wasser, Loyalität, Vertrauen, Wissen, Religion, Verrat, Erinnerung, Infrastruktur, Abfall, die Schrift und das Meer, Arbeit oder aber die Geschichte selbst sind nur einige der Begriffe, die laut Sektionstiteln des 49. Historikertages als Ressourcen bezeichnet werden. Auch wenn ich selber die Nöte der Kollegen aus eigener Erfahrung nur zu gut kenne, die eigenen Forschungsthemen und beabsichtigten Sektionen mit dem jeweiligen Motto in irgendeiner Weise zu verbinden – eine pragmatische und durchaus legitime Vorgehensweise, die auch interessante Blickwinkel ermöglichen kann –, muss doch die Frage erlaubt sein, ob die eigentlichen Erkenntnismöglichkeiten des Ressourcenbegriff nicht verloren gehen, wenn letztlich alles eine Ressource ist.

Dabei soll hier gar nicht einer Begrenzung des Begriffes auf die „natürlichen“ Ressourcen das Wort geführt werden, auch wenn die Umweltgeschichte als relativ neues Fach in den letzten Jahren interessante Ergebnisse und Einsichten in die „natürlichen“ Bedingungen menschlicher Entwicklungen herausgearbeitet hat. Vielmehr erscheint mir als Wirtschafts- und Unternehmenshistoriker wichtig zu betonen, dass neben den „natürlichen“ und materiellen Ressourcen wie Rohstoffen, landwirtschaftlich fruchtbarer Boden, Wasser oder aber die in einer Klimazone gegebene Tierwelt eben auch die menschliche Arbeit, Kapital in den unterschiedlichsten Formen (Geld, Produktionsmittel etc.) und vor allem das menschliche Wissen (Humankapital, Technischer Fortschritt, effiziente Institutionen etc.) wichtige Ressourcen menschlichen Handelns darstellen, die letztlich erst die „natürlichen“ Ressourcen nutzbar machen.

Vorteil dieser Herangehensweise ist nicht nur, dass die Diskussion nicht zu schnell auf die Geschichte von Ressourcenkonflikten und den damit verbundenen Krisen verengt wird, sondern überhaupt erst einmal deutlich wird, dass selbst wichtigste „natürliche“ Ressourcen, zum Beispiel riesige Ölfelder, nicht an sich von Nutzen sind, sondern ihren Wert nur aufgrund einer Nachfrage sowie bestimmter ökonomischer und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen entfalten. Die Nutzung von „natürlichen“ Ressourcen ist nämlich alles andere als voraussetzungslos; das Vorhandensein von Bodenschätzen oder fruchtbaren Böden führt eben nicht automatisch zu mehr Reichtum einer Region. Vielmehr zeigen die Diskussionen über eine der klassischen Fragen der Wirtschaftsgeschichte, warum einige Regionen der Welt reich wurden und andere nicht, dass umfangreiche „natürliche“ Ressourcen sogar ein Hemmschuh für Entwicklung sein können – allerdings nicht sein müssen. So profitierte Großbritanniens Industrialisierung unzweifelhaft vom Vorhandensein von Kohle, während sich der Rohstoffreichtum vieler Entwicklungsländer in den letzten Jahrzehnten eher als ein Fluch erwies, der eine wirtschaftliche Entwicklung verhinderte. Abgesehen von den weltwirtschaftlichen Terms of Trade war letzteres häufig auf eine unterentwickelte Wirtschaft zurückzuführen, die eben an der Verarbeitung und an den ökonomischen Wertschöpfungsketten der Rohstoffe kaum teil hatte und darauf, wie das Geld aus dem Verkauf der Rohstoffe verwandt wurde und welche Gruppen davon profitierten.

Schon diese Anmerkung zeigt, dass die Verwendung von Ressourcen ein zentrales Thema der Wirtschaftsgeschichte darstellt, auch wenn die Begrifflichkeiten zumeist in anderer Form genutzt werden. Auf Basis wirtschaftswissenschaftlicher Kategorien spielen Ressourcen in der Moderne, in der die meisten Ressourcen über Märkte gehandelt werden, eben für die Angebotsseite als die Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital, Boden oder Wissen in Form von Humankapital eine zentrale Rolle, in Form von Geld auch bei der Verwendung des Bruttosozialprodukts.

Nun ist mir selbstverständlich klar, dass sich die Historiker außerhalb der Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte sich nicht besonders begeistert auf wirtschaftswissenschaftliche Theoreme stürzen werden. Sinnvoll erscheint es mir aber, dass diese und auch andere sozialwissenschaftliche Kategorien und Konzepte – gerne auch in kritischer Haltung – von den Historikern wahrgenommen werden. Ansonsten droht eine Forschung ins Blaue hinein, bei der Erkenntnisse anhand von in den Quellen gewonnenen Einzelbeispielen neu entdeckt werden; mit Ergebnissen, die Kollegen anderer Fächer bestenfalls ein müdes Lächeln hervorlocken werden. Dieses Szenario wird umso wahrscheinlicher, wenn der Begriff der Ressource – jenseits der Zwänge eines Historikertagsmottos – zu einem beliebigen Begriff wird, der letztlich mehr verdeckt als neue Erkenntnismöglichkeiten für die historische Forschung eröffnet.

Anmerkung:
1http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=16282

Redaktion
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